Die Warte des Tempels
Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 179/4 - April 2023

 

 

Auferstehung im Diesseits - Brigitte Hoffmann

»Denn wer das Schwert nimmt... « - Jörg Klingbeil

In memoriam Brigitte Hoffmann

Auferstehung im Diesseits

Eine Deutung der Ostererlebnisse der Jünger

»Wär er nicht erstanden, die Welt, die wär verloren« heißt es in einem alten Osterlied. Und Paulus schreibt in seinem Brief an die Korinther: »Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden« (1 Kor 15,17). Jesu Auferstehung als ein einmaliges Ereignis, das die Welt und uns und unser Verhältnis zu Gott grundlegend und auf immer verändert hat und das unsere eigene Auferstehung garantiert - aus diesem Glauben ist das Christentum entstanden.

Aber: das glauben wir nicht mehr. Wenn es eine Auferstehung nach dem Tod gibt, dann hat es sie auch schon vor Jesu Tod gegeben. Er selbst hat das immer wieder betont. Wenn aber die Auferstehung Jesu nicht etwas umstürzend Neues war, warum feiern wir dann Ostern? Was glauben wir, dass damals in den Passah-Tagen eines Jahres um 30 n.Chr. geschehen ist, und was bedeutet es für uns?

Dass etwas Außerordentliches geschehen sein muss, können wir an den Folgen ablesen: an dem, was ich als die Auferstehung der Jünger bezeichnen möchte. Nach der Gefangen­nahme Jesu müssen sie nicht nur unglücklich, sondern zutiefst demoralisiert gewesen sein. Sie flohen voller Angst und tauchten ab. Petrus, der Einzige, der Jesus noch bis vor das Haus des Hohepriesters gefolgt war, leugnete ihn dort. Und dann hören beziehungsweise lesen wir nichts mehr von ihnen. Keiner folgte dem geliebten Meister auf dem Weg zur Kreuzigung, ein Außenstehender musste Jesus helfen, das Kreuz zu tragen. Und wenige Tage später gingen sie offen durch Jerusalem und verkündeten ihre Botschaft, ohne Rücksicht auf die Gefahr, die nicht geringer geworden war.

Was sie verwandelt hat, war ihre Erfahrung: Jesus lebt! Dabei war die Überzeugung, dass die Toten auferstehen, für sie nicht neu. Sie hatten gehört, dass Jesus das lehrte, und sie hatten ihm sicher geglaubt. Aber das, was sie jetzt erlebt hatten, war etwas anderes: sie hatten Jesus gesehen, hatten gehört, wie er zu ihnen sprach. Das war für sie der Beweis, dass Jesu Tod kein Ende bedeutete, dass Gott mit ihm war, dass seine Botschaft wahr war. Das verkün­deten sie von nun an, und der Dreh- und Angelpunkt, ihr Beweis waren die Auferstehungser­lebnisse.

Dass es sich dabei nicht um eine leibliche Auferstehung handelt, brauche ich wohl nicht zu betonen. Paulus, der die Auferstehung für die Basis des neuen Glaubens hält, stellt seine eigene Vision vor Damaskus in eine Reihe mit den Erlebnissen der Jünger und erklärt kurz darauf unzweideutig: Es wird gesät ein natürlicher Leib, und es wird auferstehen ein geistlicher Leib.

Die Erlebnisse der Jünger waren Visionen. Solche Visionen oder Auditionen hat es immer wieder gegeben und gibt es bis heute: die kurze Wahrnehmung einer geistigen Dimension, die uns normalerweise verschlossen ist - allerdings immer mehr oder weniger abgewandelt, bedingt durch die Gefühle und Vorstellungen dessen, der sie empfängt. Die Jünger sahen Jesus so, wie sie ihn zu Lebzeiten gekannt hatten. Das ist so einleuchtend, dass wir geneigt sind, es als reine oder fast reine Wahrnehmung dessen zu verstehen, was Paulus den geistigen Leib nannte.

Das gilt für Visionen als solche. Es gilt nur eingeschränkt für die Auferstehungsberichte in den Evangelien. Dort sind eine Reihe von Details hinzugefügt, die offensichtlich späteren Ursprungs sind; teils um die Leiblichkeit der Auferstehung zu beweisen - das leere Grab, der »ungläubige Thomas«, der seine Finger in Jesu Wundmale legen will -, teils um erst später entwickelte Thesen zu untermauern - »Tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes« oder »Wer das glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden«. Jesus selbst hat nicht getauft und die Jünger auch nicht zum Taufen angehalten. Und er hat nie von jemandem einen bestimmten Glauben verlangt.

Einzigartig oder fast einzigartig bleibt, dass innerhalb einer kurzen Zeit - höchstens einer Woche - alle Jünger und noch andere solche Visionen von Jesus gehabt haben. Rational erklären lässt sich das kaum. Und ich habe Hemmungen, darin ein Wunder, ein direktes Ein­greifen Gottes zu sehen.

Für mich ist eine andere Erklärung eigentlich zwingend, von der in den Evangelien nichts, oder fast nichts, steht: die seelische Verfassung der Jünger. Sie müssen in den drei Tagen seit Jesu Verhaftung durch eine Hölle existenzieller Verzweiflung gegangen sein. Sie hatten, als sie Jesu Aufruf folgten, ihr ganzes bisheriges Leben, Familie, Besitz, Beruf, aufgegeben und waren mit ihm durch Galiläa gezogen, hatten, überwältigt von seinem Charisma und begeistert von seiner Verkündigung des Reiches Gottes, ihr Leben ganz in seine Hände gelegt, hatten höchstwahrscheinlich das Risiko, das der Zug nach Jerusalem bedeutete, nicht wahrgenom­men (die Leidensankündigungen in den Evangelien sind höchstwahrscheinlich spätere Zutat), weil sie ihm bedingungslos vertrauten, er werde nun, gerade in Jerusalem, »Israel erlösen«, das Reich Gottes heranführen, das auch eine Herrschaft Israels sein würde. Und nun, mit sei­ner Verhaftung und seinem schmachvollen Tod, war das alles zusammengebrochen. Sie hat­ten nicht nur ihren geliebten Meister verloren, ohne den sie nicht mehr wussten, wie sie ihr Le­ben führen sollten, sondern alles, woran sie geglaubt und worauf sie ihr Leben gebaut hatten.

Und in dieser tiefsten Verzweiflung wurden sie offen für jene geistige Realität, die ihnen bis­her verschlossen gewesen war. Nun konnten sie den Toten, der nicht mehr unter ihnen weilte, sehen, konnten seine Botschaft anders und neu erkennen. Jesus war der Gottgesandte, seine Verheißung des Reiches Gottes war nicht gescheitert, sondern musste anders verstanden werden.

Vorher hatten sie geglaubt und für wahr gehalten, was Jesus sie lehrte - weil sie nie auf die Idee gekommen wären, etwas anderes zu glauben als er: das Kommen des Reiches Gottes, die Auferstehung der Toten. Jetzt hatten sie es - in ihrer Sicht durch ein göttliches Wunder - selbst erfahren, und das erfüllte sie mit einer unerschütterlichen Gewissheit, gab ihnen neuen Mut, eine Tatkraft, eine Freude, die sie vorher nicht gekannt hatten.

Ich denke mir, dass zu ihrer Freude vielleicht auch dies gehörte: das war ihnen geschenkt worden, obwohl sie Jesus im Stich gelassen hatten und an ihm verzweifelt waren. Trotzdem waren sie angenommen und, mehr noch, berufen zu einer großen Aufgabe. Auch sie waren auferstanden.

Ich habe vorher gesagt, dass das Christentum entstanden ist aus dem Glauben an die Auf­erstehung Christi als ein gottgewirktes Wunder nach dem Heilsplan Gottes, das unser Heil und unsere Auferstehung in sich schließt, und dass wir so nicht mehr glauben können. Aber man kann das Geschehen, das die Evangelien berichten, auch anders ausdrücken, ohne den Tex­ten Gewalt anzutun: es ist entstanden aus den Auferstehungserlebnissen der Jünger.

Das können wir glauben - und es ist zugleich etwas, was uns ganz direkt angeht. Zum einen durch das, was ich die Auferstehung der Jünger genannt habe, um deutlich zu machen: es gibt die Auferstehung auch im Diesseits. Es kann sie für jeden von uns geben. Wenn jemand aus Verzweiflung oder Elend wieder auferstehen kann und zurückfinden in ein Leben, in dem es wieder Freude und Sinn gibt, dann ist das Auferstehung. Und es gibt durchaus einen Zusam­menhang - nicht immer, aber oft - zwischen der Tiefe der Verzweiflung und der Höhe der Auferstehung. Ohne die hoffnungslose Verzweiflung zuvor wären die Jünger wohl kaum fähig geworden zu der geistigen Wahrnehmung, die sie Jesus als Lebendigen sehen ließ.

Erst im tiefsten Elend fand der verlorene Sohn die Kraft, sich seine Schuld einzugestehen und zu seinem Vater zu gehen und die Konsequenz auf sich zu nehmen: »Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu heißen. Mache mich zu einem deiner Knechte.« Das war seine Auferste­hung. Er war ein anderer geworden, er hatte Verantwortung gelernt, und so konnte er in ein neues Leben hineingehen.

Das ist ein Zipfelchen einer Antwort auf die ewige Frage, warum es Leiden gibt. Es bedeutet für uns, dass unser Leben einen Sinn hat auch dann, wenn es nach menschlichen Maßstäben nicht erfassbar ist: wenn das misslingt, was ich erstrebe, wenn ich nichts »Sinnvolles« mehr tun kann, wenn es nur noch ein Ertragen ist.

Es bedeutet, dass das trägt, was der 126. Psalm so wunderschön sagt: »Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen und werden kommen mit Freuden und bringen ihre Garben« - dass die, die schweres Leid im Über­maß tragen mussten, nicht nur getröstet werden, sondern erfahren dürfen, dass ihr Leiden Frucht bringt, wenn nicht in diesem, dann in einem neuen Leben.

Es bedeutet, dass ich das, was ich in meinem Leben versäumt und schlecht gemacht habe, nachholen und besser machen darf, dass ich lerne, besser zu erkennen und zu verstehen.

Das bedeutet Vertrauen auf Auferstehung für mich. Sicher kann es für andere anderes und noch unendlich viel mehr bedeuten. Denn das ist nun wirklich etwas, was wir nicht wissen können. Aber wenn wir darauf vertrauen, kann es uns Kraft geben und uns fröhlich machen.

Brigitte Hoffmann, aus der Osteransprache vom 16. April 2006

BIBELWORTE - KURZ BETRACHTET

»Denn wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen«

(Matthäus 26,52)

Jesus hält mit diesen Worten jene zurück, die ihn mit Waffengewalt verteidigen wollen, als er am Vorabend seiner Hinrichtung von bewaffneten Schergen verhaftet wird. Einer seiner Be­gleiter hatte zum Schwert gegriffen und einem Knecht des Hohepriesters ein Ohr abgehauen. Jesus verzichtet bewusst auf Gegenwehr, weil sonst - so erklärt er - die »Schrift«, also die he­bräische Bibel, nicht erfüllt werde. Viele sehen darin eine Bezugnahme auf die Figur des lei­denden Gottesknechts im Buch Jesaja (50,10). Aber auch Jesu Aufrufe zur Gewaltlosigkeit in der Bergpredigt (Mt 5,38f) klangen ähnlich.

In dieser pointierten Form findet sich die Warnung vor Waffengebrauch jedoch nur bei Mat­thäus. Bei Markus (14,47) greift Jesus nicht ein und kommentiert auch den Waffengebrauch nicht. Bei Lukas (22,50-51) verlangt Jesus, den Widerstand zu unterlassen, und heilt die Ver­letzung sogar. Und bei Johannes (18,11) fordert Jesus Petrus auf, das Schwert wieder einzu­stecken, und will sich ohne Widerstand in sein Schicksal ergeben.

Ist Jesus aber wirklich ein unbedingter Pazifist? Einerseits ja - wie z.B. seine Forderung in der Bergpredigt zeigt, auch noch die andere Backe hinzuhalten, wenn man auf eine Backe geschlagen wird (Mt 5,39). Andererseits nein - ist er selbst doch manchmal recht rabiat mit seinen Gegnern umgesprungen; erst kurz zuvor hatte er die Händler und Geldwechsler gewaltsam aus dem Tempelareal vertrieben (Mt 21,12-13). Im Lukas-Evangelium (22,36) rät Jesus seinen Jüngern sogar, sich zur Selbstverteidigung ein Schwert zuzulegen. Das Neue Testament bietet somit kein einheitliches Bild hinsichtlich der ethischen Forderung nach Ge­waltlosigkeit.

Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stellt sich aktuell insbesondere die Frage, wie man sich zu Waffenlieferungen verhalten soll. Denn mit der Lieferung von »Schwer­tern« - um im Bild der Bibelstelle zu bleiben - ist auch das Risiko verbunden, eine Gewaltspira­le zu befördern; das will Jesus mit seiner Mahnung zur Gewaltlosigkeit offenbar verhindern. Aber der »Radikalpazifismus« Jesu lässt sich vielleicht auf zwischenmenschliche Beziehungen von Individuen übertragen, jedoch kaum auf Staaten und komplexe Gesellschaften. Das, was Jesus für den Einzelnen propagiert, kann nach meinem Verständnis nicht für einen Staat gelten, der völkerrechtswidrig angegriffen wird. Denn die christliche Pflicht zur Unterstützung der Schwachen besteht auch in diesem Fall. Waffenlieferungen können dabei stets nur als Ultima Ratio, als Hilfe zur Selbstverteidigung gerechtfertigt sein. Ohne die Stärke des Rechts durchzusetzen würde nur das Recht des Stärkeren obsiegen. Das Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens darf aber nie aus den Augen verloren werden.

Jörg Klingbeil

In memoriam Brigitte Hoffmann

Durch den Tod von Dr. Brigitte Hoffmann verliert die Tempelge­sellschaft ein herausragendes Mitglied. Als Tochter von Jon Hoffmann und Eva geb. Bulach und als Urenkelin des Grün­ders fühlte sie offenbar das Vermächtnis, sich für die Gemein­schaft einzusetzen. Im Elternhaus hatte sie erlebt, dass immer und jederzeit Verwandte, Gemeindeangehörige, Freunde und Besucher aus Palästina und Australien aufgenommen wurden, wenn es nötig war. Schon ihr Vater hatte der Tempelgesell­schaft als Gebietsleiter in Deutschland in der Zeit vor dem Krieg für die in Deutschland lebenden Templer, während und nach dem Krieg für die aus den Kolonien zurückkehrenden Templer unschätzbare Dienste geleistet. Dieses Umfeld prägte sie, so dass sie sich schon bald für die Tempelgesellschaft zu engagieren begann.

Ihr Studium von Geschichte, Anglistik und Germanistik auf Lehramt in Tübingen schloss sie ab, promovierte noch und absolvierte ihr Referendariat am Fanny-Leicht-Gymnasium. In dieser Zeit trat sie als Mitglied in die Tempelgesellschaft ein, offiziell beurkundet durch ihren Vater und damaligen Gebietsleiter Jon Hoffmann. Schon 1964 gehörte sie der Gebietsleitung an, sie engagierte sich, auch indem sie regelmäßig als Betreuerin bei den Ferienlagern mitfuhr - für mich war das 1968 die erste Begegnung mit ihr. Sie hatte Freude an Vortrags- und Dis­kussionsrunden noch im Keller der Mozartstraße, dann bei Seminaren am Samstagnachmit­tag, Gesprächsrunden und dem Angebot, nach einem Gottesdienst über das behandelte The­ma zu sprechen.

In der »Warte« erschien ein erster Beitrag 1971, dem Jahr, in dem sie als Lehrerin für fünf Jahre nach Istanbul an die dortige Deutsche Schule wechselte; eine kritische Antwort auf eine in einem früheren Beitrag vertretene Meinung. Nach ihrer Rückkehr engagierte sie sich zuneh­mend, ab 1978 erschienen immer mehr Beiträge von ihr in der »Warte« - 1979 schrieb sie ei­nen Beitrag, in dem sie ihren Standpunkt gegenüber der Tempelgesellschaft beschrieb und wie sie, zunächst indifferent (»Mitmachen bedeutet nicht Identifizieren«), in Organisation (Kinderfe­rienlager) und Mitverantwortung (Treffpunkt-Redaktion) hineinrutschte und eine für sie wichtige Erfahrung machte: »Ich war davon ausgegangen, dass Engagement eine Folge einer vorhan­denen Überzeugung sei. Jetzt erlebte ich, dass auch aus einem Engagement so etwas wie eine Überzeugung wachsen kann. Indem man eine Sache tut, wird einem deutlicher als vorher klar, ob sie ‚sich lohnt‘.«

Das Tun lohnte sich für sie - die Beschäftigung mit theologischen Themen machte ihr Freu­de, schon bald war sie in die Organisation und Durchführung der jährlich durchgeführten Wo­chen­endseminare eingebunden, etwa ab 1980 war sie ein äußerst aktives Mitglied des Ältes­tenkreises - zuletzt und solange sie zu Hause lebte, als dessen Leiterin. Zu dessen Sitzungen lud sie zu sich ein, bewirtete die Anwesenden und daneben wurden Gemeindedienstpläne be­sprochen, Seminarthemen gesucht und vorbereitet, ebenso der Konfirmandenunterricht für die Templerjugend. Ob es um die Übernahme von Gottesdiensten ging oder die Vorbereitung der Seminare, die Beteiligung am Konfirmandenunterricht oder das Schreiben von Artikeln für die »Warte« - Brigitte drückte sich nie, war immer und allen voran bereit, Verpflichtungen zu über­nehmen.

Außerdem war Brigitte immer sehr geradlinig und wahrhaftig. Das beste Beispiel dafür ist ihre Anregung, im zweiten Heft der neuen Reihe »Der besondere Beitrag« (ab 1995) die Hal­tung der Tempelgesellschaft zum Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Unter dem Titel »Unsere Verantwortung in der Welt« griff sie im Jahr 1995 (fünfzig Jahre Kriegsende) einen Vortrag von Dr. Alfred Weller auf, den dieser 1948 für die kleine Tempelgemeinde in Berlin ausgearbeitet hatte und der sich, zusammen mit vier weiteren, um eine Neuorientierung der Tempelgesell­schaft bemühte; außerdem ging es um die kritische Bewertung der Vergangenheit und die Besinnung auf die wesentlichen Grundlagen für die Zukunft. Es ist ein beachtlicher Text mit der deutlichen Kritik an der Haltung der Tempelgesellschaft im Dritten Reich, die mit ihrer religiö­sen Grundeinstellung unvereinbar gewesen ist. Brigitte teilte diese und untermauerte sie in einem eigenen Beitrag, wohl wissend, dass sie damit auch 50 Jahre nach Kriegsende noch Widerspruch wecken würde. Tatsächlich gab es etliche Leserbriefe, sowohl zustimmende als auch schroff ablehnende. Dabei hatte Brigitte deutlich formuliert, dass es nicht nur um Vergan­genheitsbewältigung gehe, sondern auch darum, was die Gesellschaft für Konsequenzen für die Gegenwart ziehen müsse. Diese benannte sie mit folgenden drei Punkten:

»Dazu gehört für mich auch - bei aller kritischen Prüfung - das Festhalten an der Bibel. Eine Religionsgemeinschaft braucht eine gesicherte Grundlage, und das ist für uns die Lehre Jesu einschließlich ihrer Wurzeln im Alten Testament. Man kann und man muss auch sein Verhältnis zu einer solchen Basisschrift immer wieder überprüfen, aber man darf sie nicht aufgeben, sonst verliert man seine Identität und mit dem Zwang zur Auseinandersetzung auch die He­rausforderung, die einen davor bewahrt, in bequeme Allgemeinplätze abzurutschen. Das ist immer eine Gratwanderung, aber die müssen wir durchhalten.

Das zweite: wir müssen immer wieder überprüfen, ob unsere Vorstellungen und unsere Ansprüche noch übereinstimmen mit unserer Realität und mit dem, was wir von der Vernunft her akzeptieren können; ganz im Sinne des Gründers: Religion reicht über die Vernunft hinaus, aber sie darf nicht im Widerspruch stehen zur Vernunft. ...

Und das dritte: wir betonen immer wieder, dass Streben nach dem Reich Gottes eine Ver­antwortung für die Welt einschließt. Das bedeutet aber zumindest, dass wir uns für das, was um uns herum vorgeht, interessieren, uns möglichst gut informieren, uns eine begründete Meinung bilden und sie dort, wo religiöse oder ethische Belange berührt sind, auch deutlich sagen, - vielleicht mehr, als wir das bisher getan haben (eine Mahnung, die ich durchaus auch an mich selber richte).« Diesen Punkten ist Brigitte immer treu geblieben.

Der Austausch mit Vertretern des Bundes für Freies Christentum, dem die Tempelgesell­schaft seit 1976 als korporatives Mitglied angehört, war ihr immer sehr wichtig; sie besuchte regelmäßig die von diesem durchgeführten Jahrestagungen sowie dessen in unserem Ge­meindehaus veranstaltete Regionaltreffen und gehörte bald schon zusammen mit Peter Lange zum ‚Freien Theologischen Arbeitskreis‘, der von Mitgliedern des Bundes ins Leben gerufen worden war.

Nach ihrer Rückkehr aus der Türkei wurde sie bei der nächsten Wahl 1977 direkt wieder in die Gebietsleitung gewählt, wurde bereits ab 1980 stellvertretende Gebietsleiterin. 1993 wurde sie aus dem Schuldienst in den Ruhestand entlassen; als der amtierende Gebietsleiter Peter Lange 2001 zum Tempelvorsteher gewählt wurde, stellte sie sich für das Amt der Gebiets­leiterin für das Gebiet Deutschland zur Verfügung und wurde gewählt. 2007 gab sie das Amt wieder ab, blieb dann bis 2013 wieder stellvertretende Gebietsleiterin.

Brigitte war ein sehr empathischer Mensch, war jederzeit zur Hilfe bereit, brachte Besucher der Familie, Älteste im Rahmen des Funktionsträger-Austauschs zwischen TGD und TSA und junge Leute aus Australien, ebenfalls im Rahmen des Jugendaustauschs, bei sich unter. Auch über sie lässt sich sagen, dass sie ihr Leben uneingeschränkt in den Dienst der Gemeinschaft gestellt hat, diese wesentlich mitgestaltet und entscheidend mit geprägt hat.

Karin Klingbeil, für den Ältestenkreis

 

Viele, die mehr oder weniger eng mit ihr verbunden waren, hatten das Bedürfnis, ein paar Worte des Nachrufs niederzuschreiben:

Meine Erinnerungen an Brigitte

Der Tod von Brigitte Hoffmann hat mich tief bewegt, kannten wir uns doch fast unser ganzes Leben lang. Ihre und meine Mutter waren miteinander verwandt, beide gehörten der Tempel­gesellschaft an, und so war es nicht verwunderlich, dass die Hoffmanns und die Langes schon immer ein freundschaftliches Verhältnis zueinander gepflegt haben. Als ich mit Mutter und Ge­schwistern 1942 aus Palästina nach Stuttgart kam, nahmen die Langes an den von Gemeinde­leiter Jon Hoffmann in Sonnenberg nach dem Krieg wieder aufgenommenen Gemeindefeiern wie »Saal«, »Dankfest« oder »Weihnachtsfeier« teil. Dann wurde ich von meinen Eltern schon zu den ersten der Jugendferien-Freizeiten der Templer nach dem Zweiten Weltkrieg ange­meldet, bei denen auch Brigitte immer dabei war. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich dabei einer der »Jugendlichen« war, während Brigitte, nur knapp ein Jahr älter als ich, meistens schon mit Führungsaufgaben betraut wurde. Da in der Tempelgemeinde nur alle zwei Jahre Konfirmation stattfand, war sie mir dadurch sogar zwei Jahre voraus.

Als das neue Gemeindehaus in Degerloch zur Zentrale des Gemeindelebens der Templer in Deutschland ausgestaltet worden war, gingen die Verantwortlichen daran, die fehlende theolo­gische Ausbildung der nachwachsenden Generation durch Wochenend-Vortragsveranstaltun­gen zu fördern. Ich kann mich noch gut an die biblischen Exegesen erinnern. Einmal im Jahr veranstaltete unsere Gemeinde auch »Wochenend-Seminare«, erstmalig im Schlosshotel Wei­tenburg bei Horb, in denen konzentriert Vorträge und Diskussionen stattfanden, nach dem Tod von Jon Hoffmann mit uns bekannten »freien« Theologen und Rednern. Bis dann nach Been­digung von Brigittes Lehrertätigkeit im Ausland unser »Gemeinde-Ältestenkreis« in Stuttgart die Ausrichtung solcher Veranstaltungen übernahm. Für die Sitzungen stellte Brigitte ihr Wohn­zimmer in Sonnenberg bis zuletzt als Gastgeberin zur Verfügung. Viele zeitgeschichtliche The­men brachte sie selbst in die Diskussion der Gruppe ein.

Außer der Beratung von anstehenden »Saalfeiern« war Brigitte Hoffmann dabei oft Wortfüh­rerin in der Diskussion über religiöse und sonstige aktuelle Themen. Sie war auch diejenige, die in dieser Zeit die meisten Sonntags-Predigten bei Gottesdiensten gehalten hat, wo sie meist biblische Themen und deren Herleitung in verständlicher Form darstellte. Sie hatte die Gabe, die in den Bibeltexten enthaltenen geistigen Werte vom Zeitgeist der Verfasser zu tren­nen und für heutige Zuhörer zu erschließen. Dafür habe ich sie stets bewundert.

Sie war auf diese Weise zur besten Theologin unseres Ältestenkreises im Geist eines »frei­en Christentums« geworden. Dies führte dazu, dass wir Ältesten der Tempelgemeinde regel­mäßig auch mit Vertretern anderer theologischer Bildung zu Diskussionen über geistig-reli­giöse Literatur zusammentrafen. Zur Verbreitung der von Brigitte gepflegten Bibel-Exegese an Interessierte hat die Tempelgesellschaft zu ihren Geburtstagen dreimal eine Sammlung ausge­wählter Texte aus ihren Predigt-Ansprachen oder aus schriftlichen Veröffentlichungen unter den Titeln »Meine Erfahrungen mit der Bibel«, »Mein Verständnis von Jesus« und »Meine Ge­danken zum Gottesreich« herausgegeben.

Brigitte Hoffmann hat uns mit diesen Texten ein überaus wertvolles geistig-religiöses Ge­dankengut hinterlassen. Was ihre Person betrifft, war sie in ihrem Leben in hohem Maß an­spruchslos und hat viel für andere getan. Sie hat ihre eigene Person nie in den Mittelpunkt ge­stellt und immer an die Bedürfnisse anderer Menschen gedacht. Sie war so ein hoch enga­giertes herausragendes Mitglied der Templer. Sie wurde mir zum Vorbild. Ich habe ihr viel an geistiger Erkenntnis für mein Leben zu verdanken.

Peter Lange

Im Gedenken an Brigitte

Wir trauern alle um Brigitte und gedenken ihrer in Dankbarkeit und Verbindung. Uns ist allen bewusst, wie viel ihrer Lebenszeit und ihrer Lebenskraft sie in die Gemeindearbeit investiert hat, ständig um das Wohl der Gemeinschaft nach innen und nach außen bedacht.

Ich konnte über viele Jahre ihre Kompetenz in religiösen Fragen im Ältestenkreis erleben. Und ich habe immer ihre tiefe Kenntnis in Fragen der Heiligen Schrift und ihr Ringen um das richtige Verständnis als auch eine Interpretation der Quellen in Bezug auf unser heutiges Geschehen und Leben erfahren. Stets war sie auf der Suche nach einem tieferen, einem wah­reren Verständnis der biblischen Quellen, und deren Bezug zum Glauben der Templer.

Das verdeutlicht vielleicht auch eine kleine Begebenheit aus unseren Begegnungen: nach einer meiner Ansprachen nach einer Morgenfeier im Gemeindehaus kam Brigitte auf mich zu mit den Worten: »Ich will mit dir streiten«. Als ich sie daraufhin wohl etwas irritiert anschaute, ergänzte sie sofort: »Nicht um dich zu kritisieren, sondern um die möglich verschiedenen Inter­pretationen auszutauschen.« Diese Offenheit und das Bemühen unterschiedliche Standpunkte zu erhellen war ihr eigen, und - nach meinen Erfahrungen - immer sehr hilfreich.

Brigitte hinterlässt nicht nur viele Erinnerungen an gute und hilfreiche Begegnungen, son­dern auch einen wertvollen Schatz an schriftlichen Zeugnissen ihrer fundierten Kenntnisse aus theologischer Sicht. Dafür bin ich ihr sehr dankbar, ich glaube auch im Namen des Ältesten­kreises.

Wolfgang Blaich

Lebewohl Dr. Brigitte Hoffmann

Zum ersten Mal traf ich Brigitte persönlich, als ich 2002 nach Deutschland reiste. Später im selben Jahr kam sie nach Australien, wo sie die Tempelgesellschaft in Deutschland als Ge­bietsleiterin vertrat, als die Bayswater Chapel der Temple Society Australia eingeweiht wurde.

Es wurde deutlich, wie viel Einfluss sie auf das religiöse Denken der TGD hatte - ihre jahr­zehntelangen Beiträge können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die dortigen Ältesten trafen sich regelmäßig bei ihr zu Hause; hier fühlte sie sich am wohlsten, bot großzügige Gast­freundschaft und führte das Gespräch mit scharfem und einfühlsamem Überblick, wobei sie jede Diskussion auf den Punkt und auf den richtigen Weg brachte. In ähnlicher Weise verliefen in der Zeit, als sie Gebietsleiterin war, die zweimonatlichen Sitzungen der Gebietsleitung effi­zient und deckten alle erforderlichen Gebiete ab.

Beim Austauschprogramm zwischen unseren beiden Templer-Regionen war Brigitte sehr großzügig, beherbergte die Jugend oft bei sich und war immer darauf bedacht, ihnen Stuttgart zu zeigen, meist zu Fuß.

Als begeisterter Radfahrer erinnere ich mich (mit einiger Angst um ihre Sicherheit) daran, dass Brigitte spätabends das TGD Gemeindehaus verließ, um nach Hause nach Sonnenberg zu radeln. Obwohl sie Raucherin war, war sie unglaublich fit und ein Spaziergang nach Stutt­gart war kein Problem. Das einzige Zugeständnis war die Rückfahrt nach Degerloch mit der Zahn­radbahn. ...

Brigitte liebte Bücher und besaß eine umfangreiche Sammlung. Sie war hochintelligent, ge­lehrt, belesen und hatte einem neugierigen Verstand. Sie vertrat ihre Meinung ziemlich ener­gisch - vielleicht erschien das nur wegen ihres Selbstvertrauens und ihrer Überzeugung so, aber um ehrlich zu sein, empfand ich das als ein wenig einschüchternd. Es bereitete mir Schwierigkeiten, einen anderen Standpunkt zu vertreten, und so tendierte ich dazu, zu schwei­gen. Sie kritisierte das nicht, hat sich aber vielleicht darüber gewundert, dass dieser Kerl um die halbe Welt fliegt, um auf ihrem Sofa zu sitzen und nicht viel zu sagen. Ich hörte zu ..., auf­merksam ... und lernte.

Im Jahr 2000 wurde nach einer gemeinsamen Anstrengung der Ältesten beider Gebiete eine gemeinsame Erklärung herausgegeben (»Glaube und Selbstverständnis« bzw. »Religious Perspective«), die das Wesentliche der templerischen Identität und die Glaubensauffassung formuliert. In Anbetracht der religiösen Unterschiede in unseren Ländern - Deutschland und Australien - musste viel formuliert, vorgeschlagen und diskutiert werden, bevor man sich auf die endgültig festgelegte Formulierung einigen konnte.

Von Australien aus führte Dieter Ruff als Tempelvorsteher die Verhandlungen; Brigitte war zusammen mit Peter Lange maßgeblich daran beteiligt, konstruktives Feedback und Anregun­gen von deutscher Seite zu geben. Brigitte verantwortete die deutsche Übersetzung, indem sie nicht wörtlich übersetzte, sondern dem Geist nach Bedeutung und Intention des englischen Or]ginals bewahrte. Die gemeinsame Erklärung ist insofern bedeutsam, als sie in einem ver­einbarten Rahmen allen, die an der Glaubensauffassung der Tempelgesellschaft interessiert sind, als klarer Leitfaden dient.

Brigittes Schriften und Gottesdienstvorträge gaben Lesern und Zuhörern gleichermaßen viel Anlass zum Nachdenken, um ihre (wohlüberlegte) Meinung teilen zu können. Es ist von gro­ßem Vorteil, dass Peter Lange einen Großteil dieses Werks in drei Bänden zusammengetra­gen hat, die Teil von Brigittes bleibendem Vermächtnis sind.

Neben ihrem leidenschaftlichen und energischem Intellekt und ihren religiösen Gedanken suchte Brigitte immer danach, anderen zu helfen, wirkte ein wenig eigen, war aber eine lie­benswerte, lebhafte und einnehmende Seele. Sie war jemand, mit dem man auch auf einer nicht-intellektuellen Ebene über den Alltag sprechen konnte. Das war genauso gut, da sie mich - und ich vermute auch die meisten anderen - auf jeder anderen Ebene überflügelte.

Die Tempelgesellschaft ist und bleibt zutiefst dankbar für Brigittes selbstlosen Einsatz und wertvollen Beitrag zu unserem Glaubensweg.

Mark Herrmann, Tempelvorsteher

Treue Verwalterin ihres großen Erbes

»Brigitte war, wie nicht viele Leute, an allem und jedem interessiert und versuchte sich immer zu beteiligen. Wir denken mit Freude und Trauer an Brigitte und wissen, dass die Tempelge­sellschaft dankbar bleibt für ihre Treue über so unglaublich viele Jahre. Brigitte war eine he­rausragende Persönlichkeit, die mehr als andere gegeben und sich beteiligt hat, mitgemacht, kritisch gedacht und gesprochen hat. Ihr Leben gehörte wohl immer schon, und seit ihrem Ru­hestand ganz und gar, der Tempelgesellschaft. Und so war sie eine treue Verwalterin ihres großen Erbes.«

Dr. Martin und Jutta Schreiber

Dr. Brigitte Hoffmann - meine langjährige Kollegin

Der Tod von Brigitte Hoffmann bedeutet auch für mich einen schmerzlichen Abschied, denn mit ihr verband mich nicht nur das nahezu gleiche Lebensalter (ich war nur ein gutes Jahr älter), sondern vor allem die vielen Jahre der Kollegenschaft am Fanny-Leicht-Gymnasium in Stuttgart-Vaihingen, wo sie als Lehrerin für (wenn ich mich recht erinnere) Englisch und Ge­schichte, ich als Religionslehrer tätig war. Daraus erwuchs eine freundschaftliche Verbunden­heit, zumal wir infolge unseres Alters denselben prägenden Hintergrund unseres Werdens hat­ten: Aufwachsen im Dritten Reich, Zweiter Weltkrieg, gesellschaftlich-weltanschaulicher Um­sturz im Zusammenbruch des NS-Regimes, die schwierige Nachkriegszeit und das Erleben von Freiheit, aber auch von wagender Verantwortung in den sich neu aufbauenden demokrati­schen Strukturen - solch ein so dynamisch prägendes gemeinsames Erlebnisfeld verbindet, zumal wenn es für die Bildung einer jungen Generation ausgemünzt und fruchtbar gemacht werden will, wie wir es versuchten.

Zuallererst aber verband uns der gemeinsame geistige und geistliche Hintergrund, der sich in der gemeinsamen Zugehörigkeit zum Bund für Freies Christentum (für sie über die Tempel­gesellschaft) zeigte: Ein Glaube, der sich nicht an die dogmatische Enge der traditionellen Kirche gefesselt sah, sich aber doch an die Gestalt Jesu als gültigem Maßstab gebunden wusste. Solche Liberalität bei gleichzeitigem religiösem Engagement war damals wie heute keine Selbstverständlichkeit. Sie gehörte mit den anderen führenden Stuttgarter Templern dem Arbeitskreis des Freien Christentums in Stuttgart an, den sie mit ihren klugen Beiträgen berei­cherte. Wir tagten reihum in den Häusern, und ihr Heim ist mir in besonderer Erinnerungen, wo unsere theologischen Dispute durch ihre beiden wunderschönen Kätzchen belebt wurden. Ihr Wirken in der Tempelgesellschaft beobachtete ich mit großem Interesse, denn ihre schriftli­chen Äußerungen waren von einer Qualität, die auf eine ausgebildete Theologin hätten schlie­ßen lassen können. Zurecht hat die »Warte« in Heft 1 und 2 dieses Jahres ihren 1981 entstan­denen Beitrag »Von Wahrheit und Religion« als ein Musterbeispiel dafür noch einmal gebracht, und das erweist sich jetzt als angemessene Würdigung der nun Dahingegangenen. Mit immer wieder neu abgedruckten Texten in der »Warte« wird sie aber auch in Zukunft sowohl für die Tempelgesellschaft wie den Bund für Freies Christentum lebendig bleiben.

Wolfram Zoller

Über Jahrzehnte mit Brigitte verbunden

Indirekt habe ich Dr. Brigitte Hoffmann schon kennengelernt, bevor ich ihr in den 1970er Jah­ren im Degerlocher Freien Arbeitskreis begegnet bin: Zunächst über ihren Ende 2022 ver­stor­benen Bruder Hans Peter. Er war mein Klassenkamerad im Stuttgarter Eberhard-Ludwigs-Gymnasium und ging dann als Austauschschüler für ein Jahr nach San Luis Obispo in Kali­fornien. Sodann über ihren Vater Jon Hoffmann. Er war im Stuttgarter Verwaltungsgericht der Chef meines Vaters. Ich war etwa 13 Jahre alt, und da fragte mich mein Vater: »Sag mal, was ist denn die Tempelgesellschaft? Sie wird von meinem Chef geleitet, und dieser ist ein außer­gewöhnlich tüchtiger, korrekter und sympathischer Mensch.«

Mit Brigitte war ich über Jahrzehnte im Stuttgarter »Freien Theologischen Arbeitskreis« ver­bunden, häufig auch als Gast in ihrem Haus in Sonnenberg. Sie war eine nicht nur sehr em­pathische, sondern auch eine hochgebildete Persönlichkeit mit messerscharfem Verstand. In unseren Gesprächen war sie, die theologisch höchst versierte Disputantin, eine Theologisiere­rin auf hohem Niveau, manchmal nicht gerade bequem, weil sie hartnäckig nachfragte: »Was heißt das? Das kann man doch auch ganz anders sehen! Was gibt es denn für Argumente, die für oder gegen diese Meinung sprechen?«

Ich erinnere mich an eine Jahrestagung des Bundes für Freies Christentum in Hofgeismar, wo wir uns in einem langen Spaziergang über religiöse Erfahrung - »was heißt das?« - aus­tauschten und uns einig waren, dass Glaubensaussagen in eigenem reflektiertem Erleben ver­ankert sein oder von diesem jedenfalls bestätigt werden müssen.

Mit Brigitte Hoffmann haben die Tempelgesellschaft und das freie Christentum eine markan­te, eigenständige, Neuem gegenüber offene, kritische und selbstkritische Christin verloren. Glücklicherweise sind viele Texte von ihr erhalten, so die in der Warte des Tempels vom März 2023 wieder abgedruckte brillante Sonntagsbetrachtung »Ist Gott ,nur‘ Liebe?«

Dr. Andreas Rössler

Interesse auch am Bund für Freies Christentum

Mit Brigitte Hoffmann verliert nicht nur die Tempelgesellschaft ein in hohem Maße engagiertes Gemeindemitglied, auch der Bund für Freies Christentum verliert einen Menschen, der mit gro­ßem Interesse dessen Arbeit verfolgt und begleitet hat. So war Brigitte Hoffmann eine treue Besucherin unserer Regionaltreffen im Gemeindehaus der Tempelgesellschaft in Stuttgart-Degerloch, bei denen sie sich auch immer wieder in die Diskussionen nach den Vorträgen ein­brachte. Gerne denke ich an manche persönliche Begegnung zurück. Ebenso nahm sie auch an den Jahrestagungen unseres Bundes teil.

Geschätzt habe ich ihre Beiträge in der »Warte des Tempels«, die sich durch ihre klare und verständliche Darstellung auszeichneten. Geprägt waren sie nach meinem Eindruck von einer im wohlverstandenen Sinne »nüchternen Frömmigkeit«, wobei ich an die folgenden Worte aus einer Osterpredigt Albert Schweitzers denke: »Wenn ihr jetzt hinausgeht aufs Feld, da sieht’s auch nüchtern aus. Die Bäume strecken ihre kahlen Besenreiser schwarz gegen Himmel. Aber ist das nicht eine herrliche herzerquickende Nüchternheit! Sie haben ihren welken Laub­schmuck vom vorigen Sommer verloren und sind kahl geworden, um wieder neues Leben an­zusetzen. ...

Seht, diese kraftvolle Nüchternheit muss auch in der Religion kommen.«

Wir trauern um einen liebenswürdigen und zugewandten Menschen, dessen Andenken Wegweisung geben kann.

Prof. Dr. Werner Zager, Präsident des Bundes für Freies Christentum

 

Weitere Würdigungen in der gedruckten Ausgabe der Warte.

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