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»Für wen halten mich die Menschen?«, soll Jesus seine Jünger auf dem Weg in die Dörfer bei Cäsarea Philippi gefragt haben, worauf er von Petrus die Antwort erhält: »Du bist der Messias!« (Markus 8, 27-30). Im Matthäus-Evangelium geht Petrus noch einen Schritt weiter und sagt: »Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes« (Matthäus 16,16-17).
Die Frage ergeht nicht nur an die Jünger Jesu, sondern auch an uns: »Für wen halten wir, für wen halte ich Jesus?« Ich selbst halte Jesus für einen der größten Propheten und Lehrer der Menschheit. Ich habe auch keine Bedenken zu bekennen, dass Gott in ihm und er in Gott war. Sollte das mit dem Satz gemeint sein, dass Jesus "der Sohn Gottes" ist, so habe ich keine Hemmung, ihn "einen Sohn Gottes" zu nennen.
Hinter dieser Aussage verbirgt sich ein Problem. Ich sage nicht: Jesus ist "der" Sohn Gottes, sondern er ist "ein" Sohn Gottes. Daraus folgt: Es gibt für mich auch noch andere Söhne Gottes. Gotama Buddha zum Beispiel, Sokrates, Franz von Assisi, Mahatma Gandhi, Albert Schweitzer, Martin Luther King und andere. Ja, streng genommen sind wir alle Kinder Gottes, seine Töchter und Söhne, auch wenn wir uns dieses Ehrentitels so selten würdig erweisen.
Ich bestreite also die Einzigartigkeit Jesu. Damit stehe ich außerhalb der theologischen Mehrheitsmeinung in den christlichen Glaubensgemeinschaften. Im Mittelalter hätte mich das ziemlich rasch das Leben gekostet. Insofern weiß ich es zu schätzen, dass wir heute in aufgeklärteren Zeiten leben, in denen - zumindest im abendländischen Kulturkreis - Religionsfreiheit besteht. Selbst zur Zeit der Reformation war das noch anders. Da wurde der spanische Arzt, Humanist und Theologe Michael Servet (1511-1553) in Genf auf Betreiben Calvins und mit Zustimmung Melanchthons zum qualvollen Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt, weil er die Trinität leugnete.
Nach dem christlichen Dogma ist Jesus von Nazareth »wahrer Gott und wahrer Mensch«, womit gemeint ist: ganz Gott und ganz Mensch, das heißt: Jesus und Gott sind eins. Damit wird jedoch meines Erachtens etwas behauptet, was schlechthin unmöglich ist: nämlich die Identität von Gott und Mensch. Ich glaube vielmehr, dass ein Mensch, der das in seinem Leben verwirklicht, was er als wahr erkannt hat, und dabei den Weg der Liebe und der Gewaltfreiheit wählt, in dem Maße, wie ihm das gelingt, Gott ähnlich, aber niemals Gott gleich wird. Dass das uns Menschen nicht aus eigener Kraft, sondern nur mit Gottes Hilfe möglich ist, räume ich gerne ein. Um es mit den Worten Gandhis zu sagen: »Wir werden Gott in dem Ausmaß ähnlich, wie wir die Gewaltfreiheit verwirklichen, aber wir werden nicht Gott selbst.«
Für mich war Jesus ein Mensch, der in hohem Maße die Gewaltfreiheit verwirklichte und deshalb Gott ähnlich wurde. Aber auch für ihn gilt: Er wurde nicht Gott selbst. Vielmehr ist die Aufgabe für alle Menschen die gleiche. Es geht darum, die Gewaltfreiheit in unserem Leben zu verwirklichen. Das gilt für Buddhisten, Hindus, Juden, Christen und Muslime gleichermaßen, ja selbst für Agnostiker und Atheisten.
Der Weg, den wir nach Gottes Willen gehen sollen, ist somit für uns alle der gleiche. Wir unterscheiden uns nur darin, wie weit wir auf diesem Weg vorankommen. Niemand kann sagen, wer auf diesem Weg am weitesten gekommen ist. Vielleicht war es Jesus, vielleicht jemand anderes. Wir müssen das nicht wissen. Es genügt, wenn Gott es weiß.
Was aber hat es mit dieser geheimnisvollen Kraft auf sich, die einige Friedensforscher Gewaltfreiheit nennen, die Gandhi »Satjagraha«, das heißt die Kraft der Wahrheit und der Liebe, die Kraft Gottes in uns, und die Jesus von Nazareth Nächsten- und Feindesliebe nannte? Die beste Beschreibung, die ich gefunden habe, stammt von Gandhi. Er schreibt: »Immer und immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht, dass das Gute Gutes hervorruft, das Böse aber Böses erzeugt. Wenn daher dem Ruf des Bösen kein Echo wird, so büßt es aus Mangel an Nahrung seine Kraft ein und geht zugrunde. Das Böse nährt sich nur von seinesgleichen. ...«
Was Gandhi hier anspricht, ist aus der Bergpredigt bekannt. Die meisten Bibelwissenschaftler sind sich darin einig: Jesus kann sie so, wie sie uns Matthäus überliefert, nicht formuliert haben. Gandhi aber nahm sie ernst und ich glaube auch, dass Jesus sie ernst gemeint hat. Deshalb sind Jesus und Gandhi für mich Brüder im Geist, obwohl sie durch viele Jahrhunderte und Tausende von Kilometern getrennt waren und in ganz verschiedenen Kulturkreisen lebten. ...
Gewaltfreiheit ist die Fähigkeit, Böses mit Gutem zu vergelten, um es auf diese Weise zu überwinden. Sie ist die Kraft, die uns vom Zwang, Gewalt mit Gewalt vergelten zu müssen, und von der Furcht vor Verfolgung, Leiden und Tod um der Wahrheit willen befreit. Sie ist die Fähigkeit, Gewalt hinzunehmen, ohne zurückzuschlagen, aber auch ohne zurückzuweichen, um sie auf diese Weise zu überwinden. ...
Ich bin mit Jesus und Gandhi überzeugt: Für die Welt gibt es keine Rettung, außer durch Wahrheit und Gewaltfreiheit. Heute wissen wir nicht einmal mehr, wie dieser Rettungsweg aussieht, geschweige denn, dass wir ihn gehen wollen oder können. Deshalb ist es nur allzu wahr, wenn Gandhi über das christliche Europa urteilt: »Ich bin der festen Meinung, dass Europa heute nicht den Geist Gottes oder des Christentums repräsentiert, sondern den Geist Satans. Und Satans Erfolge sind dann am größten, wenn er mit dem Namen Gottes auf den Lippen auftritt. Europa ist heute nur noch dem Namen nach christlich. In Wirklichkeit betet es den Mammon an.« Leider gilt dieses Urteil heute praktisch für die ganze Welt, auch für Indien, auf das Gandhi so große Hoffnungen setzte.
Den vorstehend wiedergegebenen Ausführungen des Autors folgt eine Erklärung des christologischen Streites, der im 4. und 5. Jahrhundert fast zur Kirchenspaltung führte: auf der einen Seite die Anhänger des Bischofs Athanasius, der lehrte, dass Christus mit Gott wesensgleich sei (homoousios), auf der anderen die des Arius, nach dessen Lehre Christus mit Gott nur wesensähnlich sei (homoiousios). Die Athanasianer setzten sich durch, da die Kaiser aus politischen Gründen für sie Partei ergriffen. Aus diesem Streit leitet der Autor das Folgende ab. Die Ableitung ist logisch einleuchtend, historisch aber fragwürdig. Auch für die Arianer stand der Absolutheitsanspruch des Christentums so wenig zur Diskussion wie die Einzigartigkeit Christi.
... Aus dem »homoousios« der Athanasianer folgt dreierlei: Erstens der absolute Wahrheitsanspruch des Christentums. Allein das Christentum ist die wahre Religion, weil nur in ihr Gott und Mensch in Jesus Christus eins geworden sind. Zweitens können nur in dieser Religion die Menschen durch den Glauben an Jesus Christus das Heil erlangen. Alle anderen Religionen sind, mit den Worten des evangelischen Theologen Karl Barth gesprochen, »Aberglauben, Irrglauben und also Unglauben«. Drittens ergibt sich daraus der bereits am Schluss des Matthäus-Evangeliums dem auferstandenen Jesus in den Mund gelegte Missionsauftrag (Matthäus 28,16-20).
Aus dem »homoiousios« der Arianer folgt dagegen erstens der Verzicht auf den absoluten Wahrheitsanspruch für das Christentum. Das Christentum ist nicht die einzig wahre Religion, sondern in allen Religionen gibt es Wahrheit und Unwahrheit, Richtiges und Falsches, Gutes und Böses. Zweitens können auch in anderen Religionen die Menschen das Heil erlangen, und zwar in dem Maße, wie sie Wahrheit und Gewaltfreiheit in ihrem Leben verwirklichen. Drittens gibt es somit keinen Grund, die Anhänger anderer Religionen zu missionieren. Aus Wahrheitsbesitzern werden vielmehr Wahrheitssucher, die sich gemeinsam auf den Weg der Wahrheitssuche und der Verwirklichung der von ihnen gefundenen Wahrheit machen. Dazu Gandhi: »So bete ich denn für einen Christen, dass er ein besserer Christ, für einen Muslim, dass er ein besserer Muslim werden möge. Ich bin überzeugt, dass Gott dereinst nach dem fragen wird, dass Gott heute schon nach dem fragt, was wir sind, also was wir tun, nicht nach dem Namen, den wir uns beilegen. Bei ihm ist Tun alles, Glauben ohne Tun nichts. Bei ihm ist Tun Glauben und Glauben Tun.«
Der absolute Wahrheitsanspruch des Christentums hatte Leid und Unglück zur Folge. Wenn eine Glaubensgemeinschaft den Anspruch erhebt, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, so folgt daraus zwangsläufig, dass alle Andersgläubigen nur die absolute Unwahrheit besitzen und deshalb durch Überredung, Zwang oder, wenn es nicht anders geht, mit Feuer und Schwert im Interesse ihres eigenen Seelenheils zum rechten Glauben bekehrt werden müssen. Das gilt nach außen, also für die Angehörigen anderer Religionen, wie nach innen, also für diejenigen, die als Häretiker, als Ketzer eine abweichende Meinung vertreten. In der Geschichte des Christentums sind Ströme von Blut geflossen, um den absoluten Wahrheitsanspruch, der zugleich ein absoluter Herrschaftsanspruch ist, gegenüber Andersgläubigen und Andersdenkenden durchzusetzen.
Der Einwand liegt nahe, und Papst Benedikt XVI. argumentiert in der Tat folgendermaßen: Wenn wir den absoluten Wahrheitsanspruch aufgeben, versinkt die Welt im Meer des Relativismus. Dann gilt: Alles ist erlaubt (anything goes). Aber das stimmt nicht. Es gibt eben nicht nur den Gegensatz von absolutem Wahrheitsanspruch auf der einen Seite und schrankenlosem Relativismus auf der anderen Seite.
Es gibt darüber hinaus noch ein Drittes, und auf dieses Dritte kommt es gerade an. Auch für mich gibt es eine absolute Wahrheit. Sie entzieht sich jedoch dem Zugriff der sinnlichen Wahrnehmung und des intellektuellen Begreifens. Dieses Dritte, diese absolute Wahrheit, ist Gott. Wir können uns ihr nur annähern, indem wir die von uns erkannte Wahrheit in unserem Leben verwirklichen. Erreichen werden wir sie nie, solange wir leben. Dazu Gandhi: »Wir werden Gott in dem Ausmaß ähnlich, wie wir die Gewaltfreiheit verwirklichen, aber wir werden nicht Gott selbst.«
Was ich hier vertrete, stammt von Gandhi. Er wandte sich gegen jeden absoluten Wahrheitsanspruch, gleichgültig, ob er von einer Religion oder einer Weltanschauung erhoben wird: »Die Religionen sind verschiedene Straßen, die alle am selben Punkt zusammenkommen. Es spielt keine Rolle, wenn wir auf verschiedenen Straßen wandeln, denn zuletzt erreichen wir alle dasselbe Ziel.
Tatsächlich gibt es so viele Religionen wie es Menschen gibt.« Und an anderer Stelle: »Alle Religionen sind Geschenke Gottes, aber sie tragen auch ihren Anteil menschlicher Unvollkommenheit in sich, eben weil sie von Menschen vermittelt werden. Die von Gott gegebene Religion ist jenseits dessen, was die Sprache ausdrücken kann. Die Menschen aber in ihrer Unvollkommenheit drücken die Religion in der Sprache aus, die ihnen zu Gebote steht, und ihre Worte werden wieder von anderen Menschen interpretiert, die auch unvollkommen sind. Wessen Interpretation ist dann die richtige? Ein jeder hat von seinem Standpunkt aus recht, aber es ist auch nicht unmöglich, dass ein jeder unrecht hat.«
In dem von Hans Küng und anderen verfassten Buch »Christentum und Weltreligionen« schreibt der Orientalist Josef van Ess: »Jede der drei großen nahöstlichen Religionen, so pflegt die islamische Theologin Riffat Hassan zu sagen, hat einen bestimmten neuralgischen Punkt, der für sie selbst nicht verhandelbar, für die beiden anderen aber nicht akzeptabel ist: Für das Judentum ist dies die einzigartige Auserwählung Israels als Volk Gottes (mit Landverheißung), für das Christentum die Lehre vom Christus als dem Sohn Gottes, für den Islam aber die Lehre vom Koran als dem Wort Gottes. Aber [...] über diese Fragen muss gesprochen werden können.«
Man beachte die analoge Reihung: Volk Gottes, Sohn Gottes, Buch Gottes. Betrachten wir diese absolut gesetzten Wahrheiten, die für die genannten Religionen im Zentrum ihrer Lehre stehen und damit gewissermaßen die Mitte und das Herz ihres Glaubens ausmachen, vom Standpunkt Gandhis aus, so ergibt sich folgendes Bild:
»Volk Gottes«? Warum nicht? Doch warum die anderen Völker nicht auch? Mag sein, dass das Volk Israel eine besonders intensive religiöse Geschichte hat. Das ist aber kein Grund, sich als auserwählt zu betrachten. Wohl schmeichelt es unserer Eitelkeit, uns für auserwählt zu halten, doch das ist noch weniger ein Grund für diese Annahme. Und wie verträgt sich die Vorstellung der Auserwählung mit der von Gottes Gerechtigkeit? Der Einwand, es handle sich um Gottes unerforschlichen Ratschluss, überzeugt mich nicht. Wo bleibt dann Gottes Gerechtigkeit? Nein, Gott ist der Gott aller Völker, so wie er der Gott aller Menschen und der ganzen Schöpfung ist.
»Sohn Gottes«? Gewiss doch, warum sollte Jesus von Nazareth nicht ein Sohn Gottes sein? Aber warum der einzige und "eingeborene"? Dass er eine herausragende religiöse Gestalt war, sei unbestritten, aber gibt es nicht auch noch andere: Abraham, Mose, Gotama Buddha, Zarathustra, Kung Fu-tse, Lao-tse, Ram, Krischna, Sokrates, Mohammed, um nur einige zu nennen? Sind sie nicht auch Gottes Söhne, von seinen Töchtern ganz zu schweigen? Und sind wir nicht alle Kinder Gottes? Zwar schmeichelt es unserer Eitelkeit, uns als durch Christus erlöst zu betrachten im Unterschied zu allen Nichtchristen, doch das sollte eher ein Grund sein, dies nicht zu glauben.
»Wort Gottes«? Der Koran ist zweifellos ein Buch Gottes, eine heilige Schrift, so wie die Bibel, die Bhagawad Gita, die Reden des Buddha und andere. Doch warum die einzig authentische? Für die historisch-kritische Forschung ist das eine ganz und gar unbegründete und unbewiesene Behauptung, zumal nachweislich nicht wenig Gedankengut aus der Bibel in den Koran eingeflossen ist. Natürlich schmeichelt der Glaube, im Besitz des reinen und unverfälschten Wortes Gottes zu sein, der menschlichen Eitelkeit. Doch das sollte am allerwenigsten ein Grund für diese Annahme sein.
Wer als Jude, Christ oder Muslim den Schritt zur Preisgabe des absoluten Wahrheitsanspruchs für die eigene Religion tut, erlebt beglückt, wie die Mauern der Fremdheit und Feindschaft zwischen den Religionen einstürzen und wir uns als das begegnen, was wir nach Gandhis Auffassung sind: Kinder Gottes, Brüder und Schwestern...
nach einem Vortrag am 20.1.10 in Stuttgart
in: »Freies Christentum« 2/2010, gekürzt
In der Weihnachtsausgabe von »Publik-Forum« erschien unter dem Titel »Prophet und Weisheitslehrer« ein Artikel des evangelischen Theologen Herbert Koch, in dem er fordert, die Lehre von der Gottesherrschaft Jesu und damit das Trinitätsdogma aufzugeben, u.a. mit dem Argument, dass erst damit Friede und Verständigung zwischen den monotheistischen Religionen möglich würden. Das brachte der Redaktion zahlreiche Leserbriefe ein, von denen sie 16 veröffentlichte (Nr. 2/10), sowohl pro als auch contra.
Für uns Templer ist das eigentlich kein Thema. Für uns ist Jesus nicht Gott, sondern Mensch, gottbegnadet wie wohl nur wenige außer ihm; und wesentlich ist, was er selbst gelebt und gelehrt hat, und nicht, welche Rolle ihm später zugeschrieben wurde. Trotzdem geben wir im Folgenden einige dieser Zuschriften wieder, um den Lesern die Bedeutung dieser Frage für viele Christen, und auch einige Argumente pro und contra, deutlich zu machen.
Schon als Kind habe ich gedacht: Wenn wir alle Gottes Kinder sind, dann sind wir genauso wie Jesus Gottes Sohn oder Tochter - und dann sind wir ja mit Gott verwandt! Später war ich erfreut, über "den Funken Gottes in uns" zu hören. Jesus selbst sagt an einer Stelle in der Bibel: »Ihr seid Götter« (Joh. 10, 34). Dieser göttliche Teil in uns ist der Menschensohn, der in uns auferstehen soll. Vor einiger Zeit hörte ich in einer Talkshow zu meiner Überraschung eine Muslimin sagen: »Dem Islam geht es darum, das Licht im Menschen zu wecken.« Das »Licht der Welt« also - um nichts anderes geht es! Hier können die Religionen sich treffen.
Über das Glaubensbekenntnis der Juden - »Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einzig« (Dtn. 6, 4) - haben sich die Konzilsväter von Nicäa 325 hinweggesetzt. Was dann mit theologischer Akrobatik, vielleicht auch noch mit Nachhilfe des römischen Kaisers und seiner Berater, herauskam, war das Konstrukt von einem Gott in zwei Personen. Später, 381 unter Kaiser Theodosius, kam noch der Heilige Geist als dritte Person dazu, was alles zusammen ein normaler Mensch kaum verstehen kann. Das wird auch nicht dadurch besser, dass man die Menschen per Dogmatisierung zu diesem Glauben zwingen will. Nach Erkenntnissen der Leben-Jesu-Forschung hat sich Jesus weder als Messias noch als leiblicher Sohn Gottes verstanden. Er wollte den Glauben seines Volkes vertiefen, nicht dem Judentum eine neue Religion entgegensetzen. Erst die historische Entwicklung hat ihn zum Gründer des Christentums gemacht.
Die Dreieinigkeit Gottes und die Aussage, dass Jesus Christus wahrer Mensch und wahrer Gott ist, gehören meiner Ansicht nach zum Zentrum des christlichen Glaubens. Das heißt aber nicht, dass ein so verstandener christlicher Glaube nicht kommunikationsfähig ist und insbesondere mit dem Judentum und dem Islam keinen friedlichen Dialog führen kann. Nein, der Glaube an einen dreieinigen Gott als den Gott der Liebe fordert ihn geradezu heraus! Als Christ, Moslem oder Jude sollten wir uns allerdings angesichts der Erkenntnisse der Aufklärung bewusst sein, dass weder ein Gottesbeweis möglich ist, noch dass wir uns unsere unterschiedlichen Gottesbilder beweisen können.
Jesus ist und bleibt für uns der Sohn Gottes und nicht irgendein Prophet. Ein Wischi-Waschi-Einheitsbrei um eines sogenannten friedfertigen Dialogs der Religionen willen kann ja wohl nicht unser Ziel sein.
Das mutige Beispiel eines Michael Servet könnte ein neuer Anstoß sein, uns mit den Spekulationen von Nicäa auseinanderzusetzen. Wenn man auf die Botschaft Jesu gründen will, dann erübrigt sich die Lehre von der Dreieinigkeit. Denn Jesus wusste weder etwas von den Visionen des Paulus noch von den göttlichen Worten, die ihm der Schreiber des Johannes-Evangeliums posthum in den Mund legte.
... Diese Spekulationen sind ganz gewiss in den nachfolgenden Jahrhunderten in riesigen Traktaten viel zu vollmundig geworden und haben den Anschein erweckt, die Theologen "wüssten", wie es im Innenleben Gottes zugehe. Da kann man nur ein gerüttelt Maß an theologischer Askese empfehlen. Im Übrigen aber ging es in den ganzen altkirchlichen Auseinandersetzungen immer um ein auch höchst modernes Problem: Wie kann zusammen mit der Gottheit Jesu, die für das christliche Bekenntnis seit dem Neuen Testament feststeht, die volle und unverkürzte Menschheit Jesu durchgehalten werden? Denn die Einwände kamen aus der griechischen Philosophie, die zu wissen glaubte, die Transzendenz Gottes erlaube keine wirkliche Verbindung, kein wirkliches Sich-Gemein-Machen Gottes mit der fleischlichen Welt. Hier musste gedanklich »mit griechischen Mitteln« auf griechische Einwände reagiert werden. Keine Trinität in der Bibel? So schreibt Herbert Koch. Doch Texte, wie sie etwa im Matthäus-Evangelium (Mt. 28, 19) und im zweiten Korintherbrief (2 Kor. 13, 13) zu finden sind, sowie die rund fünfzig Dreier-Formeln, die man bei Paulus gezählt hat, haben das theologische Nachdenken in die Pflicht genommen. Jesus verlangt von seinen Jüngern, »auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes« zu taufen; Paulus beendet seinen Brief an die Korinther mit der Formel: »Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!«. Und wie steht es mit der Aufforderung, aufzuhören, von der Gottheit Jesu zu reden - aus pragmatischen Gründen des Religionsfriedens mit Judentum und Islam? Ein aufrechter Jude und ein aufrechter Moslem könnten solche Suspendierung des Christusbekenntnisses und seiner Konsequenzen für das Gottesbild nur als Anbiederung empfinden. Nein, einen weiteren »Weisheitslehrer« - und wäre er der größte - brauchen wir nicht. Die »christologische Sperre« ist auszuhalten...
Von diesem Text lässt sich schwer sagen, ob die Begebenheit sich tatsächlich so zugetragen hat. Diese Frage stellt sich umso mehr, weil weder Markus, noch Matthäus, noch Lukas von einer Fußwaschung auf dem Weg der Jünger mit Jesus nach Jerusalem vor dem Passahfest berichten. Aber diese Begebenheit ist in ihrer gleichnishaften Aussagekraft sehr überzeugend. Und die Botschaft, die sie vermitteln will, erschließt sich jedem Leser.
Eine Fußwaschung war eine besondere Aufmerksamkeit, die einem Gast erwiesen wurde. Die Straßen von damals waren schmutzig und staubig. Diese Tätigkeit wurde jedoch üblicherweise von Dienenden oder Sklaven ausgeführt. Hier ist es aber Jesus, der sich die Schürze umbindet und vor den Jüngern hinkniet, um ihnen die Füße zu reinigen. Durch seine Tat will Jesus den Jüngern eindringlich vor Augen führen, worauf es ankommt: auf die Bereitschaft, anderen zu dienen. Mit eindringlichen Gesten und Worten wird hier die Menschlichkeit Jesu aufgezeigt. Bereits traurig wegen seines bevorstehenden schweren Weges und des Abschieds von seinen Jüngern entschließt sich Jesu zu dieser Handlung.
Überrascht und wie gelähmt lassen sich die Jünger diese Zuwendung stillschweigend gefallen. Nur Simon Petrus wehrt sich aufbrausend: »Niemals sollst du mir die Füße waschen!« Er wehrt sich, dass sein Rabbi, sein Herr und Meister, sich herablassen will, die Arbeit eines Dieners zu tun. Jesus aber begründet ihm gegenüber sein Tun. »Werde ich dich nicht waschen, so hast du kein Teil mit mir.« Natürlich will Petrus »teil mit Jesus haben«, mit ihm verbunden sein. Und so verlangt er denn – nachdem er eben erst die Fußwaschung von sich gewiesen hat - Jesus möge ihm auch die Hände und das Haupt waschen. Es geht aber nicht um die Reinigung der Jünger, denn diese haben eine allgemeine Reinigung nicht nötig, sondern um eine Fußwaschung. Eine von einem Diener erwiesene Wohltat in einem heißen Land. Mit seiner alle Rangunterschiede aufhebenden Geste hat Jesus die Brüderlichkeit - auch unter den Jüngern - festigen wollen und jeden Gedanken an Rangunterschiede als unwichtig beiseite geschoben. So sollen sie untereinander auch tun. Auf dieses Beispiel kam es ihm an. Die Jünger sollen »tun wie Jesus ihnen getan hat«. Auch sie sollen solidarisch verbunden, gleichgestellt und liebevoll miteinander umgehen.
Man kann wohl annehmen, dass Jesus auch Judas die Füße wusch, denn es steht nichts Gegenteiliges geschrieben. Auch das halte ich für eine wichtige Aussage: niemand darf, sei es aus einem noch so triftigen Grund, einem Mitmenschen den Freundschaftsdienst verweigern. Wer sich an das Beispiel Jesu hält, der wird auch Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, die ›Füße waschen.
Die derzeitige Ausstellung zum Jubiläum des Syrischen Waisenhauses (noch bis 30. April im Landeskirchlichen Archiv) regt dazu an, Vergleiche anzustellen zwischen dem "Waisenvater" Schneller und dem "Tempelgründer" Hoffmann hinsichtlich ihrer Lebensausrichtung auf Jerusalem. Was im Allgemeinen nicht so ohne weiteres ersichtlich ist, sind die zahlreichen Parallelen im Lebensbild der beiden prägenden Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, die ich im Folgenden aufzeigen möchte.
Johann Ludwig Schneller und Christoph Hoffmann stammen beide aus pietistischen Kreisen Württembergs, der eine aus einem Dorf der Schwäbischen Alb, der andere aus dem "heiligen" Korntal. Im Alter sind sie wenig voneinander unterschieden - Schneller rund vier Jahre jünger als Hoffmann. Beide haben sie den Beruf eines Lehrers ausgeübt. Eine gute, religiös fundierte Bildung von Jugendlichen war eines der Hauptziele ihres Lebens. Beide haben sie im Lauf der Zeit beispielhafte schulische Einrichtungen geschaffen.
Sowohl Schneller als auch Hoffmann haben eine Zeitlang der Spittler'schen Pilgermission Sankt Chrischona gedient. Beide können als "Missionare" bezeichnet werden, wobei ihre "Mission" einen unterschiedlichen Inhalt und Akzent hatte. In beiden Fällen gab ihnen der Ort Jerusalem Ziel und Sinn ihrer Wirksamkeit vor, auch wenn die "Ankunft" Hoffmanns in Jerusalem erst 24 Jahre später erfolgt ist als die Schnellers. Beide Männer haben in der Heiligen Stadt ihren Lebenslauf vollendet und dort, wenn auch auf unterschiedlichen Friedhöfen, ihre letzte Ruhestätte gefunden.
Bei so vielen Gemeinsamkeiten in ihrer Biografie sollte man annehmen, dass sie auch enge Verbindung zueinander gepflegt hatten. Anfänglich war dies auch so. Bei der großen Gründungsversammlung der Jerusalemsfreunde am 24. August 1854 in Ludwigsburg, bei der Christoph Hoffmann Versammlungsleiter war, zählte auch Johann Ludwig Schneller zu den Teilnehmern (Ende desselben Jahres ist er dann aber im Auftrag der Pilgermission nach Jerusalem abgereist). Schneller muss aller Wahrscheinlichkeit nach auch Unterzeichner der Bittschrift an die Deutsche Bundesversammlung gewesen sein, denn Hoffmann schreibt vier Jahre später in seinem »Weg nach Jerusalem« (S. 429), dass Schneller sich »damals noch zur Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem bekannte«.
Dieses Interesse für die Jerusalemsfreunde kam deutlich zum Ausdruck, als Hoffmann 1858 auf der "Kundschafter-Reise" zusammen mit Hardegg und Bubeck nach Jerusalem kam: »Wir wurden von Bruder Saalmüller und Guchler, die uns entgegenkamen, ins Brüderhaus geleitet, wo wir auch Herrn Schneller fanden, der zu unserer Begrüßung aus seinem Hause herauskam« (»Süddeutsche Warte« 1858/Nr. 17). In Bubecks Tagebuch sind zahlreiche Notizen über gemeinsame Unternehmungen mit Schneller eingetragen: »21. März - Hoffmann und Hardegg mit Schneller auf dem Ölberg; 25. April - Am Sonntag besuchten wir abends Herrn Schneller in seinem Haus außerhalb der Stadt; 9. Mai - Den Tag nutzten wir zur Verabschiedung von den Brüdern und Herrn Schneller«.
Das Verhältnis zueinander war in diesen Jahren von freundschaftlicher Offenheit geprägt. So fanden die ersten vier vom Kirschenhardthof nach Palästina gesandten Evangelisten der Templer (Eppinger, Heuschele, Hochstetter und Sonderecker) nach ihrer Ankunft in Jerusalem im Jahr 1860 über die Sommermonate hinweg Aufnahme im Brüderhaus der Pilgermission. Doch es gab für solche Gastfreundschaft auch herbe Kritik: »In Palästina angekommen, fanden die Kirschenhardthof-Brüder zunächst Aufnahme bei Schneller, wo sie Gelegenheit hatten, die arabische Sprache zu erlernen und mit den Landesverhältnissen bekannt zu werden. Wegen der Aufnahme dieser Missionszöglinge wurde Schneller aber von kirchlichen und pietistischen Kreisen angefeindet.«
Diese Kritik hielt Schneller jedoch nicht davon ab, dass er drei der Missionare in der inzwischen gegründeten Waisenanstalt beschäftigte: Eppinger als Lehrer, Heuschele als Bauaufseher und Sonderecker in einem Handwerk. Auch andere ins Land gekommene Templer wurden in der Folgezeit im Waisenhaus beschäftigt: Paul und Eduard Aberle als Schlosser, Matthäus Faig als Schreiner, Friedrich Imberger als Maurer. Die »Süddeutsche Warte« wies in ihrem Blatt auf das wichtige humanitäre Werk des Herrn Schneller hin und brachte in Heft 3 von 1861 einen längeren »Aufruf zur Unterstützung der syrischen Waisenanstalten von J. L. Schneller«. Auch noch später ist hin und wieder in der »Warte« über Schnellers Arbeit berichtet worden, so in Nr. 26 von 1876 mit einer Veröffentlichung des 15. Jahresberichtes des Syrischen Waisenhauses.
Doch die kritischen Stimmen dazu wollten nicht verstummen. In der "Geschichte des Tempels" (S. 245) heißt es darüber: »Die Anstellung der Missionszöglinge im Schneller'schen Waisenhaus und die bisher freundliche Gesinnung Schnellers gegen Hoffmann erfüllte die Feinde der Jerusalemsfreunde mit wachsender Besorgnis und veranlasste sie zu grundlosen Verdächtigungen im "Christenboten". Ein Korrespondent fühlte sich bemüßigt, davor zu warnen, dass man Schneller nicht so viele Beiträge sende, weil er die Zöglinge vom Hardthof bei sich aufnehme. Das Komitee des Waisenhauses wandte sich dagegen und wies die Grundlosigkeit der Verdächtigungen nach. Die Zöglinge hätten sich als recht nützlich erwiesen.«
Offensichtlich hatte sich Spittler in Sankt Chrischona gegen eine Zusammenarbeit zwischen Schneller und Hoffmann ausgesprochen, denn Christoph Hoffmann schreibt in seinem »Weg nach Jerusalem«: »Spittler hatte ausdrücklich erklärt, dass die Pilgermission mit der Sache der Sammlung des Volkes Gottes in Jerusalem nichts zu schaffen habe. Deshalb hatte das Brüderhaus in Jerusalem seine Bedeutung für meine Sache verloren.« In anderen Worten: die Ziele beider Missionsführer waren unvereinbar miteinander; man marschierte fortan getrennt voneinander. Immerhin muss man bedenken, dass sich Hoffmann inzwischen weitgehend von den führenden Vertretern des württembergischen Pietismus losgesagt hatte, während Schneller weiterhin der traditionsreichen pietistischen Frömmigkeit anhing. Im November 1873 schrieb Christoph Paulus in einem Artikel: »Wir Templerfreunde wissen jetzt, dass Herr Schneller ein prinzipieller Gegner unseres Werkes ist.«
In ein engeres privates Verhältnis mit Schneller war einer der ersten Templer in Jerusalem eingetreten: der Schlosser Paul Aberle aus Neuffen (1842-1922). Er hatte 1868 die Nichte von Frau Schneller geheiratet. Schneller hatte der jungen Frau sehr ins Gewissen geredet, dass dieser Templer nichts für sie sei. »Doch die Jungfer Christine blieb fest«, schreibt Aberle in seinen Erinnerungen, »und Herr Schneller musste zugeben, dass man auch auf dem Weg des Tempels immerhin noch selig werden könne, obgleich er ihr den väterlichen Rat gab, dass - wenn sie es recht angreife - sie mich schon wieder zur Kirche zurückbringen könne.«
Dank der unschätzbaren Mithilfe des Familienforscher-Ehepaares Birgit und Helmut Arnold, Konstanz, ist die »Warte des Tempels« jetzt mit den Jahrgängen 1845 bis 1939 in elektronischer Form verfügbar, und zwar können einzelne Jahrgänge mittels einer aktuellen Version des Datei-Wiedergabe-Programms Acrobat Reader seitenweise durchgeblättert und nach Bedarf auch ausgedruckt werden. Durch diese Hilfe kann Geschichtsforschung auch an anderen Orten als in unserem Archiv betrieben und die vorhandenen Originalbände geschont werden. Die Grundlage für die Erstellung der neuen CD-Datenträger bildete die Mikroverfilmung der »Warte« und die Übersendung von Kopien durch Dr. Yaron Perry vom Gottlieb-Schumacher-Institut in Haifa an Horst Blaich, Bayswater. Dem Ehepaar Arnold sind wir für ihre Unterstützung bei diesem Projekt überaus dankbar, sie haben viel Zeit und Geduld dafür aufgewendet und auch noch fehlende »Warte«-Hefte nachträglich eingescannt.
Verwandtschaftlich eng mit Helmut Arnold verbunden ist die - wie die Arnolds aus Bernhausen stammende und mit den frühen Templern verbundene - Familie Schraitle. Eine der Schraitles hat sich 1900 mit dem Templer Friedrich Karl Ehmann verheiratet und ist in Haifa wohnhaft geworden. Ein anderer Familienzweig der Schraitles ist im 19. Jahrhundert nach Russland ausgewandert. Helmut Arnold hat durch Internet-Recherchen herausgefunden, dass dort ein Tietz in die Familie eingeheiratet hat. Erfreulicherweise konnte ich Herrn Arnold nachweisen, dass es sich bei dem Angeheirateten um den Templer Paul Friedrich Tietz (1831-1905) gehandelt hat, der mit anderen Tempelfreunden von der Molotschna an den Kaukasus übersiedelte und dort Besitzer einer Wassermühle wurde. Der ebenfalls in Tempelhof am Nordkaukasus ansässige Friedrich Lange (der später Lehrer an der Tempelschule in Haifa war) schreibt in seinen Lebenserinnerungen, dass Paul Tietz ein ruhiger, umsichtiger und zuverlässiger Mann gewesen sei, außerdem der wohlhabendste unter den Ansiedlern. Tietz ist 1900 von Russland nach Jaffa übersiedelt und hat dort in dritter Ehe die Witwe des 1885 verstorbenen langjährigen Gebietsleiters und »Warte«-Schriftleiters Friedrich Bulach geheiratet. Seine erste Ehefrau Charlotte Schraitle aus Josefstal war einige Jahre vor dieser Übersiedlung in Russland gestorben. Die Verknüpfung der Familie Tietz mit den Bernhäuser Schraitles war uns bisher unerkannt geblieben, wahrscheinlich wegen des Umstandes, dass deren Familienname in der Russland-Zeit eine veränderte Schreibweise von "Schraitle" zu "Schreitel" erfahren hat.
Der oben erwähnte Familienforscher Helmut Arnold hat dem TGD-Archiv in der letzten Zeit zahlreiche Informationen über frühe Jerusalemsfreunde in den Filderorten zugänglich gemacht. Nachdem ich ursprünglich davon ausgegangen war, dass es in der Stuttgarter Umgebung keine Hoffmann-Anhänger gegeben hat, musste ich diese Meinung aufgrund dieser neueren Forschungen grundlegend revidieren. Wie sich herausstellte, gab es außer in Bernhausen auch in Sielmingen, Echterdingen, Möhringen, Ober- und Unteraichen Hoffmann-Anhänger, die in kirchlichen Dokumenten als "kirschenhardthofisch" bezeichnet werden. Oftmals haben diese frühen Jerusalemsfreunde standesamtlich heiraten müssen, da für sie als "Abtrünnige" und "Sektierer" eine kirchliche Trauung nicht mehr möglich war. Bei Todesfällen lauten die Einträge: »Grabrede durch einen Templer, nicht kirchlich beerdigt« oder: »Gebet durch einen Templer von Sielmingen«. Eine größere Anhängergruppe hatte sich in Unteraichen gebildet. Ihre Namen - Alber, Stierle, Reimold, Kiemle, Groß - sind uns nicht mehr geläufig, da sie sich nicht den Auswandererzügen nach Palästina angeschlossen hatten und wahrscheinlich später wieder zur Kirche zurückgekehrt waren.
Eine sehr lesenswerte Beschreibung herausragender Gestalten des württembergischen Pietismus ist als Neuzugang in unserer Bücherei zu verzeichnen: Hans-Dieter Frauer, »Das schwäbische Paradies - Geschichten zur Geschichte - Pietismus in Württemberg«, 2009 (TGD-Archiv-Nr. P-371). Hier werden in leicht verständlicher Form die Wesensmerkmale des württembergischen Pietismus und die charakteristischen Züge im Leben bedeutender Pietismus-Vertreter dargestellt. Als Verständnishilfe für die Entstehungsgeschichte ist dieser kleine Band sehr zu empfehlen, weil zumal auch die uns vertrauten Namen der Jerusalemsfreunde darin erwähnt sind.