In diesem Jahr begingen wir den 164. Jahrestag der Gründung der Tempelgesellschaft mit besonderen Besuchern: Annette Wagner-Hesse aus Australien war auf Deutschlandreise und hatte von Anfang an ihren Besuch in Degerloch eingeplant. Auch Anja und Kris Boedecker aus Texas waren wie in den letzten Jahren zu Besuch.
Zu unserer Freude hatte Annette auch den Saal übernommen und begrüßte nach einer festlichen Eingangsmusik (Konzert in D-Moll für zwei Violinen von J.S. Bach), gespielt von zwei Violine-Schülerinnen (Maja Friedrich und Esther Baur) von Irina Hornung-Feucht, begleitet von Rumi Hornung am Flügel, alle Anwesenden mit Grüßen aus Australien. Sie erzählte, dass die TSA mittlerweile auch jeden Gottesdienst mit der Anerkennung der Stammvölker Australiens beginnt, z.B.: Wir würdigen das Stammvolk Australiens und die Inselbewohner der Torres Strait als die traditionellen Hüter des Landes. Wir respektieren ihre dauerhafte und kontinuierliche Verbindung zu Land, Meer, Himmel und Gemeinschaft. Nun tragen wir alle die Verantwortung, das Land für die Zukunft zu erhalten und zu pflegen.
In diesem Sinne würdigte sie als Besucherin auch alle Mitglieder und Ältesten der Tempelgesellschaft und meinte: „was sie in diesen Räumlichkeiten zur Erhaltung und zum Wohle unserer Gemeinde geleistet haben, sollte uns alle ermutigen, auch weiterhin die Verantwortung für den Bau an dem lebendigen Tempel Gottes auf Erden wahrzunehmen“. Diese Anerkennung und Würdigung helfe dazu, durch das Bewusstsein vom Vergangenen gemeinsam in die Zukunft schauen zu können. Dazu zitierte sie aus „Four Quartets“ von T.S. Eliot den Gedanken: Time present and time past are both perhaps present in time future, and time future contained in time past (Die Gegenwart und die Vergangenheit sind vielleicht beide in der Zukunft gegenwärtig, und die Zukunft ist in der Vergangenheit enthalten) und wandte sich damit dem Gedenken an die Tempelgründung vor 164 Jahren zu.
Sie stellte die Zeit der Gründer in den Zusammenhang ihrer Zeitgenossen, wie z.B. Goethe, Beethoven und Napoleon, erinnerte an Literatur, die zu jener Zeit entstand, und vergegenwärtigte politische Ereignisse. Das Leben ohne die heutigen Verkehrsmittel bedeutete lange Strecken zu Fuß zurückzulegen, anschaulich gemacht durch die Vorstellung von Annette, dass der Weg von ihrem Wohnort Bentleigh zur Gemeinde Bayswater und zurück dem Weg entspricht, den Hoffmann von Tübingen nach Korntal zurücklegte - und das öfter!
Annette zeichnete die Jugendjahre Christoph Hoffmanns nach und seine weitere Entwicklung bis zur Grundsteinlegung des Gemeindehauses auf dem Kirschenhardthof und der Gründung des „Deutschen Tempels“, an das an diesem Tag erinnert wurde. Dass sich die Gemeinschaft zahlenmäßig nicht so entwickelt habe, wie von den Gründern erhofft, liege auf der Hand. Aber sie existiert noch, ist ebenso wie die Gesellschaft sprachlich, kulturell und geistig zunehmend divers geworden, so dass sie sich daran anpassen und neue Wege suchen muss, um ihren Glauben zu leben. Besonders in dem viel weniger religiösen Umfeld in Australien müsse das über sehr praktische Wege und Aktionen gehen, wenn man jüngere Menschen erreichen wolle. Als Beispiele nannte sie den „Community Garden“ bei der Chapel in Bayswater, einen Gemeinschaftsgarten mit etlichen Aktivitäten, oder die CHAMPION-Initiative, die durch Lebensmittelhilfe und Beratung sozial benachteiligter Menschen das Wirken der TSA für die australische Gesellschaft relevant machen will.
Neue Wege werden auch durch neue digitale Angebote beschritten, die einerseits die persönliche Teilnahme reduzieren, andererseits aber sehr viel mehr Menschen die Möglichkeit geben, an Veranstaltungen teilzunehmen, ohne die üblichen Wege auf sich nehmen zu müssen.
Zum Abschluss zitierte Annette die britische Autorin Rumer Godden, die den Menschen mit einem Haus mit vier Räumen vergleicht: einem physischen, einem mentalen, einem emotionalen und einem spirituellen. Die meisten Menschen würden vorwiegend in einem dieser Räume leben, aber nur, wenn wir jeden Tag alle vier Räume betreten würden, wären wir vollständige Menschen. So forderte sie uns auf, diese vier Räume, wenn möglich, täglich zu besuchen.
Im Anschluss zeigte Annette Bilder, die ihre Ansprache untermalten und vor allem Veranstaltungen in den australischen Gemeinden zeigten.
Trotz der Wärme begaben wir uns zum Mittagessen in den Klubraum an eine lange Tafel. Kerstin Lange hatte es mit einer ‚fleischlichen‘ und einer vegetarischen Lasagne sehr lecker, perfekt und reichlich vorbereitet. Trotzdem wurde auch dem traditionellen Nachtisch noch gut zugesprochen.
Inzwischen war Dr. Jakob Eisler eingetroffen - erst seit Mittwochabend wieder zurück von abenteuerlichem Aufenthalt und ebensolcher Rückreise aus dem Kriegsgebiet Israel. Er hatte ein weiteres Mal den Tübinger Landrat Joachim Walter, dessen Frau und den Kreisarchivar Prof. Dr. Wolfgang Sannwald begleitet, weil noch Verträge zur Landkreispartnerschaft Tübingen/Hof HaCarmel zur Unterschrift anstanden. Davon berichtete er auch noch im Anschluss an das Mittagessen (siehe auch den Beitrag in der Warte), bevor er zu seinem eigentlichen Vortrag über „Neue Funde aus dem Archiv in Möhringen und aus Israel“ überging. Hierbei erfuhren wir einiges Neue, besonders über neue Nachweise von der Bautätigkeit Theodor Sandels.
Mit Kaffee und Kuchen ging ein erfüllender Tag in harmonischer Gemeinschaft zu Ende. All den Helfern, die für Essen, Nachtisch, Kuchen und Wieder-Aufräumen gesorgt haben, ein ganz herzliches Dankeschön!