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Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts? - Der Erste Weltkrieg (Teil 1) - Brigitte Hoffmann
Brudermorde - Kain und Abel - Wolfgang Blaich
Mediation - Eine neue Methode der konstruktiven Konfliktbeilegung - Jörg Klingbeil
Buchvorstellung - Die Bibel für kluge Kinder und ihre Eltern - Karin Klingbeil
Aus dem Tagebuch des Archivleiters - Peter Lange
Dieses Schlagwort zur Charakterisierung des Ersten Weltkriegs ist relativ jung - ein halbes bis ein Jahr alt -, aber es hat sich schlagartig durchgesetzt und ist heute in aller Munde. Das zeigt, dass es einen Nerv getroffen hat: die Folgen dieses Kriegs reichen bis weit in die heutige Politik hinein. Was steckt dahinter?
Man muss trennen zwischen Anlass und Ursache. Vom Anlass später. Die Ursachen reichen weit zurück und sind so komplex und ineinander verschlungen, dass ich nur einige der wichtigsten kurz skizzieren kann:
Aus Aufklärung und der französischen Revolution kam die Idee (und teilweise die Praxis) eines Staates aus gleichberechtigten Bürgern, aus den napoleonischen Kriegen das Erlebnis - und die Verherrlichung - einer Schicksalsgemeinschaft. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde er zur eigentlichen Religion einer Mehrheit.
Durch das ganze 19. Jahrhundert zieht sich steigende Ersetzung von Handarbeit durch Maschinen. Enorme Steigerung der Arbeitseffizienz; soziale Folgen: kurzfristig vielerorts Massenelend (Aussterben von Handwerkerberufen), langfristig steigender Wohlstand - für alle, aber sehr ungleich verteilt. Bevölkerungsexplosion (durch verbesserte Ernährung, Medizin und Hygiene), Verstädterung - in vielen Städten verdoppelte oder verdreifachte sich die Einwohnerzahl in 5-10 Jahren.
a. Seit dem Sturz Napoleons herrschte zwischen den fünf Großmächten - England, Frankreich, Russland, Preußen, Habsburg (Österreich-Ungarn) ein labiles, aber akzeptiertes Gleichgewicht. Mit der Gründung des Deutschen Reichs aber änderten sich die Kräfteverhältnisse grundlegend. Nun gab es in der Mitte einen Staat, der schon durch seine Größe und Bevölkerungszahl, durch seine wirtschaftliche und militärische Kraft, eine führende Rolle in der damals explodierenden naturwissenschaftlichen Forschung jedem der anderen überlegen war und dadurch Misstrauen weckte.
In 20 Jahren einer auf Ausgleich bedachten Politik konnte Bismarck dieses Misstrauen weitgehend zerstreuen, aber als 1890 der neue Kaiser, Wilhelm II, ihn entließ und selbst die Außenpolitik übernahm, änderten sich Stil und Ziel der Politik.
Wilhelm II wollte für sich und sein Reich »einen Platz an der Sonne«; konkret: Weltgeltung für das Reich, in Konkurrenz zu den alten Kolonialmächten England und Frankreich und über sie hinaus. Er stellte Ansprüche, provozierte bei jeder Gelegenheit, erreichte manchmal begrenzte Vorteile, aber insgesamt, dass Deutschland in Europa weitgehend isoliert war. 1914 waren die einzigen möglichen Verbündeten Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich (in der Folge abgekürzt »Türkei«, obwohl das für die Zeit bis nach dem Krieg nicht stimmt).
b. Beide waren extrem gefährdet. Sie waren Vielvölkerstaaten, in denen Jahrhunderte lang Einheimische, Zuwanderer der verschiedensten Art und Angehörige des Herrenvolks nebeneinander gelebt hatten, mit verschiedenen Rechten, aber meist einigermaßen friedlich. Jetzt, in der Zeit des immer fanatischeren Nationalismus, funktionierte das nicht mehr. Es kam zu Aufruhr und drohendem Zerfall - ein weiteres Gefahrenmoment in der spannungsgeladenen Atmosphäre.
Die Bücher darüber füllen Bibliotheken - es geht um die Kriegsschuldfrage. Die gilt heute als irrelevant oder nicht beantwortbar. Ein australischer Historiker hat an Hand der Quellen - sämtliche amtlichen Dokumente und alle privaten Aufzeichnungen, die er auftreiben konnte - die Abläufe im Sommer 1914 minutiös nachgezeichnet und legt den Schluss nahe: keine Regierung wollte eindeutig den Krieg, aber alle spielten und rechneten damit, bis es kein Zurück mehr gab. Dafür spricht die lange Frist zwischen Kriegsanlass und Kriegsausbruch.
Der Anlass war die Ermordung des österreichischen Thronfolgers durch einen serbischen Nationalisten am 28. Juni 1914, die Kriegserklärungen erfolgten - z.T. auf Grund bestehender Bündnisverpflichtungen -, zwischen dem 1. und 4. August: Deutschland, Habsburg, Türkei gegen England, Frankreich, Russland. Da die Kolonien und Protektorate Englands und Frankreichs (zusammen: ganz Afrika, Indien und Australien) mit eingeschlossen waren, war es ein Weltkrieg im wörtlichen Sinn.
Nun war der Krieg da - und in weiten Teilen Europas herrschte Kriegsbegeisterung. Das hatte Gründe: die Industrialisierung hatte zwar das Leben materiell besser gemacht, aber sie hatte oft auch viele alte Bindungen zerstört: die zum - oft auch über Generationen - ausgeübten Beruf, der einen nicht mehr ernährte; die an die Großfamilie, die sich zerstreute, weil die Menschen dorthin gingen, wo es Arbeit gab; das Gefühl, Ererbtes - Besitz und Werte - nicht weitergeben zu können. Das Leben wurde individueller, aber auch anonymer. Das schuf für viele ein Gefühl der Sinnlosigkeit, und ein Teil der geistigen Elite - Literaten, Musiker, Maler u.a. - sahen im Krieg die Chance eines großen Umbruchs, der etwas ganz Neues bringen würde, aber auch wieder die »ewigen Werte« von Gemeinschaft, Opferbereitschaft bis zum Heldentod.
Dass dieser Rausch auf die Massen übersprang, wurde möglich durch die Beschleunigung der Kommunikation und den maschinellen Druck: Zeitungen wurden so billig, dass alle sie sich leisten konnten. Und die Politik erkannte darin ein Werkzeug, die Volksmeinung zu steuern. Das sollte Folgen haben.
Der Rausch verflog schnell. Der Krieg bedeutete nur für ganz Wenige eine erhebende Herausforderung. Für die große Mehrheit bedeutete er ein Grauen, das man sich nicht hatte vorstellen können.
Das lag vor allem daran, dass sich durch die Industrialisierung die Waffenherstellung »vervollkommnet« hatte. Es gab jetzt Schnellfeuergewehre, Minen, schwere Artillerie und - während des Kriegs zur Serienreife entwickelt - Panzer, Kriegsflugzeuge, U-Boote, Giftgas. Das daraus folgende Grauen ist während der letzten Wochen in allen Medien beschrieben worden, ich brauche das nicht zu wiederholen.
Der Kriegsverlauf berührt zwar unser Thema, vor allem wegen der politischen Fehler, die Deutschland machte und die z.T. bis heute wiederholt werden. Aber wesentlich ist er nicht, denn der tiefere Grund für die deutsche Niederlage ist klar und hätte seit 1915 klar sein können: die deutsche Großoffensive gegen Frankreich, die den Sieg hätte bringen sollen, war gescheitert, der Krieg wurde zum Stellungskrieg, entlang einer Linie von den Vogesen durch Lothringen, Nordfrankreich und Belgien bis zum Kanal. Keine Seite hatte mehr die Kraft zu einem Durchbruch, es galt, die Stellung zu halten und möglichst viele Feinde zu töten (»Blutpumpe von Verdun«). Es war ein Abnutzungskrieg entstanden - und den konnte Deutschland gegen fast die ganze Welt nur verlieren. Nur wollten das die meisten deutschen Politiker nicht sehen und erst recht nicht sagen.
Denn fast wichtiger als die Kämpfe war der Durchhaltewillen der Bevölkerung geworden. Die stand unter enormem Druck: durch Überforderung - die Arbeit der Millionen von Kämpfenden, Gefallenen, Verwundeten musste von den Verbliebenen, hauptsächlich Frauen, zusätzlich geleistet werden; und durch Hunger - Deutschland brauchte Lebensmittelimporte, die nun infolge der englischen Seeblockade ausblieben. Ab 1916 wurde in Deutschland gehungert, wie später nie mehr, auch im Zweiten Weltkrieg nicht. Nach Schätzungen starben ca. ½ Million Menschen direkt oder oder indirekt am Hunger. Aber niemand begehrte auf: in der Not lässt man das Vaterland nicht im Stich.
Diesen Durchhaltewillen musste man aufrecht erhalten, durch falsche Hoffnungen auf einen »Siegfrieden« und durch Gräuelmärchen über den Gegner, der zum Inbegriff des Bösen stilisiert wurde (übrigens auf beiden Seiten). Zur Revolution kam es erst in den letzten Kriegstagen, als der Krieg definitiv und offensichtlich verloren war, aber sie breitete sich dann wie ein Buschfeuer aus. Die neue Regierung musste sofort bedingungslos kapitulieren. Das war das Ergebnis der Politik von Kaiser und Militär. Angelastet wurde die Niederlage von einer nationalistischen Mehrheit der neuen republikanischen Regierung, die Deutschland vor einer vollständigen Besetzung bewahrt hatte. Das war für die neue Republik eine schwere Hypothek.
(Fortsetzung und Schluss folgen in der nächsten Ausgabe)
»Als sie auf dem Feld waren, griff Kain seinen Bruder Abel an und erschlug ihn.« (Genesis 4, 1-16)
Nach ihrer Vertreibung aus dem Garten Eden bekommen Adam und Eva laut biblischer Erzählung zwei Söhne: Kain, den Bauern, und Abel, den Hirten. Beide bringen ihre Opfer dar, wobei Abels angenommen wird, Kains nicht. Der erste Mord in der Geschichte der Zivilisation, der erste Brudermord.
Diese Erzählung hat in der im Buch Genesis geschilderten Fassung bestimmt keinen historischen Hintergrund. Es ist eher ein archetypisches Beispiel für das Verhalten von Menschen überhaupt und zeigt wesentliche Merkmale von menschlichem Fehlverhalten.
Anlass für mich, auf diese Erzählung zurückzugreifen, ist die momentane Weltlage, die »Brudermorde« im Gazastreifen, im Irak, in Syrien, in der Ukraine ... Juli/August 1914, September 1939...
Ob diese Erzählung einen wahren Hintergrund hat oder nicht, ist für mich, für die Aussage, für die Botschaft, nicht wesentlich. Wer diese Geschichte geschrieben hat, der verfügte über einen tiefen Einblick in das menschliche Wesen: die Erkenntnis, wie stark der Mensch seinen Emotionen unterliegen kann, und dadurch Kontrolle über sich verliert, und vor den größten Verbrechen nicht zurückschreckt.
Der Text in Genesis 4 zeigt das sehr genau auf: Da überlief es Kain ganz heiß und sein Blick senkte sich. Der Herr sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß und warum senkt sich dein Blick? ... wenn du nicht recht tust, lauert an der Tür die Sünde als Dämon. Auf dich hat er es abgesehen, doch du werde Herr über ihn!
Kain ist nicht mehr Herr seiner Emotion - Neid und Hass haben ihn überwältigt. Aber worauf beruhen sein Neid und sein Hass? Hat er die Zeichen richtig erkannt? Oder unterliegt er einem Irrtum seiner Vorstellungen? Wie will er verstehen, ob Gott sein Opfer angenommen hat? Wie wollen wir überhaupt den Willen Gottes verstehen können?
An die Stelle von Glauben und Vertrauen treten Irrglauben und Fanatismus. Wie wollen die Israelis, die Palästinenser für sich in Anspruch nehmen, dass sie Gottes Willen erkennen und nach diesem handeln? Woher nehmen die islamistischen Gotteskrieger die Überzeugung, dass sie Gottes Wege verstehen und nach diesen handeln, verstehen was ein »Gottesstaat« in Wahrheit ist? An die Stelle von wahrem Glauben, von Suchen nach Wahrheit, an die Stelle von Demut treten Ideologie und Fanatismus ohne die Frage nach Gerechtigkeit und Frieden. So wie Kain gegen die Stimme Gottes, gegen sein Gewissen taub ist, so verlieren Menschen jegliches Gefühl für Menschlichkeit auf der Basis von Achtung und Respekt gegenüber dem anderen, geht jede Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe verloren. Emotion und Fanatismus lassen für sie den »Brudermord« als gerechtes Handeln zu.
Gleich ob die Kain-Geschichte wahr ist oder nicht - sie kommt in ähnlichen Fassungen in Epen verschiedener Völker vor. Und diese haben das Ziel, uns vor Augen zu halten, wie wichtig es ist, »Herr« seiner Emotionen und Gedanken zu werden, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen, und nicht von unseren Emotionen beherrscht zu werden, bevor wir es bereuen müssen. Und das gilt nicht nur für die »großen« Dinge, sondern auch für die kleinen im Alltag, denn dort begegnen wir genauso überall unseren Vorstellungswelten, die selten genug der Realität entsprechen!
Im Jahr 2012 hat der Deutsche Bundestag das »Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung« verabschiedet. Die damalige Bundesjustizministerin sprach von einem »Meilenstein zur Verbesserung der Streitkultur in Deutschland«. Dabei ist die Entwicklung der Mediation im juristischen Bereich schon älter. Sie geht wesentlich zurück auf die Arbeiten der amerikanischen Rechtsanwälte Jack Himmelstein und Gary Friedman, die bereits 1981 das Center for Mediation Law (New York und San Francisco) gründeten, das seit den neunziger Jahren auch in Deutschland Nachahmer fand. Das deutsche Mediationsgesetz setzt u.a. die Europäische Mediationsrichtlinie von 1998 um, die allerdings nur für Zivil- und Handelssachen galt. Demgegenüber gilt das Gesetz von 2012 unabhängig von der Art der Streitigkeit. Mittlerweile haben sich nicht nur zahlreiche Anwälte und Berater, ja selbst Psychologen und Theologen als Mediatoren aus- bzw. fortbilden lassen; die Mediation hat sich auch in etliche Anwendungsfelder aufgefächert: Neben der ursprünglich im Vordergrund stehenden Familienmediation in Scheidungs- und Unterhaltssachen und den Vermittlungsverfahren in Handels- und Baustreitigkeiten gibt es zunehmend Mediationen bei Erbschaftsauseinandersetzungen, im Wirtschaftsleben (inner- und zwischenbetrieblich) oder im öffentlichen Bereich, zum Beispiel bei umweltrelevanten Planungsvorhaben. Auch der sog. Täter-Opfer-Ausgleich außerhalb des Strafprozesses wird schon häufig im Wege der Mediation herbeigeführt.
Was ist das Besondere bei der Mediation? § 1 des Mediationsgesetzes bringt es auf den Punkt: Mediation ist ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem Parteien mithilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben. Ein Mediator ist eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis, die die Parteien durch die Mediation führt. Damit wird schon deutlich, dass die Parteien selbst die wesentlichen Akteure des freiwilligen Mediationsprozesses und verantwortlich für dessen Ergebnis sind. Die Vertraulichkeit sorgt dafür, dass die Beratungsergebnisse nicht gegen die Beteiligten verwendet werden können, auch nicht im Prozess. Der Mediator hat die schwierige Aufgabe, durch geeignete psychologische Methoden die Konfliktparteien dazu zu bringen, Sache und Person voneinander zu trennen, die eigene Wahrnehmung als Konfliktfaktor zu realisieren, die jeweils unterschiedlichen Interessen wahrzunehmen und eigene (verzerrte) Entscheidungsprämissen zu erkennen. Die Vorgehensweise des Mediators unterscheidet sich dabei nicht wesentlich von der eines Moderators in anderen Diskussionsprozessen.
An die Klärung des Auftrags und der Spielregeln schließt sich die Sammlung und Beschreibung der beiderseitigen Konfliktfelder und Anliegen an, daraufhin werden die benannten Probleme einvernehmlich priorisiert und im Einzelnen unter Offenlegung der eigenen Interessen durchgesprochen. Wenn diese Hauptarbeit bewältigt ist, folgt die kreative Phase der Findung von Lösungskriterien und Lösungsmöglichkeiten. Der ganze Prozess wird schließlich in einer meist schriftlichen Vereinbarung dokumentiert. Schon diese Aufzählung macht deutlich, dass der Persönlichkeit und der Erfahrung des neutralen, aber nicht teilnahmslosen Mediators eine herausragende Bedeutung für den Erfolg einer Mediation zukommt. Allzu häufig wird sie für ein Allheilmittel bei Konflikten gehalten und dabei übersehen, dass der Mediator - anders als der Schlichter in einem Schlichtungsprozess - keine Entscheidung vorschlägt, die er für gerecht hält, sondern dass es die Konfliktparteien selbst sind, die für sich gemeinsam eine »gerechte« Lösung finden müssen. Eine erfolgreiche Mediation hängt auch davon ab, wie ergebnisoffen und ehrlich der Prozess wirklich ist und welche Ausgangsposition die Konfliktparteien haben. Ist das Machtgefälle zwischen ihnen groß und der Streit schon zu sehr eskaliert, wird eine Mediation schnell zur taktisch geprägten Alibiveranstaltung, mit der die andere Konfliktpartei hingehalten oder abgespeist werden soll. »Man sollte hier eher von Schlichtung sprechen. Für die schwächere Partei heißt das nämlich im Grunde: Friss oder stirb!«, erläuterte ein erfahrener Mediator die Vorgehensweise bei der "sogenannten" Mediation rund um den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Schwierig wird es auch, wenn der Konflikt im Wesentlichen abgeschlossen, also das »Kind bereits in den Brunnen gefallen ist«. Dies war nicht selten bei Gesprächen im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs, zum Beispiel bei sexuellem Missbrauch, der Fall, wie sie die Kirchen nach den bekannt gewordenen Skandalen anboten. »In solchen Fällen kann ich mir als Mediator höchstens stellvertretend für den Täter die Anklagen und Vorwürfe des Opfers anhören«, berichtete zum Beispiel ein Jesuitenpater über die Gespräche mit Missbrauchsopfern.
Erschwerend kommt hinzu, dass man für die Kosten einer Mediation selbst aufzukommen hat, weil weder Gerichtskostenhilfe noch Rechtsschutzversicherung eine Unterstützung anbieten. Gleichwohl sind gerade viele kirchliche Akteure überzeugt von der Kraft der Mediation und halten diesen Prozess des Verstehenlernens des anderen für eine genuin christliche Haltung der Nächstenliebe. Sie sind der Meinung, dass Mediation für Menschen, die sich darauf einlassen können, eine befriedigende und weit über den eigentlichen Konflikt hinaus bereichernde Erfahrung sein kann, die sie ihren wahren Interessen näherbringt. Wenn jemand partout nur Recht behalten will, dann hilft allerdings auch eine Mediation nicht weiter. In diesem Fall bleibt in der Regel nur ein Richterspruch übrig, um die Streithähne in ihre Schranken zu weisen.
Nachdem 2010 die 6. Auflage seines Buches »Die Bibel - erschlossen und kommentiert von Hubertus Halbfas« herausgekommen war, erschien 2013 eine weitere Bibelausgabe mit obigem Titel von demselben Autor. Rein äußerlich hat diese Ausgabe den halben Umfang - auch preislich (Die Bibel 58 €; Die Bibel für kluge Kinder 30 €).
Aufmachung und Herangehensweise an das Thema ist in beiden Büchern dieselbe: beide stellen nicht den gesamten Bibeltext vor, sondern zentrale Bibelstellen, die kommentiert und in ihrem Zusammenhang erklärt werden. Dabei ist die Bibel für kluge Kinder, um die es hier vor allem gehen soll, noch kompakter, die Sprache - auch die der Bibeltexte - gut verständlich. Ansprechend ist auch die aufwändige und sehr farbige Gestaltung: die biblischen Texte sind rot, zur klaren Unterscheidung sind die Interpretationen und Deutungen in einem anderen Schrifttyp in schwarz gedruckt. Viele Bilder, teils in den Text integriert, teils im Randbereich abgebildet, bieten zusätzliche Erklärung und zeigen die künstlerische Bearbeitung biblischer Themen in Reliefs und Wandmalereien, alten und modernen Gemälden. Außerdem illustrieren erklärende Zeichnungen, Karten und Fotografien den Text. Auch kurze Texte anderer Autoren werden dem Leser angeboten.
Nach einer Einleitung, die die Bedeutung des "fruchtbaren Halbmonds" erklärt - jenes Gebiets, in dem sowohl das Alphabet als auch die Bibel entstanden sind -, beginnt der Verfasser mit der Beschreibung der "Jüdischen Bibel", des Ersten oder Alten Testaments. Die Urgeschichten betreffen alle Menschen, während mit Abraham als dem Vater des Glaubens die Geschichte Israels mit seinem Gott beginnt. Dabei macht Halbfas klar, dass das Volk Israel historisch erst relativ spät - 1207 v. Chr. auf einem ägyptischen Gedenkstein - erscheint und dass alles, was die ersten Texte des Alten Testaments über Jahwe, den Gott Israels, sagen, erst im 5. vorchristlichen Jahrhundert niedergeschrieben worden ist, nach dem jüdischen Exil in Babylon, als der Glaube an den einen Gott sich durchgesetzt hatte. So vermittelt die Tora den Glauben an den einen Jahwe, der von Anfang an zum Volk Israel gehört habe - der aber erst tausend Jahre nach "Abraham" und siebenhundert Jahre nach "Mose" entstanden ist.
Dem Gedicht von der Schöpfung wird die physikalische Sicht von der Entstehung des Universums, der Erzählung von der Erschaffung des Menschen die biologische Sicht von der Entstehung des Lebens gegenübergestellt.
In dieser Weise entwickelt Halbfas den Fortgang der biblischen Geschichte weiter, über die christliche Bibel bzw. das Zweite oder Neue Testament, stellt die Texte in ihre Zeit und ihren Zusammenhang, so dass klar verständlich wird, dass und welche Absicht etliche Textstellen verfolgen. Jesus stellt er mit seiner zentralen Verkündigung des Reiches Gottes und seiner Tischgemeinschaft mit den "Gestalten am Rande des Lebens" als Herausforderung dar. Am Ende des Buches schildert er kurz Glaubenskämpfe im frühen Christentum, in dem es, nachdem es eine Lehre geworden war, immer neue Auslegungen gab, die Ursache für Verfolgung, Verbannung, Gefängnis, Folter und Hinrichtung waren - ganz entgegen der jesuanischen Lehre.
Andererseits stellt Halbfas schließlich dar, dass dieser Entwicklung jene Linie gegenübersteht, in der die christliche Glaubwürdigkeit nicht ganz verloren ging, nämlich die der Hilfe für Notleidende; Armenfürsorge, Sozialstationen, Spitäler und Hospize entstanden und entwickelten sich und machten die Welt menschlicher.
So entsteht durch zentrale Bibeltexte, Erklärungen und Interpretationen ein schlüssiges Ganzes, das gut zu lesen ist, Interesse weckt für Zusammenhänge und sich auch gut als Nachschlagewerk eignet.
Hubertus Halbfas; Die Bibel für kluge Kinder und ihre Eltern, Patmos Verlag, 2013, ISBN 978-3-8436-0439-0
Soeben hat unsere Templerfamilien-Datenbank eine beachtenswerte Marke erreicht: das Zählwerk des verwendeten Genealogie-Programms ist mit meinen heutigen Eintragungen auf »20.000« gesprungen!! So viele Personen konnten bisher in unserer Datei erfasst werden. Diese Größe hat die Datensammlung nur dadurch erreichen können, dass wir nicht nur von Familien innerhalb der TGD und TSA entsprechende familienbezogene Angaben erhalten konnten, sondern auch aus anderen Quellen: aus Buchveröffentlichungen, aus Fremdarchiven (vor allem den Kirchenbüchern mit ihren Familienregistern), von den Arbeiten zahlreicher Familienforscher sowie vor allem aus dem großen Repertoire der »Warte«.
Gerade aus dieser letztgenannten Quelle stammten meine erwähnten Eintragungen von zwei Todesanzeigen aus den Jahren 1905 und 1910, die auch Professor Paul Sauer in seiner Templerchronik »Uns rief das Heilige Land« erwähnt hat. Er zählte an einer Stelle seines Buches die in jenen Jahren eingetretenen Todesfälle »einer Reihe profilierter Mitglieder des Tempels« auf und nannte dabei die Namen von »Georg Friedrich Frei aus Neuweiler, Gottlieb Barchet aus Korb, Gottlieb Ammann aus Tailfingen, Karl Wohlfarth aus Murrhardt und Michael Seeger und Gottlob Rühle aus Neuweiler«. Es handelte sich bei diesen Namen um Mitglieder in Württemberg, die nicht nach Palästina ausgewandert waren, sondern hier in der Heimat den Tempelglauben zu pflegen und zu verbreiten suchten. Über die Familien der hier Genannten war, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in unserer Datensammlung bisher nichts bekannt gewesen. Doch mit solchen immer wieder erfolgenden »Funden« können wir weiterhin Steinchen an Steinchen für ein Mosaikbild unserer Geschichte legen.
Eine »Fundstelle« dieser Art hat sich erst vor kurzem wieder eröffnet, indem uns nämlich von dem Familienforscher Andreas Kozlik mitgeteilt wurde, dass er an einem »Ortsfamilienbuch Murrhardt« arbeite und bei seinen Kirchenbuch-Auswertungen auf Templer-Hinweise gestoßen sei. In seiner Zuschrift weist er darauf hin, »dass Murrhardt mit seinen Filialen Fornsbach, Käsbach, Schwammhof und Waltersberg früher zu den Hochburgen der Templer gehört« habe und er dies in seinem Buchprojekt herausstellen wolle. Er versprach, mir demnächst eine Aufstellung aller damaligen Mitglieder des Tempels, von ausgewanderten wie auch von nicht-ausgewanderten, des Gebietes Murrhardt zugehen zu lassen. Durch ihn und durch Martin Seeger aus Zwerenberg besitzen wir nun eine heimatforscherliche Verbindung zu beiden früheren Templer-Schwerpunkten, dem im oberen Murrtal wie dem im nördlichen Schwarzwald, und freuen uns sehr über diese Bereicherung unseres geschichtlichen Wissens.
Als dritter Schwerpunkt templerischer Aktivität in der Gründungszeit darf natürlich Kirschenhardthof nicht fehlen. Auch zu diesem Ort ist Neues zu vermelden. Der Familienforscher Friedrich Klenk hat mit Hilfe seiner Ehefrau die Lebensgeschichte des »Abessinien-Missionars Gottlieb Kienzlen« verfasst und uns ein Leseexemplar davon zur Verfügung gestellt. Aus seiner Darstellung geht hervor, dass die Familie Kienzlen einen Bauernhof im Weiler Kirschenhardthof betrieben hat (der letzte Hof am Ortsausgang Richtung Buchenbachtal auf der rechten Seite), diesen jedoch beim Zuzug der Templer 1856 nicht verkaufte, sondern weiter betrieb. Nach seinen Angaben haben sich die Kienzlens der Templerbewegung nicht angeschlossen, es sieht jedoch danach aus, als ob die durch den Zuzug entstandene pietistische Strömung keinen geringen Einfluss auf den jungen Gottlieb Kienzlen gehabt hatte, der zwar das Metzger-Handwerk erlernte, aber sich dann dem Ruf der Pilgermission des Christian Friedrich Spittler in Sankt Chrischona zuwandte und von diesem herausragenden Pietisten im Herbst 1854, zusammen mit Johann Ludwig Schneller und anderen, nach Jerusalem geschickt wurde.
Da Christoph Hoffmann von Dezember 1853 bis 1855 als Inspektor der Pilgermission in Sankt Chrischona tätig war, dürfte er mit dem jungen Kienzlen vermutlich dort zusammengetroffen sein. Das stellt ein Brief unter Beweis, den Gottlieb Kienzlen 1854 wegen seiner Freistellung vom Militärdienst vom Hardthof aus an Christoph Hoffmann geschrieben hat. Ob in dem Kirschenhardthöfer daraus ein zusätzlicher Impuls erwachsen ist, und ob Hoffmann sich dieses strebsamen jungen Mannes erinnert haben mag, als er 1855/56 auf die Suche nach einem Niederlassungsort für die erste Probegemeinde der Jerusalemsfreunde ging, wissen wir nicht, es könnte aber durchaus so gewesen sein.
»Wer in Haifa, der israelischen Hafenstadt am Mittelmeer, durch die Ben Gurion Straße fährt, der hat seinen Blick auf die "hängenden Gärten" des Bahai-Zentrums auf dem Karmel gerichtet - ihm könnten dort schwäbische Reisende begegnen. Gehen aber seine Blicke bereits jetzt nach rechts und links, begegnet ihm noch mehr Schwäbisches. Rote Ziegel anstelle der üblichen Flachdächer, Häuser mit einem Stockwerk und Bühne - fast so wie sie hier in Kirchheim stehen könnten.« So lautet die Ankündigung eines Gemeindeabends in der Evangelischen Thomaskirche in Kirchheim (Teck), die uns Brigitte Kneher zur Kenntnisnahme geschickt hat. Man sieht an dieser Ankündigung, dass die Geschichte der Templer an vielen Stellen im Land, auch in religiösen Kreisen, weiterhin reges Interesse findet.
Wo es angefragt wird, halten unsere Geschichtskundigen in der Tempelgemeinde gern auch Vorträge, wie es erst kürzlich bei einem Vereinsabend des Lions Clubs in Gerlingen der Fall war, als ich vor einem zahlreichen Publikum eine Bildpräsentation über Entstehung, Siedlungswerk und Glaubensausrichtung der Tempelgesellschaft geben durfte. Bei solchen Veranstaltungen treffen wir im Allgemeinen auf großes Erstaunen darüber, dass eine kleine, durch Abspaltung entstandene außerkirchliche Glaubensgemeinschaft sich so lange hat erhalten können.
Peter Lange, TGD-Archiv