Die Warte des Tempels
Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 172/5 - Mai 2016

 

 

Vom Ernst der Nachfolge - Teil 1 - Brigitte Hoffmann

Die Frage nach der kaiserlichen Steuer - Wolfgang Blaich

Templer und Orgeln - Stephen Blaich

Aktualitäten aus der Archivarbeit - Peter Lange

Die Integrationsverweigerer von Pennsylvania - Annette Weber

Vom Ernst der Nachfolge - Teil 1

Lukas 9, 57-62 (und fast gleich bei Matthäus 8, 19-22)

Dieser Text hat mich, als ich ihm zum ersten Mal las, zutiefst erschreckt und dann immer wie­der irritiert. Er erschien mir als ein geballter Ausdruck von Unbarmherzigkeit und stand damit in direktem Gegensatz zur Haltung Jesu, der Barmherzigkeit gelehrt und gelebt hat. Kann diese Textstelle überhaupt ein echtes Jesuszeugnis sein?

Sie steht fast gleich bei Matthäus und Lukas; Markus und Johannes haben sie nicht. Das (und einige andere stilistische Merkmale) macht es fast sicher, dass sie auf die die sog. Rede- oder Logienquelle zurückgeht, die beide, Matthäus und Lukas, als Quelle benutzt haben. Das ist eine Sammlung von Jesusworten, die mündlich in den entstehenden Gemeinden im Umlauf waren, aus der Zeit zwischen Jesu Tod und der Mitte der 80er Jahre, als es noch keine schriftlichen Unterlagen des neuen Glaubens gab. Niemand hatte, wie einst bei den Prophe­ten, hinterher aufgeschrieben, was Jesus gesagt hatte - wahrscheinlich waren die meisten seiner Zuhörer Analphabeten. Die überlieferten Worte stammen von Wanderpredigern, die in einem ganz konkreten Sinn die Nachfolge Jesu antraten: sie zogen wie er durch die Dörfer und kleinen Städte Galiläas, um den Menschen die Botschaft vom Gottesreich zu bringen. Im folgenden zehnten Kapitel hält Lukas die Anweisungen Jesu für 72 auszusendende »Jünger« fest (der Begriff »Jünger« war also noch nicht auf die Zwölf reduziert): sie sollten nichts mitnehmen (»keine Schuhe und kein Geld«), in die Häuser gehen und mit den Leuten reden und von dem leben, was diejenigen, die sie aufnahmen, ihnen vorsetzten - sie sollten demon­strieren, dass ein nur auf Gottvertrauen gegründetes Leben möglich ist. Auch aus diesem Grund waren solche Wanderprediger näher am historischen Jesus als die nur wenig späteren synoptischen Evangelien.

Mit anderer Worten: die Redequelle Q ist die älteste und ursprünglichste christliche Schrift (natürlich sind die echten Paulusbriefe älter und sie liegen uns im Wortlaut vor; aber Paulus hat Jesus nicht gekannt und sich für sein Leben nicht interessiert). Aber diese »christliche Schrift« ist fragwürdig. Erstens ist sie uns als zusammenhängende Schrift nicht erhalten. Wir können sie nur rekonstruieren aus dem, was Matthäus und Lukas daraus zitieren, sie spiegelt also das, was diese beiden aus der Sammlung von einzelnen Sprüchen ausgewählt und in ihrem Sinne gedeutet haben. Sammlung und Niederschrift erfolgten wohl in der zweiten Hälfte der genannten Periode, also 40 oder mehr Jahre nach Jesu Tod. Und in 40 Jahren mündlicher Überlieferung können auch einzelne Sprüche sich verändern, können andere, vor Ort schon vorhandene Traditionen mit einfließen. Das erklärt, dass es durchaus Widersprüche gibt zwi­schen verschiedenen Sprüchen - manche gehören viel eher in die Gedankenwelt der Gnosis als in diejenige Jesu.

Es erklärt auch: die Redequelle ist nicht »christlich« im heutigen Sinn. Vieles, was später wichtig wurde, kommt gar nicht vor, es gibt keine Osterbotschaft und keine Christologie, keine Messias-Diskussion. Die sich allmählich entwickelnden kleinen Gruppen von Jesus-Anhängern waren in vielem unterschiedlich, aber in einem gleich: sie sahen sich nicht als Verkünder einer neuen Religion, sondern, wie Jesus selbst, ganz selbstverständlich als Juden. Wenn von »der Schrift« die Rede ist, ist die Thora gemeint, das Gesetz, und es geht, wie bei Jesus, nicht darum, das Gesetz abzuschaffen, sondern es anders auszulegen.

So bietet die Redequelle, auf der unser Text basiert, einen wichtigen Einblick in die An­fangszeit des Christentums. Aber gleichzeitig muss man festhalten: auch sie ist kein zuver­lässiges Zeugnis für den historischen Jesus. Auch hier müssen wir fragen: was ist plausibel, was nicht? Und: welche - bewusste oder unbewusste - Absicht steht möglicherweise dahinter?

Damit komme ich zum Text - was sagt er? Es geht um die Nachfolge, und zwar in einem doppelten Sinn, in dem ganz banalen: wie wurde man Jesus-Jünger? Und in dem grund­sätzlichen: was ist von denen gefordert, die es wurden oder werden wollten?

Zuerst zur konkreten Bedeutung. Es ist nur an einigen wenigen Stellen der Evangelien von der Gewinnung von Jüngern die Rede, und sie verläuft nach demselben Schema: Jesus geht auf einen Mann oder auf eine Gruppe zu und sagt zu dem einen oder zu einigen (nie allen) aus der Gruppe: Folge mir nach! Und die Angesprochenen lassen alles stehen und liegen und kommen mit.

Das ist extrem unwahrscheinlich, aber für die Evangelisten offenbar so selbstverständlich, dass es keiner Erklärung bedurfte. Es war Ausdruck des göttlichen Wirkens in und durch Jesus. Gott hatte die Betreffenden zu Jüngern bestimmt, Jesus erkannte das auf Anhieb und berief sie, und sie folgten dieser Berufung. Es konnte gar nicht anders sein. Das ist die Sicht der Evangelisten, und wir folgen ihnen unbewusst, wenn wir von diesen Vorgängen immer als von der Berufung der Jünger sprechen.

Dem gegenüber ist unser Text sehr viel näher an einer auch für uns plausiblen Realität. Jesus ist mit einigen Jüngern auf dem Weg von einem Dorf zu einem andern, offenbar waren noch einige andere Männer um den Weg. Einer von ihnen sagt zu Jesus, dass er mit ihm gehen wolle, und Jesus antwortet ihm: »Die Füchse haben Gruben, ...« Das ist keine gute Werbung, aber es ist ehrlich: der Mann soll wissen, worauf er sich einlässt: auf ein entbeh­rungs­reiches, unbehaustes und ungesichertes Wanderleben. Vielleicht war das als Prüfung gedacht, und es hat so gewirkt. Dass wir weiter nichts mehr von dem Mann erfahren, heißt sicher, dass er nun nicht mehr zum Mitgehen bereit war.

Dann folgt eine Berufung nach dem üblichen Schema. Jesus sagt zu einem andern: »Folge mir nach«. Der ist auch durchaus bereit, bittet aber, zuerst noch seinen Vater begraben zu dürfen. Er wird abgewiesen. Trotzdem meldet sich noch ein dritter zum Mitgehen, bittet aber zugleich, sich zuerst noch von seinen Hausgenossen - Familie, Mitarbeiter, Knechte - verab­schieden zu dürfen. Auch er wird abgewiesen.

Das sind drei »Berufungen«, die zu nichts führten. Und zwei davon gingen von den Betreffenden selbst aus. Das ist natürlich nicht repräsentativ im Sinn heutiger Umfragen. Und es ist nicht das, was die Evangelisten zeigen wollten. Aber es lässt, sicher unbeabsichtigt, erkennen, dass die angeblichen Berufungen auch ganz anders ablaufen konnten, als sie sich das vorstellten; dass manche - viele? - kamen, weil sie tief beeindruckt waren von Jesu Heilungen und sonstigen Wundertaten, oder so überzeugt von seiner Verkündigung des nahen Gottesreichs, dass sie sich nun diesem charismatischen Prediger anschließen wollten, um an dem Gottesreich teilzuhaben.

Die Evangelisten interessierten sich nicht für diese Mitläufer, Ihnen ging es um die Bedeutung, den »Ernst« der Nachfolge. Die wird aus den Antworten Jesu deutlich. Ob er sie wirklich so gesagt hat, wissen wir nicht. Aber es könnte sein.

Zu dem, der erst noch seinen Vater beerdigen wollte, sagt er »Lass die Toten ihre Toten begraben. Du aber gehe hin und verkündige das Reich Gottes.« Das zu einem Trauernden zu sagen, bedeutet auch für uns eine kaum erträgliche Schnoddrigkeit. Ordnet man den Text ein in den historischen Kontext der damaligen jüdischen Gesellschaft und ihres Wertekanons, so wird die Provokation noch größer.

Den Vater zu begraben und Kaddisch, das Totengebet, für ihn zu sprechen, war nicht nur ehrwürdige Tradition, es war für den ältesten Sohn eine religiöse Pflicht. Es nicht zu tun, war ein Verstoß gegen das Gebot: Ehre Vater und Mutter. Deutlicher, aber auch verletzender konnte man nicht sagen, was Nachfolge bedeutet: die Verkündigung des Gottesreichs hat absolute Priorität, alles andere ist dem gegenüber unwesentlich.

Nicht ganz so krass, aber im Prinzip ganz gleich ist Jesu Haltung gegenüber dem Mann, der sich zuerst noch von seiner Familie verabschieden wollte: dass er das wollte, disqualifiziert ihn (vielleicht sollte man dabei denken, dass in orientalischen Ländern auch heute noch ein solches Abschiedsfest einige Tage dauern kann). Aber auch das ändert nur wenig daran, dass die rigorose Ablehnung uns wenig menschenfreundlich erscheint. Sich verabschieden von Menschen, mit denen man ein Leben lang eng zusammen gelebt hat, ehe man sie für immer verlässt, ist nicht nur ein urmenschliches Bedürfnis, es ist auch ein Zeichen von Verbunden­heit, von Achtung für den Anderen und seine Gefühle. Ist das nicht auch ein Teil der Nächsten­liebe?

Es gibt bei allen drei Synoptikern eine Berufungsgeschichte, die wir meist nicht als solche lesen, die aber für dieses Thema wichtig ist: die vom reichen Jüngling.

Brigitte Hoffmann

 

Saalansprache vom 25.10.2015 - Fortsetzung in der nächsten Ausgabe

BIBELWORTE - KURZ BETRACHTET

Die Frage nach der kaiserlichen Steuer

Markus 12, 13-17

Mit heuchlerischen Worten treten die Pharisäer und Herodianer an Jesus heran, um ihn mit der Frage nach der Kaisersteuer zu überführen. Jesus erkennt ihre Heuchelei und lässt daraufhin einen Silbergroschen bringen und dessen Aufschrift und Abbild nennen. Daraufhin sagt Jesus: «So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.«

Der Gesprächsverlauf zwischen Jesus und den Fragenden ist für den Leser sehr gut nachvollziehbar. Doch wie die Pharisäer und die Herodianer muss sich auch der Leser am Ende des Textes über die Antwort wundern. Denn Jesus antwortet nicht direkt auf die Frage, ob die Steuer an den Kaiser entrichtet werden soll oder nicht, sondern verweist mit seiner Antwort auf etwas Grundsätzliches.

Der Wortwechsel zwischen Jesus und den Fragenden allein schon ist interessant: die Fragenden werden zu Befragten und Jesus, der Befragte, wird zum Fragenden. Sie versuchen Jesus zu schmeicheln, um ihn in eine Falle zu locken. Bemerkenswert in diesem Text ist, dass die Vollmacht, die ihm zuvor nicht zuerkannt wurde, ihm jetzt hier zugesprochen wird, wenn auch nur zum Schein. Ihre Frage zielt darauf hin, ob es in Gottes Sinne ist, die Steuer zu zahlen oder nicht. Denn nach der damaligen Auffassung der Israeliten ist das Land Eigentum Jahwes, das nur von Israeliten genutzt werden darf, so dass das Entrichten einer Grundsteuer an fremde Herrscher damit einhergehend verboten ist. Sie stellte daher, für die meisten in der Bevölkerung, einen Verstoß gegen ihren Glauben dar. Würde sich Jesus dafür aussprechen, würde er der israelitischen Mehrheit missfallen. Spräche sich Jesus dagegen aus, könnte er beim Statthalter angezeigt werden, da die Römer gegenüber den Rebellen sehr empfindlich reagieren.

Jesus lässt sich mit seiner Antwort nicht fangen. Er wird durch seine Antwort nicht angreifbar. Aber er macht damit den Unterschied zwischen dem Kaiser und Gott deutlich und steht somit dafür, dass der römische Kaiser nicht göttlich ist. Jesus lehrt damit wahrheitsgemäß den Weg Gottes, der hier vor allem den Anspruch des Kaisers begrenzt. Das will heißen, dass die kaiserliche Steuer und Autorität, obwohl sie anerkannt wird, immer von der göttlichen Autorität begrenzt ist. »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.« Diese Antwort lässt erkennen, dass es um Grundsätzliches geht, um die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von göttlicher und menschlicher Macht.

Wolfgang Blaich

Templer und Orgeln

Ludwigsburger Salon

Bekanntermaßen spielt der sogenannte Salon bei Ludwigsburg eine wichtige Rolle in der Geschichte der Templer. Zu Zeiten Herzog Eberhard Ludwigs mit einem parkartigen Wald bepflanzt und durch die Königsallee mit dem Ludwigsburger Schlossgarten verbunden, wurde die Aufforstung an der Stelle rasch vorangetrieben, an der der Salonwald entstehen sollte.

Um 1750 baute Herzog Karl auf dieser Anhöhe zwei als »Salons« bezeichnete Gebäude für Festlichkeiten. 1837 übernahm die Familie Paulus aus Korntal das Anwesen. Die Familie hatte schon zwei Jahre lang eine von Beate Paulus gegründete Bildungsanstalt in Korntal betrieben, wo sie die Institution aber nicht erweitern konnte. Von 1837 bis 1879 war die Wissenschaftliche Bildungsanstalt am Salon in Betrieb. Nach Beate Paulus’ Tod im Jahr 1842 führten deren Söhne Philipp und Wilhelm Paulus die Anstalt weiter, auch Beate Paulus’ Schwiegersohn und Templergründer Christoph Hoffmann unterrichtete dort.

In der Institution, die auch von Knaben aus weit entlegenen Gegenden wie Südafrika und Russland besucht wurde, wurde einer christlichen Erziehung höchster Wert beigemessen. Die Knaben wurden nicht klassenweise unterrichtet, sondern in Kursen, die nach Leistung zusam­mengestellt wurden. Alljährlich wurden Prüfungen vor einer Staatskommission abgelegt. Die Lehrkräfte wurden nach Möglichkeit aus der Familie Paulus rekrutiert: Der Direktor Philipp Paulus etwa unterrichtete Philosophie und Hebräisch, Christoph Paulus unter anderem Fran­zösisch und Naturwissenschaften. 1844 gab es an der Anstalt zwölf Lehrer und 90 Schüler.

Orgelbauer Eberhard Friedrich Walcker

Unweit des Salons, etwa auf der Höhe des Ludwigsburger Schlosses beim Marstall-Center, bezog Eberhard Friedrich Walcker 1820 seine Werkstätte für Orgelbau. Eberhard Friedrich wurde als Sohn des Orgelbauers Johann Eberhard Walcker, der 1780 in Cannstatt seine Werkstatt begründet hatte, geboren. Trotz seines guten Rufs und handwerklichen Geschicks war es für Johann Eberhard Walcker schwer, genügend Aufträge zu erhalten, da durch die Sä­kularisierung und die napoleonischen Kriege Klöster aufgelöst wurden und Kirchengemeinden zwar reparaturbedürftige Orgeln, aber keine Geldmittel zur Verfügung hatten.

So geschah Eberhard Friedrich Walckers Schritt in die Selbstständigkeit gegen den aus­drücklichen Rat der Mutter, aber mit großer Unterstützung des Vaters. Die erste von Eberhard Friedrich Walcker erbaute Orgel für die Gemeinde in Kochersteinsfeld (heute in der Ordenska­pelle des Ludwigsburger Schlosses erhalten) erwies sich auch als gute Visitenkarte für den jungen Meister.

Es folgte bald der erste große Auftrag, nämlich der Orgelneubau für die Pauluskirche in Frankfurt am Main. Der jahrzehntelange Prozess einer neuen Definition des Orgelklangs fand damit durch Walcker zu seiner bis zum Ende der Epoche gültigen Klanglichkeit. Die nach der klanglichen Prägung der Romantik wichtigste Neuerung Walckers war die Einführung und Verbreitung eines neuen technischen Systems für die Tonsteuerung, der sogenannten Kegel­lade.

In diesem Zusammenhang kommt der Walcker-Orgel für den Ludwigsburger Salon eine be­sondere Bedeutung zu.

Walcker-Orgel für den Salon

Wer den Auftrag für den Orgelneubau gab, ist nicht bekannt, der Eintrag im Walckerschen Opusbuch vom 1. November 1841 lässt eine Beauftragung durch einen oder beide Gebr. Paulus vermuten:

»Rechnung des Orgelbauers E. F. Walcker über [die] Fertigung einer neuen Orgel von 6 Reg.[istern] Für die wissen­schaftliche Bildungs Anstalt der Hl. [Hochlöblichen] Gebr. Paulus auf dem Salon b[ei] Ludwigsburg«. 1840 bestellt und ausgeliefert besaß das als opus 38 eingetragene Instrument fünf klingende Stimmen (Registern), verteilt auf einem Manual (Klaviatur) und Pedal.

Es ist mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass dieses kleine Instrument - Walcker baute in unmittelbarer zeitlicher Umgebung große Werke, darunter 1839 eine neue Orgel für die Stiftskirche Stuttgart - eine Art Versuchsorgel darstellte.

Getrieben von der Unzufriedenheit mit den herkömmlichen technischen Gegebenheiten im Orgelbau und auf der dringenden Suche nach einem System, das auch unter klimatisch schwierigen Bedingungen funktioniert - Walcker hatte bereits vor 1840 schlechte Erfahrungen mit Orgelneubauten in Regionen mit nordisch-feuchtem Klima wie z.B. in St. Petersburg gemacht - experimentierte er beim Instru­ment für den Salon mit neuen Lösungen für dieses Problem.

In direkter Nähe zur Werkstatt konnten dabei »Kinderkrankheiten« des neuen Systems leicht und unkompliziert behoben werden. Dass dies notwendig war, berichtet Orgelbauer F. H. Lütkemüller aus Wittstock, welcher damals bei Walcker Prokura hatte, 1879 in der Orgelbauzeitung darüber: »Der Unterzeichner war in den Jahren 1837-1843 bei E. F. Walcker in Ludwigsburg und hat die sogenannte Erfindungsperiode der Kegellade durchgemacht. Da sich indessen diese neue Konstruktion nicht als haltbar erwies, wurde ich von Herrn Walcker beauftragt, Verbesserungen durchzuführen, was ich eigenhändig ausgeführt.« Die neuerwor­benen Kenntnisse und Erfahrungen am Instrument auf dem Salon verhalfen dieser Neuerung und damit der Orgelbaufirma Walcker ab etwa 1845 zur vorherrschenden Stellung im deutschen Orgelbau, welche bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs anhielt.

Dass Walcker den Auftraggebern vom Salon im Gegenzug entgegenkam, lässt sich an weiteren Einträgen im Walckerschen Opusbuch nachlesen. Trotz ursprünglich errechneter Gesamtkosten von 507 f 38 schreibt Walcker: »Aus besondrer Rücksicht für die Anstalt be­rechnen [wir] hiermit nur die runde Summe von 500 f«.

Ob diese dann noch jemals in Gänze bezahlt wurde, ist nicht bekannt, im Opusbuch sind lediglich zwei Zahlungen vermerkt, die nicht die gesamte Summe belegen.

Im Jahre 1858 wurde die Orgel in öffentlichen Blättern zum Kauf ausgeschrieben, da sie auf dem Salon entbehrlich geworden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bildungsanstalt mit nur einem Schüler ihren Tiefpunkt erreicht, Zwas sich erst mit Wilhelm Paulus als neuem Leiter 1859 verbesserte. Walcker-Orgel für den SalonVielleicht sollte der Verkauf der Orgel die wirtschaftliche Situation lindern.

um Ende des Jahres 1858 erwarb die Kirchen­gemeinde Adolzhausen die Orgel für die Kirche in ihrer Teilgemeinde Herbsthausen. Wer den Verkauf in die Wege leitete und wer den Erlös erhielt, ist un­bekannt.

Dort war das Instrument seit ca. 1955 außer Ge­brauch und ab etwa 1986 unspielbar. Eine Restau­rierung wurde aber erst 1990 durch die Orgelbau­firma Rensch aus Lauffen am Neckar durchgeführt (während dieser Maßnahme entstand das Bild).

Seither legt das Instrument vom Salon am neuen Aufstellungsort in Herbsthausen, heute einem Teil­ort von Bad Mergentheim, wieder ein gutes Zeugnis für die hohe Kunst seines Erbauers in dessen früher Phase ab.

Walcker-Orgel der Templergemeinde Jerusalem

Die einzige Orgel, von der bekannt ist, dass sie von den Templern für eigene Gemeinde­belange bestellt wurde, ist im Jahre 1899 für das Gemeindehaus der Jerusalemer Templer­kolonie angeschafft worden.

Gemeindesaal JerusalemIn der Ausgabe der »Warte« vom Juni 1899 ist unter der Rubrik »Orientpost, Jerusalem, den 31. Mai 1899« vom hohen Stellenwert des Gesangs und der Musik für die Templergemeinden und die damit verbundene Pflege der Heimatverbundenheit durch bekannte Melodien und Lieder die Rede. Herausgehoben werden die zahlreichen Jerusale­mer Musikgruppen wie Männerchor, Blechmusik­verein, gemischter Chor sowie den Orchesterverein von Sarona, um die blühende Musikpflege zu bele­gen. In diesem Zusammenhang wird von der An­schaffung der Orgel »aus der rühmlich bekannten Fabrik der Gebrüder Walcker in Ludwigsburg« berichtet, die »gestern [30. Mai 1899] gut erhalten hier ankam und jetzt auf der vor einigen Jahren errichteten Empore aufgestellt wird.«

Das Instrument besitzt 7 klingende Stimmen (Register) auf zwei Manualen und Pedal. Im Walckerverzeichnis wird sie als op. 846 aufgelistet.

Nachdem die letzten Templer die Siedlung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg verlassen mussten, wurden nach 1948 Flüchtlinge auch im ehemaligen Gemeindesaal unter­gebracht, Walcker-Orgel der Templergemeinde Jerusalemworauf wohl einige Beschädigungen und Plünderungen der Orgel zurückzuführen sind.

Später wurde der Saal von den Israelis der arme­nischen Gemeinde für ihre Gottesdienste überge­ben.

Orgelbaumeister Rainer Nass, der 1997 die Ge­legenheit hatte, das Instrument zu besichtigen, berichtet, dass außer dem Orgelgehäuse und Res­ten des Spieltisches (siehe Foto) noch die Windlade und einige große Holzpfeifen (höchstens ein Dut­zend) vorhanden gewesen seien.

Auch die Balganlage war noch vorhanden.

Die im Gehäuse in der Front sichtbaren Pfeifen fehlen, das Gehäuse ist mit Stoff verspannt. Die Zusammenstellung der Klangfarben entspricht dem aktuellen Stand der damaligen Technik und Klanglichkeit, die Windversorgung konnte ursprünglich wohl nur per pedes gewährleistet werden, der elektrische Ventilator zur Windversorgung stammte sicher aus späterer Zeit.

Im Zuge der Besichtigung des Gemeindesaals und der Orgel durch die Teilnehmer der kürzlich durchgeführten Israelreise durch die Tempelgesellschaft wurden von der armenischen Gemeinde Bestrebungen geäußert, den Gemeindesaal und evtl. auch die Orgel zu renovieren bzw. in funktionstüchtigen Zustand zu bringen. Man darf also gespannt sein auf das weitere Schicksal der Orgel.

Stephen Blaich

Aktualitäten aus der Archivarbeit

Kitcheners Sonnenuhr

Unerwartet für uns hat sich jetzt herausgestellt, was der Anstoß für den berühmten Baumeister und Archäologen der Tempelkolonie Haifa, Gottlieb Schumacher, gewesen war, sich an den Ausgrabungen im Tell al-Mutesellim (Megiddo) im Norden Palästinas zu beteiligen. Schuld an seinem erwachten Interesse an der Archäologie war nämlich Horatio Herbert Kitchener, Tell al-Mutesellim (Megiddo)ein britischer Armee-Offizier (später Feldmarschall und Politiker), der zusammen mit einem anderen Offi­zier, Claude Conder, 1874 im Auftrag des Palestine Exploration Fund Landvermessungen und Kartogra­phierungen im Heiligen Land unternommen hatte.

In der Zeit der Erkundungen waren die beiden Landvermesser Gäste im Haus des Steinmetzen und Architekten Jakob Schumacher gewesen, ei­nem der Gründer der Tempelkolonie Haifa und ab 1874 ihr Gemeindevorsteher. Als Anerkennung für das genossene Gastrecht schenkte Leutnant Kitchener dem Hausherren zum Abschied eine ganz außergewöhnlich genaue Sonnenuhr. Sie wurde im Hof des Schumacherschen Hauses aufgestellt und war noch 1936 auf einer Grundstückskarte der Kolonie als »Kitchener’s Sun­dial« verzeichnet.

Die Sonnenuhr erhielt bald nach ihrer Aufstellung eine bevorzugte Bedeutung für die Bewohner der Kolonie. Schumachers Enkelin Nelly Marcinkowski (Tochter des Sohnes Gottlieb) beschreibt sie in ihrem Buch »Wenn’s aus blauem Himmel regnet« (1978) wie folgt: »In unserem Hof stand die berühmte Sonnenuhr, ein Geschenk von Lord Kitchener an meinen Großvater. Sie war von einem grüngestrichenen Lattenzaun umgeben. Auf einem Steinsockel stand senkrecht eine kleine runde Marmorplatte, an dieser waren zwei schräg stehende Metallplättchen parallel übereinander angebracht. Wenn der Sonnenstrahl durch das Loch des einen Metallplättchens auf eine bestimmte Stelle fiel, war es Punkt zwölf Uhr. Kurz vor zwölf kam Großvater [Friedrich] Lange vom gegenüberliegenden Gemeindehaus herüber, sein Pfeif­chen in der Tasche. Drüben stand seine Enkelin Theodora am Seil der großen Gemeindeglo­cke. Im gegebenen Augenblick ertönte Großvaters Pfiff, und Theodora zog die Glocke, die nun ihren hellen Klang über alle Häuser der Kolonie erschallen ließ, und jeder rannte zu seiner Wanduhr und stellte sie. Unsere Zeiten waren so sicher und genau wie heute die Radio­zeiten.«

Nellys Vater Gottlieb war in der Zeit von Kitcheners Aufenthalt in Haifa erst 16 Jahre alt ge­wesen. Doch er musste von diesem Fachmann mächtig beeindruckt gewesen sein, sodass er später selbst größere Kartographierungen im Ostjordanland vornahm und zwei Jahre lang zum Ausgräber in Megiddo wurde.

Die Mitteilung über die Sonnenuhr im Hof des Schumacher-Hauses verdanken wir dem Re­staurator und Denkmalschützer Shay Farkash, der uns einen Aufsatz über die Wirkungsweise der Sonnenuhr unter dem Titel »Kitchener’s Sundial in Palestine« von Tommer Grossberger, Amir Freundlich und John Davis übermittelte (erschienen im BSS Bulletin März 2016). Nach der Vertreibung der Templer aus Palästina und dem endgültigen Aus ihres Siedlungsunter­nehmens wohnte die Familie Grossberger in dem Schumacherschen Haus. Diese Bewohner hielten das Instrument instand, gingen aber seiner Wirkungsweise nicht weiter nach. Erst im letzten Jahr, als eine Überprüfung der Erhaltungswürdigkeit des Hauses unternommen wurde, ging der israelische Denkmalschutz dem astronomischen Prinzip der Sonnenuhr auf den Grund und ließ die astronomischen Anzeigetafeln dokumentieren. Ich hoffe, dass wir über das Schicksal dieses historischen Überbleibsels aus der Templerzeit von zuständiger Seite weiterhin unterrichtet bleiben.

Frauenvereins-Versammlung der Templer

Unser Mitglied Theo Klink sandte uns vor Kurzem ein historisches Bild, das im März-Heft von »Templer Talk«, der australischen Templer-Monatsschrift, erschienen war und eine große Versammlung von Frauen zeigt, die sich vor langer Zeit vor dem Gasthaus Frank in Wilhelma aufgestellt hatte. Er wollte wissen, ob unser Archiv etwas über die Bedeutung dieser Ver­sammlung herausfinden könnte, in der erwähnten Zeitschrift seien keine näheren Angaben zu lesen gewesen.

Die Vermutung, dass es der Frauenverein der Kolonie Wilhelma gewesen sein könnte, von dem es auch andere Bilder seiner Aktivitäten in unserem Archiv gibt, musste schnell aufge­geben werden, nachdem man die Einwohnerzahl von Wilhelma mit dieser Versammlung verglichen hatte. Aber was konnte sonst der Grund einer solchen großen Zusammenkunft gewesen sein? Waren es etwa Reisende, die einen Besuch in der Kolonie gemacht hatten und ein Erinnerungsfoto nach Hause mitnehmen wollten?

Zunächst war keine Erklärung zu finden. Bis dann Brigitte Kneher aufgrund des Erkennens ihrer Mutter in den Reihen der Frauen meinte, dass da auch Templer-Frauen aus Jerusalem darunter wären. Und sie schätzte, dass es die Zeit anfangs der 1930er Jahre gewesen sein müsste. Mit diesem »Eckdatum« ging ich daran, die »Warte« jener Zeit auf Berichte von Versammlungen hin durchzublättern. Und ich stieß im Jahresband 1931 tatsächlich auf einen solchen Fund: es war ein Frauenvereins-Treffen. Die von Anna Rohrer, der Ehefrau des damaligen Tempelvorstehers, verfasste Schilderung beginnt folgendermaßen:

»War das ein Leben im Wilhelma am Donnerstag, den 26. März! Versammelten sich doch heute hier die Frauenvereine aller Tempelgemeinden in Palästina. Von allen Seiten kamen sie angefahren. Von Norden her kamen die Haifaner mit dem Schnellzug, der heute uns zuliebe an der Station Wilhelma hielt. Frauenvereins-Versammlung der TemplerEine ganze Kolonne von Wagen holte die 48 Frauen dort ab. Kurze Zeit darauf erschien der Jerusalemer Frauenverein in ei­nem Omnibus und zwei Autos. Vor dem Hotel Frank freudig begrüßt, wurde er in die Häuser geführt, die für seine Mitglieder das Mittagessen gerichtet hat­ten. Die Frauen von Jaffa und Sarona kamen zu­letzt, auch in Omnibussen, eine halbe Stunde vor Beginn der Versammlung, die auf 2 Uhr angesetzt war. Vorher aber unterzog sich Lehrer Gleß von Wilhelma der sicher schwierigen Aufgabe, 181 Frauen auf eine photographische Platte zu bringen. Dann ging’s in die Festhalle, die so genannte ‚Stiftshütte‘, eine große nur mit einem Dach versehene Laube, die in einem Wäldchen der Kolonie versteckt liegt. Sie war heute der etwas rauhen Witterung halber auf drei Seiten mit Zeltplanen bekleidet. Schön gedeckte, blumengeschmückte Tafeln winkten einladend. Ein Klavier intonierte das Vorspiel, dann stimmte alles in den Choral ein "Trachtet, ruft mit ernstem Worte …«

Es wurden dann von Anna Rohrer die Sprecherinnen der einzelnen Palästina-Gemeinden genannt, die jeweils einen Frauenverein vertraten und sich für die erwiesene Gastfreundschaft der Wilhelmaner Templer bedankten: aus Sarona Maria Lange, aus Nazareth Hanna Wagner, aus Betlehem Luise Kuhnle, aus Haifa Käthe Beck, aus Jaffa Theodora Wieland und aus Jerusalem Babette Schmidt. Von den Tempelgemeinden des Landes fehlte ausgerechnet die Sprecherin des Gastgebers, weil Wilhelma 1931 noch keinen eigenen Frauenverein hatte (der bildete sich aber durch den Anstoß des Treffens sehr bald). Nach diesen Grüßen folgte ein Vortrag über die Unitarier, Teilnehmerinnen brachten Gesangsvorträge und der Haifaner Frauenchor trug Lieder vor.

Aus dem Bericht geht auch hervor, dass in den einzelnen Frauenvereinen nicht nur die Geselligkeit gepflegt werde, sondern dass man sich auch gemeinnützige Aufgaben stelle. In den Vereinen hergestellte Gebrauchsgegenstände wurden jeweils auf Gemeinde-Basaren zum Kauf angeboten. Da können unsere »Bastelfrauen« aus der Stuttgarter Tempelgemeinde also auch auf Vorbilder aus der Tempelgeschichte zurückblicken.

Was einem heutigen Leser dieses Berichtes besonders auffällt, ist die starke Betonung des Deutschnationalen. Mit dem Traditionell-Religiösen einhergehend war gleichzeitig das Völ­kisch-Politische. So etwa, wenn die Verfasserin an einer Stelle über dieses Vereinstreffens meint: »Ein Dankfest soll es sein, aber auch ein Tag vaterländischen Gedenkens, ein Gelöbnis zur deutschen Treue.« Eine solche Stimmung hatte die Zeit vor jetzt 85 Jahren geprägt.

Fußballmatch zwischen Wilhelmanern und Engländern

Von Wolfgang Löbert aus Toulouse, dessen Familiengeschichte »Die Löberts vom Stromberg« im April-Heft der »Warte« erschienen war, erhielt ich ein historisches Bild des Sportplatzes der früheren Tempelgemeinde Wilhelma übermittelt, verbunden mit der Frage, an welcher Stelle sich denn dieser Sportplatz damals befunden habe. Ich selbst hatte keine Antwort parat, und unsere Israel-kundigen Reiseleiter und Friedhofshelfer konnten mir trotz ihres guten Wissens über unsere alten Siedlungen leider auch nicht weiterhelfen. Da ist es doch gut, wenn noch solche Mitglieder unter uns leben, die sich an die längst vergangene Zeit in dieser Kolonie noch erinnern können.

Es war Theo Klink aus Pullach, der Bescheid wusste. In einer E-Mail schrieb er: »Der Fuß­ballplatz lag an der "Kreuzstraße", in der Mitte der Kolonie, gegenüber dem Gasthaus Frank und schräg gegenüber vom Schulhaus. Fußballmatch zwischen Wilhelmanern und EngländernDie auf dem Bild sichtbaren Gebäude hinter dem Platz gehörten Fritz Beilharz, rechts Wohnhaus, links Stallungen. Auf dem Bild findet gerade ein Spiel Wilhelma ge­gen eine englische Soldatenmannschaft statt. Diese sind mit den Bussen im Vordergrund angereist. Ich habe das öfter persönlich miterlebt, es war für uns Jungen immer etwas Besonderes.«

Es mutet fast so an, als habe Theo das Spiel erst vor Kurzem erlebt, so frisch ist seine Erinnerung an die doch schon so lange zurückliegende Zeit. Und wohl gemerkt: hier treibt eine Mannschaft der Mandatsmacht des Landes friedlichen Sport mit den Kolonisten und hat doch Jahre später dieselben Kolonisten ihrer Freiheit beraubt, indem sie einen Stachel­drahtzaun um Wilhelma zog und die Kolonie zum Internierungslager erklärte.

Nicht nur Palästina...

Die Geschichte der Templer wird im Großen und Ganzen mit dem früheren Land Palästina verknüpft. Dass es noch Aktivitäten der »Kirschenhardthöfer« in anderen Regionen der Erde gegeben hat, so in Nordamerika und in Südrussland, wissen die wenigsten der heute lebenden Mitglieder. Es handelte sich dabei um dorthin ausgewanderte Deutsche, zumeist Württem­berger, die noch viele Jahre und Jahrzehnte ihr Deutschtum, ihre Sprache, ihre Berufe, ihr Brauchtum in ähnlicher Weise wie in der Heimat weitergepflegt haben. Oftmals waren es nur einzelne Familienzweige, die aus Württemberg ausgewandert waren, und versucht haben, die Verbindung zu den Zurückgebliebenen nicht abreißen zu lassen.

Zu den Auswanderern in die Gebiete am unteren Dnjepr und an der Molotschna in der heutigen Ukraine zählten Familien wie die Messerles aus Kornwestheim, die Streckers aus Großaspach, die Schraitles aus Bernhausen oder die Schmidts aus der Pfalz. In den neuen Siedlungsgebieten trafen sie auf andere Deutschstämmige, wie zum Beispiel die Mennoniten. So kam es, dass in der Nordkaukasus-Region ab 1868 Tempelkolonie-Gründungen beider Landsmannschaften entstanden: Tempelhof gegründet von Mennoniten, dicht daneben Orbe­lianowka gegründet von Schwaben; später Olgino gegründet von Mennoniten und dicht dane­ben Romanowka gegründet von Schwaben.

Eine Familie war sehr zahlreich in diesen Gemeinden vertreten: die aus der Danziger Gegend nach Russland eingewanderte Familie Tietz. In der Familienforschung dieser Familie hat uns Birgit Arnold aus Korntal sehr viel geholfen. So gründlich in der Ahnenkunde ist kaum eine andere Familie vertreten wie diese Familie Tietz. Und nun konnte Frau Arnold auch die Sprachbarriere überwinden, die der Familienforschung von Russlanddeutschen meist im Wege steht: sie konnte uns einen Lebensbericht des Lehrers von Orbelianowka, Leonhard Tietz (1862-1943), zur Verfügung stellen.

Von Leonhard Tietz gewinnen wir einen aus sonstigen geschichtlichen Quellen kaum vor­handenen Einblick in das damalige Progymnasium von Tempelhof, wenn er schreibt (sein Russisch ist ins Deutsche übertragen worden): »Unser Gymnasium hatte einen guten Ruf. Uns wurden die schlechten und faulen Schüler aus den anderen Gymnasien geschickt. Die bekamen ein strenges Regiment, meistens durch Jakob Prinz durchgeführt, der Latein und Griechisch unterrichtete. Die Faulenzer wurden schnell brav. Dietrich Dyck unterrichtete Ge­schichte und Geografie. Hausknecht unterrichtete die russische Sprache, er war der Lieblings­lehrer der Kinder. Nikolai Schmidt unterrichtete Mathematik. Ich unterrichtete Grundschulkinder in Mathematik, russischer Sprache und Musik.«

Bei Leonhard Tietz drückt sich die bei den Tietzens häufig zu beobachtende Musikalität aus. Er hatte in seiner Jugendzeit bei einem Kapellmeister Geigenunterricht genommen. Er war sehr musikalisch und konnte lange Zeit ohne eine Notenvorlage spielen.

Peter Lange, TGD-Archiv

Auch Deutsche gehörten in den USA einst zu den Migranten

Die Integrationsverweigerer von Pennsylvania

»Keine Lust auf Spracherwerb - die »Pfälzer Tölpel« waren in den USA nicht gerade beliebt« titelte die Tageszeitung »Rheinpfalz« vor Kurzem rückblickend. Die Journalistin Annette Weber fand verblüffende historische Parallelen zur gegenwärtigen Lage bei uns: »Da sie an die Freiheit nicht gewöhnt sind, können sie mit ihr nichts anfangen.« Und: »Bald werden sie uns zahlenmäßig überlegen sein, sodass all die Vorteile, die wir haben, nicht ausreichen werden, um unsere Sprache zu erhalten. Auch unsere Regierung gerät dadurch ins Wanken.« So aktuell diese Worte klingen mögen, wer hier gegen Zuwanderer wettert, ist kein Geringerer als Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der USA. Und statt um Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem arabischen Raum geht es um deutsche Einwanderer - um Menschen, die sich im 18. Jahrhundert auf der Flucht vor Krieg, Hunger und Armut aus der Heimat in die Neue Welt aufmachten.

Als »Pfälzer Tölpel« beschimpfte Franklin die Migranten. »Diejenigen, die hierher kommen, sind im Allgemeinen von der ignorantesten, dümmsten Sorte ihrer Nation«, schrieb der Staatsmann und Aufklärer 1753 über die »Palatines«, die in die damals noch englische Kolonie Pennsylvania kamen. 1770 erreichte die Zuwanderung ihren ersten Höhepunkt. Jeder dritte Einwohner Pennsylvanias war damals Deutscher. Benjamin Franklin fragte sich ver­ärgert: »Warum sollte Pennsylvania, gegründet von den Engländern, eine Kolonie der Frem­den werden, die in Kürze so zahlreich sein werden, dass sie uns germanisieren, anstatt dass wir sie anglisieren?«

Da die Deutschen unter sich blieben und kein Englisch lernten, erwogen Politiker in Pennsylvania härtere Maßnahmen wie Importverbote für deutsche Bücher oder Ehe-Arrangements zwischen Deutschen und Briten. Das lehnte Franklin ab: »Die deutschen Frauen sind für ein englisches Auge im Allgemeinen so widerwärtig, dass es großer Anstren­gungen bedürfte, einen Engländer dazu zu veranlassen, sie zu heiraten.« Franklin setzte auf Bildung. Kostenlose Schulen für die »Pfälzer Tölpel« wollte er einrichten. Doch das Experi­ment scheiterte. Die Deutschen verweigerten sich - unter anderem, weil sie fürchteten, ihre Kinder würden zu Engländern werden, sobald sie deren Sprache lernten.

Bis zu 100.000 Deutsche wanderten bis zur Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten in die britischen Kolonien in Nordamerika ein. Die meisten würde man heute als Wirtschafts­flüchtlinge bezeichnen. Einige kamen aus religiösen Gründen in die protestantisch geprägten USA, andere flüchteten im 19. Jahrhundert vor der Verfolgung durch repressive Landesherren.

Letztlich war die Zuwanderung der Deutschen eine Erfolgsgeschichte. Sie integrierten sich am Ende doch und bereicherten das Land. Beim nationalen Zensus im Jahr 2000 gab jeder sechste US-Bürger an, deutsche Wurzeln zu haben. Damit lagen die Deutschen als Einwanderergruppe zahlenmäßig noch vor den Engländern. Einer der vielen US-Bürger mit deutschem Migrationshintergrund ist übrigens der ständig gegen Migranten hetzende republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump. Sein Großvater Friedrich war ein »Wirtschaftsflüchtling« aus Kallstadt in der Pfalz.

Annette Weber - Gefunden von Herbert Struve

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