Wiedergabe eines Vortrags von Prof. Dr. Paul Sauer, gehalten am 20. Oktober 1995 in Burgstetten zum 750jährigen Bestehen von Kirschenhardthof
Die Gemeinschaft des Tempels, die heutige Tempelgesellschaft, ist aus dem schwäbischen Pietismus hervorgegangen. Sie verdankt ihre Entstehung dem evangelischen Theologen Christoph Hoffmann. Dieser wurde 1815 in Leonberg geboren. In der von seinem Vater gegründeten Brüdergemeinde Korntal verbrachte er seine frühen Jugendjahre. Hier empfing er, nicht zuletzt durch seinen Vater, eine der offiziellen Kirche distanziert gegenüberstehende, einem Christentum der Tat verpflichtete Persönlichkeit, prägende Eindrücke von einer nach streng christlichen Grundsätzen organisierten Gemeinschaft.
Nach Abschluss seines Tübinger Theologiestudiums trat der eigenwillige und von einem starken geistlichen Sendungsbewusstsein erfüllte tiefgläubige junge Mann als Lehrer und Teilhaber in die von seinen Schwägern, den Brüdern Paulus, den Enkeln Philipp Matthäus Hahns, 1837 gegründete christlich-wissenschaftliche Bildungsanstalt auf dem Salon, Markung Kornwestheim (heute Stadt Ludwigsburg), ein.
Beunruhigt über das Anwachsen des antichristlichen Geistes, wie er ihn etwa aus der vielbefehdeten Tübinger Inauguralvorlesung Friedrich Vischers von 1845 herauslas, begann er zusammen mit seinen Schwägern diesen Geist publizistisch zu bekämpfen und die Öffentlichkeit entsprechend aufzuklären. Zu diesem Zweck gründete er 1845 die »Süddeutsche Warte«, die nicht nur in Deutschland, sondern auch unter den Deutschen in Russland und Nordamerika zahlreiche Leser gewann.
Hoffmann strebte die Wiederherstellung eines von modernen aufklärerischen Einflüssen freien christlichen Staates und die Schaffung einer auf dem Boden des Evangeliums festgegründeten Gesellschaft von Gläubigen an. Nach dem Ausbruch der Revolution von 1848 hoffte er, seinen Zielen in der politischen Arena Geltung verschaffen zu können. Er zog nach einem heftigen Wahlkampf gegen den berühmten Verfasser des »Lebens Jesu«, dem vielgeschmähten »Gottesleugner« David Friedrich Strauß, als Abgeordneter des Wahlkreises Ludwigsburg in die Frankfurter Nationalversammlung ein. Die parlamentarische Wirklichkeit ernüchterte ihn. Er erkannte, dass alle Voraussetzungen dafür fehlten, den christlichen Staat, so wie er ihm vor Augen stand, zu realisieren. Ferner wurde ihm klar, dass die Abhängigkeit der evangelischen Kirche vom Staat für diese unwürdig und für die Botschaft, die sie zu verkünden hatte, in höchstem Maße verderblich sei. Eine rasche und vollständige Trennung von Kirche und Staat erschien ihm nunmehr unerlässlich. Nach zehn Monaten wenig fruchtbarer Abgeordnetentätigkeit zog er sich vom politischen Leben gänzlich zurück.
In der revolutionären Bewegung sah er jetzt eine Art babylonischen Turmbau, der die Welt dem Abgrund noch näher brachte, auf den sie in ihrer Gottlosigkeit ohnehin unaufhaltsam zutrieb. Aus dem Studium der Heiligen Schrift, insbesondere aus den Büchern der Weissagung, den Propheten, gewann er die Erkenntnis, dass der Menschheit ein neues Babel nur erspart werden könne, wenn sich die Besten der Völker zum »Volk Gottes« vereinten, das heißt zu einer exemplarischen Glaubens- und Lebensgemeinschaft. Da für ihn wie für viele andere Vertreter des damaligen württembergischen Pietismus die Wiederkunft Christi unmittelbar bevorstand und da es für ihn nach der biblischen Weissagung keinen Zweifel gab, dass diese in Jerusalem erfolgen werde, forderte er die »Sammlung des Volkes Gottes« an dieser heiligen Stätte. Die »Sammlung« war für ihn im übertragenen Sinn gleichbedeutend mit der Wiederaufrichtung des Tempels.
Dort in Jerusalem war seiner Ansicht nach am ehesten der Ort, wo sich die Gemeinschaft im urchristlichen Sinn, frei von den zerstörerischen Einflüssen der westlichen Zivilisation, entfalten und die Urzelle einer auf den wahren Gottesglauben gegründeten, geläuterten neuen Welt bilden konnte. Bekenntnisse, Dogmen, Sakramente und kultische Formen bedeuteten Hoffmann wenig. In den Mittelpunkt christlicher Glaubens- und Lebensführung stellte er die Liebe zu Gott und dem Nächsten. Der Glaube hatte sich im täglichen Leben, im Dienst am hilfsbedürftigen Bruder und an der hilfsbedürftigen Schwester, in der Gemeinschaft also, zu bewähren.
Dass Hoffmann bald in schroffen Gegensatz zur evangelischen Landeskirche, die er ob ihrer Lauheit und ihrer engen Verbundenheit mit dem Staat kritisierte, wie auch zu den gemäßigten Kreisen des württembergischen Pietismus geriet, nimmt nicht wunder. In dem willensstarken, kämpferischen Kaufmann Georg David Hardegg aus Ludwigsburg, der als junger politischer Revolutionär in den Jahren 1832 bis 1840 im Gefängnis gesessen und sich während dieser Zeit einem christlichen Mystizismus zugewandt hatte, fand er einen Gefährten, der seine religiösen Vorstellungen in die Tat umsetzte. Hardegg machte sich über die Wunschträume Hoffmanns, ein deutscher Fürst werde sich die Sache des »Volkes Gottes« zu Eigen machen und sie verwirklichen, keine Illusionen. Für ihn stand fest, die »Sammlung des Volkes Gottes« mussten Hoffmann und seine Gesinnungsgenossen ungesäumt selbst in die Hand nehmen. Von ihnen hatte der Ruf zur Sammlung auszugehen, sie hatten die geistlichen wie die realen Voraussetzungen für die neue Gemeinschaft zu schaffen.
Die fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren eine Zeit wirtschaftlicher Bedrängnis und großer sozialer Spannungen. Politisch herrschte nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 die Reaktion. Die Forderung Hoffmanns, die unheilvollen Zustände durch einen unter chiliastischen Vorzeichen stehenden christlichen Sozialismus zu überwinden, blieb nicht ohne Widerhall. Im Jahr 1854 wurde die »Warte«, die Hoffmann weiterhin redigierte, zum Organ der Sammlungsbewegung. Der Krimkrieg (1853-56) schien die Befreiung Palästinas von der jahrhundertelangen türkischen Herrschaft in greifbare Nähe zu rücken. Wer, so fragte Hoffmann, hat das Recht, das Heilige Land zu erben? Seine Antwort war eindeutig: doch nur das »Volk Gottes«!
1854 begann Hardegg mit der Registrierung der Kandidaten für den Aufbruch nach Palästina. Am 24. August jenes Jahres fand in Ludwigsburg eine größere von Hoffmann geleitete Versammlung statt, auf der der Öffentlichkeit die Gründung der »Gesellschaft für Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem« bekannt gegeben wurde. Mehrere hundert »Jerusalemsfreunde« unterschrieben bei dieser Veranstaltung eine Eingabe an den Deutschen Bundestag in Frankfurt, in dem dieser ersucht wurde, durch eine Intervention beim türkischen Sultan dem »Volk Gottes« die Ansiedlung in Palästina zu ermöglichen.
Die Petition erregte den Unwillen der württembergischen Behörden. Vom Bundestag wurde sie zurückgewiesen. Immerhin hatten die »Jerusalemsfreunde« mit ihr über die Grenzen ihres engeren Heimatlandes Württemberg hinaus die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Aussichten auf eine baldige Auswanderung nach Jerusalem eröffneten sich indessen nicht. Hoffmann und Hardegg konzentrierten daher ihre Bemühungen auf die »Sammlung des Volkes Gottes« und auf die Vorbereitung seiner Übersiedlung nach Palästina. 1856 erwarben sie den Weiler Kirschenhardthof (Gemeinde Burgstetten, Rems-Murr-Kreis) und verlegten ihr Zentrum dorthin.
Auf dem Kirschenhardthof gründeten sie ihre erste geschlossene Gemeinde. In ihr suchten sie ihre Glaubens- und Lebensgrundsätze zu verwirklichen. Zugleich wollten sie mit dieser Gemeinde eine Art Mustersiedlung schaffen, die auf Menschen, die von den herrschenden kirchlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen enttäuscht waren und einen Ausweg aus ihnen suchten, eine starke Anziehungskraft ausüben sollte.
1858 fuhren Hoffmann, Hardegg und ein sachkundiger Landwirt namens Bubeck nach Palästina, um an Ort und Stelle die Siedlungsmöglichkeiten zu erkunden. Das Ergebnis ihrer Kundschaft war negativ. Eine Kolonisation im Heiligen Land hielt Hoffmann zwar nicht für ausgeschlossen, zum damaligen Zeitpunkt aber erschien sie ihm noch ungemein schwierig. Er ließ keinen Zweifel, dass die Menschen aus Europa, die sich dafür entschieden, ihr Leben aufs Spiel setzten.
1859 kam es zum endgültigen Bruch mit der evangelischen Landeskirche: Hoffmann vollzog auf dem Kirschenhardthof eigenmächtig die Konfirmation an Kindern von »Jerusalemsfreunden«, denen er zuvor schon Konfirmandenunterricht erteilt hatte. Er wurde daraufhin mit seinen Anhängern aus der Landeskirche ausgeschlossen. Die Reaktion der »Jerusalemsfreunde« war die Begründung einer selbständigen religiösen Gemeinschaft. Am 19. Juni 1861 sprach sich eine auf dem Kirschenhardthof zusammengerufene Versammlung für die Errichtung des »Deutschen Tempels« aus. In der von 64 Männern unterzeichneten Gründungserklärung hieß es: »Angesichts der allgemeinen Zerrüttung der Menschen, die ihre Ursache darin hat, dass keine der bestehenden Kirchen die Herstellung des Menschen zum Tempel Gottes und die Herstellung des Heiligtums für alle Völker zu Jerusalem anstrebt, erklären wir Unterzeichnete unsere Lossagung von Babylon, das heißt von den bestehenden Kirchen und Sekten, und verbinden uns zur Herstellung des Deutschen Tempels, zur Ausführung des Gesetzes, des Evangeliums und der Weissagung.«
Der Gemeinschaft schlossen sich in Württemberg und in anderen deutschen Ländern etwa 3000 Menschen an. Sie fand darüber hinaus Anhänger in der Schweiz, in Nordamerika und in Russland.
Das Ziel des »Deutschen Tempels« blieb unverrückt auf Palästina gerichtet. Im Jahr 1868 setzten die beiden Häupter der Gemeinschaft, Hoffmann und Hardegg, ihr zentrales religiöses Anliegen in die Tat um: Sie brachen mit ihren Familien ins Heilige Land auf. In Haifa gründeten sie im Frühjahr 1869 die erste Templerkolonie auf palästinensischem Boden. Georg David Hardegg wurde ihr Vorsteher.
Ihr ideales Streben machte die Gründer der Tempelgesellschaft indessen nicht zu religiösen Phantasten, die in blindem Eifer die Menschen, die sich ihrer geistlichen Führung anvertrauten, ins Verderben stürzten. Hardegg wie auch Hoffmann besaßen einen Blick für die realen Lebensmöglichkeiten und -erfordernisse einer menschlichen Gemeinschaft. Sie handelten überlegt und verantwortungsbewusst.
Im Heiligen Land angekommen gingen sie daran, planmäßig den Boden für den Zuzug weiterer Mitglieder ihrer Gesellschaft zu bereiten. Eine Kolonisationskasse, von der vor allem die Unvermöglichen profitierten, erleichterte das nicht einfache Siedlungswerk. Hoffmann ließ in einem in der »Süddeutschen Warte« veröffentlichten Brief keinen Zweifel daran, dass das große Siedlungswerk nur gelänge, wenn bedachtsam, das heißt so wie es Gott ermögliche, vorangeschritten werde. Voraussetzung für jeden Zuzug müsse ein gesicherter Broterwerb sein. 1870 setzte er durch, dass der Ausschuss des Tempels in Württemberg nur noch Familien oder Einzelpersonen die Auswanderung erlaubte, wenn ihm entsprechende Anforderungen aus Palästina vorlagen. Diese planvolle Lenkung der Übersiedlung ins Heilige Land beschränkte zwar die Zahl der dortigen Kolonisten, trug aber entscheidend zur wirtschaftlichen Konsolidierung der Templersiedlungen in Palästina bei.
Unter den Anhängern Hoffmanns in Württemberg begann der Abfall. Viele, die in schwärmerischer Begeisterung ihre Hoffnung auf eine große, machtvolle Bewegung, die das Heilige Land in Besitz nehmen würde, gesetzt hatten, wandten sich enttäuscht ab und kehrten zur evangelischen Landeskirche zurück. Bis Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts war die Zahl der in Württemberg ansässigen Templer auf etwa 300 geschrumpft. Sie lebten weit über das Land verstreut. Den Kirschenhardthof hatte die Tempelgesellschaft bereits 1873 aufgegeben und ihre Zentrale für Deutschland, die Gebietsleitung, nach Stuttgart verlegt.
Tiefgehende Meinungsverschiedenheiten in geistlichen Fragen, die schon in Deutschland Anlass zu starken Spannungen gegeben hatten, führten Anfang der siebziger Jahre zu einer kaum mehr überbrückbaren Vertrauenskrise zwischen Hoffmann und Hardegg. Hoffmann siedelte deshalb, als sich noch im Jahr 1869 Gelegenheit bot, eine von einer amerikanischen Missionsgesellschaft aufgegebene Kolonie in Jaffa zu erwerben, dorthin über.
1871 konnte die Gemeinschaft, die durch den Zuzug von »Jerusalemsfreunden« aus der Heimat nach und nach auf mehrere hundert Menschen anwuchs, in der Nähe von Jaffa, am Wadi Miserara, mit Sarona ihre erste Ackerbaukolonie errichten. Zwei Jahre später folgte als vierte und wichtigste Tempelkolonie die Gründung von Rephaim südwestlich von Jerusalem.
Die Aufteilung der Leitungsbefugnisse nach Siedlungsbezirken - Haifa wurde, wie bereits erwähnt, von Hardegg verwaltet, den Siedlungen Jaffa, Sarona und Rephaim stand Hoffmann vor, während für die Gemeinden in Deutschland Christoph Paulus verantwortlich war - bewährte sich nicht. 1874 wurde Christoph Hoffmann zum alleinigen Vorsteher der Gemeinschaft gewählt. Georg David Hardegg trat daraufhin mit etlichen Gesinnungsgenossen aus der Tempelgesellschaft aus.
Dieser Entschluss Hardeggs traf zwar die Gemeinschaft schmerzlich, zerstörte jedoch ihre geistliche Basis nicht. Dies vermochten auch die inneren Spannungen und Abspaltungen nicht zu bewirken, mit denen sich die Tempelgesellschaft in der Folgezeit fertig werden musste. Die Siedlungen stellten anfänglich Höchstanforderungen an Gesundheit und Arbeitskraft der Kolonisten. Seuchen und Krankheiten grassierten und rafften insbesondere in Sarona viele dahin. Doch besserten sich die Verhältnisse bald.
Die Templersiedlungen in Palästina erlangten Ansehen und Wohlstand. Die schwäbischen Bauern und Handwerker, und um solche handelte es sich bei der überwiegenden Mehrheit der »Jerusalemsfreunde«, trugen wesentlich zur Hebung und Erschließung des um 1870 noch sehr rückständigen und wirtschaftlich vernachlässigten Landes bei. Sie errichteten die ersten modernen landwirtschaftlichen Siedlungen, führten neue Methoden der Bodenbearbeitung, der Düngung, des Fruchtwechsels usw. ein. Auf ihre Initiative geht die für die Wiederaufforstung Palästinas so wichtige Anpflanzung der Eukalyptusbäume zurück, ebenso der verstärkte Anbau der Jaffa-Orangen, die heute zu den erstrangigen landwirtschaftlichen Ausfuhrprodukten Israels gehören.
Von Anfang an spielte das Handwerk in den Tempelsiedlungen eine nicht unwichtige Rolle. Hinzu trat das Baugewerbe. Eine bedeutsame Einnahmequelle erschlossen sich die Templer im Bereich des Straßenverkehrs. Vor ihrer Übersiedlung ins Heilige Land kannte man dort den Wagen als Transportmittel so gut wie gar nicht. Abgesehen von der Straße Jaffa-Jerusalem gab es keine für den Wagenverkehr geeignete Straße. Sie nutzten die sich ihnen im Personen- und Güterverkehr bietende Chance. Zwischen Haifa und der Bezirkshauptstadt Akko richteten sie einen regelmäßigen Kutschendienst ein. Auf ihre Initiative und unter ihrer maßgeblichen Beteiligung wurde der Weg Haifa-Nazareth zu einer für Pferdefuhrwerke befahrbaren Straße ausgebaut. Gleichzeitig errichteten sie inmitten ihrer Kolonie das Karmelhotel, mit dem Haifa sein erstes europäischen Ansprüchen genügendes Gästehaus erhielt.
Ihr Engagement im Verkehrs- sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe, das sie in den folgenden Jahrzehnten auf andere touristisch bedeutsame Orte, namentlich auf die hervorragendsten heiligen Stätten des Landes, ausdehnten, trug wesentlich zur Hebung des Fremdenverkehrs, insbesondere zu einem starken Anwachsen des jährlichen Pilgerstroms, bei.
In vergleichsweise noch höherem Maß als die Kolonie Haifa zog die Kolonie Jaffa Nutzen aus dem Verkehrs- und Hotelgewerbe. Die Siedler von Jaffa, die bei ihrem Broterwerb ohnehin fast ausschließlich auf Gewerbe und Handel angewiesen waren, erlangten im florierenden Fremdenverkehr, vor allem im Pilgerreiseverkehr Jaffa-Jerusalem, beinahe eine Art Monopol. Schon in den siebziger Jahren machte der zunehmende Wagenverkehr den Ausbau der Straße Jaffa-Jerusalem notwendig. Mit der Leitung der Bauarbeiten wurde von den Behörden Ingenieur Theodor Sandel, ein Mitglied der Tempelkolonie Jaffa, betraut. Eine Anzahl von Siedlern spezialisierte sich auf den Bau und die Reparatur von Wagen.
Seine ersten Industriebetriebe verdankte Palästina den deutschen Kolonisten. Ihre Aufträge erlangten die Handwerker in den Tempelkolonien zunächst von Europäern, namentlich von ihren eigenen Landsleuten. Bald aber begannen die wohlhabenden Araber ihre Arbeit zu schätzen und nahmen in wachsendem Maß ihre Dienste in Anspruch. Dies galt in gleicher Weise auch für die Handelsgeschäfte und die Industriebetriebe der Siedler.
In den ersten Jahren ihres Kolonisationswerks im türkischen Palästina waren die Templer auf sich allein gestellt. Von ihrem kleinen Heimatland Württemberg, das sie als Dissidenten verlassen hatten, konnten sie weder Schutz noch Hilfe erwarten, und das 1870/71 von Bismarck gegründete Deutsche Reich, dem Württemberg als Bundesstaat angehörte, zeigte sich anfänglich allenfalls bereit, auf diplomatischem Weg für ihre Belange einzutreten.
Dies änderte sich 1877. Damals hatten die in einem bewaffneten Konflikt sich entladenden Spannungen zwischen Russland und der Türkei im Vorderen Orient eine wachsende Feindseligkeit der einheimischen moslemischen Bevölkerung gegen die Christen, insbesondere gegen die Europäer, zur Folge. Die Tempelgemeinden gerieten in eine bedrohliche Situation.
Christoph Hoffmann nutzte seine persönlichen Verbindungen nach Berlin - sein Stiefbruder Wilhelm besaß dort als Oberhofprediger eine einflussreiche Stellung -, um auf die Gefahren für die deutschen Kolonisten hinzuweisen. Und das Reich säumte nicht, durch die Entsendung einiger Kriegsschiffe sowie durch diplomatische Aktivitäten gewaltsamen Ausschreitungen gegen seine Bürger und Schutzgenossen vorzubeugen.
Erstmals erfuhren die Templer, was es bedeutete, Angehörige eines machtvollen Reichs zu sein: Schutz und Hilfe in Zeiten der Gefahr durch den bewehrten Arm ihres Heimatlandes waren ihnen sicher. Kein Wunder, wenn sie fortan ihre nationalen Erwartungen mit dem Bismarckreich verbanden und sich von ihm eine nachhaltige Förderung ihres großen Kolonisationswerks versprachen. Sie waren nicht länger machtlos der Willkür türkischer Behörden und den Übergriffen der einheimischen Bevölkerung preisgegeben. Der Rückhalt durch die Heimat vermochte ihrem wirtschaftlich noch nicht gefestigten Unternehmen die erforderlichen Auftriebskräfte zu vermitteln.
Im Bau des geistlichen Tempels in Jerusalem erkannten sie jetzt zugleich eine nationale Aufgabe. Deutschland hatte im Vorderen Orient eine geistige, eine kulturelle, aber auch eine wirtschaftliche Funktion zu erfüllen. Sie fühlten sich als Pioniere, die ihrem Volk bei der Verwirklichung eines vorbildlichen geistigen und sozialen Gemeinschaftslebens vorangingen. Vom Etatjahr 1879/80 an bewilligte das Reich den Kolonisten zur Unterhaltung der von ihnen errichteten Schulen, die sich übrigens damals wie auch noch später eines ausgezeichneten Rufs erfreuten, einen jährlichen finanziellen Unterstützungsbeitrag.
Im Herbst 1898 unternahm Kaiser Wilhelm II. mit stattlichem Gefolge eine Reise ins Heilige Land. Der Anlass zu dieser Fahrt war die Einweihung der deutschen Erlöserkirche in Jerusalem. Während seines Aufenthalts in Palästina besuchte er auch die Templersiedlungen. Die großen kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen der Kolonisten beeindruckten ihn. Beim Besuch der deutschen Kolonie Rephaim bei Jerusalem, Sitz der Zentralleitung der Tempelgesellschaft, fand er anerkennende, lobende Worte: Sie, die Kolonisten, hätten es verstanden, durch ihr persönliches Leben ihren Nachbarn ein gutes Beispiel zu geben und dem deutschen Namen Ehre zu machen, sie hätten gezeigt, wie man es angreifen müsse, um öde Felder fruchtbar zu machen. Er sicherte ihnen seinen uneingeschränkten Schutz und seine Hilfe zu.
Für die Templer war das kaiserliche Lob in der Tat eine hohe Anerkennung. Erstmals waren ihre jahrzehntelangen Bemühungen um die wirtschaftliche Entwicklung des Heiligen Landes vom obersten Repräsentanten des Deutschen Reiches gewürdigt, ihr menschlich beispielhaftes Verhalten von ihm gerühmt worden. In Deutschland, namentlich in Württemberg, nahm die Öffentlichkeit von ihren kolonisatorischen Leistungen zustimmend Kenntnis. König Wilhelm II. von Württemberg bekundete den schwäbischen Siedlern seine Verbundenheit und bezeugte ihnen sein besonderes Wohlwollen. Für ihre Sorgen und Nöte fanden sie bei ihm von jetzt an stets ein offenes Ohr. Im Gegensatz zum Kaiser beließ er es auch nicht bei Worten.
Auf die Initiative eines der Teilnehmer der Kaiserreise, des Obersten Joseph Freiherr von Ellrichshausen, konstituierte sich 1899 in Stuttgart ein Gesellschaft zur Förderung der deutschen Ansiedlungen in Palästina. Sie machte sich ein Anliegen der Kolonisten zu Eigen, durch die Bereitstellung zinsgünstiger Darlehen den Kauf von Grund und Boden zur Anlage neuer Siedlungen zu ermöglichen.
Solcher zusätzlicher Siedlungen bedurften die Kolonisten dringend, da die heranwachsende Generation in den bestehenden und nur mit einem beschränkten landwirtschaftlichen Areal ausgestatteten Siedlungen ihr Auskommen nicht mehr fand. Mit der finanziellen Hilfe der Gesellschaft, deren Kapitalgeber vor allem in Württemberg zu Hause waren, konnte die Tempelgesellschaft 1902 in der Nähe von Jaffa und 1906 in Galiläa bei Nazareth Siedlungsland erwerben und auf diesem die Kolonien Wilhelma und Betlehem errichten.
Beide Siedlungen, zunächst Wilhelma, später auch das nur zögernd erschlossene Betlehem, entwickelten sich zu landwirtschaftlichen Mustersiedlungen. In Wilhelma ließen sich übrigens nicht nur Templer aus Palästina nieder, sondern auch mennonitische Templerfamilien, die aus deutschen Siedlungen in Südrussland kamen. Eine dritte Siedlung, Waldheim, in unmittelbarer Nähe des württembergischen Betlehem gelegen, gründete gleichfalls mit Hilfe der Stuttgarter Gesellschaft die deutsche evangelische Gemeinde Haifa. Diese Gemeinde stand in enger Verbindung zur Tempelgemeinde Haifa, der ihre Mitglieder anfänglich angehört hatten.
Im August 1914 brach der Erste Weltkrieg aus. Von der Mobilmachung der deutschen Streitkräfte war eine ansehnliche Zahl von Templern betroffen; diese bekamen durch das deutsche Konsulat in Jerusalem ihre Einberufungsbefehle. Weil der Seeweg zu riskant war, reisten die Männer auf oft abenteuerlichen Wegen über Syrien und die Türkei nach Deutschland. Den einberufenen Reservisten und Rekruten gesellten sich noch Kriegsfreiwillige hinzu, die in der Stunde der Not ihres deutschen Vaterlands zur Stelle sein wollten. Für die Templerkolonien wirkte sich günstig aus, dass die Türkei im Herbst 1914 an der Seite des Deutschen Reichs in den Krieg eintrat.
In Palästina verliefen die ersten Kriegsjahre ruhig. Erst Ende 1916 ergriffen die Engländer die militärische Initiative. Sie durchbrachen den deutsch-türkischen Verteidigungsring und stießen nach Norden vor. Seit Frühjahr 1917 war Palästina Kriegsgebiet. Im November jenes Jahres eroberten die britischen Truppen Jaffa, Sarona und Wilhelma. Am 9. Dezember fiel Jerusalem in ihre Hand. Wilhelma lag anschließend mehrere Wochen im Feuerbereich der deutschen Geschütze und wurde erheblich beschädigt. Zwei Siedler verloren ihr Leben.
Im Juli/August 1918 deportierten die Engländer die Bewohner der deutschen Südkolonien nach Ägypten und brachten sie in einem Internierungslager in Helouan bei Kairo unter. Sie wollten offenbar ein mögliches geheimes Zusammenwirken der Kolonisten mit den immer noch weite Teile Palästinas behauptenden deutsch-türkischen Kampfverbänden unterbinden, denen diese in den vergangenen Jahren eine Vielzahl wertvoller Dienste geleistet hatten.
Die Bewohner der Nordkolonien (Haifa, Betlehem und Waldheim) hatten mehr Glück. Sie durften in ihren von den Engländern erst im Herbst 1918 besetzten Siedlungen verbleiben, doch hatten sie vor allem in Haifa einen Teil ihrer Häuser für längere Zeit der Besatzungsmacht zu überlassen. Nicht wenige Männer, die sich als Soldaten oder als Fuhrleute dem Rückzug der deutschen Truppen anschließen mussten, verschlug es nach Deutschland. Sie konnten von dort erst zwei Jahre später zurückkehren.
Für die 850 in Ägypten Internierten, meist Frauen, Kinder und Greise, brachte das Kriegsende im November 1918 keine Erleichterung. Sie blieben hinter Stacheldraht. Auf alliierter Seite erwog man, die Palästinadeutschen nach Deutschland auszuweisen und ihr Vermögen für Reparationszwecke in Anspruch zu nehmen. Viele Monate lang hing dieses drohende Damoklesschwert nicht nur über den in Helouan in Ägypten Internierten, sondern auch über den in den Siedlungen Haifa, Betlehem und Waldheim Zurückgebliebenen.
In Stuttgart konstituierte sich Ende 1919 aus ehemaligen Soldaten und sonstigen nach Deutschland verschlagenen Angehörigen der kleinen Volksgruppe der Verein der Palästinadeutschen. Er forderte für seine Mitglieder und Landsleute Gerechtigkeit, wandte sich um Hilfe an deutsche öffentliche Stellen und appellierte an Freunde im alliierten Lager. Das Auswärtige Amt in Berlin und die württembergische Regierung setzten sich auf diplomatischem Weg für eine Rückkehr der Palästinadeutschen in ihre Heimat ein.
Bei der deutschen Friedensdelegation in Versailles und Paris war Theodor Fast von der Tempelgesellschaft unermüdlich in diesem Sinne tätig. In England nahmen sich namentlich die Quäker und die Unitarier der Sache der Palästinadeutschen an. Im Mai 1920 wies Lord Newton im britischen House of Lords, dem Oberhaus, auf das bittere Los der immer noch in Ägypten festgehaltenen Kolonisten hin. Deutsche und bald auch englische Zeitungen übten scharfe Kritik an der Politik der britischen Militär- und Verwaltungsbehörden gegenüber den Palästinadeutschen. Im April 1920 waren bereits 350 Internierte aus Helouan, größtenteils gegen ihren Willen, mit dem Schiff »Kypros« der Deutschen Levante-Linie nach Deutschland abgeschoben worden. 230 von ihnen wurden von der württembergischen Regierung, die vorläufig für ihren Unterhalt aufkam, im Schloss in Bad Mergentheim untergebracht.
Indessen erreichten die beharrlichen Proteste der noch in Helouan befindlichen Internierten gegen ihre gewaltsame Abschiebung nach Deutschland sowie die durch deutsche, niederländische und britische Publikationsorgane unterstützten Forderungen der Palästinadeutschen auf Anerkennung ihres Heimatrechts im Heiligen Land, dass Großbritannien, dem auf der Konferenz der alliierten Regierungschefs in San Remo im April 1920 das Völkerbundsmandat über Palästina übertragen worden war, gegenüber den Vertriebenen und den von der Vertreibung Bedrohten seine bisherige intransigente Haltung änderte.
Am 29. Juni 1920 erklärte Außenminister Lord Curzon vor dem britischen Oberhaus das grundsätzliche Einverständnis Großbritanniens mit der Rückkehr der internierten Deutschen nach Palästina, da es sich bei ihnen um »achtbare, ruhige und nützliche Leute« handelte.
Die Freude der Templer über diese positive Wende ihres Schicksals war groß. Die in Ägypten befindlichen Palästinadeutschen reisten bereits im August in ihre zwei Jahre zuvor zwangsweise verlassenen Siedlungen Jaffa, Sarona, Wilhelma und Rephaim bei Jerusalem zurück.
Sie fanden diese in einem ziemlich verwahrlosten Zustand vor. Das Mobiliar war vernichtet oder abhanden gekommen, ebenso die landwirtschaftlichen Maschinen und Geräte. Milchkühe und Zugtiere fehlten gänzlich. Die Warenlager der Kaufleute in den Städten waren schon während der Kriegsjahre aufgezehrt worden. Die Gewerbetreibenden und Handwerker mussten sich mit dem Verlust ihrer Betriebseinrichtungen, ihrer Arbeitsgeräte und Maschinen abfinden. Ein Teil der intakten Häuser war von britischen Militär- und Zivilbehörden beschlagnahmt und wurde erst nach und nach frei. Besonders schlimm sah es in Wilhelma aus, das bei den Kämpfen im November und Dezember 1917 teilweise zerstört worden war.
Ende des Jahres 1920 traten 300 Palästinadeutsche von Deutschland aus die Heimfahrt an. Im Jahr 1921 folgte noch eine Anzahl Nachzügler. Unter Leitung des Tempelvorstehers Christian Rohrer und des von ihm eingesetzten Wiederaufbaukomitees nahmen die Heimkehrer im Verein mit den im Land verbliebenen Kolonisten von Haifa, Betlehem und Waldheim den Wiederaufbau ihrer Wohn- und Arbeitsstätten tatkräftig in die Hand.
Der Anfang war sehr schwer. Glücklicherweise zeigte die Mandatsregierung für die Sorgen und Nöte der Kolonisten zunehmend Verständnis. Hieran hatte E. Keith Roach, der Treuhänder für beschlagnahmtes feindliches Vermögen, wesentlichen Anteil. Die Mandatsregierung leistete den Siedlern einen etwa 50prozentigen Ersatz für ihre Kriegsverluste an lebendem und totem Inventar.
Die Zusammenarbeit zwischen dem Treuhänder und dem Wiederaufbaukomitee der Tempelgesellschaft gestaltete sich erfreulich positiv. Bei der Aufhebung seines Amtes im Jahr 1925 erklärte E. Keith Roach in Anwesenheit des Tempelvorstehers Christian Rohrer und der Mitglieder des Wiederaufbaukomitees: »Mit besonderer Freude stelle ich fest, dass über die ganze Dauer meines oft recht schwierigen Amtes ein gutes Einvernehmen mit der Vertretung der Tempelgesellschaft bestanden hat. Ich darf Ihnen sagen, und dabei rede ich im Einverständnis mit dem ersten Hochkommissar für Palästina, Sir Herbert Samuel, dass die deutschen Kolonisten ein wertvoller Bestandteil der Bevölkerung Palästinas sind und als solche geschätzt werden. Sie waren die ersten, die der Landwirtschaft Palästinas neue Bahnen gewiesen haben.«
Diese Worte hoher Anerkennung für die deutschen Templer aus dem Mund des Vertreters der britischen Regierung kaum fünf Jahre nach dem von derselben Regierung erst nach langem Widerstreben ermöglichten Beginn eines mühevollen Wiederaufbaus haben großes Gewicht. Sie sollten schon im Hinblick auf die Katastrophe, die anderthalb Jahrzehnte später über die Kolonisten hereinbrach, festgehalten werden.
Im Bestreben, Palästina europäischen Ordnungsprinzipien anzupassen, veränderte die britische Mandatsregierung in wenigen Jahren die politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes grundlegend. Die Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsmaßnahmen, mit deren Hilfe sie dieses Ziel zu erreichen suchte, trugen ungleich mehr, als dies in türkischer Zeit der Fall gewesen war, den Bedürfnissen der vor allem durch die starke jüdische Einwanderung rasch wachsenden Bevölkerung Rechnung. Die Regierung baute das Schulwesen aus, förderte die Bautätigkeit, schuf ein leistungsfähiges Straßen- und Schienennetz, errichtete Elektrizitätsanlagen, begünstigte gleichermaßen die Landwirtschaft wie Gewerbe, Handel und Industrie. Zustatten kam ihr, dass durch die in großer Zahl ins Land strömenden Juden enorme Geldmittel für den wirtschaftlichen Aufbau zur Verfügung standen.
Die Deutschen vermochten erst nach und nach an dem starken Aufschwung, den Palästina in den zwanziger Jahren erlebte, teilzunehmen und wirtschaftlich wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Von der zunehmenden Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten, gewerblichen und industriellen Erzeugnissen begannen sie, nachdem sie die Rückschläge der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit überwunden hatten, in erheblichem Maße zu profitieren. Die solide Arbeit, die sie in den verschiedenen Erwerbszweigen leisteten, trug entscheidend dazu bei, dass ihre Betriebe und Unternehmen florierten und ihre Siedlungen den alten Wohlstand zurückerlangten.
Die 1925 gegründete »Bank der Tempelgesellschaft«, die ihren Hauptsitz in Jaffa, Filialen in Haifa und Jerusalem hatte, entwickelte sich vor allem infolge der starken Wareneinfuhren aus Deutschland rasch zu einem der führenden Kreditinstitute Palästinas. Unter erheblichen Opfern für die Mitglieder sanierte der »Verein der Tempelgesellschaft« seine durch die Inflation der türkischen Währung zerrütteten Vermögensverhältnisse. Auf Grund der im August 1921 von der Mandatsregierung erlassenen Companies Ordinance wurde er nach Jahresfrist in die »Zentralkasse der Tempelgesellschaft« umgewandelt und erhielt wie die Bank der Tempelgesellschaft die Rechte einer juristischen Person zuerkannt. Templer errichteten neue Geschäftshäuser, Fabrikgebäude und landwirtschaftliche Anwesen. Die Kolonisten in Sarona, Wilhelma, Betlehem, aber auch in Haifa konnten ihren Grundbesitz durch Zukäufe vergrößern und insbesondere ihre Orangen- und sonstigen Obstanlagen ausweiten.
Im Dezember 1925 lebten in Palästina insgesamt 1324 Templer (Haifa-Bezirk 393, Betlehem 98, Jaffa-Bezirk 235, Sarona 225, Wilhelma 215 und Jerusalem 158). Diese besaßen 321 Wohn- und 176 Nebengebäude sowie 2397 ha Äcker, Weingärten, Baumanlagen, Wald, Gärten und Bauland. Von den Berufstätigen waren 54 Bauern, 174 Gewerbetreibende, Industrieunternehmer und Ingenieure, 55 Kaufleute, 18 Lehrer, 13 Beamte und 7 Angehörige freier Berufe (darunter wenigstens 2 Ärzte).
Das gute Einvernehmen zwischen den Templern und den britischen Verwaltungsbehörden, zu dem, wie erwähnt, in den harten Jahren des Wiederaufbaus zwischen 1920 und 1925 der Grund gelegt worden war, vertiefte sich in der Folgezeit noch und erhielt sich, von beiden Seiten sorgsam gepflegt, bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Die britischen Distriktskommissare äußerten sich in ihren Jahresberichten häufig sehr lobend über das Verhalten der deutschen Siedler und ihre wirtschaftlichen Leistungen. Der Hochkommissar berief Templer in den »Agricultural Board« und den »Harbour Board« in Haifa.
Auch zu der eingesessenen arabischen Bevölkerung und zu den Juden unterhielten die Deutschen gute Beziehungen, die nicht selten über das rein Geschäftliche hinausgingen. Zahlreiche Araber und Juden waren in deutschen Unternehmen beschäftigt oder betätigten sich als Vertreter deutscher Firmen. Unter den seit den frühen zwanziger Jahren ständig zunehmenden Spannungen zwischen Arabern und Juden, die sich bis zu blutigen Auseinandersetzungen steigerten, hatten auch einzelne deutsche Siedler zu leiden.
Die Mehrheit der Templer in Palästina begrüßte die nationalsozialistische Machtergreifung in Deutschland im Jahr 1933 ebenso überschwenglich wie ihre im Reich selbst lebenden Landsleute. Sie erhofften und wünschten sich von der Regierung Adolf Hitlers einen nationalen Aufschwung, der insbesondere auch das deutsche Ansehen in der Welt erhöhen, die kulturelle und wirtschaftliche Ausstrahlungskraft des Reiches auf andere Staaten stärken und damit ihre eigene Position als kleine nationale Minderheit in einem fremden Land stärken sollte. Als glühende Patrioten, die indessen nur einen höchst unvollkommenen Einblick in die inneren Zustände Deutschlands besaßen, waren sie verständlicherweise von der von Hitler und seinen Gefolgsleuten mit großem Propagandaaufwand beschworenen Idee der Volksgemeinschaft fasziniert, kam diese doch ihren eigenen Vorstellungen entgegen.
Die Friedensbeteuerungen des »Führers« wie sein wiederholt lautstark verkündigtes Bekenntnis zu einem »positiven Christentum« fanden bei ihnen einen freudigen Widerhall. Für den Antisemitismus hingegen, den das NS-Regime zu einem Kernpunkt seiner Ideologie gemacht hatte, hatten sie, abgesehen von einer kleinen Minderheit, wenig übrig. Viele hielten ihn für eine reine innerdeutsche Angelegenheit, andere meinten, die aus der so genannten Kampfzeit der NSDAP herrührende radikal judenfeindliche Haltung sei mit der Regierungsverantwortung, die die Partei nunmehr übernommen habe, unvereinbar und werde sich daher allmählich wandeln, zumindest aber mildern.
Die deutschen Siedler waren in vielfältiger Beziehung von der jüdischen Bevölkerung Palästinas abhängig, die nach ihrer Kopfzahl, ihrer Wirtschaftskraft wie nach ihrem kulturellen Einfluss in unablässigem Ansteigen begriffen war. Hinzu kam, dass das vieljährige enge Zusammenleben von Juden und Christen mannigfache freundnachbarschaftliche Bindungen bewirkt hatte. Natürlich gab es auf beiden Seiten auch Konkurrenzneid, Interessengegensätze und menschliche Differenzen. Aber diese traten allenfalls unterschwellig in Erscheinung, zumal die Deutschen im Vergleich zu den Juden oder den Arabern eine verschwindend kleine Minderheit bildeten, die lediglich durch ihre hohe Qualifikation auf geistigem, technischem und wirtschaftlichem Gebiet eine ihre geringe Zahl weit übertreffende Bedeutung erlangt hatten.
Die Aufrechterhaltung eines guten Verhältnisses zu den Juden war jedenfalls für die Templer wie für die übrigen Palästinadeutschen eine existentielle Notwendigkeit. Sie waren in Palästina bodenständig, mussten also, wenn sie sich und ihren Kindern die Heimat erhalten wollten, Gesetz und Ordnung dieses Landes achten und seine Interessen wahrnehmen. Freilich hatten sie auch auf Grund ihres alltäglichen Umgangs mit jüdischen Nachbarn, Freunden und Geschäftspartnern und Bediensteten keinen Anlass, sich im Sinne des NS-Regimes antisemitisch zu gebärden. Zahlreiche Fälle sind im Übrigen bekannt, in denen deutsche Stellen und Privatpersonen jüdischen Flüchtlingen nach Kräften halfen und sie bei der wirtschaftlichen Eingliederung in ihrer neuen Heimat unterstützten.
Dass die NSDAP in den Reihen der Siedler, die ihre deutsche Staatsangehörigkeit beibehalten hatten, in größerer Zahl Mitglieder gewann, nimmt nicht wunder. - Der prozentuale Anteil der Parteigenossen an der palästinadeutschen Bevölkerung lag im August 1939 bei 17%. - Die lokale Parteiorganisation war deutschnational ausgerichtet. Sie sah streng auf politische Mäßigung. Die ideologische Radikalisierung ihrer Mutterpartei im Reich machte sie nicht mit. Die Siedler wussten mit Erfolg zu verhindern, dass in den palästinensischen Ortsgruppen der NSDAP nichtbodenständige Deutsche zu maßgebendem Einfluss gelangten, bei denen die Gefahr bestand, dass sie durch ihre antisemitische Haltung die Juden provozierten oder dass sie den Frieden im Land durch einseitige Parteinahme im jüdisch-arabischen Konflikt gefährdeten. Es kam vor, dass allseits geachtete Kolonisten nur deshalb der Partei beitraten, weil sie durch das Gewicht ihrer Persönlichkeit einer den Lebensinteressen der einheimischen Bevölkerung zuwiderlaufenden Entwicklung Einhalt gebieten wollten.
Im nachhinein ist, wie dies vor allem von israelischer Seite geschehen ist, leicht der Vorwurf zu erheben, die Siedler und insbesondere die Parteigenossen unter ihnen seien nicht bloß gegenüber dem Nationalsozialismus blind gewesen, sondern sie hätten auch zu seinen Nutznießern gehört. Der Vorwurf der Blindheit mag angängig sein. Vielleicht sollte man aber nicht außer acht lassen, dass sich die Palästinadeutschen hinsichtlich ihrer politischen Blindheit »in bester Gesellschaft« befanden: Die führenden Kreise Großbritanniens und Frankreichs verhielten sich lange Zeit dem Hitler-Regime gegenüber überaus entgegenkommend und verhalfen ihm zu großen außenpolitischen Erfolgen; die Gefahr, die es für den Weltfrieden bedeutete, erkannten sie erst sehr spät.
Von einer Nutznießerschaft im üblen Sinn des Worts kann bei den Palästinadeutschen jedoch keine Rede sein. Wie hätte auch das NS-Regime im Ausland lebenden Anhängern, die es beharrlich ablehnten, sich in die Rolle einer fünften Kolonne hineindrängen zu lassen, besondere Vorteile verschaffen sollen? An den ungeheuerlichen Verbrechen, die das Hitler-Regime während des Zweiten Weltkriegs an den in seinem Machtbereich befindlichen Juden verübte, hatten sie erst recht keinen Anteil.
Mit einem Krieg rechneten die Kolonisten trotz der seit 1938 ständig zunehmenden Spannungen in Europa offensichtlich nicht. Wäre dies der Fall gewesen, dann hätte zumindest ein Teil von ihnen noch rechtzeitig seinen Besitz in Palästina veräußert und wäre in ein sicheres Land gezogen, manche hätten wohl auch den Schutz des Deutschen Reiches gesucht. So aber schreckte die Mehrzahl der Siedler hoch, als im Sommer 1939 die am Horizont drohenden Kriegswolken nicht länger zu übersehen waren.
Bereits am 20. August 1939 wurde den Männern, die in der Deutschen Wehrmacht ihre Militärpflicht abgeleistet hatten, von Deutschland aus befohlen, Palästina zu verlassen. Dasselbe wurde auch den palästinadeutschen Familien und den sonstigen im Lande weilenden Deutschen nahe gelegt. In den letzten Augusttagen reisten 350 Personen nach Deutschland. 60 weitere Palästinadeutsche befanden sich dort gerade auf Besuch und konnten nicht mehr nach Hause zurückkehren. Der größte Teil der Siedler blieb jedoch in seiner palästinensischen Heimat.
Bald nach Kriegsausbruch wandelte die Mandatsregierung die vier landwirtschaftlichen Kolonien Sarona, Wilhelma, Betlehem und Waldheim in Internierungslager um und brachte in ihnen die im Lande verbliebene deutsche Bevölkerung unter, ausgenommen ein Großteil der wehrfähigen Männer; er wurde im Lager Akko interniert. Die Siedler durften sich innerhalb der von Stacheldraht umgebenen Kolonien frei bewegen und sich landwirtschaftlich betätigen. Die Arbeiten in Hof und Stall hatten sie selbst zu besorgen, doch war ihnen mit Parolepässen oder in Begleitung eines Wachpostens auch gestattet, die arabischen Arbeiter auf den Äckern, in den Orangen-, Oliven- und Weingärten sowie auf den Gemüsefeldern zu beaufsichtigen.
Im Sommer 1941, als Hitler die Sowjetunion überfiel und General Rommel in Nordafrika große militärische Erfolge errang, deportierten die britischen Behörden die meisten jüngeren Kolonistenfamilien, insgesamt 665 Menschen, nach Australien, wo sie in dem Lager Tatura, im Staat Victoria, interniert wurden. Im Dezember 1941 und im Lauf des Jahres 1942 wurden rund 400 Palästinadeutsche, hauptsächlich Frauen und Kinder, über Istanbul nach Deutschland ausgetauscht. Ein weiterer kleiner Austauschtransport mit 40 Personen kam 1944 zustande. In den vier palästinensischen Lagern blieben, abgesehen von einigen jüngeren Familien mit kranken Kindern, nicht mehr wehrfähige alte Männer mit ihren Frauen sowie Witwen zurück.
Die in Palästina Internierten suchten weiterhin nach besten Kräften die landwirtschaftlichen Betriebe in Gang zu halten. Dies gelang ihnen mit Unterstützung der in die Lager gebrachten so genannten illegalen, nicht in Palästina ansässigen Deutschen und der gleichfalls dorthin zwangseingewiesenen internierten Italiener und Ungarn, in erster Linie jedoch mit der Hilfe angelernter und ausgewählter arabischer Arbeiter. Nach Kriegsende wurde die Internierung aufgehoben, die Absperrung der vier Siedlungen blieb aber bestehen, nunmehr als Schutzmaßnahme gegen jüdische Extremisten, die nach den vom NS-Regime während des Krieges an den Juden in Europa begangenen furchtbaren Verbrechen mit Feuer und Schwert gegen alles Deutsche vorgehen wollten.
Bereits im Jahr 1945 ersuchten zionistische Organisationen die Alliierten um Ausweisung sämtlicher deutscher Staatsangehöriger aus dem jüdischen Nationalheim nach Deutschland. Die alliierten Besatzungsmächte in Deutschland versagten sich jedoch diesem Verlangen, weil damals in dem kriegszerstörten, von Vertriebenen aus Ostmitteleuropa und den abgetrennten deutschen Ostgebieten überschwemmten Land für die Palästinaflüchtlinge weder Unterkunft noch Arbeitsmöglichkeiten vorhanden gewesen wären.
Im Jahr 1947 schließlich kam es zwischen Großbritannien, der Mandatsverwaltung von Palästina und Australien zu einem Vertrag, nach dem den in Palästina befindlichen Deutschen erlaubt wurde, zu ihren Verwandten nach Australien zu reisen, und der ferner vorsah, dass das Vermögen der Kolonisten in Palästina liquidiert und der Erlös zur Bestreitung der Ansiedlungskosten nach Australien transferiert werden sollte.
Doch ehe dieser Vertrag ausgeführt werden konnte, brach unmittelbar vor dem Erlöschen des britischen Mandats und der Gründung des Staates Israel der offene Krieg zwischen Juden und Arabern aus. Am 17. April 1948 besetzten jüdische bewaffnete Trupps Waldheim, erschossen zwei Kolonisten und verwundeten eine Frau schwer. Die übrigen Deutschen kamen mit dem Schrecken davon. Wie die Insassen der drei anderen Kolonien, deren Evakuierung zum Teil unter dem Schutz des britischen Militärs erfolgte, fanden sie eine erste Zuflucht auf der Insel Zypern. Südlich von Famagusta in einem primitiven Zeltlager, neben einem Lager mit kriegsgefangenen deutschen Soldaten, mussten sie etliche Monate, zum Teil sogar fast ein Jahr, ausharren, bis sich ihnen Reisemöglichkeiten nach Australien bzw. nach Deutschland eröffneten. Das Reisegeld musste durch ihre bereits in Australien befindlichen Angehörigen aufgebracht werden.
Zum Zeitpunkt der Errichtung des Staates Israel am 14. Mai 1948 lebten in dessen Grenzen noch etwa 50 Deutsche. Sie verließen in der Folgezeit teils freiwillig ihre alte Heimat, teils wurden sie von den israelischen Behörden ausgewiesen. So endete rund achtzig Jahre nach der Gründung ihrer ersten Siedlung auf palästinensischem Boden und 63 Jahre nach dem Tod des Tempelgründers Christoph Hoffmann das von bewundernswertem religiösem Eifer und menschlichem Engagement getragene überaus erfolgreiche Kolonisationswerk der württembergischen Templer im Heiligen Land.
Die gewaltsame Zerstörung der Templersiedlungen in Palästina bedeutete indessen keineswegs das Ende der Tempelgesellschaft. Sie leitete vielmehr über in eine neue Geschichtsphase dieser kleinen Religionsgemeinschaft. Nicht nur in Deutschland, wo, wie bereits erwähnt, seit der Gründung des Deutschen Tempels durch Christoph Hoffmann stets eine oder mehrere Templergemeinden bestanden hatten, sondern vor allem auch in Australien brachte die Tempelgesellschaft neues geistliches Leben zur Entfaltung. Gemeindezentren und Altersheime wurden unter erheblichen Opfern für die Mitglieder geschaffen.
Die beiden weit voneinander entfernten Tempelgebiete Deutschland und Australien wurden, wie dies schon früher zwischen Palästina und Deutschland üblich war, einer einheitlichen Leitung unterstellt. Im Jahr 1962 lebten in Australien 1300 Templer, in Deutschland einschließlich der dort bereits früher ansässig gewesenen Mitglieder der Tempelgesellschaft 750.
Die wirtschaftlichen Anfänge der 1941 nach Australien deportierten Internierten und der ihnen nach dem Krieg gefolgten Flüchtlinge aus Palästina waren ungemein mühsam. Die Vertriebenen aus dem Heiligen Land standen buchstäblich vor dem Nichts. Erfolgreiche Unternehmer, gutsituierte Handwerker und tüchtige Landwirte, die über ausgedehnten Landbesitz verfügt hatten, mussten als Hilfsarbeiter oder als kleine lohnabhängige Angestellte wiederum ganz unten auf der sozialen Stufenleiter beginnen.
Soweit die Flüchtlinge noch jünger waren, gelang diese schmerzhafte Umstellung auf die gänzlich neuen und andersartigen Lebensverhältnisse meist ohne allzu große Komplikationen, zumal an Arbeitsmöglichkeiten kein Mangel herrschte. Übel waren jedoch die Älteren dran, die mit ihrer vieljährigen Berufspraxis kaum etwas anfangen konnten und sich zudem nur noch schwer anpassten. Manche resignierten von vornherein, andere wurden der wirtschaftlichen Anfangsschwierigkeiten nicht Herr und vermieden jedes weitere berufliche Risiko. Karitative Organisationen vermochten nur in sehr bescheidenem Umfang zu helfen. Die eigene Gemeinschaft besaß lange nicht die Mittel, um den Hilflosesten in wünschenswerter Weise beizustehen.
Ein Glück war es, dass die australische Regierung schon bald nach Kriegsende von dem verderblichen Freund-Feind-Denken abrückte. Ein Richter des Supreme Court, des höchsten Gerichts des Landes, durchleuchtete in ihrem Auftrag in den Jahren 1946/47 die politische Vergangenheit der Palästinadeutschen, wobei er auch genaue Kenntnisse über die menschlichen Qualitäten und die imponierenden wirtschaftlichen Leistungen der kleinen Volksgruppe erlangte. Bei seinen Untersuchungen standen ihm uneingeschränkt palästinensische und andere Abwehrinformationen über die politischen Verbindungen, den Charakter und das Verhalten der Siedler zur Verfügung.
Er vernahm darüber hinaus unter Eid jeden sich damals in Australien aufhaltenden Palästinadeutschen. Das Ergebnis seiner eingehenden Ermittlungen kam einer weitgehenden politischen Entlastung der Palästinadeutschen gleich. So schrieb er u.a. in seinem Bericht: »Im allgemeinen handelt es sich bei ihnen um praktisch veranlagte charaktervolle und friedliche Menschen ... Jede eingehende unvoreingenommene Prüfung ihrer früheren Geschichte wird im wesentlichen diese, meine Ansicht bestätigen.«
Die Feststellung, dass es sich bei den Palästinadeutschen in ihrer überwiegenden Mehrheit um ein wertvolles und friedliches Bevölkerungselement handelte, deckte sich in überraschender Weise mit dem Urteil, das die britischen Behörden nach dem Ende des Ersten Weltkriegs über sie gefällt hatten. Der Richter empfahl, dass lediglich 70 der insgesamt 504 damals in Australien befindlichen Männer, Frauen und Kinder aus Palästina nach Deutschland repatriiert werden sollten. Weit über die Hälfte dieser 70 Personen war übrigens zu einer freiwilligen Übersiedlung nach Deutschland bereit. Alle anderen Siedler erhielten von der Regierung die Erlaubnis, sich dauernd in Australien niederzulassen. Dies geschah zu einer Zeit, als die Wunden, die der Krieg auch dem australischen Volk zugefügt hatte, noch nicht vernarbt waren, als Tausende deutscher Kriegsgefangener und Zivilinternierter von Australien nach Deutschland zurückgeführt und als Deutsche im allgemeinen von der Einwanderung nach Australien ausgeschlossen waren.
Besonders hart für die Palästinadeutschen war es, dass sie viele Jahre auch nicht die geringste Entschädigung für ihr in Israel verlorenes Vermögen erhielten. Eine Ausnahme bildeten lediglich die früheren Bewohner Saronas. Diese Siedlung war 1947 von der britischen Mandatsregierung an die Stadt Tel Aviv verkauft worden. Ein Teil des Verkaufserlöses wurde denjenigen Saronern ausbezahlt, die sich während des Kriegs in Palästina oder Australien aufgehalten hatten. Leer gingen dagegen die Saroner aus, die damals in Deutschland lebten.
Der israelische Staat erkannte zwar bereits am 10. September 1952 in einem mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Regierungsabkommen den Grundsatz an, dass für das in Israel verbliebene weltliche deutsche Vermögen Entschädigung zu leisten sei, die Ermittlungen über die Art und den Umfang der betroffenen Vermögenswerte und die Verhandlungen zwischen den Delegationen der Bundesrepublik und Israels über die von Israel zu zahlende Wiedergutmachungssumme zogen sich aber sehr in die Länge.
Erst am 1. Juni 1962 kam zwischen beiden Staaten ein Abkommen zustande, in dem sich Israel verpflichtete, an die Palästinadeutschen eine Entschädigung von 54 Millionen DM zu leisten. Diese Summe lag nicht nur nach der Auffassung der Geschädigten, sondern namentlich auch nach den sorgsamen Ermittlungen der zu Rate gezogenen unabhängigen Gutachter weit unter dem Verkehrswert des vom israelischen Staat an sich gezogenen deutschen Vermögens. Aber günstigere Bedingungen waren angesichts der wenig kompromissbereiten Haltung der israelischen Vertreter, die einen Vermittler notwendig gemacht hatte, nicht zu erzielen. Israel löste seine Zahlungsverpflichtungen, an denen es in den Jahren 1956 bis 1961 schon Vorleistungen in Höhe von 22,8 Millionen DM erbracht hatte, bis Ende 1963 ein. Die israelischen Zahlungen wurden mit den Reparationen verrechnet, die die Bundesrepublik an den israelischen Staat leistete, um diesem die Eingliederung und Rehabilitierung einer halben Million Überlebender der nationalsozialistischen Judenverfolgung zu ermöglichen.
Die Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und Australien über die den einzelnen Entschädigungsansprüchen zugrunde liegenden Bewertungsgrundsätze und die Aufteilung der Entschädigungssumme auf die in den beiden Ländern wohnhaften Berechtigten nahmen drei weitere Jahre in Anspruch. So kamen zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Geschädigten oder deren Erben in den Genuss eines teilweisen finanziellen Ersatzes für ihr in Palästina verlorenes Vermögen.
1972, anlässlich des 111. Jahrestags der Gründung der Tempelgesellschaft, stellte Tempelvorsteher Dr. Richard Hoffmann (Melbourne), ein Urenkel Christoph Hoffmanns, in einem in der »Warte des Tempels« veröffentlichten Beitrag fest, der Wiederaufbau nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und dem Verlust Palästinas habe die Kräfte der Gesellschaft stärkstens beansprucht. Dies sei jedoch notwendig gewesen, wenn die Templer den ihnen so oft prophezeiten Untergang hätten vermeiden wollen. Einen solchen Untergang hätten sie aber vor allem auch deshalb vermeiden wollen, weil sie den immateriellen Wert ihrer Gesellschaft stets vor Augen gehabt hätten. Selbstverständlich sei der weltweite Säkularisierungsprozess nicht spurlos an der Tempelgesellschaft vorübergegangen. Er habe ihre Sprache verändert und im Vergleich zur Gründungszeit weltlicher gemacht.
Hoffmann fuhr fort: »Wenn die Gründergeneration in wörtlicher Auffassung der Weissagung in der Errichtung des Tempels zu Jerusalem das gottgewollte Gebot der Stunde und Nahziel der Tempelgesellschaft erkannte, so würden wir, durch die Ereignisse belehrt, diese Auslegung heute in jener Form nicht mehr teilen, sondern unser Nahziel darin erblicken, an dem Ort und dem Platz, an den uns die Geschichte gewiesen hat, für die Verwirklichung der zeitlosen Prinzipien der Tempelgesellschaft zu leben. Die Zerrüttung, von welcher die Gründungserklärung der Gesellschaft redet, ist heute nicht geringer als damals, und damals wie heute sehen wir den Ausweg aus der Zerrüttung darin, dass sich der Mensch auf den Geist der einfachen Botschaft Jesu Christi besinnt und danach strebt, sie in seinem Kreise, in der Familie, der Gemeinde, der Gesellschaft und auf der Straße zu verwirklichen. Das wird durch den Zusammenschluss mit Gleichgesinnten erleichtert. Wir reden zwar heute nicht mehr von der Sammlung des Volkes Gottes, sondern von der Schaffung und Ausbreitung christlicher Gesinnung und Gemeinschaft, aber wir meinen damit dasselbe. Daher sind wir auch heute bereit, an allen vernünftigen Maßnahmen mitzuwirken, welche sich auf dieses Ziel richten. Im Übrigen aber haben wir in dieser Hinsicht in unserem eigenen Kreis noch ein so großes Arbeitsfeld vor uns, dass es uns an Aufgaben in der voraussehbaren Zukunft nicht fehlen wird«.
Friedrich Lange, »Geschichte des Tempels«, 1899, Verlag C. Hoffmann, 941 Seiten
Alex Carmel, »Die Siedlungen der württembergischen Templer in Palästina 1868-1918«, 1973, W. Kohlhammer Verlag, 307 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
Paul Sauer, »Uns rief das Heilige Land - Die Tempelgesellschaft im Wandel der Zeit«, 1985, Konrad Theiss Verlag, 518 Seiten mit 198 Abbildungen
Peter Lange (Hsg.), »Templer-Handbuch - Texte und Informationen zum Verständnis der Tempelgesellschaft«, 1992, Verlag der Tempelgesellschaft, 298 Seiten
»Warte des Tempels«