Die Warte des Tempels

Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 171/1 - Januar 2015

 

 

Hoffnung für das neue Jahr - Veit Schäfer

Jesu wahre Familie - Brigitte Hoffmann

Von der Wirkung von Worten - Brigitte Hoffmann

Waffenstarre - Wolfgang Kessler

Gastfreundschaft - Melanie Henker

CHAMPION - soziales Projekt der TSA - Karin Klingbeil

Der Zypressenhain am Karmel - Peter Lange

Hoffnung für das neue Jahr

Es ist ... überhaupt eine Frage, ob die »bessere Zukunft« wirklich und immer nur eine Angelegenheit irgendeines fernen »dort« ist. Vielleicht ist sie schon längst hier - und nur unsere Blindheit hindert uns daran, sie um uns und in uns zu sehen und zu gestalten.

Václav Havel

 

Wir brauchen keine Zauberei, um die Welt zu verändern. Wir tragen die ganze Kraft, die wir brauchen, schon in uns; wir haben die Kraft, uns etwas Besseres vorzustellen.

Joanne Rowling

 

Zipp - und du bist in einer anderen Welt !

 

An einem verkehrsreichen Platz im Karlsruher Westen steht ein mehrstöckiges Mietshaus, an dem ich öfter vorbeikomme. Auf der dem Platz zugewandten freien Seite ist ein großes, weithin sichtbares Gemälde angebracht. Wann immer ich dieses Wandbild erblicke, kann ich nicht anders: ich muss stehenbleiben und seine wundervolle Botschaft betrachten. Sie lädt die Vorübergehenden ein, sich buchstäblich, von einem Augenblick auf den anderen, aus der beengten, nüchternen Umgebung von Häusern, Straßen, Gleisen hinaus sich in Weite, Schönheit, Heiterkeit, Harmonie zu »zippen« und so Enge und Schranken aller Art hinter sich zu lassen. Allerdings, das sagt das Bild auch unmissverständlich, dieser Ausflug kann nur Menschen gelingen, die sich dafür öffnen.

Für mich gewinnt das Wandbild aber, je öfter ich es sehe, immer mehr eine religiöse Bedeutung, es übersetzt bild­lich das Jesuswort »Das Reich Gottes ist inwendig in euch«(Lk 17, 21b). Das ist die Übersetzung von Martin Luther, in allen anderen Bibelübersetzungen, die ich kenne, heißt es an dieser Stel­le: »Das Reich Gottes ist (schon) mitten unter euch«. Die Herrschaft Gottes hat demnach durchaus auch innerweltliche, gesellschaftliche Realität. Das Bild auf der Hausmauer bringt, wie ich es sehe, beide Perspektiven, die innerliche wie die gesellschaftliche, genial in Zusammen­hang: der sich öffnende Reißverschluss enthüllt eine blühende, fruchtbare Land­schaft, eine Harmonie von Himmel und Erde, wie sich »Reich Gottes« ohne Wei­teres übersetzen ließe. In sie »hinein« fliegt ein Vogel, das Symbol des Geistes und der Seele. Doch dieses In-Bild bie­tet nicht nur einen Blick darauf, wie es »drinnen aussieht«, wenn ein Mensch sich geistig-geistlich auf die Botschaft Jesu von der Gegenwart der Königsherrschaft Gottes einlassen kann. Die Landschaft bildet zugleich unsere wirkliche Welt als den diesseitigen Erfahrungsraum Got­tes ab! Inmitten des lärmigen, geschäf­tigen »weltlichen Getriebes« des städti­schen Platzes sind Ruhe, Frieden, Stille gewissermaßen allgegenwärtig! Das Bild »beweist« es jedem, der es sehen will. Das gilt auch, wenn wir an die Stelle des Platzes die ganze Welt setzen, die nicht nur in diesen Monaten voller Aufruhr ist. Gerechtigkeit, Frieden, Güte, Liebe sind zugleich da, jederzeit und überall. Wenn wir der Einladung Jesu folgen, umkehren und… zipp: Reißverschlüsse aufziehen.

Veit Schäfer, Karlsruhe - Bild: Goran Grubac

 

Veit Schäfer sprach das Bild, für das sich ihm die oben stehende Reich-Gottes-Interpretation geradezu aufdrängte, so an, dass er nachforschte, wie dieses Bild auf die Hauswand gekommen war. Er erfuhr, dass ursprünglich Werbung für eine Karlsruher Brauerei hier angebracht gewesen war. Nachdem diese aber nicht mehr existierte und auch sonst niemand an dieser Werbefläche interessiert war, entschloss sich das Eigentümer-Ehepaar, diese Fläche selbst mit ‚etwas Schönem‘ zu gestalten. Eine religiöse Botschaft war nicht beabsichtigt gewesen - aber die Schönheit der Natur sei doch etwas, worüber man sich freuen könne, auch etwas Göttliches. Eine Dortmunder Agentur für Fassadengestaltung vermittelte die Hauseigen­tümer an den Maler Goran Grubac, der das Bild nach ihren Vorgaben entwarf und realisierte. Dieser Mann, der einmal auf dem Weg zum Priestertum gewesen war und einige Semester Theologie studiert hatte, verband zwar damals keinerlei spirituelle oder theologische Assozia­tionen mit dem Bild - aber der allein in der weiten Landschaft stehende Baum und der in die Landschaft hineinschwebende Vogel seien für ihn nach wie vor wesentliche Details des Bildes. Er kennt die symbolische Wirkung von Bildern - und so freut er sich, dass sein Bild auch diese Botschaft vermittelt.

 

Leitung und Verwaltung der Tempelgemeinde wünschen allen Lesern ein Neues Jahr in Gesundheit und Frieden.

BIBELWORTE - KURZ BETRACHTET

Jesu wahre Familie

(Matthäus 12, 46-50)

Der Text beschreibt, wie Jesus von seiner draußen wartenden leiblichen Familie nichts wissen will und stattdessen seine anwesenden Anhänger als seine wahre Familie bezeichnet, weil sie den Willen des Vaters im Himmel täten. Er hat mich schon immer irritiert, weil er nicht zu meinem Jesusbild passte. Schon auf uns wirkt die schroffe Zurückweisung der eigenen Familie anstößig. Für die damalige jüdische Gesellschaft war es ein Affront. »Ehre Vater und Mutter« steht schon im Dekalog (10 Gebote), es war nicht nur jahrhundertealte Tradition, sondern religiöses Gebot. Jesus musste wissen, dass er hier einen Tabubruch beging, und er tat es bewusst. Es gibt einige, z.T. noch härtere Aussagen und Episoden ähnlicher Art. Zum einen die Aussage »Wer nicht ... Vater und Mutter gering achtet, der kann nicht mein Jünger sein«. Zum anderen die Antwort gegenüber dem frisch erwählten Jünger, der darum bittet, vor dem Aufbruch noch seinen Vater beerdigen zu dürfen - für einen frommen Juden auch heute noch höchste Sohnespflicht: »Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes«. Beides empfinde ich als unbarmherzig. Zusammengenommen macht das erstens deutlich, dass Jesus wohl tatsächlich so gut wie keine Beziehung zu seiner Familie hatte und dasselbe auch von seinen Mitstreitern verlangte (nicht von allen anderen).

Erklärlicher wird das vielleicht dadurch, dass sie alle, Jesus und seine Anhänger, in der Naherwartung des Gottesreichs lebten, das sowieso alles verwandeln würde. Und auch wenn uns diese Haltung fremd erscheint: sie fügt sich durchaus in Jesu Gesamtverkündigung oder zumindest in Teile davon. An vielen Stellen (es gibt auch Gegenbeispiele) wird deutlich, dass er über die Grenzen des alten Familien- und Clan-Denkens hinaus wollte - ich nenne nur die Beispielgeschichten vom römischen Hauptmann und vom barmherzigen Samariter. »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« steht schon im Alten Testament. Aber dort ist der Nächste immer der Volks- und Glaubensgenosse. Erst Jesus setzt dagegen, zumindest stellenweise, die Forderung, dass die Barmherzigkeit allen zu gelten habe. Das war schwer zu vermitteln und das erklärt vielleicht auch zu einem Teil die Härte mancher Formulierungen. Denn, und das ist die zweite Botschaft unserer widerborstigen Textstelle, unser Jesusbild ist oft einseitig. Wir sehen in ihm vor allem den liebenden Heiler und Helfer, der alle in die Heilsbotschaft einbezog. Das ist er auch, vielleicht mehr als alles andere. Aber dort, wo es um seinen Auftrag, seine Botschaft ging, konnte er auch hart und unnachgiebig sein. Für den oft zitierten Schutz von Ehe und Familie kann man sich jedenfalls nicht auf Jesus berufen.

Brigitte Hoffmann

Von der Wirkung von Worten

Zwei Gedichte

Im Wort ruht Gewalt

 

Im Wort ruht Gewalt

Wie im Ei die Gestalt,

Wie das Brot im Korn,

Wie der Klang im Horn,

Wie das Erz im Stein,

Wie der Rausch im Wein,

Wie das Leben im Blut,

In der Wolke die Flut -

Wie der Tod im Gift

Und im Pfeil, der trifft -

Mensch, gib du acht, eh du es sprichst,

Dass du am Worte nicht zerbrichst!

 

Ina Seidel

 

»Wort« ist doppeldeutig: es kann ein einzelnes Wort bedeuten oder einen kurzen Ausspruch. Das wird nicht erklärt, aber man spürt sofort, dass beides gemeint ist. Gleich die erste Zeile setzt das Thema.

Vier Wörter, fast alle einsilbig, fast alle mit dunklen Vokalen, erzeugen in knappster Form eine Wucht, die die Gefahr spürbar, hörbar macht, die in der Aussage liegt. Worte können Aufstände entzünden, Leben und Karriere vernichten, tödlich verletzen.

Und gleichzeitig vermitteln diese vier Wörter eine weitere Doppeldeutigkeit: die Gewalt ruht. Das Wort ist nicht die Gewalt, aber es kann sie jederzeit wecken.

Was folgt, ist eine Reihe von Vergleichen, die dieses Wecken anschaulich machen, völlig gleich im Satzbau und im Versmaß - zwei betonte Hebungen pro Zeile. Dass das nicht Eintönigkeit, sondern Steigerung bewirkt, hat zwei Gründe. Der eine: auch im gleichen Versmaß ändert sich der Rhythmus. Immer wieder, unregelmäßig, liegen zwischen den Hebungen nicht nur eine, sondern zwei unbetonte Silben. Das macht das Ganze leichter, beweglicher, deutet Entwicklung an.

Der zweite Grund ist natürlich der Inhalt, die jeweiligen Bilder der Vergleiche. Gleich die zweite Zeile setzt den Kontrapunkt zur ersten: neben der Drohung die Erwartung des Wunders, wie aus dem unscheinbaren Samen etwas Neues, Schönes wird; das Brot im Korn - Inbegriff der Nahrung; der Klang im Horn - die Schönheit der Musik. Dann werden die Bilder zweideutig: das Erz in Stein - Material für vieles Nützliche, aber auch für Waffen und Tod; der Rausch im Wein - er kann verderblich sein, aber auch gesteigerter Genuss; das Leben im Blut, die Flut aus der Wolke, können Segen oder Fluch bringen.

Zusammengenommen zeigen diese Bilder den Reichtum und die Vielgestaltigkeit dessen, was Worte bewirken können.

Die letzten beiden Bilder kehren zur Drohung des Anfangs zurück: sie gelten der todbringenden Gewalt und leiten damit über zum Schluss, der durch das geänderte Versmaß und durch die dreifache persönliche Anrede »du« hervorgehoben ist - keine Drohung, aber eine eindringliche Warnung: das vergiftete Wort kann nicht nur den zerbrechen, auf den es zielt, sondern auch den, der es spricht.

 

Windgriff

 

manche Wörter

leicht

wie pappelsamen

 

steigen

vom wind gedreht

sinken

 

schwer zu fangen

tragen weit

wie pappelsamen

 

manche Wörter

lockern die erde

später vielleicht

 

werfen sie einen schatten

einen schmalen schatten ab

vielleicht auch nicht

 

Hans Magnus Enzensberger

 

Auch hier setzt schon der Titel einen mehrdeutigen Akzent. Das Wort »Windgriff« gibt es im Duden nicht. Wind ist flüchtig und hat keine Gestalt, ist nicht greifbar und kann nicht greifen. Dass er trotzdem gewalttätig sein, vieles verändern und manches zerbrechen kann, kommt im Text selbst nicht mehr vor, bildet aber mit diesem Titelwort die Hintergrundfolie.

Das Gedicht hat dasselbe Thema wie das von Ina Seidel, wirkt aber wie ein Kontrast­programm. Das zeigt sich schon darin, dass Enzensberger nicht das ­poetische, bedeutungsschwere, quasi allgemein gültige »Wort« verwendet, sondern den konkreten, alltäglichen Plural »Wörter«, den man normalerweise verwendet, wenn man praktisch mit diesen Wörtern umgeht: man kann sie zählen, umstellen, falsch oder richtig schreiben usw. Dabei meint er durchaus den Sinn der Wörter mit; auch er macht eine allgemein gültige Aussage über das Phänomen Wort. Aber er relativiert sie durch den verfremdenden Plural, zusätzlich durch das gleich an den Beginn gesetzte »manche«, und macht sie dadurch leicht, ausdeutbar, beweglich.

Und er vermittelt diesen Sinn nicht durch eine definitive Aussage, sondern durch die Form des Gedichts.

Auf den ersten Blick hat es gar keine Form. Es gibt kein Versmaß und keinen Reim, keinen geschlossenen Satzbau und keine Satzzeichen - manche Zeilen können zum Vorausgehenden oder zum Folgenden oder zu beidem gehören; die Zeilen, obwohl extrem kurz, sind ungleich kurz. Es gibt einen Rhythmus, die Wörter schwingen, wie im Tanz.

Was das Gedicht zusammenhält - und es wirkt sehr geschlossen -, ist ein einziges Bild: »Wörter wie Pappelsamen«. Enzensberger behandelt die Wörter, als wären sie Pappelsamen; und genau dadurch ist die Doppelbedeutung in jedem einzelnen Wort so gegenwärtig, dass man ohne Erklärung versteht. Sie steigen, gewinnen Bedeutung; sie werden vom Wind gedreht - verändern immer wieder ihre Bedeutung und sind deshalb schwer zu fassen; sie sinken - werden nicht mehr wahrgenommen; sie werden weit getragen, überall hin.

Der zweite Teil beginnt noch einmal mit »manche Wörter«. Jetzt wird die Verschränkung der Bedeutungen so eng, dass die eine - das, was dasteht - sich nur durch die andere erklärt: sie, die Wörter, lockern die Erde - man ergänzt unwillkürlich: die Samen sinken ein, treiben aus, sind zu schwach, eine Pflanze zu bilden, aber lockern die Erde, so dass neue Samen, neue Wörter, besser eindringen können; sie werfen einen schmalen Schatten - man ergänzt: ein Same wird zu einem Baum, der einen Schatten wirft, einen schmalen, denn Pappeln sind schlanke Bäume, aber das »schmal« kann auch heißen: einen leichten, flüchtigen Schatten. Und immer wieder eingeworfen die Relativierung: »vielleicht später, vielleicht auch nicht«. So entsteht aus dem Bild der Pappelsamen die Vorstellung, wie Worte die Welt verändern können: langsam, scheinbar zufällig, immer wieder.

Beide Gedichte zusammen ergeben in ihrer Gegensätzlichkeit ein überzeugendes Bild von der umfassenden Wirkung von Worten. Man spürt, dass es noch viele weitere Möglichkeiten dafür geben kann.

Und zugleich sind beide wunderbare Beispiele für das, was für mein Gefühl ein gutes Gedicht ausmacht: dass Bedeutung, Bild und Klang fast völlig in eins fallen und dadurch in äußerster Verdichtung etwas aussagen, was zugleich klar und vieldeutig ist.

Brigitte Hoffmann

Waffenstarre

In einer Welt der Bürgerkriege setzen die Regierungen mehr und mehr auf militärische Logik. Friede wird es jedoch nur dort geben, wo die Politik aus der Logik des Säbelrasselns aus­bricht.

Irak, Syrien, Ukraine, Israel, Palästina, Nigeria, Mali. Wer heute Nachrichten hört, weiß: Der Traum der 1990er-Jahre von friedlichen Revolutionen, dem Ende des Kalten Krieges und mehr Frieden mit weniger Waffen ist erst einmal ausgeträumt.

Seit Mitte der 1990er-Jahre nimmt die Zahl kriegerischer Konflikte stark zu. Zwar gibt es we­niger Kriege zwischen Staaten, aber dafür umso mehr Bürgerkriege, Kriege ohne klare Fron­ten mit unzähligen Toten.

Dieses tragische Ende eines Traums zeigt, wie wenig es der Politik weltweit gelungen ist, die guten Voraussetzungen aus der Zeit der Entspannung mit politischem und gesellschaftli­chem Leben zu füllen. Im Gegenteil. Statt die gesellschaftlichen Ursachen für die Bürger­kriegswelt auch politisch zu bearbeiten, setzt die Politik auf die militärische Karte - in den USA, in China, in Russland, auch in Deutschland...

Wolfgang Kessler

 

Dieser Artikel ist für die Internetausgabe der »Warte« leider nicht freigegeben. Lesen Sie den vollständigen Artikel in der gedruckten Ausgabe der »Warte« oder in »Publik-Forum«, kri­tisch - christlich - unabhängig, Oberursel, Ausgabe 17/2015, Seite 10.

 

Am letzten Gemeindenachmittag 2014 hielten junge Mitglieder der Tempelgesellschaft ihren Jugendsaal. Leider konnten nicht alle anwesend sein, aber dafür schickten sie ihre Beiträge zum selbstgewählten Thema »Gastfreundschaft«. Melanie und Marcel Henker verlasen, unterstützt von Inga Reck-Hurioglu (und ihrer Sophia), alle Beiträge. Wie früher auch schon, werden wir diese in der »Warte« veröffentlichen.

Gastfreundschaft

Als ich anfing, mich mit dem Thema Gastfreundschaft zu beschäftigen, musste ich direkt an eine Geschichte denken, die mir dieses Jahr im Urlaub widerfahren ist. Ich verbrachte im April meinen Urlaub auf Sri Lanka. Dort bereisten meine beste Freundin und ich einige Städte und machten uns mit der Kultur vertraut. Ich sammelte in der kurzen Zeit, in der ich dort war, sehr viele Eindrücke, doch eine Begegnung, bei der wir Mohammed kennenlernten, war besonders eindrücklich für mich. JugendsaalAn einem Morgen, als wir durch ein Bergdorf spazierten, wurden wir von einem Einheimischen angesprochen. Zuerst war uns die Situation etwas unangenehm, da wir nicht nur große Verständigungsprobleme hatten, sondern auch nicht genau wussten, wo uns der ältere Herr hinführen wollte. Doch nach kurzem Hin und Her entschieden wir uns, uns auf das Abenteuer einzulassen, und so folgten wir Mohammed durch sein Dorf. Er zeigte uns viele kleine Läden, in die wir ohne ihn nie hineingegangen wären. Aber auch kleine Restaurants mit typischem Essen aus der Region. Zuletzt stellte er uns voller Stolz seine Familie vor. Als die kleine Stadtführung sich dem Ende neigte, organisierte Mohammed ein Taxi für uns, bezahlte den Fahrer und wies ihn an, uns wieder an unserem Hotel abzusetzen. Zurück im Hotel mussten wir die ganzen Eindrücke erst einmal verarbeiten. Es war für mich eine wirklich unglaubliche Erfahrung, dass ein so mittelloser Mann uns mit so einer Herzlichkeit und Stolz in seinem Dorf empfangen hatte, ohne dafür auch nur im Geringsten eine Gegenleistung zu erwarten.

Einige Wochen, nachdem wir wieder zurück in Deutschland waren, musste ich immer noch schmunzelnd an Mohammed und unsere gemeinsame Erfahrung denken. Ich finde, genau solche Momente machen aus einer Reise erst etwas Besonderes, dann, wenn man sich aus seiner Komfortzone heraustraut und sich in das neue Unbekannte stürzt. Dank Mohammed ist uns das an diesem Tag gelungen.

Wenn ich nun Gastfreundschaft auf unsere Gesellschaft übertrage, dann hat dies meist einen kommerziellen und eigennützigen Hintergedanken. Wer nimmt sich hier die Zeit und würde einem Fremden die Stadt zeigen, womöglich auch noch in einer anderen Sprache … und dann auch noch umsonst???

Doch woher kommt die Gastfreundschaft und was ist sie überhaupt? Gast bedeutete ursprünglich im Griechischen der Fremde oder der Unbekannte. Es war also zunächst einmal der Feind, der in den eigenen Lebensraum eindrang. Dies wurde als bedrohlich erfahren. Wenn wir also über Gastfreundschaft in der Bibel oder in der Antike sprechen, dann handelt es sich nicht um etwas Naturgegebenes, sondern viel mehr - genauso wie heute - um eine Kulturleistung. Neben den vielen Möglichkeiten der zwischenmenschlichen Beziehungen und Hilfe galt sie auch als Form religiöser und sozialer Verantwortung. Sie war keineswegs nur Zeichen liebeswürdigen oder lebensnotwendigen Umgangs in der Welt. Jeder, der die Grenzen seiner engeren Heimat verließ, musste und durfte sie in Anspruch nehmen. Sie beinhaltete nicht nur gastliche Aufnahme und Bewirtung, sondern umfasste den absoluten Schutz für Leib und Leben. Insofern barg sie in sich immer schon einen existentiellen Kern.

Das Wort Gastfreundlichkeit treibt einigen Menschen in der heutigen Zeit jedoch Schweiß­perlen auf die Stirn. Es hört sich nach viel Arbeit, besonderen Kochkünsten und einem großen Hausputz an. Einfacher ist es, keine Gäste einzuladen und dementsprechend nicht »freundlich zum Gast« zu sein. Was jedoch so anstrengend und zermürbend klingt, wird oftmals zur wertvollen Erfahrung für alle.

Es sind nicht immer die großen Dinge wie Organisation eines perfekten Abendessens mit der ganzen Familie oder mit Freunden, die die Gastfreundschaft ausmachen, sondern oftmals reichen schon die kleinen Dinge, wenn man z.B. einen Freund in Not auffängt und ihm Schutz gewährleistet, bis er sich wieder erholt hat.

Gastfreundschaft bedeutet für mich Nächstenliebe und dass der, dem viel Positives wider­fahren ist, dies weitergeben kann. Gastfreundschaft oder Nächstenliebe ist etwas, das man lernen kann. Ich fände es schön, wenn sich jeder einmal bewusst machen würde, was Gastfreundschaft und Nächstenliebe für einen persönlich bedeuten, denn dann würde unsere Gesellschaft in ihren sozialen Kompetenzen wachsen und könnte das neu Erlernte vielleicht auch auf andere Lebenssituationen übertragen.

Melanie Henker

CHAMPION - soziales Projekt der TSA

Das beeindruckende Projekt der TSA, in die Welt gerufen von Martina Eaton, der Sozialarbeiterin der Melbourner TSA-Gemeinden, wächst und wächst. Gebildet aus den Initialen von Community Hub And Meeting Place In Our Neighbourhood steht der Begriff für eine Hilfeleistung nach dem Motto: "Eher ein Handauflegen als ein Aushändigen" (a hand up, not a hand out). Ohne irgendeinen Nachweis für eine Bedürftigkeit wird hier Menschen geholfen, wenn sie zur Bayswaterhalle kommen, bei der für diesen Zweck ein Raum bereitgestellt wurde nebst Kühl- und Gefrierschrank. Zweimal in der Woche wird für zwei bis drei Stunden geöffnet und mit der Unterstützung von einem oder zwei (hauptsächlich Templer-)Freiwilligen Ware ausgegeben. Die Helfer holen auch bestellte und gespendete Ware ab; diese setzt sich zusammen aus Spenden von Mitgliedern und ansässigen Händlern, manches wird auch über die staatlich subventionierte »Food Bank« bezogen. Es sind vorwiegend Nahrungsmittel inklusive frischem Obst und Gemüse, aber auch Drogerie-Artikel und andere des persönlichen Gebrauchs. Aber Martina hilft auch mit Rat und Auskünften zu staatlichen und anderen Wohlfahrtseinrichtungen, zu Beschäftigung, finanziellen, häuslichen und anderen Belangen.

Seit Beginn dieser Einrichtung im Oktober 2013 ist mehr als 300 Menschen hier geholfen worden; manche von ihnen kommen regelmäßig, manche ab und zu - und immer kommen neue hinzu.

Manche Templer kommen, um hier "richtiges" Brot (Roggen u.ä.) zu bekommen - und tauschen es oft gegen Eingekauftes aus dem Supermarkt ein; aber dagegen hat Martina nichts, denn das hat für sie den Vorteil, "ihre" Leut’ zu sehen, was sonst vielleicht nicht der Fall wäre!

Karin Klingbeil

Anfragen an das Templer-Archiv

Der Zypressenhain am Karmel

Das Interesse der Israelis an der Geschichte der Templer ist weiterhin ungebrochen. Fast täglich erreichen uns Anfragen über Einzelheiten unserer Siedlungstätigkeit im früheren Palästina. Gegenwärtig bearbeite ich gerade zwei Anfragen, die mit der ersten Tempelkolonie in Palästina, Haifa, zu tun haben. Hier die Einzelheiten:

Da spricht ein Mark Hellaby die Nordsüd-Ausrichtung der deutschen Kolonie Haifa an, Zypressenhain am Karmeldie später auch den Garten­anlagen des Bahá’í-Welt­zentrums und dem Bau des Mausoleums zur Richtschnur wurde, und fragt, welches Motiv wohl ursprünglich für diese Ausrichtung maßgebend war. (Soweit wir wissen, ist die Hauptstraße der Kolonie vom Berg zum Meer so angelegt worden, dass die kühle Seebrise leichter zu den Wohn­häusern strömen konnte.) Er legte seiner Anfrage noch ein historisches Bild des Karmel-Hangs bei, auf dem auf halber Höhe inmitten der unbebau­ten Wildnis ein Zypressen-Hain zu sehen ist. Ein Ortskundiger aus seinem Bekanntenkreis, der schon lange in Haifa lebt, schreibt die Anlage dieses Hains den Templern zu und wollte wissen, zu welchem Zweck die Bäume wohl gepflanzt worden waren.

So interessant solche Fragen sind, so schwierig sind sie aber auch zu beantworten. Hierfür müssen viele in Frage kommende Darstellungen und Erinnerungsschriften aus der Haifa-Zeit hinzugezogen und auf mögliche Hinweise untersucht werden. Kolonieplan Haifa von Gottlieb SchumacherAls erstes Ergebnis meiner Suche fand ich in Margret Pfänders Erinnerungsbuch die Erwähnung, dass das Wohnhaus neben Pfänders am südlichen Ende der Kolonie zeitweise von Bahá’í-Angehörigen bewohnt gewesen und der Bruder des Bahá’í-Gründers auf diesem Grundstück begraben worden sei. Eine Zypressen­gruppe hätte damals dieses Grab markiert.

Das würde also bedeuten, dass nicht die Templer, sondern die Bahá’í diese Bäume gepflanzt hatten. Vielleicht irrt sich Margret Pfänder darin, dass es das Grab des Bruders von Bahá’u’lláh gewesen sei, denn es war ja der Verkünder Báb, dessen Gebeine an der Stelle ihre letzte Ruhestätte fanden, auf der in den 1930er Jahren das Bahá’í-Mausoleum mit der goldenen Kuppel errichtet worden ist.

Von Bedeutung in Margrets Erinnerungen ist für uns die Infor­mation, dass am Hang des Karmelberges längere Zeit Weinbau betrieben wurde. Auf der ältesten Kartenskizze der Kolonie (gezeichnet von Gottlieb Schumacher) sind die im äußersten Süden gelegenen Gebäude als die Wohnhäuser von Weingärtnern eingezeichnet. Wegen Rebkrankheiten und zu starker Sonneneinstrahlung hat man den Weinbau damals aber wieder aufgegeben. An Stelle der Rebstöcke wurden Gemüse und Obstbäume angepflanzt. Manch ein Hang-Grundstück ist aber auch an Angehörige der Bahá’í-Religion verkauft worden. Im Grunde ist also der untere Teil der Bahá’í-Gärten ehemals ein Teil unserer Kolonie gewesen.

Smadar Barak von der Hebräischen Universität in Jerusalem erkundigt sich nach näheren Einzelheiten über das HAMA-Werk in Haifa. Er hat von seinem Vater ein metallenes Fund­stück geerbt, auf dem das Firmenzeichen »HAMA« zu lesen ist. Erfreulicherweise konnten unsere australischen Templerfreunde Doris Frank und Horst Blaich dem Anfragenden die gewünschte Auskunft geben. Um 1870 waren die Kaltenbachs aus Dornstetten bei Freu­denstadt nach Haifa gekommen. Sie hatten außerhalb der Kolonie Land erworben (in der Siedlung Bat Galim), wo sie zunächst einen Windmühlenbetrieb gründeten, der einige Zeit später auf Dampfbetrieb umgestellt wurde. Da das Mühlenunternehmen zu weit entfernt von der Kolonie lag und zunehmend unrentabel wurde, wurde ein Grundstück im Osten der Stadt Haifa erworben.

Doris Frank von der TSA Heritage Group hat sich die Mühe gemacht, die Beschreibung über die dort betriebene Mechanische Werkstätte Fritz Kaltenbach & Söhne für den Interessenten aus Jerusalem ins Englische zu übersetzen. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich die Tätigkeit der Mechanischen Werkstätte um einiges ausgeweitet. Sie wurde zum HAMAWERK (HAifa MAschinenWERK), dessen Eigentümer außer den Kalten­bachs noch Jone Frank und Theophil Wagner waren. Das Unternehmen wurde im Lauf der Jahre zu einer wichtigen industriellen Produktionsstätte und hatte in Palästina eine ähnliche Bedeutung erlangt wie die Gießerei und Maschinenfabrik Gebr. Wagner in Jaffa.

Peter Lange (TGD-Archiv)

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