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Hören und Verstehen - Mark Herrmann
Dein Reich komme - Karin Klingbeil
Warum wir als Christen die Klimadebatte ernster nehmen müssen - M. Schönhoff
Zum 400. Geburtstag von Blaise Pascal - Karin Klingbeil
Die Gleichnisse Jesu umfassen ungefähr ein Drittel seiner überlieferten Lehren. Es sind einfache und denkwürdige Geschichten, oft bildhaft dargestellt, aber alle erteilen Lektionen für unser tägliches Leben. Viele Gelehrte und andere gescheite Männer und Frauen haben jedoch schon lange erkannt, dass die Botschaften, die sie vermitteln, trotz ihrer scheinbaren Einfachheit einen tiefen Sinn und viel vom Kern der Lehren Jesu enthalten.
Der heutige Text stammt aus dem Markusevangelium, Kapitel 4, Verse 1-20, unter dem Titel »Das Gleichnis vom Sämann«. Dieses ist auch bei Matthäus und Lukas zu finden, aber nicht im Johannesevangelium, weil Johannes keine Gleichnisse aufgezeichnet hat. Es ist auch als »Das Gleichnis vom vierfachen Acker« bekannt.
Unsere Bibelstelle ist in zwei Teile gegliedert: Der erste Abschnitt schildert das Gleichnis selbst, während im zweiten Jesus seine Erklärung anbietet. Dazwischen steht dieser Vers: »Dann sprach Jesus: "Wer Ohren hat zu hören, der höre."«
Dabei kamen mir folgende Fragen in den Sinn: Wenn wir mit anderen sprechen, was hören diese? Was hören wir, wenn die Anderen zu uns etwas sagen? Und hören wir auch aktiv zu? - Dazu später mehr.
Das Gleichnis erzählt von vier Arten von Böden, auf die das Getreide fällt: den Straßenrand, die felsigen Platten, den dornigen Grund und die gute Ackererde. So erzeugt auch die ausgestreute Saat vier verschiedene Ergebnisse: Körner, von Vögel gefressen; Samen, verdorrt ohne Wurzeln; Getreide, im Dickicht erstickt; und dann die Saat, die wirklich fruchtbringend gedeiht. Einige sagen, es sei ein Bild des Bodens unserer Herzen.
Wir lernen viel von der Erde. Da Verkehr, Industrie und Handel noch nicht so entwickelt waren, war die Landwirtschaft zur Zeit Jesu die Hauptquelle des Lebensunterhalts. In der Tat verwendete Jesus Gleichnisse, die meist vom ländlichen und alltäglichen Leben sprechen, um den Menschen zu helfen, himmlische Wahrheiten zu verstehen und eine Verbindung zu geistigen Erfahrungen herzustellen.
Sprachlich leitet sich der Begriff »Gleichnis« vom Griechischen ab und bedeutet Vergleich, womit dann eine Sache einer anderen gegenübergestellt werden kann. So ist das Gleichnis oft auch wie eine Geschichte mit einer Moral, die nicht immer allen sofort erkennbar ist. Laut »Our Way to God« - einer Website, die biblische, dogmatische und liturgische Lehren enthält - gibt es in Matthäus, Kapitel 13, sieben Gleichnisse, deren Moral einzigartig ist: nämlich, dass das Reich Gottes inwendig ist und von geistiger Art, aber in keiner Weise ein äußerliches und zeitliches Königreich, wie es die damaligen Juden erwarteten.
Im Paralleltext von Lukas erklärt Jesus seinen Jüngern, dass der Samen das Wort Gottes oder das Wort seines Königreiches darstellt. Und so veranschaulicht das Gleichnis verschiedene Arten, diese Botschaft zu hören.
Was bedeutet Dir das Wort Gottes? Das wird davon abhängen, was für ein Verständnis Du von Gott hast, ob Du an einen Gott und eine göttliche Lebenskraft glaubst. In der Tempelgesellschaft glauben wir nicht, dass die Bücher der Bibel buchstäblich von Gott diktiert worden sind. Ich vergleiche die Vorstellung von einem Gott mit meinem Gewissen, der inneren, moralischen Stimme, die mir sagt, was in jedem Fall die richtige, gerechte, ethische und angemessene Vorgehensweise wäre.
Auf einer anderen Website, die ich studiert habe, wird beschrieben, dass »die Stimme des Gewissens die Stimme Gottes im Menschen ist, in seinem innersten Selbst, seinem Herzen, die ihn anleitet, gute Entscheidungen zu treffen und entsprechend zu handeln. Die meisten Menschen können leicht zwischen Gut und Böse unterscheiden«. Kein Wunder, dass mich das ansprach.
Das Reich Gottes ist der Kern der Botschaft Jesu. In unserer Broschüre Glaube und Selbstverständnis sagen wir, dass es in dieser Botschaft darum geht, eine kontinuierliche Vervollkommnung der Menschheit und der Welt, sowie eine engere Beziehung zu Gott und der Menschen zueinander anzustreben.
Was entnehme ich dem Gleichnis in diesem Zusammenhang?
Der Samen, der auf festgetretenen Pfaden landet, ist eine leichte Mahlzeit, ein sogenanntes gefundenes Fressen für die Vögel. Manche Kommentare beziehen das einfach auf hartherzige Menschen. - Ein etwas zu scharfes Urteil, finde ich.
Zu seiner Zeit war sich Jesu wohl bewusst, dass es Menschen gab, denen seine Botschaft gleichgültig war. Es gibt viele Beispiele dafür, wie dieser mit Feindseligkeit und Widerstand begegnet wurde.
Alle Menschen sind verschieden. Nicht alle folgen einem Weg der Religion, der Spiritualität oder des Glaubens, vielleicht, weil sie nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Daran ist nichts Verkehrtes. Vielleicht stehen die Vögel eben nur für diejenigen, die woanders ‚hingeflogen‘ sind.
Der Samen, der auf steinigen Boden fällt, steht für diejenigen, die wohl hören, aber zunächst nur kurzfristig begeistert sind. Es kann damit auch eine Not oder Prüfung im Leben eines Menschen gemeint sein, die sein Wachstum blockiert. So oder so, das Ergebnis ist das gleiche - sein Interesse lässt nach! Obwohl ich gerne denke, dass der Beitritt zur Temple Society eine bewusste Entscheidung fürs Leben ist, und nicht nur für eine vorübergehende Phase, ist das nicht für alle der Fall. Je nachdem, was ein Fremder von unserer Gemeinschaft und der Beziehung zu ihr zu gewinnen hofft, kann es auch sein, dass er nach dem Beitritt etwas anderes vorfindet, wieder austritt und dann seines Wegs geht.
Und nun zu der Saat im Gebüsch. Zu Jesu Zeiten gab es keine Unkrautvernichtungsmittel. Die Dornen in den Feldern wuchsen leicht und erstickten jedes produktive Wachstum. Sie wuchsen auch am Rand der Felder in dicht verschlungenen Hecken. Jeder Samen, der dort landete, hatte keine Chance, das Sonnenlicht und die Nährstoffe zu bekommen, die er zum Wachsen brauchte.
Das Leben ist voll mit Verantwortung und Verpflichtungen, die alle unsere Aufmerksamkeit und Zeit in Anspruch nehmen. Am Gemeinschaftsleben teilzunehmen und dazu beizutragen erfordert ein gewisses Maß an Einsatz. Es gibt viele Dinge, die ablenken; wir werden leicht von weltlichen Problemen und Sorgen verzehrt. - Was sind dann unsere Prioritäten? - Das muss der Einzelne selbst bestimmen, im Einklang mit dem Prinzip einer frei-denkenden Tempelgesellschaft.
Und als Gegengewicht zu all dem wächst die Saat im fruchtbaren Boden gut und bringt eine reiche Ernte hervor: dreißig-, sechzig-, hundertfach, und der Bauer freut sich! - Und so freue auch ich mich über jeden Menschen, der sich entscheidet, der Temple Society beizutreten! Neue Mitglieder stärken uns und, wie ich schon oft gesagt habe, durch ihr Teilnehmen in unserer Gemeinschaft erreichen wir gemeinsam etwas. Die Verbundenheit, die positive Resonanz in der Gemeinde und das Streben nach unserer Vision wirken wie der sich fortpflanzende Welleneffekt auf dem Wasser eines Teiches.
Zurück zu meinen früheren Fragen: Was wird gehört, wenn Menschen sprechen? Hören wir aktiv zu?
Wie beim vierfachen Ackerfeld gibt es auch vier verschiedene Arten des Zuhörens, die man kennen muss, wenn man sich als Zuhörer für ein Ziel entscheiden will; die vier Arten sind: Anerkennung, Mitgefühl, Aufmerksamkeit, kritisches Zuhören.
Beim Tennis-Wettkampf auf den Plätzen in Bentleigh an Samstagnachmittagen war es üblich, unsere Gegner am Netz beim Händeschütteln zu begrüßen und uns vorzustellen. Als wir zur Grundlinie zurückgingen, um mit dem üblichen Aufwärmen zu beginnen, stellten mein Doppel-Partner und ich bald fest, dass sich keiner von uns an die Namen der Gegner erinnern konnte. Dies ist ein Beispiel für eine fünfte Art des Zuhörens, nämlich überhaupt nicht zuzuhören!
Aus dieser Erfahrung lernte ich dann, bei der Vorstellung gleich den Namen des Gegenübers zu sagen, wie z.B.: »Schön, dich kennenzulernen, Jürgen, ich bin Mark.« - Nun frage ich mich, welche Form des Zuhörens Ihr wohl heute Morgen einnehmt? Könnte es sein, dass Ihr tatsächlich vielleicht auch nach irgendetwas Interessantem Ausschau haltet?
Wenn dem so ist, möchte ich Euch jetzt ein paar kurze Videoschnipsel zum Thema Zuhören und Aktives Zuhören zeigen.
Der erste ist ein Ausschnitt aus der US-Komödie The Big Bang Theory - nicht, dass man etwas davon verstehen müsste, man muss nur wissen, dass Xbox und PlayStation Spielkonsolen zum Spielen von Computerspielen sind.
Beim zweiten werde ich fast verrückt. Ich zeige dieselbe Sache zweimal - zuerst nur mit Ton und ein zweites Mal mit optischen Eindrücken dazu. Vielleicht seid Ihr überrascht, was Ihr hören werdet. Sobald man liest, was dasteht, meldet einem das Gehirn genau dieses Wort, obwohl immer weiter nur «4 9 4 9 4 9 ...” wiederholt wird!
Etwas Ernsthafteres: Der dritte Kurzfilm hat den Titel Was ist das? Es ist eine rührende Geschichte von einem älteren Vater, seinem Sohn und einem Spatz, die uns wieder zur Besinnung kommen lässt - oder uns gar zum Grund unseres Herzens zurückbringt. Es geht nicht so sehr ums Zuhören selbst, sondern darum, wie wir es hören. Manchmal vergessen wir, Geduld zu haben mit den Menschen, die wir lieben, aber Geschichten wie diese helfen.
Schließen wir vor dem Vaterunser mit einem Gebet unbekannter Herkunft:
Gott der Stille und Gott aller Töne,
hilf mir zu hören.
Hilf mir, ganz auf den Klang meiner Seele zu hören,
bereit, Deine sanfte Stimme zu hören, die mich tiefer zu Dir ruft.
Gib mir aufmerksame Ohren,
die lernen, den Lärm von Deinem Klang zu unterscheiden;
Du, der Du mich angesprochen hast
und durch mich mein ganzes Leben,
so lange, dass Du wie Musik im Hintergrunde erscheinst.
Hilf mir heute, Dich neu zu hören.
Mark Herrmann, Saalansprache vom 23. April 2023
Das Motto der Tempelgesellschaft »Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit« greift das zentrale Thema der Verkündigung Jesu auf. Jesus beschreibt dieses Reich als eine Welt, in der jeder das hat, was er braucht, Arme, Kranke und Minderheiten unterstützt und nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Hier geht es gerecht und fair zu, Schuld wird vergeben und Leidende werden heil - es ist eine Welt, nach der jede/r sich sehnt.
Schauen wir uns dagegen die uns umgebende Welt an, so ist sie alles andere als das: es wüten vielerorts fürchterliche Kriege, in denen Menschen auf grausame Weise den Tod finden, Menschen hungern, werden vertrieben, suchen bessere Lebensumstände auf der Flucht und kommen nicht selten dabei um. Konzerne schädigen Mensch und Umwelt, um ihren Profit zu maximieren, korrupte Regierungen bereichern sich auf Kosten ihrer eigenen Bürger - die Liste ist endlos.
Wenn Jesus sagt: »Das Reich Gottes ist inwendig in und mitten unter euch«, ist damit ein geistiger Zustand im einzelnen Menschen, aber auch in den Beziehungen unter den Menschen, gemeint - soweit sie sich bemühen, ihr Leben und Denken und ihr Miteinander mit dem in Einklang zu bringen, was Jesus ihnen als den Willen Gottes nahegebracht hat. Daran kann jeder teilhaben, und daran kann jeder wachsen. Aber nicht nur der Einzelne, auch die menschliche Gesellschaft ist gemeint. Es geht um die Vervollkommnung des Menschen, zu der auch die Ausbildung aller Kräfte gehört.
Die Tempelgesellschaft verlangt von ihren Mitgliedern von jeher kein Bekenntnis zu bestimmten ‚Glaubenswahrheiten‘, sondern ‚nur‘ die Bereitschaft zur Mitarbeit am Reich Gottes. Daher wurde immer die Bildung von Gemeinden als wichtig angesehen, denn wo Gleichgesinnte zusammenleben, die sich um die Nachfolge Jesu bemühen, ist die Umsetzung leichter. Aber überall, wo dieses neue, von Jesus verkündete Vertrauen zu Gott und Liebe zum Nächsten herrscht, da ist Reich Gottes - überall auf der Welt und immer wieder neu.
Der Evangelist Matthäus übermittelt uns Jesu Anweisungen, wie wir beten sollen, und den Wortlaut des Vaterunser. Dabei ist nicht gesichert, dass die Bitte »Dein Reich komme« wirklich von Jesus stammt. Sie steht der Verkündigung Jesu zwar nicht entgegen, aber es wäre wohl eher die Bitte um das Reich Gottes, das nach der Apokalypse erstehen soll - eine biblische Vorstellung, die aber nicht zu Jesu Verkündigung des Reiches Gottes passt. Dennoch können wir sie sprechen als Bitte um Kraft und Einsicht zur Umsetzung des herausfordernden Auftrags.
Fortsetzung aus der Mai-Ausgabe der »Warte des Tempels«
Der Weltklimarat zeigt Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschheit auf vielfältigen Wirkungspfaden wie Ernährung, Gesundheit und einer weltweit wachsenden sozialen Krisenangst, besonders bei vielen jungen Menschen. Klimagerechtigkeitsgruppen propagieren deshalb eine »Resilienzstärkung«, um Klimadepression oder Activism-Burn-out vorzubeugen.
Kate Marvel vom NASA Goddard Institute for Space Studies in New York schreibt wiederholt über ihre Hoffnungslosigkeit. »Eine Klimawissenschaftlerin zu sein bedeutet aktive Teilnehmerin in einer Horrorgeschichte im Zeitlupentempo zu sein.« Fast alle Klimaaktivisten äußern sich ähnlich, z.B. auch der bekannte Neuköllner Klimaaktivist Tadzio Müller. »Manchmal heule ich morgens und abends, wenn ich wieder lese, höre und sehe, wie schnell die Welt in den Abgrund rast« (Tadzio Müller, Die Katastrophe kommt nicht, sie ist schon da, in: Berliner Zeitung Nr. 190 vom 1. Aug. 2022, S. 8).
Kann hier der christliche Glaube den jüngeren Generationen eine Perspektive bieten?
Der Visionär Johannes weist auf die Bedeutung von Tränen hin (Offb 7,17). Wie aber kann sich Mut zum Handeln entwickeln, wenn wir die Trauer und die Tränen nicht zulassen?
Welche Folgen hat es für den Einzelnen und für die ganze Gesellschaft, wenn immer mehr Menschen beginnen zu glauben, dass die Welt untergeht? Der Weltuntergangsglaube (»Doomismus«) erzeugt bei den ihn befürwortenden Anhängern eine innere Abkoppelung. Wenn es keine Hoffnung, keine Zukunft gibt, setzen Ohnmacht und Apathie ein. Die Verheißungen der Apokalypse des Johannes wären neu zu erzählen.
Weltweit forschen Wissenschaftler an globalen, technologischen Großprojekten zur Veränderung der Biosphäre (Geoengineering).
Doch: ist eine geoengineerte Zukunft unser allerschönster Traum oder unser größter Albtraum? Im letzten IPCC-Bericht, der Anfang April 2022 veröffentlicht wurde, sind Szenarien berücksichtigt, die davon ausgehen, dass technische Lösungen existieren, das CO2 aus der Atmosphäre wieder herauszuholen. Im Bericht wird als mögliche »Klimaschutzlösung« die sog. Carbon Capture and Storage (CCS) aufgeführt. Wie so etwas im großen Umfang funktionieren soll und welche Risiken das bringt, das weiß keiner. Das ist »eine Wette auf die Zukunft ... und eine Bankrotterklärung der Menschheit«, warnt Mojib Latif (Latif, Das Pariser Abkommen war Selbstbetrug, s. Anm. S. 88).
Mit Marine Cloud Brightening (MCB) sollen weißere und besser reflektierende Wolken erzeugt werden. Der Einsatz von MCB in der Arktis könnte für das Überleben von Hunderten von Millionen Menschen von größter Bedeutung werden. Doch was sind die Nebeneffekte? Unvorhersehbarkeiten und Unkontrollierbarkeit solcher geologischer Großprojekte erregen Stress für die gesamte Menschheit, sie müssen langfristig absolut zuverlässig auch vor politischen Missbrauchs- und Erpressungsmöglicheiten geschützt werden. Einmal begonnen, müssen sie über Jahrzehnte oder Jahrhunderte weitergeführt werden, da ein plötzlicher Abbruch eine Art Klimaschock auslösen könnte. Die kooperative langfristige Steuerung von Geoingeneering-Systemen in einer fragmentierten Weltgesellschaft über Jahrhunderte ist äußerst riskant und eine technische, gesellschaftliche und moralische Überforderung der Menschheit.
Das bergende Himmelszelt Gottes verlöre seine uralte Symbolik. Es ist nicht mehr der Himmel Gottes. Der Mensch übernähme endgültig die »Schöpfung« unter seine Kontrolle und würde zum Ingenieur der Biosphäre. Eine heutige Theologie könnte bei diesen Hochrisikostrategien das Sicherheitsversprechen eines totalen, globalen und generationsübergreifenden technologischen Managements und Kontrollregimes der Klimasysteme radikal in Frage stellen: Evolution auf Messers Schneide!?
Ist die biblische Schöpfungserzählung im Anthropozän noch öffentlich vermittelbar?
Das Erspüren eines Seinsmysteriums, einer Geheimnishaftigkeit und Unergründlichkeit unserer kontingenten Welt, die auch nicht hätte sein können, lässt uns erahnen, dass ein allumfassendes Sein alles vorfindliche Seiende entlassen hat. Ohne dieses alles be- und durchwirkende Sein können wir alles Vorfindliche als wie auch immer geartete Materiehaufen betrachten und hemmungslos verwerten.
Vor Jahrhunderten hätte man noch von einer Bewahrung der Schöpfung sprechen können. Aber heute? Sollten wir in Zeiten des Klimakollapses statt von Bewahrung der Schöpfung, die wir massiv ruiniert haben, demütiger von Wiederherstellungsversuchen sprechen? Sind wir nicht gerade dabei, das Schlimmste zu verhindern? Das Weltall gehört auch zur Schöpfung, worauf der Mensch keinen Einfluss hat. Oder noch nicht?
Die Zivilgesellschaft braucht einen Schöpfer nicht vorauszusetzen, um Klimaschutz zu betreiben. Ein ökospiritueller Ansatz ist dagegen öffentlich vermittelbar und erfasst ganzheitlich auch emotionale und tiefere geistige Dimensionen: Wir sind - ob wir wollen oder nicht - Teil und Teilnehmende der Schöpfung und erleben unsere existenzielle Betroffenheit. Die Natur wird nicht als externer Faktor betrachtet. Demut und Dankbarkeit werden fühlbar durch das Staunen über das Wunderbare in der Welt.
Ökospirituelle Suchbewegungen vermitteln ein tiefgründiges Einverständnis mit dem Leben und ihrem Wert und eine Motivations- und Werterfahrung, die Naturwissenschaft als solche nicht bieten kann. So können sie zur ökologischen Ausrichtung motivieren. Auch weltliche Transzendenzerfahrungen wie Poesie, Musik, Kunst, Liebe, geistige Erkenntnis und Kreativität können zu einer ökologischen Spiritualität beitragen. »Ökologie muss die neue Theologie des 21. Jhds. werden [ ...]. In der Klimakrise wird die Suche nach Transzendenz zur wichtigsten Anstrengung [...]«, schreibt Bernd Stegemann (Bernd Stegemann, Die Öffentlichkeit und ihre Feinde, Klett-Cotta Verlag: Stuttgart 2021). Am Schluss des Buches beschreibt er die »postsäkulare Suche nach einer ökologischen Transzendenz« im Anthropozän »ohne Gott und ohne Ritual«. Der Publizist spricht die Absurdität des postmodernen Glaubens an und hofft auf einen »Akt göttlicher Gnade, der die Transzendenz ins Jetzt der Menschen holt«.
Hans Jonas legte 1979 mit seinem Buch »Das Prinzip Verantwortung - Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation« den Grundstein für eine Debatte zur ontologischen Grundierung einer Zukunftsethik. Diese muss der gesteigerten Zerstörungsmacht des Menschen und den weit in die Zukunft reichenden Folgen seines Tuns gerecht werden. Dem kategorischen Imperativ Kants setzte Jonas einen ökologischen Imperativ entgegen: »Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.« (Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a.M. 1979, S. 36). Weil die Menschheit mit ihrem Handeln bereits heute ihre Zukunft aufs Spiel setzt und darum weiß, steht sie in der Verantwortung. Weil die Ereignisse in unserer komplexen Welt kaum vorherzusagen sind und es immer ein Worst-Case-Szenario geben kann, fordert Jonas einen »Vorrang der schlechten vor der guten Prognose«.
Kann das auch für theologische Fragen gelten? Ist nicht der Unheilsprophezeiung mehr Gehör zu geben als der Heilsprophezeiung? »Die Fähigkeit zur Verantwortung bedeutet schon das Unterstellen unter ihr Gebot. Das Können selbst führt mit sich das Sollen [...]. Die ontologische Begründung der Verantwortung liegt in der Ontologie des Wesens Mensch.«
Eine heutige Theologie muss sich auf die planetaren Ausmaße der Klimaveränderungen einstellen und eine langfristige Nachweltfürsorge mit intergenerationeller Verantwortung diskutieren.
Sie muss rationale Vernunft mit dem spirituellen Erfassen einer zerstörten Schöpfung verbinden, in der wir für immer mehr Arten und Landschaften Abschied nehmen müssen.
Eine Theologie der Hoffnung wird den Fortschritts - und Wachstumsoptimismus entmythologisieren und die Möglichkeit begründen müssen, das menschliche Leben trotz seiner Begrenztheit neu wertzuschätzen. Kann aber die Tragik des Menschen in einer anscheinend sinnlos erscheinenden Menschheitsgeschichte, die im Klimakollaps endet, durch Verheißungen abgemildert werden?
Heute müssen wir uns fragen, welchen Sinn wir in einer Menschheitsgeschichte kommunizieren könnten, wenn die Verbindung mit endloser Geldvermehrung und rasanter technologischer Entwicklung zu einer kaum noch abwendbaren Krise geführt hat. Diese Frage nach dem unaufgebbaren Sinn der jahrhundertelangen emanzipatorischen Kämpfe in einer Zeit, in der Zivilisation fragil geworden ist, beunruhigt vor allem auch Aktivisten und Akteure dieser weltweiten Kämpfe.
Die rationalen Bemühungen, einen letzten, alles umfassenden Sinn im Ganzen der Welt begrifflich zu fassen, bleiben jedoch rein spekulativ.
»Der SINN, den man ersinnen kann, ist nicht der ewige SINN« (Laotse). Gleichwohl: Aufgrund einer gewissen Verlässlichkeit wird die Welt von Menschen nicht als sinnleer gedeutet. Diese individuell erfahrbare Sinndimension in der Welt wird mit überzeugender innerer Gewissheit jenseits aller rationalen Begriffe erlebt. Glaube und Spiritualität können zu einem tragenden, daseinsbestimmenden Vertrauen führen, wenn Menschen sich einem größeren Ganzen zugehörig fühlen und ein sinnbezogenes Verständnis ihrer Existenz entwickeln können. Auch und gerade in Sinnkrisen kann Zukunftshoffnung aufscheinen.
Letztlich können wir nur auf poetische Weise oder spirituell meditierend Zugänge zur Werthaftigkeit und Bedeutungstiefe unseres Hierseins erahnen.
Rainer Maria Rilke spürte in seinen Duineser Elegien (hier Zitat aus der neunten Elegie) diesem Empfinden und Erleben nach: die Dinge, die Erde, sie brauchen uns.
Aber weil Hiersein viel ist, und weil uns scheinbar alles das Hiesige braucht, dieses Schwindende, das seltsam uns angeht. Uns, die Schwindendsten. Ein Mal jedes, nur ein Mal. Ein Mal und nicht mehr. Und wir auch ein Mal. Nie wieder. Aber dieses ein Mal gewesen zu sein, wenn auch nur einmal: irdisch gewesen zu sein, scheint nicht widerrufbar.
Magdalene Schönhoff, der Beitrag ist in »Freies Christentum«, Nr. 02/2023 erschienen
Blaise Pascal wurde am 19. Juni 1623 in Clermont-Ferrand in eine alte, amtsadelige Familie geboren. Er war Mathematiker, Physiker, Literat und christlicher Philosoph.
Seine ältere Schwester Gilberte wurde später seine Nachlassverwalterin und erste Biografin, nach der Geburt der jüngeren Schwester Jacqueline starb die Mutter, als Blaise drei Jahre alt war. Fünf Jahre später zog der hochgebildete Vater nach Paris, weil er vor allem dem hochbegabten Jungen bessere Möglichkeiten bieten wollte.
Weil dieser schon immer kränklich war, wurde er vom naturkundlich interessierten Vater und von Hauslehrern unterrichtet. Sein mathematisches Talent wurde schon früh erkannt und durch den Vater, der in den Pariser Gelehrten- und Literatenzirkeln verkehrte, bekam auch der Jugendliche früh Anschluss an den dortigen Kreis von Mathematikern und Naturforschern.
Als der Vater 1640 zum obersten Steuereinnehmer für die Normandie ernannt wurde, erfand der 19jährige Blaise für ihn eine mechanische Rechenmaschine, später Pascaline genannt. Sie gilt als eine der ältesten Rechenmaschinen. Er verbesserte ihre Funktionsweise noch, erhielt auch ein Patent darauf, aber der erhoffte Reichtum blieb aus, da sie zu teuer war, um viel verkauft zu werden.
1648 kam die bis dato wenig religiöse Familie nach einem Unfall des Vaters in Kontakt mit den Lehren des holländischen Reformbischofs Jansenius (Cornelius Jansen) und wurde fromm - Jacqueline wollte sogar Nonne werden. Blaise begann ein asketisches Leben, ohne allerdings seine naturwissenschaftlich-mathematischen Studien aufzugeben - er vertrat in seinem Leben und Werk das Prinzip der Einheit allen Seins. So befasste er sich mit Versuchen zum Nachweis des Vakuums, wies nach, dass der Luftdruck in Abhängigkeit von der Höhe steht, und begründete 1648 in einer Abhandlung das Gesetz der kommunizierenden Röhren.
Nach dem Tod seines Vaters 1651 ging seine jüngere Schwester in das streng jansenistische Kloster Port Royal und Blaise war zum ersten Mal auf sich allein gestellt. Wohlhabend und adelig verkehrte er als Mann von Welt in der Pariser Gesellschaft und befasste sich außer mit der Philosophie auch mit der belletristischen Literatur seiner Zeit. Diskussionen über die Gewinnchancen beim Glücksspiel brachten ihn dazu, sich der Wahrscheinlichkeitsrechnung zuzuwenden und mit bekannten Mathematikern vornehmlich Würfelspiele zu untersuchen. Außerdem entwickelte er das Pascalsche Dreieck und die Binomialkoeffizienten zur Lösung von Aufgabenstellungen der Kombinatorik. Er legte die Grundlagen zur Differential- und Integralrechnung, die Leibniz dann entwickelte.
Eine depressive Stimmung im Herbst 1654 veranlasste ihn, sich von seinen mondänen Freunden zurückzuziehen. Am 23. November hatte er ein religiöses Erweckungserlebnis, das er noch in der Nacht aufzuschreiben versuchte. Dieses Papier, das Mémorial, ist - eingenäht in seinen Mantelsaum - erhalten geblieben. Nun zog er sich endgültig von der Pariser Gesellschaft zurück, lebte seine Frömmigkeit, pflegte Umgang mit Gelehrten und Theologen aus dem Umfeld des jansenistischen Klosters und begann, religiöse und theologische Schriften zu verfassen. Er plante eine Apologie der christlichen Religion und hinterließ Notizen, Fragmente und rund 1000 Zettel in etwa 60 Bündeln, aber nach dem Tod seiner jüngeren Schwester 1661 ging es ihm gesundheitlich und emotional immer schlechter. Im Sommer 1662 verkaufte er seinen ansehnlichen Hausstand zugunsten mildtätiger Zwecke und starb am 18. August 1662 mit 39 Jahren, so dass er seine Apologie nicht beenden konnte. Jansenistische Freunde stellten aus seinem Nachlass eine erste Buchausgabe unter dem Titel Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets (Gedanken über die Religion und über einige andere Themen) zusammen, die mehrfach überarbeitet wurde. Die Apologie Pascals, deren Ziel die Bekehrung von Atheisten oder Zweiflern war, ist zweigeteilt angelegt: „Erster Teil: Elend des Menschen ohne Gott. Zweiter Teil: Glückseligkeit des Menschen mit Gott“. Einem dramatischen Bild der menschlichen Lage schließt sich die philosophische Suche nach dem „höchsten Gut“ an, deren Auflösung die menschliche Existenz im Christentum darstellt. Ohne die historisch-kritische Bibelexegese, die zu seiner Zeit mit Richard Simon erst begann, folgt Pascal der in der Heiligen Schrift bezeugten Heilsgeschichte und dem Prinzip der Liebe als Schlüssel der Heiligen Schrift („Ein Tropfen Liebe ist mehr als ein Ozean an Wille und Verstand“).
Bekannt ist die Pascalsche Wette, sein berühmtestes Argument für den Glauben an Gott: „Ich setze auf Gott. Wenn es ihn nicht gibt, dann werde ich das nicht erfahren. Wenn es ihn gibt, dann bin ich angenehm überrascht, dass er doch da ist.“ Aus seiner ursprünglichen Analyse der Möglichkeiten folgerte Pascal nun, dass es besser sei, bedingungslos an Gott zu glauben.