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Von Wahrheit und Religion (Teil 2) - Brigitte Hoffmann
Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund - Wolfgang Blaich
Blaulichtgebete - Karin Klingbeil
Leuchten! Sieben Wochen ohne Verzagtheit - Jörg Klingbeil
Erste palästinensische Pastorin in der luth. Kirche des Heiligen Landes - Jörg Klingbeil
Keine »Klimawende« ohne »Rohstoffwende«! - Jörg Klingbeil
In der Theorie - damit komme ich zu dem Punkt, den ich für wesentlich halte. Unsere Frage hieß nicht: Was hast du über die Heiligung der Welt gelehrt?, sondern: Was hast du zur Heiligung der Welt getan? Wenn wir nach Maßstäben suchen für die eigentlich nicht messbare, subjektive Wahrheit der Religion, so genügt es meiner Ansicht nach nicht, nach der Lehre zu fragen. Denn den Anspruch, die Welt zu »heiligen«, zu verbessern, zu erlösen, oder doch zumindest dazu beizutragen, haben viele erhoben, Jesus und Mohammed, Inquisitoren und Kreuzfahrer, Marx und Hitler und Jones. Die entscheidende Frage müsste heißen: Wie haben sie ihn eingelöst? Biblisch gesprochen: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.
Das scheint selbstverständlicher als es ist. Bei Lehren, die wir ablehnen, sind wir im allgemeinen schnell bei der Hand damit, sie an ihrer Verwirklichung zu prüfen und mit Hilfe dieser Wirklichkeit zu widerlegen. Ich möchte das am Beispiel des Marxismus zeigen, weil sich daran einiges Interessante ablesen lässt. Marx geht aus von dem Axiom, dass das Grundübel, sozusagen der Sündenfall wider den Geist der Menschlichkeit, das Privateigentum an Produktionsmitteln sei, also die Tatsache, dass Fabriken und Kapital und Grund und Boden einer kleinen Schicht gehören, die damit Macht erhält, alle anderen von sich abhängig zu machen und rücksichtslos auszubeuten. Dieser Zustand bewirkt, dass die Menschen sich gegenseitig nicht mehr als Menschen sehen und behandeln, sondern nur noch als Mittel für ihre Zwecke, dass die Arbeit, die Selbstverwirklichung sein sollte, zur sinnlosen Fron wird (immer gleiche Handgriffe an Maschinen), - er gebraucht für beides den Begriff der Entfremdung.
Folgerichtig müssten mit der Revolution und der Vergesellschaftung der Produktionsmittel alle diese Übelstände verschwinden: da es keine Ausbeutung mehr gibt, braucht es auch keine Unterdrückung mehr, der Staat löst sich auf, was geregelt werden muss, wird auf freiwilliger Basis geregelt, der Mensch, alle Menschen, sind zum ersten Mal wirklich frei. Da die Arbeit nicht mehr entfremdete Arbeit ist, sondern Selbstverwirklichung, wird sie freiwillig geleistet und dadurch so um so viel produktiver, dass alle Bedürfnisse befriedigt werden können, es gibt keine Not mehr. Das ist das angestrebte und versprochene Ziel, ein Zustand, in dem die Freiheit des Einzelnen zusammenfällt mit dem Wohl aller.
Die Praxis der sozialistischen Staaten zeigt, dass in allen Punkten so ziemlich das Gegenteil eingetreten ist, und mit dieser Praxis pflegen wir den Marxismus zu widerlegen. Ein Marxist würde antworten, gewisse tatsächlich vorhandene Mängel lägen nicht am System, sondern an den Umständen, kleinere Unvollkommenheiten müssten um des Ganzen willen in Kauf genommen werden. Das ist ein Argument, das man für jedes System und jede Lehre in Anspruch nehmen kann, und jeder pflegt es für sein eigenes in Anspruch zu nehmen.
Im Falle des Marxismus allerdings lässt sich zeigen, dass die Missstände sehr wohl mit dem System zusammenhängen. Die Lehre enthält eine Reihe von Voraussetzungen, die sich als falsch erwiesen haben, z.B. über die Natur des Menschen. Da er nicht nur durch die Umstände, sondern auch durch seine Erbanlagen bestimmt ist, wird er sich nicht radikal verändern, wenn die Umstände, nämlich die Besitzverhältnisse, verändert werden. Er wird immer bis zu einem gewissen Grad auch seine Eigeninteressen verfolgen, und deshalb wird eine vollkommene Übereinstimmung aller, die Zwang und Unterordnung überflüssig machen würde, wohl nie auf die Dauer zu erreichen sein.
Wichtiger als diese »Fehler« ist eine Erfahrung, die sich in der Praxis gezeigt hat. Weil die Theorie längst zum Glaubensinhalt geworden war, konnte nicht zugegeben werden, dass sie Fehler enthält. Infolgedessen musste nicht weniger, sondern immer mehr Zwang aufgewendet werden, um die Widersprüche zu überdecken. Weil es nicht sein durfte, dass Arbeiter nach wie vor eigene Interessen haben, die sich nicht mit denen des Staats decken, durften sie auch keine Organisation zur Vertretung ihrer Interessen haben - das Ergebnis ist, dass sie dem Staat mehr ausgeliefert sind als vorher dem Unternehmer. Dadurch, dass die Verantwortlichen sich weigern, ihre Theorie an der Realität zu überprüfen, dass sie die Wirklichkeit nicht zur Kenntnis nehmen, bildet sich ein System, das auf Zwang aufgebaut ist und sich durch Unaufrichtigkeit diskreditiert.
Allgemein gesprochen: entscheidend für die »Wahrheit« einer Lehre oder einer Religion ist, ob sie bzw. ihre Vertreter bereit sind, sich der Realität zu stellen, zu prüfen, und zwar nicht einmal, sondern immer wieder, ob das erreicht oder zumindest gefördert wird, was man verkündet und anstrebt.
Dann muss dieser Maßstab aber auch für uns selber gelten, auch für unsere eigene Religion. Hat das Christentum, das vielleicht mehr als andere Religionen mit dem Anspruch angetreten ist, die Welt zu heiligen, das Zusammenleben der Menschen zu verbessern, diesem Anspruch genügt?
Eine Gesamtbilanz ist kaum möglich. Sicher sind vom Christentum immer wieder positive Ansätze ausgegangen. Die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz oder die Achtung vor dem Menschen als Individuum, die »Würde des Menschen«, die unsere Verfassung fordert, wäre nicht denkbar ohne die Gleichheit der Menschen vor Gott und die Achtung vor dem Menschen als einem Geschöpf Gottes, die - zwar nicht immer praktizierte, aber als Auftrag akzeptierte - Verantwortung für die Benachteiligten nicht ohne den christlichen Gedanken der Nächstenliebe (womit nicht bestritten werden soll, dass es gleiche oder ähnliche Grundgedanken auch in anderen Religionen gibt). Andererseits waren es oft genug gerade die christlichen Kirchen, die sich einer Umsetzung dieser Gedanken in die politische Praxis entgegengestellt haben.
Aber schon dieses unauflösliche Sowohl-als-auch ist im Grunde das Eingeständnis eines Versagens. Offenbar haben christliche Gemeinschaften - von einzelnen kleinen abgesehen - ihre Probleme nicht deutlich besser gelöst als andere. Liegt es an »den Umständen«, am Versagen Einzelner, oder am Grundsätzlichen? Da, wie schon erwähnt, jeder dazu neigt, an der eigenen Lehre das Positive grundsätzlich und das Negative als bedauerliche, aber weniger wichtige Begleiterscheinung zu sehen, möchte ich ein negatives Beispiel herausgreifen.
Ich habe an anderer Stelle schon einmal darauf hingewiesen, dass die Geschichte von Christentum und Kirche, von christlichen Herrschern und Institutionen auf weite Strecken eine Geschichte von Gewalt und Intoleranz ist. Kreuzfahrer und Konquistadoren zählen ebenso dazu wie Inquisitoren und Glaubenskriege. Und hier scheint mir eine der Ursachen durchaus im Grundsätzlichen zu liegen, in einem Punkt der Lehre, den wir zwar heute nicht mehr oder nicht mehr voll akzeptieren, der aber jahrhundertelang als einer der Hauptwesenszüge des Christentums galt: In seinem Ausschließlichkeitsanspruch. Er lässt sich durchaus auf die Bibel zurückführen: »Du sollst keine andern Götter neben mir haben«, auch auf Jesus selbst: »Niemand kommt zum Vater denn durch mich«. Auch wenn dieser Ausspruch nicht unumstritten ist - es gibt durchaus eine Grundlinie in den Evangelien, die besagt, dass diejenigen, die die neue Botschaft nicht annehmen und nicht zur Umkehr bereit sind, verdammt seien.
Wir können nicht sicher wissen, was Jesus damit gemeint hat. Aber wir müssen bei unvoreingenommener Betrachtung zugeben, dass es wenige religiöse Lehren gegeben hat, die sich so verhängnisvoll ausgewirkt haben wie diese. Damit entstanden ein religiöser Fanatismus und eine religiöse Intoleranz, die es bis dahin nicht gegeben hatte. Keine der heidnischen Religionen erhob den Anspruch, alleinseligmachend zu sein. Das alte Judentum erhob ihn zwar, aber nur für das eigene Volk. Mit diesem Anspruch wurden Gewissenszwang, Zwangsbekehrung und Glaubenskrieg gerechtfertigt, bis hin zu Massakern im Namen Gottes.
Auch in anderer Hinsicht hat dieser Absolutheitsanspruch verhängnisvoll gewirkt: der Glaube, dass wohlgefällig vor Gott nur derjenige sei, der sich ganz ihm zuwende, und nur dasjenige geistige Bemühen, das ausschließlich und direkt ihm gelte, haben dazu geführt, dass jahrhundertelang Bücher verbrannt und geistige Neugierde erstickt wurden - zu einer Zeit, als der Islam lehrte, dass jede neue Erkenntnis ein Gebet zu Allah sei, und mit dieser geistigen Offenheit eine Blüte der Wissenschaft hervorbrachte. (Heute allerdings sind die Rollen eher umgekehrt verteilt und es wäre eine interessante Frage, warum das so ist.)
Nun muss zur Ehre des Christentums gesagt werden, dass es immer, auch im »finstersten Mittelalter«, Christen gegeben hat, die solche Haltungen als unchristlich angezweifelt und angeprangert, die den Widerspruch zwischen einer Lehre der Liebe und einer Praxis der Unterdrückung aufgedeckt haben. Dass es sie gab, und dass sie sich, wenn auch oft nur auf sehr lange Sicht und unter großen Opfern, auch gegen erstarrte Traditionen durchsetzen konnten, hat nicht nur dazu geführt, dass fragwürdige Positionen wie der Ausschließlichkeitsanspruch, aber z.B. auch die abwertende Einstellung gegenüber der Frau oder der Sexualität, aufgegeben wurden; es hat dem Christentum seine Glaubwürdigkeit erhalten.
Vielleicht ist etwas, was oft als Schwäche des Christentums gesehen wird, zugleich auch seine Stärke: dass seine »heiligen Bücher« - denn die Bibel Ist ja eine Sammlung von ganz verschiedenartigen Büchern - und damit seine Traditionen widersprüchlich sind, und dass wir damit gezwungen sind, uns diesen Widersprüchen zu stellen, die Traditionen zu prüfen, an ihrem Verhältnis zum eigentlichen Kern der Lehre, der Gottes- und Nächstenliebe, und an ihrem Verhältnis zur Realität, ihrem Beitrag zur Heiligung der Welt.
Heute wäre zum Beispiel zu fragen, ob die ausschließlich auf den Menschen als die Krone der Schöpfung ausgerichtete Sicht der Bibel nicht zu einseitig ist. Sie hat zu einer atemberaubenden Dynamik geführt, aber auch zu einem Raubbau an der Natur, der zu einer schweren Gefahr geworden ist. Vielleicht sind in dieser Hinsicht naturverbundene Religionen wie die indianischen, die in der Erhaltung der Schöpfung ein göttliches Gesetz sehen, der Wahrheit näher.
Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: es kann im Bereich der Religion keine allgemeingültige, rational feststellbare Wahrheit geben, und es führt zur Perversion religiöser Ziele und Aufgaben, wenn man seine eigene, subjektive Wahrheit zur allgemeinen erheben und sie durchsetzen will. Zugleich aber ist es unverzichtbar, diese eigene, subjektive Wahrheit immer wieder auch rational zu prüfen auf ihre Bewährung in der Realität hin: »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.«
Brigitte Hoffmann, in »Warte des Tempels«, Dezember 1981
Diese Worte sind eine knappe Zusammenfassung aus Jesu Feldpredigt, wie wir sie im Lukasevangelium finden. Wie so häufig spricht Jesus zu seinen Zuhörern in Bildern und Gleichnissen, um seine Lehre besser verständlich zu machen.
So auch in einem dritten Gleichnis im 6. Kapitel bei Lukas, ein schönes und natürliches Beispiel aus der Pflanzenwelt. Ungeübte Augen können gesunde Bäume von kranken nicht sofort unterscheiden. Oftmals erkennen nur Fachleute mit geübtem Auge anhand der Rinde oder der Blätter den Unterschied zwischen einem gesunden und einem ungesunden Baum. Jedoch kann jeder Laie an den Früchten den Gesundheitszustand eines Baumes erkennen - sind sie schön, groß, saftig und süß, dann sagen wir: Das ist ein guter Baum, der bringt wunderbare Früchte. Wenn ein Baum aber nur kleine, trockene oder saure Früchte hat, dann wissen wir, dass mit diesem Baum nicht viel los ist, er bringt nichts Rechtes hervor.
Und so lehrt Jesus seine Zuhörer, dass man jeden Baum an seinen Früchten erkennen kann - denn von Dornenzweigen kann man keine Feigen pflücken und von Gestrüpp keine Trauben ernten.
Jesus nutzt das Bild eines Baumes als Vergleich für das menschliche Wesen. So will er mit diesem Bild seinen Zuhörern verständlich machen, dass wir Menschen mit unserem Tun und Reden unterschiedliche Früchte hervorbringen. Wir können zwar nicht in Menschen hineinsehen, wie sie denken, was in ihren Herzen ist. Aber wir können sehen, was ihr Leben hervorbringt. Wir können ihre Worte hören, wir können sehen, was sie tun und wie sie es tun. Und daran können wir erkennen, wie jemand ist, was ihn bewegt, was ihn antreibt, was seine Einstellung zu seinen Mitmenschen und zu seiner Umgebung - und zu sich selbst - ist.
Ich glaube nicht, dass Jesus uns damit zeigen wollte, wie wir andere Menschen erkennen und beurteilen können. Ich glaube vielmehr, dass es Jesus vor allem darum geht, dass wir uns selber prüfen. Dass wir uns selber fragen: Was sagt mein Reden über mein Herz aus? Was sagt mein Tun über mein Herz und mein Leben aus?
Schon in den Psalmen erfahren wir, dass es um Selbsterkenntnis geht, wenn der Psalmdichter sagt: Durchforsche mich, Gott, sieh mir ins Herz, prüfe meine Wünsche und Gedanken. Und wenn ich in Gefahr bin, mich von dir zu entfernen, dann bring mich zurück auf den Weg zu dir.
»Denn wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.« (Lutherübersetzung)
Siegfried Eckert: »Blaulichtgebete. Die Psalmen übertragen vom Damals ins Heute«, Claudius Verlag, München 2022, 288 Seiten, 25 Euro
Im Vorwort des Hilde Domin gewidmeten Buchs beschreibt der Autor, wie er dazu gekommen ist, gerade die Psalmen ins Heute zu übertragen - nicht nur in eine heutige Sprache, sondern auch in heutige Situationen: Siegfried Eckert, 1963 in München geboren und Gemeindepfarrer in Bonn, war lange Zeit Synodalbeauftragter für den Kirchentag, litt schon jahrelang unter beruflichen Konflikten, während der Corona-Pandemie waren Freundschaften zerbrochen und als dann auch noch in dieser Zeit seine Mutter plötzlich verstarb, fühlte er sich wie einer, dem der Boden unter den Füßen weggezogen worden ist. Daher entschloss er sich zu einer Auszeit, in der er sich 40 Tage lang hinter Klostermauern in einer kleinen Pilgergemeinschaft ähnlich Niedergeschlagener von Profis mit einem ganzheitlichen Blick für Körper, Geist und Seele begleiten ließ.
In dieser Situation griff er, einer inneren Stimme folgend, zu den Psalmen, die ihn auf eine ganz besondere Art und Weise anrührten, ihn ins Herz trafen - und das, nachdem er sie schon so oft gelesen und sie mit der Gemeinde in Gottesdiensten gebetet hatte. Er fühlte sich seltsam gut verstanden, und je mehr er sich damit befasste, desto mehr empfand er die Texte ganz konkret auf sich selber bezogen. Dieses Gefühl des Verstanden- und Getröstetwerdens gab ihm seine Zuversicht zurück und veranlasste ihn, seine ganz persönliche innere Reise durch die Psalmen für andere ähnlich Betroffene aufzuschreiben.
»Die Psalmen bringen die ganze Bandbreite unseres Menschseins zur Sprache: unbändige Lebensfreude, Dankbarkeit und Gottvertrauen genauso wie Wut, Hass und Kränkungen. Sie thematisieren die verzweifelte Suche nach Auswegen aus Verstrickungen und Schuld, die Sehnsucht nach Vergebung und die drängende Frage, wer Opfern zu ihrem Recht verhilft, wenn ihr Unrecht zum Himmel schreit. Damit sind die uralten Gebete Israels ein Spiegel fast aller menschlichen Gefühlslagen, selbst wenn manche fremd, kriegerisch oder rachsüchtig klingen. Siegfried Eckert überträgt den Sinn der Psalmen in unser heutiges Erleben und schließt neue Deutungsmöglichkeiten auf. Seine poetischen Übertragungen sind eine außergewöhnliche Einladung, sich neu auf die verwandelnde Kraft der Psalmen einzulassen.« heißt es im Klappentext.
Etwa 70 Prozent der Psalmen drücken den Schmerz über Angriffe durch Feinde, Kränkung, Verletzung, Verleumdung und Unwahrheit aus, aber es geht auch um eigenes Versagen, das quält, und um Situationen, in denen Gott dem Beter fern oder gar abwesend scheint. Die übrigen 30 Prozent befassen sich mit der Schönheit der Schöpfung, dem Lob des Schöpfers und der Weisheit seiner Gebote.
Vergleicht man die Lutherübersetzung mit dem Text Eckerts, fallen schon rein äußerlich verschiedene Dinge auf: Jeder Psalm hat eine ansprechende, kurze Überschrift, die auf den Inhalt hindeutet. Beispiel Psalm 121 - »Bergretter«: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat wird zu »Liege ich am Boden, fehlt mir jegliche Perspektive, dann hebe ich meine Augen auf zu den Bergen. Denn woher sonst ist Hilfe zu erwarten? Meine Hilfe kommt von ganz oben, von dem, der Himmel und Erde erschaffen hat.« (S. 248).
Die Einleitungen der Psalmen, die auf einen bestimmten (historischen) Zusammenhang hinweisen - meist der erste Vers - fehlen gänzlich. Auch gibt es keine Zuordnung zu den Versen im Originaltext.
Am Beispiel des 18. Psalms ist zu sehen, wie sich der Text dadurch, dass er ganz individuell auf den aktuellen Beter bezogen wird, verändert. Sein Empfinden steht im Vordergrund; es ergeben sich leichte Bedeutungsverschiebungen und die deutlichen Bitten, in die Lage versetzt zu werden, den Feind zu vernichten, werden geglättet, so dass diese Stellen im Sinne der Botschaft Jesu für uns Heutige eher akzeptabel sind (18,38ff): Ich will meinen Feinden nachjagen und sie ergreifen und nicht umkehren, bis ich sie umgebracht habe. Ich will sie zerschmettern, dass sie nicht mehr aufstehen können, sie müssen unter meine Füße fallen. Du rüstest mich mit Stärke zum Streit, du wirfst unter mich, die sich gegen mich erheben. Du treibst meine Feinde in die Flucht, dass ich vernichte, die mich hassen wird zu: »Meine Zeit in deinen Händen lässt meinen Mut reifen. Die Angst vor Feinden schmilzt dahin wie der Schneemann im Frühling. Meine Wut bleibt grenzenlos. Die Pest wünsche ich ihnen an den Leib. Aber etwas sagt mir: Ich soll nicht Böses mit Bösem vergelten. Deshalb überlasse ich es dir, Gott, das Unkraut in meinem Leben auszurupfen. Nimm all die aus dem Spiel, die mir schaden, die meine Tage und Nächte vergiften. Der böse Feind soll keine Macht mehr über mich haben. Rüste mich mit Mut und Klarheit. Rüste mich mit Geistesgegenwart und Bauernschläue aus, wenn neue Schlachten zu schlagen sind, denn das Leben ist kein Zuckerschlecken. Manchmal sind Schutzräume aufzusuchen. Manchmal sind Angriffe zu starten. Manchmal ist der Feind in die Flucht zu schlagen.« (S.41).
Bei sehr bekannten Psalmtexten bleibt Eckert nahe am Original, z.B. Psalm 23: »Du bist mein Hirte und Beschützer. Du lässt mich keinen Mangel leiden. Du weidest mich auf der Hochebene des Glücks. Du führst mich zur Quelle deiner Güte. Du erfrischst meine Seele mit Sinn. Du setzt mich neu aufs Gleis, wenn ich auf Abwege geraten bin. Selbst in schwersten Zeiten muss ich kein Unglück fürchten, denn du bist an meiner Seite. Dein Wort und deine Wahrheit trösten mich.« (S. 50). Allerdings räumte er selber in einem Interview ein, dass er in seiner pastoralen Praxis dann auch eher auf den Luthertext zurückgreifen würde.
Damit wird klar, dass die »Blaulichtgebete« keine neue Übersetzung der Psalmen sein sollen, sondern ein Aufgreifen der uralten Thematik der Betroffenheit des Menschen und seines Vertrauensverhältnisses zu Gott in unserer Sprache.
Für Eckert bedeutete dieses Übertragen Heilung, Heilung auch deswegen, weil die Themen in den Psalmen immer wiederkehren. Diese wiederkehrende Auseinandersetzung hatte für ihn eine therapeutische Wirkung, vielleicht gleichbedeutend mit einem Mantra, das immer wiederholt wird und dadurch Gemüt und Geist ruhig werden lässt.
Wenn man weiß, dass die Texte nur an die Psalmen angelehnt sind und Menschen in ihrer Verletzung, ihrem Schmerz, ihrem Kummer abholen und ihnen vermitteln sollen, dass sie geliebt und in Gott geborgen sind, ihm vertrauen und getrost ihr Leben führen können, dann haben sie möglicherweise eine andere Wirkung. Dann stehen sie für sich, wie z.B. der 4. Psalm, den Eckert überschrieben hat mit »Ruhig schlafen«:
»Mein Gott, all meine Nöte lege ich dir
in deine Ohren. Sie halten mich schlaflos.
Nur du kannst mir Recht verschaffen.
Nur du weißt mich zu trösten in meinen Ängsten.
Meine es gut mit mir.
Nimm dich meiner Sorgen an.
Wie lange dürfen die anderen
noch so auf mir herumtrampeln?
Sie lieben nur sich und ihre Lebenslügen.
Wann erkennen sie, auf wessen Seite du stehst?
... Gott, lass leuchten über alle, die dich lieben,
das Licht deiner Gegenwart.
Du berührst mein Herz.
... Ich liege und schlafe wohl,
bin ganz von deinem Frieden umhüllt.
Allein du, mein himmlischer Vater, hilfst,
damit ich auf Erden sicher wohne und ruhig schlafe.«
Bleibt noch die Frage nach dem Titel - was heißt ‚Blaulichtgebet‘? Auch dies erklärt der Autor in seinem Vorwort: als Theologiestudent lernte er Mitte der Achtzigerjahre die jüdische Lyrikerin Hilde Domin kennen. Sie empfand ihre Gedichte wie unter Schmerzen geboren - und wenn sie sich in ihr zu Wort meldeten, beanspruchten sie die Vorfahrt vor allem anderen, wie ein Krankenwagen, der mit Blaulicht zur Entbindung rast.
Der Terror der Nazis verbot ihr, Kinder zu bekommen. Sie erzählte dem Autor, dass sie deswegen immer eine Zyankali-Kapsel bei sich getragen habe. »Da konnte ich doch keine Kinder bekommen.« Das Vorwort schließt mit dem Satz: »In dankbarer Erinnerung an sie ist dieses Buch entstanden, auch weil jeder Psalm ein gedichtetes Gebet ihres Volkes ist.«
Unter diesem Motto steht die Fastenaktion der evangelischen Kirche „7 Wochen Ohne“ in diesem Jahr. Sie beginnt am Aschermittwoch (22. Februar) und dauert bis zum Ostersonntag (9. April). Der Eröffnungsgottesdienst am 26. Februar in Oldenburg wird vom ZDF übertragen.
Die 1983 ins Leben gerufene Aktion will erneut die traditionelle Fastenzeit, in der viele Menschen auf Fleisch, Tabak und Alkohol verzichten, um eine spirituelle Komponente erweitern, denn es geht ja nur am Rande um Diät und Heilfasten. Vielmehr sollen andere Schwerpunkte der inneren Entschlackung betont werden, die mehr mit Umkehr und Besinnung zu tun haben. Oder um den Abschied von liebgewordenen Gewohnheiten, wenn auch vielleicht nur vorübergehend, zum Beispiel vom Fernsehkonsum oder von Computerspielen, oder von anderen Verhaltensmustern wie der ständigen Erreichbarkeit durch das Smartphone. Wie wäre es also, probehalber etwas anders zu machen als sonst - auch wenn es schwer fällt - und eine Weile das zu vermeiden, womit wir sonst viel Zeit verschwenden? Haben wir nicht unser Herz an vieles gehängt, was uns behindert und beschwert? Stattdessen könnten wir vielleicht alte Freundschaften wieder beleben und Mitgefühl für das Schicksal anderer zeigen. Dann bedeutet Fasten nicht nur Abstand von Kalorien, Konsum und Komfort, sondern auch von Kaltherzigkeit. Diese Art von Fasten passt nicht nur zur vorösterlichen Fastenzeit, sondern kann jederzeit eingeübt werden.
Die Initiatoren der Fastenaktion wissen, dass es in diesen Zeiten alles andere als leicht ist, den Mut zu behalten und Hoffnung zu wecken. Aber gerade darum soll es diesmal gehen: Die Aktion will zum „Leuchten“ anregen, natürlich im übertragenen Sinne, also dazu, die eigene Niedergeschlagenheit zu überwinden und andere aus ihrer Verzweiflung und Dunkelheit herauszuholen. Das beinhaltet auch, sich über eigene Ängste klar zu werden und Kraftquellen, die verschüttet sind, zu entdecken und wiederzubeleben. Die Zeitschrift chrismon bietet übrigens vielfältiges Material zur Fastenaktion, u.a. ein Begleitbuch, das mit Bibeltexten, Zitaten, Bildern und Geschichten aus dem Leben Denkanstöße liefern will.
Am 22. Januar 2023 ist Sally Azar in Jerusalem feierlich zur Pastorin geweiht worden. Sie ist damit die erste arabische Frau, die von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land (ELCJHL) ordiniert und in den Pfarrdienst aufgenommen wurde. Sally Azar ist übrigens die Tochter des derzeitigen Bischofs Sani Ibrahim Azar; sie hat in Deutschland Theologie studiert und ist nun nach dem Vikariat und ihrem Zweiten Theologischen Examen in Berlin zurückgekehrt.
Über ihren Weg ins Pfarramt sagt Sally Azar: »Im Laufe der Jahre habe ich meine Berufung erkannt, Pfarrerin zu werden, in meine Heimat zurückzukehren und in der ELCJHL zu dienen ... Es ist wunderbar, dass endlich eine Pfarrerin in Palästina ordiniert wird. Ohne Zweifel gibt es viele Herausforderungen, insbesondere hinsichtlich der Gleichberechtigung. Sicherlich wird es viele geben, die das ablehnen. Durch meine Ordination zur Pfarrerin gehen wir aber einen Schritt vorwärts und zeigen, dass Frauen gleiche Rechte haben. Hoffentlich wird sich durch meine Ordination und meinen Dienst etwas ändern.«
Der Ordinationsgottesdienst wurde übrigens im Internet übertragen und kann auf YouTube angeschaut werden.
Der Ukrainekrieg und der Lieferstopp für russisches Erdgas und Erdöl haben unsere Abhängigkeit von fossilen Energien mit einem Schlag deutlich gemacht. Auch die Corona-Pandemie sowie die Unterbrechung globaler Lieferketten machen die Verletzlichkeit unserer Volkswirtschaft bewusst. Die Politik bemüht sich daher intensiv, neue Rohstoffquellen zu erschließen (z.B. zuletzt Lithium-Vorkommen in Südamerika). Die damit verbundenen Umwelt- und Menschenrechtsrisiken drohen dabei ins Hintertreffen zu geraten.
Deutschland gehört zu den fünf größten Rohstoffverbrauchern weltweit. Der Bedarf gerade an Metallen und seltenen Erden nimmt zu, vor allem wegen der »Elektrifizierung« vieler Lebensbereiche (z.B. E-Mobilität). Experten schätzen, dass der Verbrauch von Kupfer in den nächsten 30 Jahren um 50 Prozent, von Kobalt um 400 Prozent und von Lithium sogar um 2.100 Prozent zunehmen wird. Fast alle bergbaulich gewonnenen Metalle werden im Ausland, häufig in Ländern des globalen Südens abgebaut. 2020 importierte Deutschland insgesamt 75,5 Millionen Tonnen Metalle. Metalle werden für die »Dekarbonisierung« und den Umstieg auf eine CO2-reduzierte Wirtschaft immer wichtiger. Ausgeblendet werden aber oft die Belastungen für die Herkunftsländer, auch durch den Bergbau selbst, zumal global 75 Prozent im offenen Tagebau stattfinden. So soll allein in Brasilien der Bergbau zwischen 2005 und 2015 für rund 10 Prozent des gerodeten Regenwalds verantwortlich gewesen sein. Fachleute schätzen, dass Bergbau und die ersten Stufen der Weiterverarbeitung für bis zu 15 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich sind. Angesichts der hohen Bedarfsprognosen drohen weitere Umweltzerstörungen und negative Klimafolgen, auch für die Lebensräume indigener Völker.
Die deutsche Rohstoffpolitik sollte daher grundsätzlich neu am Prinzip der Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Hier kann das neue Lieferkettengesetz helfen, das aber noch sukzessive nachzuschärfen ist, zum Beispiel durch eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen, eine erleichterte Beweislast und Klagemöglichkeiten für Betroffene; noch besser wäre ein einheitliches Lieferkettengesetz auf EU-Ebene.
Unabhängig davon muss aber auch der Rohstoffverbrauch selbst auf ein international gerechtes Maß reduziert werden. Die globalen Wachstumsprognosen sind mit den aktuellen Klimazielen jedenfalls nicht vereinbar. Um diese zu erreichen, müsste schon ab dem Jahr 2030 der Bergbau und die Weiterverarbeitung von Primärrohstoffen erheblich verringert werden. Die Reduktion des Primärrohstoffverbrauchs steht als Ziel zwar auch im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Ob dies angesichts der angestrebten Energie- und Mobilitätswende, für die eher mehr Metalle (wie etwa Kupfer, Kobalt und Lithium) benötigt werden, realistisch ist, bleibt abzuwarten.