Die Warte des Tempels

Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 170/3 - März 2014

 

 

Suchet der Stadt Bestes - Jörg Klingbeil

Das Wunder des Wachsens - Frieder Hammer

Asylrecht - Verpflichtung und Realität - Teil II - Brigitte Hoffmann

Restaurierung alter Templer-Häuser - Peter Lange

Suchet der Stadt Bestes

Zwischen Integration und Parallelgesellschaft

Die Überschrift stammt aus einem Brief, in dem der Prophet Jeremia die nach Babylon verschleppte Elite des Landes, wenige Jahre vor der endgültigen Zerstörung Jerusalems im Jahre 587 vor Christus, ermutigt, sich in der Fremde mit den Verhältnissen zu arrangieren. Er belässt es aber nicht bei Durchhalteparolen, sondern er geht weit darüber hinaus, denn im Klartext sagt er: »Kümmert euch um die Stadt eurer Feinde, um Recht und Gerechtigkeit auch in dem Gemeinwesen derjenigen, die an eurer Verschleppung und an eurem Exil schuld sind.« Man denkt unwillkürlich an die Worte Jesu aus der Bergpredigt »Betet für eure Feinde«. Zwar unterscheidet sich die Situation eines Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeiters grundlegend von der eines Auswanderers oder eines politischen Flüchtlings. Der erste ist gegen seinen Willen in das fremde Land gekommen und er will so früh wie möglich wieder heim oder zumindest in die Freiheit entlassen werden, der zweite ist mehr oder weniger freiwillig da, wenn auch die Not oder die Gefahr in seiner Heimat oft keine wirkliche Entscheidungsfreiheit zuließ. Auch der Blick des Gastlandes auf die Ankömmlinge ist ein anderer, je nachdem, ob es um Kriegsgefangene geht oder um Armutsflüchtlinge oder gar um sog. Gastarbeiter, die man selbst angeworben hat. Ihnen gemeinsam ist aber, dass sie sich mit der Fremde arrangieren müssen und die neue Heimat sich mit ihnen. Es geht um die Integrationsbereitschaft der Fremden ebenso wie um die Aufnahmebereitschaft der Gastgeber. Dieses Spannungsfeld verleitet oft zur Klischeebildung, wie wir es in der aktuellen Diskussion rund um die angeblich drohende Armutseinwanderung im Zusammenhang mit der seit dem 1. Januar 2014 beste­henden Arbeitnehmerfreizügigkeit von Bulgaren und Rumänen erleben.

Auch hier empfiehlt sich der Blick in den eigenen Spiegel und in die eigene Vergangenheit. Denn historisch betrachtet war unser Land nicht nur Einwanderungsland, als was wir es heute erleben, sondern auch Auswanderungsland - wer wüsste das nicht besser als die Templer. Gerade Südwestdeutschland verzeichnete ab dem 18. Jahrhundert zahlreiche Auswande­rungsbewegungen, veranlasst durch Kriege, Hungersnöte und religiöse, später auch politische Verfolgung. In der Fremde lockten billiges Land, Sondervergünstigungen, religiöse und kulturelle Freiheiten und zumindest mittelfristig Wohlstand. Stand im 18. Jahrhundert noch Osteuropa im Vordergrund, so setzte im 19. Jahrhundert eine regelrechte Massenaus­wanderung ein, nun in erster Linie über den Atlantik in die Vereinigten Staaten von Amerika. Die religiösen Beweggründe nahmen ab, nun überwogen die wirtschaftlichen Motive, vor allem bei der Landbevölkerung. Man schätzt, dass zwischen 1820 und 1920 rund sechs Millionen Deutsche das Land verließen. Allein zwischen dem Wiener Kongress (1814/15) und der Reichsgründung 1871 wanderte über ein Fünftel der württembergischen Bevölkerung aus; in Baden waren es in den kurzen neun Jahren zwischen 1845 und 1854 über 130.000 Menschen oder zehn Prozent der Bevölkerung.

Wie hielten es die deutschen Auswanderer nun mit dem Leben in ihren Aufnahmeländern? Suchten sie das Beste für das Gemeinwesen, das sie aufnahm bzw. in dem sie lebten? Integrierten sie sich oder blieben sie eher unter sich, bildeten also gewissermaßen eine Parallelgesellschaft, also etwas, das wir heute manchmal leichtfertig den Zuwanderern bei uns vorwerfen? In den Vielvölkerstaaten in Ost- und Südosteuropa bildeten die deutschen Siedler seit dem 18. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg eine eigenständige und abgeschlossene Gruppe, pflegten auch ihre kulturelle Eigenständigkeit mit deutscher Sprache, eigener Mundart und deutschem Brauchtum, mit eigenen Kirchenorganisationen und eigenen Vereinen. In gewisser Weise war das eine Parallelgesellschaft im Verhältnis zum Gastland. Andererseits: Wie wäre es mir selbst ergangen, beispielsweise nach einer Auswanderung nach Australien? Wäre ich dann nicht froh gewesen, in der Fremde auf Landsleute zu treffen, mit denen ich hätte deutsch sprechen können? Das sollte man bedenken, wenn sich heute Zuwanderer untereinander in ihrer Muttersprache unterhalten und man nichts versteht. Auch die Templer in Palästina hatten vermutlich in erster Linie das Wohlergehen der eigenen Kolonien im Blick, lebten weitgehend in ihrer eigenen Welt und wollten wohl allenfalls beispielhaft auf ihre osmanische, später palästinensische oder jüdische Umgebung wirken.

Die Integration mag in einem Land wie den USA, das sich selbst als Schmelztiegel, als »melting pot of nations«, versteht und einen Verfassungspatriotismus einfordert, anders verlaufen als in einem Staat, der in seiner Vergangenheit ethnische oder völkische Unterschiede hervorgehoben hat. Vielleicht auch deswegen hat Deutschland seine Rolle als Einwanderungsland bis heute nicht angenommen. Aber welches Maß an Integration erwarten wir von Einwanderern, von Fremden generell? Welche Bereitschaft hierzu? Möglicherweise mehr, als wir von uns selber in der umgekehrten Situation fordern würden. Wenn ich den Spruch »suchet der Stadt Bestes« im Zusammenhang mit der Integrationsbereitschaft von Ausländern höre, dann fällt mir unwillkürlich der Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Rainer Arnold, ein, der im letzten Jahr, als der Umbau des Bahnhofs begann und vorübergehend eine behelfsmäßige Fußgängerbrücke gebaut wurde, eine prima Idee hatte - meinte er zumindest: Er vereinbarte mit der Bundesbahn, dass sie einige der örtlichen Asylbewerber als Kofferträger engagierte; sie erhielten von der Bahn ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift Service und einen Strohhut gegen die Sonne. Die Bahn zahlte ihnen 1,05 Euro pro Stunde, die nicht auf die Sozialhilfe angerechnet wurden; mehr war nach dem Asylbewerber­leistungsgesetz nicht drin. Damit waren der OB und die Deutsche Bahn AG allerdings voll ins Fettnäpfchen getreten. Die Presse prangerte den »Sklavenlohn« an und sprach von einem »Rückfall in die Kolonialzeit«. Daraufhin stampfte die Bahn das Projekt umgehend wieder ein, sprach von einem Missverständnis und setzt nun eigene Mitarbeiter mit Tariflohn ein. Der OB berichtet, dass die enttäuschten Asylbewerber die Welt nicht mehr verstünden. Alle hätten sich freiwillig gemeldet. Außer dem kärglichen Lohn hätten sie auch Trinkgelder erhalten und das nicht zu knapp. Sie hätten gerne weitergearbeitet. Nun seien sie wieder arbeitslos und säßen untätig in ihrer Unterkunft herum; das mache sie depressiv. OB Rainer Arnold bringt es auf den Punkt: »Sie hatten das erste Mal das Gefühl, gebraucht zu werden und der Stadt auf diese Weise etwas zurückgeben zu können.« Gebraucht werden, anerkannt werden, etwas zurückgeben können, schon der Selbstachtung wegen; das dürften die Erfolgsfaktoren sein, die schon Jeremia meinte: Wenn es der Stadt wohl geht, dann geht es euch auch wohl. Soll wohl heißen: Wenn ihr etwas für das Ge­meinwesen tun könnt, dann werdet ihr auch angenommen. Ein 43-jähriger Asylbewerber aus Nigeria schilderte der Zeitung Situationen, die er niemals vergessen werde und in der er sich als Teil der Gemeinschaft gefühlt habe: Ein älterer Mann, dessen Koffer er getragen habe, habe sich mit ihm zusammen fotografieren lassen wollen. Und eine junge Mutter habe ihm sogar ihr Baby in die Hand gedrückt, ihm, dem schwarzen Asylbewerber, wegen dem sonst andere die Straßenseite wechseln. Rainer Arnold will nicht aufgeben und hat das Thema Integration in Schwäbisch Gmünd zur Chefsache gemacht. Inzwischen hat er einigen Asylbewerbern Arbeits- und Praktikumsplätze bei der Stadt besorgt. Auch bei der Landesgartenschau in diesem Jahr will er 50 Asylbewerber als Servicepersonal einsetzen. Daneben hat die Stadt mit Unterstützung des Landkreises ein Modellprojekt auf den Weg gebracht: 24 Asylbewerber besuchen seit Anfang Dezember 2013 einen Sprachkurs. Vom Gesetz her ist das eigentlich gar nicht vorgesehen. Rainer Arnold meint dazu: »Das Asylrecht ist nicht auf Integration angelegt, sondern auf Ausgrenzung und Abschiebung«. In der Tat ist Integration für Asylbewerber eigentlich nicht vorgesehen, sondern eher für Ausländer, die bleiben sollen. Vom christlichen, oder besser gesagt: vom menschlichen Standpunkt aus kann unsere Bereitschaft, dem Fremden eine Chance zu geben, ihn als Menschen zu behandeln, hiervon nicht abhängen. Und wir werden, wenn wir aufmerksam und achtsam bleiben, in unserem Leben genügend Möglichkeiten entdecken, Fremden mit Respekt und Achtung zu begegnen.

Jörg Klingbeil (aus der Saalansprache vom 12. Januar 2014, gekürzt)

Das Wunder des Wachsens

Auch in diesem Heft soll noch ein Beitrag von dem im Oktober von der Jugend gestalteten Dankfestsaal in der »Warte« erscheinen.

Frieder Hammer und sein Freund Immanuel Wahl trugen im Laufe der Veranstaltung zwei Raps vor, deren Texte des Abdrucks wert sind.

Dieses Jahr hab ich zum ersten Mal selbst Tomaten gezüchtet und habe erlebt, wie faszinierend das ist, wenn man ein Samenkorn, das nicht einmal einen Millimeter lang ist, in die Erde steckt und dann kurze Zeit später ein kleines Pflänzchen daraus wächst. Aber beim kleinen Pflänzchen bleibt es nicht - meine Tomatenpflanzen haben mich schon nach wenigen Monaten deutlich überragt.

Wenn man mal so darüber nachdenkt, wie viele Milliarden und Abermilliarden Vorgänge für so ein gigantisches Wachstum, von weniger als einem Millimeter bis zu über zwei Metern, nötig sind, wie viele einzelne Zellen daran beteiligt sind, die gemeinsam die Wurzeln, den Stamm, die Blätter und die Früchte bilden, da ist das schon faszinierend. Jede einzelne Zelle trägt ihren Teil dazu bei, betreibt Stoffwechsel, kommuniziert mit den anderen und tut dann letztlich ganz genau das, was sie muss, damit die Pflanze wächst.

Noch krasser wird es, wenn man noch tiefer reingeht und sich die Molekular­ebene anschaut. Jede der unzähligen Zellen besteht wiederum aus einer Unzahl unterschiedlicher kleiner Teilchen, die miteinander interagieren und so die Organe der Zelle bilden.

Wenn man sich das also mal so vor Augen führt, ist schon das kleinste Pflänz­­chen ein unglaublich komplexes, organisatorisches und infrastrukturelles Meisterwerk. Selbst die aller­größten Bauwerke und Städte, die wir Menschen errichtet haben, können sich an Komplexität nicht einmal ansatzweise messen mit den kleinsten Gewächsen der Schöpfung.

Das ist für mich das Wunder des Wachsens. Aber ich erlebe dieses Wunder dieses Jahr sogar noch viel stärker. Meine Frau ist schwanger und in ihrem Bauch entsteht ein völlig neuer Mensch.

Da entwickeln sich aus ursprünglich einer einzigen befruchteten Zelle, die mit bloßem Auge wahrscheinlich kaum sichtbar ist, hochspezialisierte Organe. Die Lunge für die Sauerstoff­zufuhr, der Verdauungsapparat, um die Nährstoffe aufzunehmen, das Herz und der Blutkreis­lauf, um diese Stoffe bis in die letzten Winkel des Körpers zu verteilen. Die Sinnesorgane als sensible Sensoren, um die Welt wahrzunehmen. Das Gehirn als genialer Denkapparat, um die Welt zu begreifen. Alles hat seine ganz eigene Funktion und Aufgabe.

Doch obwohl die Entwicklung im Mutterleib so unüberschaubar vielfältig und individuell verläuft, funktioniert sie ohne jedes bewusste Zutun von außen. Wenn der Mensch künstlerisch tätig wird, etwas kreiert oder etwas baut, dann stellt er sich vor, wie das Ergebnis auszusehen hat und formt die Rohstoffe nach diesem Bilde. Die Mutter aber erschafft das Baby nicht, es ist kein Werk ihres Verstandes. Sie denkt sich nicht »Heute lasse ich die Lungen reifen und die Fingernägel wachsen.« Außer den Veränderungen an ihrem Körper und den Kindsbewegungen bekommt sie davon kaum etwas mit. Die Mutter ist vielmehr der Nährboden, die Hülle der Geborgenheit, in der das Baby in den neun Monaten erschaffen wird.

Angesichts dieses wundervollen Wachs­tums, das völlig unabhängig von der Planung und Durchführung durch den Menschen vonstatten geht und das Wunder der Schöpfung illustriert, bleibt mir nichts mehr außer Gott, unserem Herrn und Schöpfer, zu danken, für die Herrlichkeit, auf die ich im Wunder des Wachsens einen kleinen Blick werfen darf.

Frieder Hammer

Im Einfachen sehn

 

Rap Vers 1:

Und wie komplex selbst das einfachste Ding ist, das draußen wächst!

Ein Samenkorn liegt irgendwo in der Erde versteckt.

Doch wenn es Licht kriegt, erwacht es, kleine Wurzeln spreng'n sachte

die Schale und treiben als Grundstein eines Gartens.

Der Baum wächst mannshoch und höher und höher,

erreicht das Zehntausendfache seiner ursprünglichen Größe!

Ein mächtiges Wunder schläft in jedem kleinen Keim!

Wie herrlich ist dann erst das große Ganze in Ewigkeit?

Gesang Vers 1:

Du hast Schönheit zum Leben erweckt, lass mich dich im Einfachen sehn,

deine Liebe hast du in uns gesetzt, lass mich dich im Einfachen sehn.

Im Kleinen dich zu sehen, lässt mich niederknien.

Es überwältigt mich zu spüren, wer du bist.

Im Kleinen dich zu sehen, lässt mich niederknien.

Voll Ehrfurcht seh ich dich, erfassen kann ich's nicht.

Rap Vers 2:

Wenn du durchs Leben gehst, beide Augen offen und weit,

dann ist jeder Grashalm da draußen ein Gottesbeweis!

Schönheit in reinster Form, stabil und doch fein und zart

Vollkommenheit in der Schöpfung auf seine eigene Art!

Jede Zelle lebt und interagiert

Erstaunlich, wie das Leben im Lebewesen pulsiert!

Doch wenn Wunder gescheh'n um mich überall

und zu jeder Zeit

wie herrlich ist dann erst das große Ganze in Ewigkeit?

Gesang Vers 2:

Ganz umgeben von Wundern bin ich, lass mich dich im Einfachen sehn.

Im Erstaunen, da finde ich dich, lass mich dich im Einfachen sehn.

Bridge:

Und doch ist das, was ich erfassen kann,

nur ein Funke deiner Fülle.

 

Text: Elina Wildemann (Gesang), Fage MC (Rap) Musik: Elina Wildemann

Für alles

 

Rap Vers 1:

Herr DANKE! Wie leicht erscheint selbstverständlich,

wie reich man von dir beschenkt ist!

Deine Gnade unendlich!

Und ich danke dir aus tiefster Seele,

dafür, dass ich atme mit Blut in den Adern,

danke, dass ich lebe!

Danke, für die Talente, dass ich reden,

sehen und gehen kann,

dass du mich mit Familie und

guten Freunden gesegnet hast!

Für alle, die ich liebe, für alle, die mich lieben.

Danke für ein Jahrhundert des Friedens!

Gesang Vers 1:

Für alles, was du gibst und tust;

Für alles, was du bist;

Für alles, womit du mich beschenkst,

Sei dir der Dank.

Gesang Chorus:

Ewig werde ich dich preisen,

Du nur allein bist mein Herr.

Herrlich sind deine Taten.

Staunend betracht' ich dein Werk.

Rap Vers 2:

Herr DANKE!! Ich will nie wieder vergessen,

das Viele zu schätzen,

das du gibst, dieser Reichtum lässt sich niemals messen!

Auch wenn uns Krisen frusten!

Wir sind die ersten Menschen auf der Welt,

die nie hungern und frieren mussten!

Ich dank für Freude und Trost in der Trauer!

Für die Schönheit der Schöpfung,

du bist ein großer Erbauer!

Danke, dass Recht uns beschützt, danke,

dass Glaube uns stützt!

Danke, dass es dich gibt und du so herrlich bist, wie du bist!

Gesang Vers 2:

Für deinen Schutz auf meinem Weg;

Für deine Liebe, Herr;

Für deinen Kurs, wie du mich führst

Sei dir der Dank.

Rap Bridge:

Und ich sprech es aus Leib und Seele, Herz und Verstand:

Dir allein sei der Dank, dir Herr, sei all mein Dank!

Und ich ruf es über Berg und Tal und das ganze Land!

Dir allein sei der Dank, dir Herr, sei all mein Dank!

Gesang Bridge:

Aus ganzer Seele,

Mit ganzem Herzen,

für alles, was du tust,

geb' ich dir den Dank.

 

Text: Immanuel Wahl (Gesang), Fage MC (Rap) Musik: Immanuel Wahl

Asylrecht - Verpflichtung und Realität

Teil II

Ich denke, die meisten, die den Bericht in Teil I gelesen haben, reagierten spontan so wie ich: das ist eine Schande für Europa, es bedeutet eine Unsumme von Leid und Verzweiflung, das muss unbedingt geändert werden.

Trotzdem hat es in zwanzig Jahren nur minimale Verbesserungen gegeben. Warum? Eine formale rechtliche Verpflichtung gibt es nicht (politisch Verfolgte in Deutschland s. Teil I). Kein Staat kann gezwungen werden, Flüchtlinge aufzunehmen, die er nicht haben will. Und selbst wenn es eine solche Verpflichtung gäbe, gäbe es niemanden, der die Einhaltung erzwingen könnte.

Ich würde dagegen setzen: es gibt sehr wohl eine moralische Verpflichtung, nicht zuzulassen, dass Tausende von Menschen ertrinken (im Mittelmeer geschätzte 20 000 in den letzten 25 Jahren) oder verhungern, weil sie nirgends aufgenommen werden. Wir müssten etwas dagegen tun.

Nur: Was kann man tun? Und wer ist »man«? Einige Länder - vor allem die, die sich schon von ihrem Ursprung her als Einwanderungsland verstanden: die USA, Kanada, Australien - haben schon lange eine Methode zur Regelung der Einwanderung entwickelt: sie setzen eine Einwanderungsquote pro Jahr fest und/oder Kriterien dafür, welche Flüchtlinge aufgenommen werden und welche nicht; meist sind es der Besitz oder die Ausbildung der Betreffenden. Beides, Quote und Kriterien, kann die Regierung nach Bedarf ändern (nicht zu oft), meist nach dem Bedarf am Arbeitsmarkt.

Zur Zeit wird immer wieder gefordert, Deutschland oder die EU sollten ein solches System einführen. Deutschland hat sich diesem Weg bis jetzt versperrt mit der Ideologie, wir seien kein Einwanderungsland - was schon seit Ende der 60er Jahre nicht mehr stimmt. Jetzt scheint ein Umdenken einzusetzen - inzwischen werden Pflegekräfte aus Ostasien ange­worben. Und: ein solches System ist für die Einwanderungsländer nützlich - sie bekommen die »richtigen« Flüchtlinge. Ob es dem Flüchtlingselend insgesamt auch nur etwas abhelfen würde, ist sehr fraglich. Es gäbe dann eine legale Einreisemöglichkeit, und vielleicht würden einige diese Chance dem Risiko einer Flucht in schrottreifen Booten vorziehen. Aber die Dauer des Wartens wäre ebenso ungewiss wie die Chance eines Erfolgs - sicher würde nur eine ganz kleine Minderheit sich darauf einlassen - angesichts von Millionen von Fluchtwilligen würde das kaum einen Unterschied machen. Wenn auf diese Weise spürbare Abhilfe geschaffen werden sollte, müssten die Jahresquoten für jeden einzelnen EU-Staat enorm hoch sein - nicht einige tausend, sondern mindestens einige 100 000 oder mehr. Und jede Regierung würde sagen: das können wir nicht verkraften - manche sogar zu recht.

Ähnliches gilt für einen anderen Vorschlag, den man immer wieder zu hören bekommt: »Es wäre besser, den Menschen in ihrer Heimat Bedingungen zu schaffen, unter denen sie bleiben und sich ein Leben aufbauen könnten.« Das klingt einleuchtend und ist im Prinzip völlig richtig.

In der Praxis ist es allerdings so naiv, dass ich keinem Politiker abnehme, dass er das ernst meint. Denn darum, den Menschen akzeptable Lebensbedingungen zu schaffen, bemüht man sich, seit in den 50er-60er Jahren die ehemaligen Kolonien selbstständige Staaten wurden (ich spreche nach wie vor von Nord- und Schwarzafrika und Nahost, s. Teil I). In manchen Staaten ist tatsächlich einiges besser geworden - Ernährung, Gesundheitsversorgung, manchmal sogar Verwaltung und etwas Rechtssicherheit - aus denen kommen keine Flüchtlinge. Aber in vielen anderen herrschen nach wie vor Hunger und Chaos und Bürgerkrieg. Alle machen deutlich: es ist ein langer und sehr mühsamer Weg, bis aus zerbrechenden alten Ordnungen tragfähige neue entstehen, denen die Menschen vertrauen. Auch wenn es Ansätze einer positiven Entwicklung gibt - denen, die heute auf der Flucht sind, ist damit nicht geholfen. In brutalem Klartext heißt das: wir können auf absehbare Zeit nichts daran ändern, dass viel mehr Flüchtlinge nach Europa wollen als wir aufnehmen können, und wir können sie nicht daran hindern, dafür ihr Leben zu riskieren.

Können wir gar nichts tun? Die Frage, wie viele Flüchtlinge ein Land aufnehmen kann, ist kaum zu beantworten. Ein deutsches Beispiel: 1945/46 kamen 3-4 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene nach Deutschland (vorwiegend Westdeutschland), in ein Land, dessen Städte und dessen Infrastuktur weitgehend zerstört waren. Und in diesem und dem folgenden Winter gab es jeweils 2-3 Monate mit Temperaturen zwischen -10° und -20°. Wer noch ein Dach über dem Kopf hatte, bekam Flüchtlinge zwangszugeteilt - ca. drei Personen pro Zimmer war in etwa der Schlüssel. Das ging nicht immer freundlich, und es ging auch nicht immer gerecht dabei zu - aber es zeigt, was möglich ist, wenn es nicht anders geht.

Dieses Extrembeispiel lässt sich nicht auf heutige Verhältnisse übertragen. Aber es gibt in der kurzen deutschen Nachkriegsgeschichte ein zweites Beispiel, das durchaus zu einem Vergleich taugt. In der Zeit bis 1961 kamen weitere 3 Millionen Flüchtlinge nach Westdeutsch­land, nun aus der damaligen DDR; über die grüne Grenze, die erst allmählich flüchtlingssicher ausgebaut werden konnte, und vor allem über Westberlin - in Berlin war die Ost-/West-Grenze noch offen. Das war ein steter Strom, aber es gab zwei Hochphasen: nach der Zwangskollek­tivierung der Landwirtschaft ab 1952 und Ende der 50er Jahre, als nach einer Tauwetter-Phase der politische Druck in der DDR wieder anstieg und zugleich in der Bevölkerung die Angst, dass auch das Schlupfloch Berlin bald geschlossen werden könnte - wie es ja dann auch geschah.

In diesen Hochphasen kamen im Schnitt 30 000 Flüchtlinge pro Monat nach Westdeutsch­land, umgerechnet ca. 350 000 im Jahr (nur dauerten diese Phasen nur 1-2 Jahre). Und damals sagte kein Mensch und kein Politiker, dass (West-) Deutschland nicht so viele Menschen aufnehmen könne.

Was war anders damals? 1960 boomte die Wirtschaft, aber 1952 ging es zwar aufwärts, aber das Wirtschaftswunder war noch nicht abzusehen; die Wirtschaftslage mag eine Rolle gespielt haben, aber nicht die wesentliche. Wesentlich war: das waren Deutsche, mit denen man mitfühlte, über deren Probleme berichtet wurde, in deren Schuld man sich auch ein bisschen fühlte, weil es einem selbst so viel besser ging. Und: diese Flüchtlinge waren politisch willkommen. Alle Parteien, auch die damals oppositionelle SPD, sahen Deutschland als ein zusammengehöriges Ganzes und alle damaligen Regierungen sich selbst als die einzig legitime, weil frei gewählte Sprecherin aller Deutschen. Und die Flüchtlinge waren der Beweis dafür. So waren die Umstände für sie unwahrscheinlich günstig. Trotzdem zeigt das Beispiel: wie viele Flüchtlinge ein Land aufnehmen kann, hängt nicht nur, aber auch davon ab, wie viele es aufnehmen will.

Heute aber wäre wohl so gut wie keine europäische Regierung bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als sie muss: politisch Verfolgte. Der Unterschied zu meinem vorigen Beispiel liegt vor allem darin, dass so gut wie alle, die heute in die EU wollen, für uns Fremde sind, die eine andere Sprache sprechen, andere Sitten haben, anders aussehen. Und dieses Fremdsein weckt, bewusst oder unbewusst, Abwehr, bei manchen mehr, bei anderen weniger. Zum Teil mischt sie sich mit Angst - z.B. vor zunehmender Arbeitslosigkeit oder vor Lohndumping - z.T. mit abstrusen Vorurteilen - z.B. dass Flüchtlinge in der Regel kriminell seien -, z.T. mit rassistischem Fremdenhass.

Wie stark, wie verbreitet, wie manchmal gehässig dieser Abwehrreflex ist, weiß man, zumindest in der Öffentlichkeit, nicht. Mein Eindruck ist, dass die meisten unserer Politiker das Thema meiden wie der Teufel das Weihwasser. Vielleicht, weil es so dornig ist und es keine für alle befriedigende Lösung gibt. Vielleicht, weil sie Angst haben, dass jede Vergünstigung für Flüchtlinge den Volkszorn aufheizen und den Rechts­extremen nutzen könnte, Angst auch, dass jedes Zugeständnis den Zustrom verstärken könnte. Und außerdem wollen demokratische Politiker wiedergewählt werden. So beschränken sie sich darauf, das Elend bürokratisch zu verwalten. Beispiel Schengen: die Flüchtlinge selbst spielten dabei keine Rolle. Sie waren ein Verteilungsproblem, das geregelt werden musste. Dass die Regelung für die EU-Länder extrem ungerecht ist, geht sie nichts an - aber es betrifft sie sehr wohl: würden sie gerechter auf die EU-Länder verteilt - z. B. proportional zu deren Bevölkerung und Wirtschaftskraft -, könnten die meisten der unzumutbaren Lager in Italien und Griechenland aufgelöst werden, und für die Verbleibenden bliebe etwas mehr Platz und Geld. Aber es ist unwahrscheinlich, dass das geschieht. Es müsste von allen EU-Ländern gemeinsam beschlossen werden und die einflussreichsten unter ihnen - allen voran Deutschland - profitieren vom jetzigen System.

Kann man also gar nichts tun? Ich denke doch, nur nicht über die EU. Manches könnten die Einzelstaaten je für sich regeln, in Deutschland die offiziell zuständigen Bundesländer, manches die Kreise.

Zwei Hauptprobleme können wohl nur auf Staats- bzw. EU-Ebene angegangen werden. Das eine ist die Frage der Arbeit. Laut EU-Recht dürfen Asylbewerber nicht arbeiten, allenfalls kurzfristig für 1,50 Euro pro Stunde. Das ist als Abschreckung gedacht, damit ja niemand kommt, der hier nur Geld verdienen will. Für die Flüchtlinge ist es eine Katastrophe. Viele haben Schreckliches erlebt, sind traumatisiert. Und nun müssen sie ein Jahr lang (so lange dürften Asylverfahren im Schnitt dauern) untätig herumsitzen, in völliger Ungewissheit, was aus ihnen werden wird. Manche (viele?) werden depressiv. Es müssten andere Möglichkeiten gefunden werden, vielleicht verschiedene in verschiedenen Staaten.

Das zweite ungelöste Problem sind diejenigen, die illegal gekommen sind, die einen irgendwie auf eigene Faust, die anderen mit den illegalen Touristenvisa aus Italien. Sie müssten »von Rechts wegen« zurückgeschickt werden, aber bei vielen, auch abgelehnten Asylbewerbern, geht das nicht, weil es kein Land gibt, das sie aufnimmt. Italien müsste seine Flüchtlinge zwar zurücknehmen; aber inzwischen haben mehrere deutsche Verwaltungs­gerichte entschieden, dass das, angesichts des dortigen Umgangs mit Flüchtlingen, ein Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention und also illegal sei.

Also bleiben die Menschen hier, ohne Rechtsstatus, ohne Unterkunft - und ohne dass irgendjemand für sie verantwortlich wäre. In der Praxis sorgen manche Gemeinden stillschweigend für Unterkunft und Verpflegung, manche Länder, z.B. Hamburg, verweigern kategorisch jede Verantwortung und jede Hilfe. Es müsste dringend eine Regelung geschaffen werden, aber außer den Grünen (und sporadisch den Linken) hat keine Partei das Flüchtlingsthema in ihrem Programm, konkrete Vorschläge gilt es nicht. Das ist zum Verzweifeln.

Aber gleichzeitig geschieht auch etwas ganz anderes, unterhalb der großen Politik, etwas, was Mut machen kann. Statt theoretisch zu erklären, will ich kurz ein Beispiel schildern, mit Ausschnitten aus einem Bericht der »Zeit« (18.7.13). Es ereignete sich im Juni des letzten Jahres in dem gleichen Hamburg, in dem Senat und Oberbürgermeister jede Hilfe verweigern.

Von den Italien-Flüchtlingen waren ca. 300 nach Hamburg gekommen. Sie schliefen in Parks und mussten um ihr Essen betteln. 80 von ihnen kamen zum Friedhof neben der Kirche St. Pauli, um dort zusammen zu beten - Christen und Moslems. Als zufällig der Pfarrer vorbeikam, fing es an zu regnen, und Pastor Wilm schloss ihnen spontan die Kirchentür auf. Ehe er überlegen konnte, wie es weitergehen sollte, kamen die ersten Nachbarn und brachten Decken. Und es ging weiter. Bericht »Zeit«: Zivilcourage erfordert anscheinend gar nicht viel Mut. Und Mitleid ist ansteckend, wenn sich erst mal einer traut. Kaum war die Kirche offen, brachten die Hamburger Brot. Doch weil der Mensch nicht von Brot allein lebt, kochte Bojan, der Wirt vom benachbarten Cafe Geyer, für alle Suppe. Dann kamen die Autonomen aus der Hafenstraße mit dem ersten selbst gebackenen Kuchen. Der Fanklub vom FC St. Pauli brachte T-Shirts, der Präsident des Fußballvereins spendete sämtliche Bettbezüge. Starkoch Tim Melzer schickte eine Kühltruhe, und die Hamburger Kaffeerösterei will Kaffee liefern, solange Bedarf ist.

Wie lange wird das sein? Solange ein Asylrecht gilt, das Notleidende zu Vogelfreien macht? Oder bloß so lange, bis der Hamburger Senat endlich mit dem Pastor redet? Mittlerweile haben seine Schützlinge sich auf engstem Raum selbst organisiert, es gibt Reinigungsdienste, Essenausgabe, Konfliktberatung. Vierzig hereingeschneite Ehrenamtliche helfen, eine Diakonin, Studenten, Rentner, eine Buddhistin. Die Nachbarinnen haben einen »Wäschering« gegründet, um Kleidung und Handtücher zu waschen. Fünf Lehrerinnen unterrichten Deutsch. »Die Menschen entdecken die Kirche als Handlungsmöglichkeit«, sagt der Pastor, plötzlich entsteht eine ganz neue Gemeinde.

In Deutschland gibt es kein Mitleid, sagt der junge Mann, den die 80 Gäste von Pfarrer Sieghard Wilm vor nun sechs Wochen zu ihrem Sprecher gewählt ­haben. Er sagt es freundlich, aber bedauernd. Das sei der Eindruck gewesen. Leider. Sie hatten ja nie vorgehabt, in dieses Land zu kommen, aber sie glaubten, dass bei den Deutschen die Menschenrechte noch etwas gelten. Zum Beispiel das Recht auf Arbeit, damit man kein Bettler sein muss. Aber das war anscheinend eine Illusion. Sie durften hier nicht arbeiten, und das heißt, sie durften sich selbst kein Brot beschaffen, sondern mussten auf Hilfe hoffen, die nicht kam. Bis in Sankt Pauli einer die Tür aufmachte. Jetzt haben sie jeder eine Isomatte und ein Kissen und eine Bettdecke mit kariertem Bezug. Ein eigenes Stück kühlen Kirchenboden und ein Dach über dem Kopf. Immerhin. Von der Empore blickt der gekreuzigte Christus auf sie herunter, auf die 40 Muslime ebenso wie auf die 40 Christen.

Der Sprecher, der in seiner Heimat der Pfingstkirche angehörte, sagt, erst dieser evangelische Pfarrer habe ihnen den Glauben zurückgegeben. Den Glauben an Deutschland. Den Glauben, dass überhaupt irgendjemand sie als Mitmenschen betrachtet, nicht nur als Störenfriede, Feinde.

Bericht eines der Flüchtlinge: »Nur der Pastor hatte Mitleid. Er hat uns die Tür geöffnet. Er nennt dich nicht Flüchtling, sondern Gast. Ihm ist nicht egal, was du erlitten hast und wer du früher warst, nämlich kein Flüchtling, sondern ein Fliesenleger, ein Chemiker, ein Industriekaufmann. Doch dann kamen die libyschen Rebellen und enthaupteten deinen Bruder mit einer Machete. Du selbst wurdest in einem Keller gefoltert und wusstest nicht einmal, wer die Folterer waren. Der Pfarrer ist der erste Deutsche, der sich dafür interessiert hat. Wie sie dich in einem Lager an der Küste Libyens internierten. Wie sie dich zwangen, mit viel zu vielen anderen in ein winziges Fischerboot zu steigen und aufs Mittelmeer hinaus zu fahren, ohne Trinkwasser, ohne Kapitän, ohne Kompass. Vorher nahmen sie dir dein Handy, deinen Pass, einfach alles weg. Deine Frau und deine Kinder kamen auf ein anderes Boot, du hast sie nie wiedergesehen. Vielleicht ertranken sie vor der Küste Europas, weil sie nicht landen durften. Du kamst in ein neues Lager, nun im friedlichen Italien, ein Überlebender, aber mittellos, sprachlos, unfrei. Und als die EU nach zwei Jahren dein Lager wegen unmenschlicher Zustände schloss, da gaben die Italiener dir ein Touristenvisum für Europa. Das war gegen die Gesetze, aber das wusstest du nicht.«

Seit Oktober gab es keinen Bericht mehr, also hat sich bisher wohl nichts geändert. Das ist traurig; aber es zeigt auch, dass der Unterstützerkreis auch über diese lange Zeit hin trägt.

Vor einigen Wochen geschah in Frankfurt dasselbe, mit nur 22 Flüchtlingen, aber mit dem Ergebnis, dass diese in einer aufgelassenen kleinen Kirche ein (vorläufiges?) Dauerquartier fanden. Und es gab auch ein paar Berichte über Ähnliches in Dörfern und Kleinstädten.

Stuttgart soll in diesem Jahr ca. 1300 Asylbewerber aufnehmen, sie sollen auf 17 Bezirke verteilt werden. Und schon jetzt haben sich in 11 dieser Bezirke Freundeskreise gebildet, die bei der Betreuung helfen wollen, allein in Feuerbach 100 Mann (bzw. wohl eher Weib) - Zusatzbetreuung, Unterkunft und Grundversorgung stellt die Stadt. Mir scheint, das wäre vor 10 Jahren noch anders gewesen. Vielleicht, hoffentlich, sind das Zeichen dafür, dass allmählich wenigstens in Teilen der Bevölkerung einsetzt, dass immer öfter Flüchtlinge nicht als ein Ärgernis, sondern als Menschen, die Mitgefühl brauchen. Vielleicht könnte so ein Klima entstehen, in dem Politiker nicht mehr damit auf Stimmenfang gehen, dass sie Flüchtlinge abschrecken, sondern damit, dass sie versuchen, ihnen zu helfen. Das wäre nicht nur für die Flüchtlinge gut, sondern auch für uns.

Brigitte Hoffmann

Neues vom Sarona-Park

Restaurierung alter Templer-Häuser kommt voran

Schon mehrmals hat die »Warte« in der letzten Zeit von den durch Denk­mal­schützer, Architekten und Restauratoren in Gang gesetzten Wiederinstandsetzungsarbeiten in der früheren deutschen Kolonie Sarona (heute: Stadtteil von Tel-Aviv) berichtet. Bekanntlich wurde der südliche Teil der 1871 gegründeten Landwirtschaftssiedlung samt den noch vorhandenen, von den Templern gepflanzten Bäumen vom israelischen Denkmalschutzamt zum »Historischen Park Sarona« erklärt. Die im alten Stil wiederhergerichteten Templerhäuser, in denen jahrzehntelang israelische Militäreinheiten untergebracht waren, sollen von Investoren nun zu einer modernen Stadtteilzone mit Museen, Cafés, Restaurants, Modegeschäften und Andenkenläden umgewandelt werden, in der die aufgelockert bebaute Fläche durch das schattige Grün der Bäume und die gärtnerischen Anlagen zum Verweilen der Besucher auch im Freien einlädt.

Die ersten Bewohner eingezogen

Die ersten Bewohner eingezogenVor kurzem sind die ersten drei fertig gestellten Häuser (ehemals im Besitz der Familien Fröschle, Pflugfelder und Günthner) von ihren neuen Nutzern bezogen worden. In allen drei Gebäuden wird zukünftig von der israelischen Technischen Hoch­schule TECHNION Wissen vermittelt (das Foto auf Seite 52 zeigt das restaurierte Haus des Landwirt-Ehepaares Karl und Lydia Fröschle). Man kann dort Kurse zum »Master«-Abschluss in verschiedenen technischen und wissenschaftlichen Feldern belegen. Es wird erwartet, dass dort in Zukunft etwa 500 Studenten in insgesamt 16 verschiedenen Räumen unterrichtet werden können. Die mit der Planung der Schule beauftragte Professorin Nitza Szmuk achtete besonders darauf, dass die ehemalige architektonische Raumaufteilung der Häuser so weit wie möglich erhalten blieb.

Templer-Nachfahren weihen Kegelbahn des Gasthauses Kübler ein

Templer-Nachfahren weihen Kegelbahn des Gasthauses Kübler einAuf Einladung des Restaurators Shay Farkash nahmen vor kurzem mit Helmut und Lorraine Glenk sowie Hartmut und Rose Weller Templer-Nach­fahren aus Australien an einem Wettkegeln mit israelischen Freunden teil. Dazu war die ehemalige Kegelbahn des Gasthauses von Christian Kübler wiederhergerichtet worden. Auf dem Bild liks sind zu sehen (von links): Hartmut Weller, Rose Weller, Lorraine Glenk, Restaurator Shay Farkash, Helmut Glenk, Denkmalschutz-Beauftragte Tamar Tuchler.

Neuer Wetterhahn auf dem alten Gemeindehaus

Neuer Wetterhahn auf dem alten GemeindehausDank der Vermittlung und Finanzierung durch Dr. Carl-Heiner Schmid aus der Familie Wieland konn­ten auf zwei Templer-Häusern ehemals vorhandene und abhanden gekommene Wetterhähne als Repli­kate neu aufgesetzt werden (im Bild die Montage auf dem Dach des alten Templer-Gemeinde­hauses). Diese Aktion zeigt, wie sehr den Restauratoren daran gelegen ist, das frühere Aussehen der Siedlerhäuser wieder sichtbar werden zu lassen. Oft ist das frühere Aussehen nur an Hand alter Fotografien zu ermitteln. Demnächst soll auch die frühere Glocke des Gemeindehauses wieder aufs Dach gesetzt werden.

Bezugsquelle für ein Replikat des alten Postbriefkastens gesucht

Bezugsquelle für ein Replikat des alten Postbriefkastens gesuchtIn ähnlicher Weise suchen derzeit die Denkmal­schützer nach Bezugsmöglichkeiten eines Repli­kates des früher am Gemeindehaus angebrachten Briefkastens für abgehende Briefpost, um auch in diesem Detail den früheren Zustand des Gebäudes sichtbar zu machen. Leider sind auf dem histo­rischen Foto nicht genügend Einzelheiten zu erkennen, welches Post­unternehmen damals den Briefverkehr von und nach Sarona abgewickelt hat. Auf jeden Fall ist auf der Vorderseite zu erkennen, dass dort die Leerungszeiten des Postkastens eingestellt werden konnten.

Schöpfwerk am Brunnen des Alten Weinkellers

Schöpfwerk am Brunnen des Alten WeinkellersNachdem bei der Sanierung des Alten Weinkellers von Sarona durch die Restauratoren erst sehr spät der angebaute Tiefbrunnen entdeckt worden war, ging man auch sofort daran, das Schöpfwerk wieder in Gang zu bringen (auf der Abbildung: hier das obere Ende). Die Siedlung Sarona hatte schon früh mit dem Weinbau begonnen, der später (nach der Jahrhundertwende) mit dem Anbau von Reben in Wilhelma durch eine gemeinsame Kelterung und Vermarktung zu guten Erträgen gekommen war.

 

Auf all diese Wiederinstandsetzungen früherer Templer-Schauplätze dürfen wir Heutigen jetzt unsere Freude und unseren Dank an die zahlreichen Initiatoren nach Israel richten. Es werden durch diese Restaurierungen weite Kreise der israelischen Bevölkerung auf die Pionierarbeit der Templer-Vorfahren aufmerksam gemacht. Die israelischen Historiker haben mit ihren Forschungen die Modernisierung des Landes im 19. Jahrhunderts durch die vorwiegend aus Württemberg nach Palästina eingewanderten Deutschen ausführlich dokumentiert, so dass zukünftigen Landesbewohnern ein gutes Bild einstiger Grundlagenarbeit geboten werden kann.

Peter Lange, TGD-Archivleiter

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