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Reich Gottes und das Neue Jerusalem - Peter Uhlherr
Der ewige Schmerz und die Kraft - Thomas Seiterich
Alles hat seine Zeit - Brigitte Hoffmann
Ende eines Gedenkortes der Tempelgesellschaft - Wolfgang Blaich
Betlehem-Besuch im Schwarzwald-Dorf - Peter Lange
Unser Umgang mit den Weltmeeren - Karin Klingbeil
Dreiecksbeziehung mit Israel und Palästina - Franz-Hellmut Schürholz
Unser Text spricht vom Fundament der christlichen Gemeinde. Er steht im 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther. In dieser Gemeinde war man sich uneinig geworden: Manche behaupteten, Paulus‘ Lehren seien besser, andere folgten Apollos und wieder andere waren für Kephas (Petrus). In seinem Brief will Paulus ihre Uneinigkeit bildhaft klären:
Ihr seid Gottes Bau. Nach Gottes Gnade habe ich das Fundament gelegt als ein umsichtiger Baumeister; andere sollen sehen, wie sie nun darauf weiterbauen. Ein anderes Fundament kann niemand legen als das, das gelegt ist: Jesus Christus...
Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? (1. Korinther 3, 9-11 und 16).
Wir alle können - und sollten - den Gemeinschaftsgeist, die gegenseitige Hilfe und Nachsicht und die außergewöhnliche Freiheit, die wir heute im Glauben und in der Form unseres Gottesdienstes genießen, feiern. Dies ist erreicht worden durch das Ringen und die Gewissenskämpfe aller Templer-Generationen während mehr als 150 Jahren. Dieses unser Erbe ist jedoch ziemlich verändert worden seit dem ursprünglichen visionären Ziel der Gründer.
Am Anfang stellte sich Christoph Hoffmann vor, das Reich Gottes auf Erden wäre ein konkreter geographischer Bereich in der Form einer organisierten Gemeinschaft, die nach den Lehren Jesu leben würde. Diese Gemeinde würde einen lebendigen, geistigen Tempel bilden. Sie sollte ursprünglich in der Stadt Jerusalem leben, und von dort aus würde das Gottesreich sich langsam verbreiten, wie von den Propheten vorausgesagt. Diese Vision Hoffmanns konnte schon am Anfang nur teilweise verwirklicht werden; sie wurde nach der Auswanderung nach Palästina beträchtlich geändert und weiterentwickelt, und auch später noch. Die Zustände in Palästina sowie das Weltgeschehen weit außerhalb der Kontrolle der Gemeinde waren einfach zu überwältigend, als dass man sie hätte überwinden oder sich dagegen wehren können.
Die verhältnismäßig klare biblische Idee, dass jeder Mensch das Potential hat, ein geistiger Tempel Gottes zu sein, haben wir bis heute beibehalten. Wir teilen den Teil von Hoffmanns Vision, dass eine Gemeinde mit individuellen Mitgliedern, die sich bemühen, nach Jesu Lehren zu leben, als ein starker Antrieb zu geistiger Entwicklung und sozialem Fortschritt wirken kann - zuerst in der Gemeinde selbst und dann langsam, aber sicher in der weiteren Umgebung. Das sieht man wiederholt in der Weltgeschichte. Jedoch musste die Vorstellung, das geographische Jerusalem sei der Ursprung und Mittelpunkt dieses sich verbreitenden Wachstums, neu überlegt werden. In der Tat wurde diese Idee ziemlich früh aufgegeben. Heute kommt das überhaupt nicht mehr in Frage.
Das Gottesreich wird nicht aus Jerusalem, sondern laut der Weissagung aus dem Neuen Jerusalem hervorgehen. Das wird oft vergessen. Heute glauben viele, das Reich Gottes sei kein zeitliches, weltliches, sondern ein zeitloses, individuelles Reich - d.h. das Göttliche weilt und »regiert« potentiell in jedem Einzelnen wie in einem Tempel. Genau so kann das Neue Jerusalem als der bildlich verstandene Ort von jedem dieser geistigen Tempel angesehen werden: Wo immer und wann immer ein Mensch diesen Tempel verkörpert, besteht das Neue Jerusalem.
Der alte Tempel in der Stadt Jerusalem war der einzige Ort in der Welt, wo, so glaubten die Juden, Gott weilte und erreichbar war. Das Neue Jerusalem steht dagegen für den neuen geistigen Tempel, wo es einem Menschen irgendwo auf der Welt potentiell möglich ist, Gott zu erreichen. Das Sich-Gott-Nähern ist dezentralisiert worden! Das Neue Jerusalem kann sich in einem einzelnen Menschen befinden oder eine ganze Gemeinde umfassen, wie in unserem Text.
Neulich fiel mir ein anonymes Zitat in die Hand: »Wo immer du lebst, ist dein Tempel, wenn du ihn als solchen behandelst«. Es fällt mir nicht schwer, diese Idee auf das Reich Gottes zu beziehen: Wo immer man lebt, ist das Reich Gottes, wenn man es da verwirklicht.
Wir feiern die Gründung unserer Gemeinschaft vor über 150 Jahren. Zwei Ideen liegen ihr zugrunde. Die erste ist in unserem Namen enthalten, Tempelgesellschaft; wir alle verstehen, dass ein geistiger Tempel gemeint ist (ob im Einzelnen oder in der Gemeinschaft), in dem das Göttliche weilen kann. Unser Leitsatz drückt die zweite Idee aus: »Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes...« Ich möchte ein paar persönliche Gedanken dazu äußern, die mit Sprachgebrauch zu tun haben und damit, wie leicht die Bedeutung eines Ausdrucks missverstanden werden oder verloren gehen kann.
Zwei Zitate aus neueren Templer-Artikeln beschreiben das Leben als ständiges Wachsen, aber sie haben verschiedene Blickwinkel. Change is the law of life. And those who look only to the past or present are certain to miss the future (J.F. Kennedy). Etwa: Es ist ein Lebensgesetz, dass sich alles verändert. Diejenigen, die nur auf die Vergangenheit oder auf die Gegenwart schauen, verpassen sicher die Zukunft. Das nur ist wichtig. Wer nur in der Vergangenheit weilt, entwickelt sich nicht weiter.
Friedensreich Hundertwasser: »Wer die Vergangenheit nicht ehrt, verliert die Zukunft. Wer seine Wurzeln vernichtet, kann nicht wachsen.« Um zu wissen, wohin wir gehen, müssen wir wissen, wo wir jetzt sind. Und wie wissen wir das? Weil wir die Richtung kennen, aus der wir gekommen sind! Wo wir herkommen - unsere Vergangenheit - bestimmt unsere Gegenwart mit. Diese Information brauchen wir, um unseren Kurs in die Zukunft festzulegen.
Unsere zwei Grundbegriffe Tempel (Gottes) und Reich (Gottes) charakterisieren uns und weisen uns unsere Richtung. Dass wir dieselben Worte wie die Gründer benützen, bedeutet nicht, dass wir stehengeblieben sind, denn wie wir diese Begriffe verstehen, hat sich beträchtlich geändert. Meiner Ansicht nach haben wir uns seit der Gründerzeit weiter entwickelt.
Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass ein Unterschied besteht zwischen einer wirklichen Änderung, die gesunde Entwicklung (ein Lebensgesetz) ausdrückt und einer oberflächlichen Namensänderung, die schädlich sein kann. Nehmen wir den Ausdruck Reich Gottes, der keine gute Übersetzung sein mag, wie die vielen verschiedenen Auslegungen andeuten. Manch ein Templer hat gefragt, ob diese Worte nicht abgeschafft werden könnten. Aus dem »Progressive Christian Network of Victoria« schlug jemand vor Companionship of Empowerment (etwa: Kameradschaft der gegenseitigen Befähigung), um die »Fesseln der alten Sprache abzustreifen« und uns »neue Möglichkeiten« zu eröffnen. Aber was geht dabei verloren? Der religiöse Inhalt im ursprünglichen Ausdruck! Die neuen, verallgemeinernden Worte bieten in der Tat neue Möglichkeiten, sie sind aber so beliebig, dass sie sich auch auf die Mafia oder eine Gruppe von Neonazis beziehen könnten.
Unser traditioneller Name und Leitsatz verkörpern unseren Ausgangspunkt - »die Vergangenheit, die wir ehren« - sowie unsere geistige Richtung. Diese prägen unser tägliches Leben. Wenn wir diese Richtung nicht ständig vor Augen haben, können unsere Grundwerte allmählich unmerklich verloren gehen und unsere geistige Weiterentwicklung - unsere Zukunft - gefährdet werden.
Ansprache am Tempelgründungstag 2013 von Dr. Peter Uhlherr in Bayswater, Australien (gekürzt)
Übersetzung: Herta Uhlherr
Eugénie Musayidire lebt in Bonn, als sie von der Ermordung ihrer Familie in Ruanda erfährt. Dann kehrt sie in ihre Heimat zurück und stellt den Täter. Heute macht sie Friedensarbeit - im Gefängnis der Massenmörder.
Rupert Neudeck vermittelt die Begegnung mit Eugénie Musayidire in Ruanda. »Tes amis sont mes amis«, hat sie geantwortet: »Deine Freunde sind meine Freunde.« Deshalb steht Eugénie in der Ostblock-düsteren Ankunftshalle auf dem Flughafen der Hauptstadt Kigali und holt mich ab. »So, wie es war, darf es hier nie wieder werden«, ist einer der ersten Sätze, die die schmale, hochgewachsene Frau zu mir sagt: »Nie wieder, verstehst du?« Später, als ich mit ihr im Kigali Genocide Memorial am Massengrab mit den Gebeinen von 250 000 ermordeten Tutsi stehe, eine Rose auf die Betonplatte lege und schweige, beginne ich zu verstehen.
Eugénie baut Verstehensbrücken. Sie ist genau - und die wohl beste Botschafterin einer Nation, die von dem Völkermord vor zwanzig Jahren traumatisiert ist. »Zuerst haute mich die Nachricht von der Ermordung meiner Mutter, meines Bruders, meiner Schwägerin und ihrer sechs Kinder um«, sagt Eugénie, »danach versank ich jahrelang in Verzweiflung.« Der Schmerz traf die Ruanderin, die seit 1977 in Deutschland lebte und Bundesbürgerin geworden war, im friedlichen Bonn. Augenzeugen schrieben, ein Hutu-Nachbar habe ihre Mutter, die alte Tutsi-Frau, die öfters in Bonn zu Gast gewesen war, nahe beim Heimatort Kiguli/Nyanza mit der Axt erschlagen. Eugénie kennt den Mann. Als Kinder hatten sie miteinander gespielt.
»Ich war in Bonn Flüchtlingsbeauftragte des Evangelischen Kirchenkreises und kannte demzufolge viele Leute aus aller Welt. Doch ich fand keinen, der meinen Schmerz lindern konnte, denn niemand kannte die Lebenswelt und die Kultur meiner Heimat Ruanda.« Was tun? Die Menschen im Freundeskreis waren erschüttert, hilflos. Der kirchliche Arbeitgeber versuchte zu helfen...
Dieser Artikel ist für die Internetausgabe der »Warte« leider nicht freigegeben. Lesen Sie den vollständigen Artikel in der gedruckten Ausgabe der »Warte« oder in »Publik-Forum«, kritisch - christlich - unabhängig, Oberursel, Ausgabe 1/2014, Seite 22.
Der Artikel von Thomas Seiterich wirft am Beispiel eines Einzelschicksals ein Streiflicht auf den Genozid in Ruanda vor 20 Jahren (1994). Ich möchte ein paar historische Fakten hinzufügen, weil sie vielleicht helfen, das Unerklärliche wenigstens ein bisschen zu erklären. Die Bevölkerung des Landes besteht in der Hauptsache aus zwei ethnisch und sozial unterschiedlichen Gruppen: knapp 90% Hutus, meist von Subsistenzwirtschaft lebende Kleinbauern; ca. 10% Tutsi, ursprünglich Viehzüchter; ca. 75% Christen (meist katholisch), knapp 10% Moslems, daneben Naturreligionen. Im 15./16. Jahrhundert eroberten die Tutsi das Gebiet der Hutu und etablierten eine Feudalherrschaft, in der natürlich sie die Herrschaftselite stellten; somit waren oder wurden sie reicher und besser gebildet als die Hutu. Als Ende des 19. Jahrhunderts die Europäer die noch nicht kolonisierten Gebiete Afrikas unter sich aufteilten, kam Ruanda zu Deutsch-Ostafrika und wurde dann nach dem Ersten Weltkrieg (wie Palästina) Völkerbundsmandat. Mandatsmacht und damit praktisch Herr des Landes wurde Belgien. Damals wurde Französisch die zweite Amtssprache (und blieb es bis mindestens 1950) - daher die vielen französischen Namen und Begriffe in den Berichten aus dem Land. 1962 wurde Ruanda im Zuge der Entkolonialisierung unabhängig. Inzwischen hatten die Hutu den Tutsi-König gestürzt, aber die Überrepräsentation der Tutsi in führenden Stellungen blieb zunächst, was von nun an zu ständigen Unruhen und Kämpfen führte, auch nachdem 1973 nach einem Putsch der Hutu-General Habyarimana zum Staatspräsidenten gewählt worden war und - angesichts der großen Überzahl der Hutu - in der Folge noch dreimal wiedergewählt wurde. Eine größere Anzahl von Tutsi floh in dieser Zeit nach Uganda und bildete dort die »Patriotische Front Ruandas« (PFR), eine Partei mit eigener Miliz, die immer wieder Ruanda angriff. Zusammengefasst: Die jahrhundertealten sozialen und ethnischen Spannungen eskalierten seit der Unabhängigkeit immer wieder zu Kämpfen zwischen Hutu und Tutsi, im Inneren auch zwischen gemäßigten Hutu, die einen Kompromiss suchten, und denen, die eine radikale Lösung wollten.
Zum Geschehen im Frühjahr 1994: Schon monatelang vorher waren Hasstiraden, wie sie auch der Täter erwähnt, verbreitet worden, vom regierungsgelenkten Radio und durch Demagogen. Dann stürzte das Flugzeug des Präsidenten ab. Und unmittelbar danach brach das Gemetzel aus. Schon das muss organisiert gewesen sein, ebenso die Einführung und Verteilung der Macheten. Das macht es sehr wahrscheinlich, dass der Flugzeugabsturz gezielter Mord war. Habyarimana war zwar Hutu, aber ein gemäßigter, der ein friedliches Zusammenleben anstrebte. Die Fanatiker wollten ihn los sein. Und der Tod eines Hutu - den man den Tutsi anlastete - war ein bestens geeignetes Fanal für die Aufstachelung des Volkszorns.
Eindrucksvoll finde ich die Beschreibung der Kinderbetreuung im Gefängnis durch die Helferinnen Eugénies. Sie waren wegen Genozids zu langjährigen Haftstrafen verurteilt - das heißt wohl, sie hatten selbst gemordet. Und trotzdem sollten sie nun die Kleinkinder der Gefangenen betreuen. Das war ein Wagnis - und zugleich ein konkretes Beispiel für das, was Eugénie unter Brückenbauen verstand. Sie gab nicht nur den vier Helferinnen eine neue Lebensperspektive, sondern wohl auch vielen der gefangenen Mütter nicht nur Erleichterung, sondern kleines Stück Vertrauen in die neue, andere Zukunft.
Kann es die geben? Statt einer Antwort ein ganz knapper Rückblick auf einiges, was seit dem Massaker geschehen ist. Nach drei Monaten marschierte die »Nationale Front Ruandas« unter ihrem Führer Paul Kagame von Uganda aus ein. Ihre gut trainierte und mit modernen Waffen ausgerüstete Miliz war den machetenbewehrten Bauern so haushoch überlegen, dass diese sehr schnell aufgaben. Kagame übernahm fast unangefochten die Macht, wurde später zum Präsidenten gewählt und regiert seither mehr oder weniger diktatorisch, aber unangefochten. Wie lebt es sich in einem Land, in dem Hunderttausende von Mördern und Opfern eng zusammen und gemischt weiter leben müssen, oft in Dörfern, in denen jeder jeden kennt und die Hinterbliebenen wissen, wer ihre Nächsten umgebracht hat? Alles rechtsstaatlich aufzuklären und zu ahnden, hätte selbst in einem funktionierenden Land Jahrzehnte gedauert, und in Ruanda funktionierte nichts mehr. Es gab Initiativen von unten: ein Priester versammelte alle Bewohner seines Dorfes zu einem mehrtägigen Versöhnungsritual - keiner blieb weg. Die Täter mussten berichten, was sie getan hatten, möglichst mit den Opfern reden. Davor und dazwischen wurde stundenlang gemeinsam gebetet, gesungen, auch getanzt. Andere Dörfer folgten dem Beispiel (wie viele, weiß man nicht). Und in den meisten Fällen scheint es funktioniert zu haben. Ein Täter berichtet, dass er hinterher tatsächlich wieder in die Dorfgemeinschaft aufgenommen worden sei, wenn auch mit Vorbehalt. Keiner suche seine Freundschaft, aber die Leute seien freundlich und höflich zu ihm, keiner beschimpfe oder verfolge ihn; er verstehe das. Er hatte wieder einen Platz, wo er leben konnte. Das ist nicht emotionale Versöhnung, aber angesichts dessen, was geschehen war, ist es sehr viel. Es ist auch eine Parallele zu Eugénies eigenem Weg. Offenbar kam gemeinsames Nach-Erleben eine Art Katharsis bewirken, bei Tätern und Opfern. Was im Text über das Gitarama-Gefängnis gesagt wird, zeigt, dass daneben auch Zigtausende zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden - und ein Teil von ihnen auch vorzeitig wieder entlassen (wahrscheinlich bei guter Führung und geringer Rückfallgefahr - wie üblich). Kagame tat noch mehr. Im ganzen Land wurden Mahnmale errichtet, oft neben Massengräbern für nicht identifizierbare Leichen: als Stätten der Trauer für die Hinterbliebenen, als Mahnung für alle. Der Film, den Eugénies Begleiter gedreht hat, wird in Ruanda jedes Jahr im April gezeigt.
Wichtiger war wohl noch eine zweite Maßnahme: die Begriffe »Hutu« und »Tutsi« wurden aus der Öffentlichkeit verbannt. In keinem Ausweis ist die Ethnie vermerkt, kein Arbeitgeber oder Vermieter darf danach fragen. Und nach einem kurzen Bericht in der ZEIT scheint das, zumindest bei der Jugend, zu funktionieren: für sie ist der alte Gegensatz Geschichte, die sie nur mittelbar betrifft. Hilfreich ist dabei sicher, dass Ruanda inzwischen einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung erlebt. Das hilft, eher an die Zukunft zu denken als an die Vergangenheit. Anderes kommt hinzu: der Staat zahlt zumindest Überlebenshilfen für die Hinterbliebenen, er investiert in bessere Bildung für alle u.a..
Das sind ganz verschiedene Ansätze. Manche kommen aus tiefer ethischer oder religiöser Überzeugung, andere sind vielleicht nur - nur? - kluge Politik. Zusammen bewirken sie, dass es heute in Ruanda und für Ruanda Hoffnung gibt. Sie haben eines gemeinsam: sie zielen auf eine bessere, gerechtere Gesellschaft. Auf eine »gerechte« Aufarbeitung des Grauens wurde weitgehend verzichtet; sie war nicht möglich. Ein französischer Priester reiste, als Gast und Helfer, einige Zeit durch ruandische Dörfer. Er berichtet (frei zitiert): »Die Messe fand im Freien statt, die Kirche war viel zu klein für die vielen Teilnehmer. Danach kamen viele zu mir zur Beichte. Ich verstand nicht, was sie sagten, aber ich wusste, dass Mörder unter ihnen sein mussten. Ich habe trotzdem allen die Vergebung zugesprochen. Gott vergibt - wer sind wir, dass wir nicht vergeben sollten?« Ich denke, das ist eine gute Basis für die Brücken, an denen Eugénie baut.
(Prediger 3, 7) »Schweigen hat seine Zeit, Reden hat seine Zeit«
Das Buch »Prediger« ist eines der spätesten Bücher des Alten Testaments, wohl aus dem 2. oder 3. Jahrhundert vor Christus, als unter dem Einfluss griechischen Denkens auch manche der Frommen in Juda anfingen, die Welt rationaler, die Menschen als Individuen zu sehen und somit die Gerechtigkeit Gottes nicht mehr im Schicksal des Volkes zu suchen. Der Prediger zweifelt nicht an Gott, aber er kommt zu dem Schluss, »dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.« Er sucht nach einem Weg, wie man dann leben soll. Für mein Gefühl ist unsere Textstelle eine indirekte Antwort. Sie besteht aus 14 Gegensatzpaaren, alle eingebunden in das immer wiederkehrende »... hat seine Zeit«, wobei »Zeit« hier nicht wörtlich gemeint ist; er meint: das alles hat seinen gerechtfertigten Ort in unserer Welt, es ist Teil einer - gottgesetzten? - Ordnung, auch wenn wir sie nicht verstehen. Das Paar »Schweigen und Reden« empfinde ich als besonders aktuell. Ich bin noch aufgewachsen in der gut pietistischen Atmosphäre des »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold«; für Kinder galt das doppelt. Schweigen galt als Bescheidenheit, vieles Reden als Geltungssucht. Schweigen kann aber auch eine Form geistiger Bequemlichkeit oder von Angst sein: man will sich nicht blamieren, sich nicht der Kritik aussetzen. Dann ist die Mahnung zur Zurückhaltung Gift. Denn dann lernt man nicht sich auszudrücken, nicht, mit Kritik umzugehen, man sagt nichts, bis man schließlich nichts mehr zu sagen hat. Eine solche Haltung steht quer zum heutigen Zeitgeist, in dem Kommunikation das Zauberwort für alles ist. Für Kreativität - nur im Gespräch entstehen neue Ideen; für Erfolg - nur wer gut vernetzt ist, kann etwas bewirken; für Wohlbefinden - je mehr man mit anderen redet - und Dank der sozialen Netze kann man das fast immer -, desto weniger Zeit ist für depressive Stimmungen. Unbestreitbar ist auch, dass viel Streit vermieden werden könnte, wenn Kontrahenten früher und geduldiger miteinander reden würden. Ich habe schon ein paarmal erlebt, dass der Grund des Streits ein Missverständnis war, das sich aufklären ließ. Und wenn man sich nur darauf einigt, uneins zu sein, dann ist auch das viel besser, als sich weiter gegenseitig zu beschimpfen. Es kann aber auch Situationen geben, wo nur ein Schweigen einen Streit beenden kann. Fast in jedem Reden steckt unbewusst ein Stück Selbstdarstellung, oft auch ein Stückchen Selbstrechtfertigung. Manchmal muss man darauf auch verzichten können und etwas ungesagt sein lassen. Versucht man das alles zusammenzufassen, so zeigt sich: es ist nicht das eine besser als das andere, sondern wir brauchen beides, in unterschiedlichem Maß, je nach Charakter und Situation. Es gibt auch keine Regeln dafür, man muss versuchen zu spüren, welches von beiden richtiger ist. Und damit sind wir genau wieder bei der Aussage des Predigers: »Schweigen hat seine Zeit - Reden hat seine Zeit«.
Mit einem faszinierenden Vortrag über die Geschichte der Tempelgesellschaft und deren Ursprünge in Kirschenhardthof bestritt der uns nahe stehende Historiker Dr. Jakob Eisler Anfang November letzten Jahres in Backnang den 178. Altstadtstammtisch. Es ist sehr erfreulich, dass auf diese Weise die Bewohner der näheren Umgebung von Kirschenhardthof mehr über die Entstehung der Tempel-Bewegung vor 153 Jahren erfahren haben. Doch sie mussten gleichzeitig auch die traurige Nachricht vernehmen, dass das von den Templern 1856 errichtete Gemeindehaus, der sogenannte Versammlungssaal auf dem Kirschenhardthof, nicht mehr steht.
Dort, wo das Gebäude über 150 Jahre an die Geschichte der Tempelgesellschaft erinnerte, klafft heute eine Lücke. Vor knapp einem Jahr wurde das Gebäude abgerissen. Die einzige Erinnerung an den ehemaligen Saal und damit an die Gründung des Deutschen Tempels auf dem Kirschenhardthof im Jahre 1861, die verblieben ist, steht in Form eines Gedenksteins, der aus Anlass des 125. Jubiläums der Tempelgesellschaft unter Teilnahme zahlreicher Mitglieder und Gäste, darunter auch Vertretern aus dem Ausland, 1986 feierlich eingeweiht wurde.
Im Jahre 1856 beschlossen die Gründer der späteren Tempelgesellschaft den Aufbau einer Gemeinde an einem geeigneten Ort in der Heimat, um so in einer Mustersiedlung die geplanten späteren Unternehmungen in Palästina zu erproben und zu stärken. Der Kauf eines zweckentsprechenden landwirtschaftlichen Anwesens wurde auf dem Kirschenhardthof bei Marbach im selben Jahr getätigt. Als erste Templer übersiedelten am 20. April Christoph Hoffmann und Louis Höhn auf den Kirschenhardthof. Bereits am 2. Juli wurde der Grundstein für den Versammlungssaal der Gemeinde dort gelegt. Dieser Bau diente jedoch nicht nur als Versammlungssaal, sondern wurde als Wohnraum und bald auch für den Betrieb einer Erziehungsanstalt für Knaben genutzt. In diesem Gebäude fand dann 1861 auch die Versammlung statt, bei welcher sich die Jerusalemsfreunde unter der Bezeichnung »Deutscher Tempel« zu einer eigenständigen Religionsgemeinschaft erklärten.
Auch nach den ersten Auswanderungen nach Palästina im Jahre 1868 behielt der Kirschenhardthof seine zentrale Funktion für die Gesellschaft. Erst im Oktober 1873, mit der Abreise von Christoph Paulus, hörte der Kirschenhardthof auf, Mittelpunkt des Tempels in Württemberg zu sein. Die Zentrale der Gesellschaft in Deutschland wurde nach Stuttgart verlegt.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts ging der Besitz des Gebäudes an die Familie Salwey über, die bis vor ca. eineinhalb Jahren, dann bereits in der vierten Generation, ein Altenheim darin führte. Als im Jahre 2009 die Nachricht von einer drohenden Schließung des Heims über Umwege an die Gebietsleitung erging, wurden rasch Gespräche mit dem derzeitigen Heimleiter aufgenommen. Die Gebietsleitung war besorgt, das einzige noch verbleibende historische Gebäude in Deutschland zu verlieren, jenes Gebäude, das uns zwar nicht mehr gehörte, an welchem wir aber ein starkes ideelles Interesse fühlten, fanden hier doch immer wieder Begegnungen am historischen Ort statt, sei es mit ausländischen Gästen, etwa aus Australien oder Israel, sei es mit Konfirmandengruppen, die auf den historischen Spuren ihrer Vorfahren mehr Einblicke in die Geschichte der Gesellschaft gewinnen sollten.
Die Verhandlungen mit Herrn Salwey führten, zu unserem großen Bedauern, zu keinem positiven Ergebnis. Die Frage einer Erhaltung des historischen Gebäudes mit einer gleichzeitig wirtschaftlich notwendigen Weiterführung des Altenheims überstieg die vertretbaren finanziellen Möglichkeiten unserer Gemeinde bei Weitem, zumal derzeit weitere Mittel in die Instandhaltung unseres Degerlocher Gemeindehauses investiert werden müssen. So musste die Gebietsleitung dem derzeitigen Besitzer leider eine Unterstützung zur Weiterführung seines Betriebs absagen.
Was uns bleibt, sind die Erinnerungen und die historischen Fotos von der ersten Wirkungsstätte der templerischen Vorfahren und der oben erwähnte Gedenkstein auf dem Kirschenhardthof, dessen Text allerdings auf den neuesten Stand der Sachlage gebracht werden muss, da auf ihm noch auf das »Gebäude gegenüber« Bezug genommen wird.
»Die Templergeschichte lässt Seeger nicht los« überschrieb Hans Schabert, früherer Bürgermeister der Gemeinde Neuweiler im »Schwarzwälder Boten« seinen Bericht vom kürzlichen Besuch der Israelin Dafna Dressler im Neuweiler-Teilort Zwerenberg, aus dem vor etwa 140 Jahren eine ganze Anzahl Jerusalemsfreunde nach Palästina ausgewandert waren. Einige dieser Auswanderer hatten 1906 die Tempelkolonie Betlehem in Galiläa gegründet, in der Frau Dressler nun seit vielen Jahren wohnt. Ihr - inzwischen verstorbener - Vater Arieh Dressler, ursprünglich aus Österreich nach Palästina emigriert, hatte in zurückliegenden Jahren verschiedene Male Templer-Reisegruppen im jetzigen Moshav Beyt-Lehem ha-Glilit begrüßt und sie durch die nach wie vor landwirtschaftlich betriebene Siedlung geführt.
Dafna Dressler war durch Vermittlung von Martin Seeger nach Zwerenberg eingeladen worden, der in seinem Zwerenberger Jubiläumsbuch von 2011 auch der Tempelgeschichte breiten Raum eingeräumt hatte und nun im Nebenraum des Gasthauses zum Ochsen ein Zusammentreffen von ihr mit Bewohnern der Gegend ermöglichte. Herr Seeger, dessen Ururgroßvater Johann Georg Seeger einstmals Versammlungsleiter der Jerusalemsfreunde in Zwerenberg gewesen war, hat den Gedanken entwickelt, eine Dorf-Partnerschaft zwischen Neuweiler und Betlehem/ Galiläa zu gründen. Auf solche Weise werde nicht nur die Erinnerung an das Auswanderungsziel der damaligen Neuweiler-Zwerenberger wach gehalten, sondern auch eine Brücke zwischen Bewohnern des Schwarzwaldes und Galiläas geschlagen.
Die Bekanntschaft mit Frau Dressler hatte Martin Seeger um den Jahreswechsel 2013/14 gemacht, als er zu einem Besuch in Galiläa und freiwilliger Arbeit auf einem Bauernhof in Israel weilte. Er konnte von ihr die Zustimmung zu seinem Plan und die Zusicherung zu weiteren Werbemaßnahmen erhalten. Ihr jetziges Kennenlernen der Lebensverhältnisse in Neuweiler-Zwerenberg und ihre Besuche an verschiedenen Orten der Umgebung werden sicher dazu beitragen, dass sie die geschichtliche Bedeutung einer Partnerschaft auch anderen Ortsbewohnern von Betlehem näher bringen kann. Sicher sind die persönlichen Bekanntschaften zwischen Schwarzwäldern und Galiläern dabei von nicht geringer Auswirkung.
Vielleicht kann auch unsere Gemeinde durch Reisen nachwachsender Templer nach Betlehem zu einem größeren Bekanntheitsgrad des Partnerschafts-Projektes beitragen.
Zusammengefasst bedecken alle großen Ozeane unseres Planeten 71% der Erdoberfläche, etwa 80% aller Lebewesen unserer Erde leben hier. Im Gegensatz zum Land, von dem 15% geschützt sind, ist das gerade bei etwa 1,6% der Meeresflächen der Fall.
Dabei gehört die Tiefsee, die etwa ab 300 Meter unter der Wasseroberfläche beginnt, bis heute zu den geheimnisvollsten Orten auf unserem Planeten - hier werden noch Millionen weitgehend unbekannte Arten vermutet. Gleichzeitig ist die Tiefsee mit den 60%, die die Erde bedecken, das mit Abstand größte Ökosystem.
Dieses Ökosystem schädigt der Mensch massiv, und zwar in vielerlei Hinsicht: schon aus der Steinzeit gibt es Nachweise, dass Menschen gefischt haben. Seit aber wegen der großen Nachfrage nach Fisch weltweit der Fischfang immer mehr industrialisiert wird, die Fangflotten immer ausgeklügelter ausgestattet werden, haben nicht nur unzählige Fischer ihren Beruf aufgeben müssen, sondern sind die Fischbestände zum Teil nachhaltig gefährdet. So gilt nicht nur ein Drittel der weltweiten Fischbestände als zusammengebrochen, knapp 40% dessen, was aus dem Meer gezogen wird, ist Beifang (entweder zu klein, nicht lizensiert oder wird nicht gewünscht) und wird - tot - wieder ins Meer zurückgeworfen. Damit wird massiv in ein äußerst komplexes Nahrungsnetz von Fischen, anderen Meereslebewesen und Vögeln eingegriffen, was den gesamten Lebensraum verändert - und wir wissen noch nicht einmal, wie. Ökologisch verheerend ist die Grundnetzfischerei, die einen Kahlschlag auf dem Meeresboden darstellt.
Außerdem benutzt der Mensch die Weltmeere als gigantische Abfallhalde. Nicht nur werden chemische Abfallprodukte im Meer verklappt, sondern hier wird regelrecht Müll entsorgt.
Schließlich landen auch jene Nährstoffe, die durch die Überdüngung in der Landwirtschaft aufkommen, über die Flüsse im Meer und befördern hier ein unkontrolliertes Algenwachstum, das u.a. die Korallenriffe bedroht. Ferner landen - gewollt und ungewollt - Gifte im Meer, die sich durch ihre schwere Abbaubarkeit immer mehr anreichern: Schwermetalle, DDT, PCB, Dioxine, die in der Schädlingsbekämpfung und in der Industrie eingesetzt werden.
Und: alles, was der Mensch als Müll wegwirft, findet sich auch im Meer. Wer Strandspaziergänge - selbst an gereinigten Stränden! - gemacht hat, weiß, was hier alles zu finden ist. Dabei stellen Plastikgegenstände jeder Art das größte Problem dar: mehr als 6,4 Millionen Tonnen Plastik gelangen jährlich ins Meer, und durch dessen Haltbarkeit von bis zu 450 Jahren kann sich jeder vorstellen, was das bedeutet. Selbst bei der Zersetzung von Plastik durch Salz und Sonne werden giftige Inhaltsstoffe freigesetzt. Es gibt Regionen in den Meeren, in denen sechsmal mehr Plastikteile als Plankton herumschwimmen!
Auch Schweröl ist zu nennen, dabei sind die von havarierten Öltankern verursachten Ölpest-Katastrophen insgesamt die geringeren Mengen. Viel mehr Öl gelangt laufend durch die Schifffahrt, Bohrinseln etc. in die Meere.
Diese knappe Zusammenstellung von Fakten ist, wie ich finde, schon bedrückend genug. Noch betroffener allerdings machte mich der Artikel »Der Mann und der Müll« in der ZEIT vom 24. April dieses Jahres, in dem die zweimalige Besegelung des Pazifik durch den Australier Ivan Macfadyen im Abstand von 10 Jahren beschrieben wurde. Dadurch, dass er die gleiche Route segelte, nämlich von Melbourne über Osaka und Hawaii nach Los Angeles und von San Francisco zurück über Hawaii nach Melbourne, konnte er diese beiden Segeltörns gut miteinander vergleichen. Während er 2004 auf der 28 Tage dauernden Fahrt zwischen Melbourne und Osaka jeden Tag einen stattlichen Fisch fing, kaum, dass er die Leine ausgelegt hatte, fing er in diesem Jahr auf demselben Abschnitt nur zweimal einen Fisch. Wo keine Fische mehr sind, gibt es auch keine Vögel. Während er beim ersten Mal von unzähligen Vögeln begleitet wurde und er Schwärme beim Fischen beobachten konnte, umgab sein Boot in diesem Jahr eine Totenstille, die - neben den gewöhnlichen Geräuschen beim Segeln, wie dem Wind in den Segeln und den Wellen am Bug - nur von gedämpften Schlägen und immer wiederkehrendem Kratzen unterbrochen wurde, wenn sein Boot gegen treibenden Müll stieß.
An einem Tag konnte er, nachdem er Neuguinea hinter sich gelassen hatte, einen riesigen Fischtrawler von morgens bis abends dabei beobachten, wie er ununterbrochen am Riff entlangfuhr und mit seinem Schleppnetz alles, was hier lebte, an Bord hievte. Nachts wurde mit grellem Flutlicht weitergearbeitet. Am nächsten Morgen wurde er von Leuten der Besatzung besucht, die, im Gegensatz zu den ersten Befürchtungen, Geschenke überbrachten: Früchte, Marmeladengläser und Eingemachtes - und fünf große Säcke mit Fischen aller Art, mehr oder weniger frisch gefangen. Als der Segler abwehrte, weil er keinerlei Möglichkeit hätte, den Fisch zu verbrauchen oder zu lagern, meinten sie, er solle doch einfach über Bord werfen, was er nicht brauche - das hätten sie sonst auch getan. Es war nur ein kleiner Teil ihres täglichen Beifangs gewesen. Macfadyen war klar, dass dies nur einer von unzähligen anderer Fischtrawler war, die ihr Geschäft auf dieselbe Weise verrichteten.
Auf der Etappe zwischen Japan und Nordamerika wurde es noch schlimmer. Der Ozean erschien ihm wie tot, ihm begegnete kaum ein Lebewesen, wo er beim letzten Mal Schildkröten, Delfine, Haie und Schwärme von Vögeln hatte beobachten können. Diesmal gab es auf der Entfernung von 3000 Seemeilen praktisch nichts Lebendiges zu sehen. Stattdessen begegnete ihm Müll in unglaublichen Mengen. Abgesehen von all dem Material, das der Tsunami von Japan aufs Meer hinausgerissen hatte - u.a. Hunderte hölzerner Strommasten, die noch immer ihre Leitungen hinter sich herzogen -, gab es Abertausende gelber Plastikbojen, ein riesiges Gewirr synthetischer Seile, Angelschnüre und Netze, Millionen von Styroporteilen, überall Schlieren von Öl und Benzin. Es war so schlimm, dass er sich an vielen Stellen trotz Flaute nicht getraute, den Motor zu starten - aus Angst, die Schraube werde sich in all den Seilen und Kabeln verfangen. So etwas hatte er draußen auf dem Ozean noch nicht erlebt. Aber nicht nur an der Oberfläche trieb der ganze Plastikmüll - um Hawaii herum, wo man bis weit in die Tiefe schauen konnte, sah er Plastikteile jeglicher Größe - von einer Flasche bis zur Größe eines Lastwagens - bis tief unten. Haushalts- und Gebrauchsgegenstände jeglicher Art trieben umher, ein Schornstein samt Boiler und etwas Containerartiges - er kam sich vor, als segele er durch eine Müllhalde, immer auch in der Angst, mit einem großen Teil zu kollidieren und Schaden an seinem Boot zu nehmen. Am Ende war der Schiffsrumpf mit Kratzern und Dellen von diesen Zusammenstößen übersät, die Farbe des Schiffes hatte ihren Glanz auf eine seltsame und beispiellose Art verloren. Wieder nach Hause zurückgekehrt, musste Macfadyen erst den Schock und das Grauen dieser Reise verarbeiten und versucht seither, Lobbyarbeit bei Regierungsmitgliedern zu betreiben, hoffend, dass diese helfen könnten. Er versucht, über die Organisatoren der wichtigsten australischen Hochseeregatten die Segler dafür zu gewinnen, die Müllansammlungen und das maritime Leben wenigstens zu beobachten und zu dokumentieren.
Über dem Artikel war ein Bild von einem toten Albatros - samt seinem Mageninhalt: voller Plastikteile. Schon die Eltern füttern ihre Jungen im Nest mit Plastik, weil sie den Müll für Futter halten. Hinzu kommt, dass auch die Fischmägen voller Plastik sind. Der Fotograf Chris Jordan dokumentiert seit 2009 das Sterben der Vögel auf den pazifischen Midway-Inseln. -
Was können wir tun? Wie immer und bei allem: wir können uns über die Zusammenhänge informieren (z.B. worldoceanreview.com), können Organisationen bei ihren Aktionen unterstützen (z.B. NABU-Aktion »Meere ohne Plastik«, Kampagnen von Sea-Shepherd Deutschland) und, wenn wir Fisch essen, können wir darauf achten, nur solchen aus nachhaltigem Wildfang oder Aquakultur zu kaufen ( Greenpeace Fischratgeber).
Eine Gruppe Nahost-Interessierter gründete 2011 in Stuttgart das Forum Deutschland-Israel-Palästina. Schon der Name sollte unsere Ziele deutlich machen: nicht Partei zu sein im israelisch-palästinensischen Konflikt, Interesse und Solidarität nicht ausschließlich einer Seite entgegen zu bringen, stattdessen am Wohl und Wehe beider Völker gleichen Anteil zu nehmen. Wir wollen ein Forum, also ein Ort des Austauschs sein. Bei uns sollen Menschen und Narrative aus beiden Völkern zu Wort kommen. Vom Privileg unserer räumlichen Distanz zum Konflikt wollen wir einen für Israelis wie Palästinenser gleichermaßen nützlichen Gebrauch machen. Wir wollen unsere, die deutsche Perspektive in einen Trialog einbringen. Dabei wollen wir versuchen, zwischen den unterschiedlichen Erfahrungen, Sichtweisen und Interessen von Israelis und Palästinensern Brücken besseren wechselseitigen Verständnisses bauen zu helfen.
Ob wir es so empfinden oder nicht, objektiv stehen wir in einer geschichtlich-politischen Dreiecksbeziehung. Ohne die von Deutschen zu verantwortende Shoah hätten die Vereinten Nationen 1947 nicht beschlossen, das Mandatsgebiet Palästina für einen künftigen »jüdischen« und einen künftigen »arabischen« Staat aufzuteilen und ohne den Teilungsbeschluss hätte der Staat Israel wohl kaum im Jahre 1948 gegründet werden können. Unsere Geschichte legt uns Deutschen nahe, Verantwortung für die sichere Existenz des Staates Israel zu übernehmen. Aufgrund desselben geschichtlichen Zusammenhangs sollten wir allerdings noch eine weitere Verantwortung übernehmen, dafür nämlich, dass auch der zweite Teil der Entschließung der Vereinten Nationen erfüllt wird und die Palästinenser endlich einen lebensfähigen Staat an der Seite Israels errichten können.
Wie sollen wir in unserem Forum mit dem Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern umgehen und wie darüber sprechen? Mit »wissender Unbefangenheit« - so lautete jedenfalls schon vor Jahrzehnten der Ratschlag eines weisen Israeli an Deutsche der Generationen nach 1945.
In unseren Veranstaltungen stellen wir Menschen und Lebenswirklichkeiten der Region vor. So war Ende November vergangenen Jahres die Palästinenserin mit israelischem Pass Achlam Kabaha in einer von der Tempelgesellschaft mitveranstalteten Lesung unser gemeinsamer Gast. Die in Schwaben aufgewachsene Muslima lebt in Israel. Ihren Zuhörern bewies sie, wie es gelingen kann, in drei Welten zugleich beheimatet zu sein und mit allen dreien in einem lebendigen, durchaus konfliktreichen, dennoch fruchtbaren Austausch zu stehen.
Den Trialog pflegen auch andere Institutionen in unserer Region, so die Philipp-Matthäus-Hahn-Schule in Nürtingen. Sie unterhält eine Schulpartnerschaft mit dem ORT-Technikum in Givatayim und der Agricultural & Technological High School im arabisch-israelischen Rama. Wir sind bestrebt, solche Dreierpartnerschaften, von denen es in Deutschland leider viel zu wenige gibt, anzuregen, zu begleiten und zu unterstützen. Da macht es Hoffnung, dass die jüngst von der Stadt Mannheim abgeschlossene Kooperationsvereinbarung mit dem palästinensischen Hebron von der israelischen Partnerstadt Mannheims, Haifa, ausdrücklich begrüßt wurde. Zur Zeit suchen wir in weiteren baden-württembergischen Städten nach persönlichen und institutionellen »Brückenköpfen« für mögliche neue Partnerschaften nach Palästina und Israel. Kommunale sowie Schul- und Hochschulpartnerschaften nach Palästina gibt es bei uns leider fast gar nicht.
Vom 4. bis 6. Juli sind wir Partner einer gemeinsamen Tagung der Evangelischen Akademie Bad Boll, pax christi und unseres Forums zum Thema »Jugend in Israel und Palästina. Hindernisse, Herausforderungen, Hoffnungen«. Junge PalästinenserInnen, Israelis und Deutsche werden daran mitwirken. Für den Herbst planen wir ein Kompaktseminar zum Thema »Wasser in Israel und Palästina. Zwischen Konflikt und Kooperation«. Außerdem bemühen wir uns um israelische wie palästinensische Gesprächspartner für ein Dialogprojekt »Story Telling in Conflict« - Palästinenser und Israelis erzählen einander ihre Lebensgeschichte.
Daneben führen wir unser Informationsangebot fort: unsere Homepage, unseren vierteljährlichen Newsletter mit Informationen zu Politik, Kultur und Gesellschaft in Israel und Palästina sowie unser Vortrags-, Beratungs- und Seminarangebot. Wir freuen uns über jede und jeden, die oder der sich davon angesprochen fühlt oder gar selbst etwas dazu beitragen möchte, z.B. einen Reisebericht, ein Interview, eine Reportage oder einen Artikel. Und natürlich freuen wir uns über neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die als Mitglieder bei uns aktiv werden möchten und von zahlreichen weiteren Angeboten profitieren, die unseren Mitgliedern zur Verfügung stehen.