Treffpunkt - Gemeinde aktuell

Jahresrückblick 2016

Wochenendseminar auf dem Schönblick (20. bis 22. Mai)

Wenn jemand meiner Generation, in Australien geboren und aufgewachsen, nach Deutschland kommt, bringt der Besuch eines religiösen Templerseminars auf dem Schönblick schon einige Schwierigkeiten mit sich. Ausgestattet mit dem »Haus-Schwäbisch« meiner Eltern und Großeltern und etwas verfeinert durch jahrzehntelange Arbeit in der TSA, nahmen Marianne (Nanne) und ich, willig und doch etwas beklommen, teil. Beklommen nicht wegen des Schönblicks herrlicher Landschaft und gutem Essen und gewiss nicht wegen der lieben, von früheren Besuchen teils schon bekannten Teilnehmer, und auch nicht des Themas oder des Programms wegen - wir waren auf alles gefasst und durchaus bereit zu hören, mitzumachen und beizutragen - nein, es war einzig nur die Sprache.

Die deutsche Sprache wird in der TSA teilweise noch erhalten im Frauenverein, im Altenheim und durch Konversation unter Angehörigen besonders der älteren Generation - die mir erstaunlicherweise immer näher kommt. Gelegentlich findet man auch Worte und Redens­arten in unseren Veröffentlichungen, Spätzle und Gutsle sind noch nicht ganz vergessen. Abgesehen davon leben und arbeiten wir in einer englischsprachigen Umwelt; Deutsch ist eben nur meine zweite Sprache, und die mit begrenztem Wortschatz.

Daher brauchte es im Schönblick ständige Konzentration, um den Faden des Redners nicht zu verlieren. Viele Wörter erschienen fremd, und gerade wenn man anfing, den Zusammen­hang zu begreifen, musste man schon aufpassen, dass man das nächste Stück nicht versäumte. Bei meinem ersten Besuch der TGD (2002) war ich auch bei einem Seminar (damals Bernstein) und hatte mein Wörterbuch dabei. Es war schon von Nutzen, doch das Suchen nach der Bedeutung mancher deutschen Ausdrücke störte den Fluss der Aufmerksamkeit und - weg war das Verständnis.

Das diesjährige Seminar stand unter dem Thema Religion und Gewalt. Die Ältesten Brigitte Hoffmann, Karin und Jörg Klingbeil sprachen über Punkte wie:

Was verstehen wir unter Gewalt?

Begriffliche Abgrenzung und Erscheinungsformen von Gewalt - physisch, psychisch, gegen Menschen und/oder Sachen, soziale Ungerechtigkeit, legale und illegale Gewalt, Gewaltmonopol des Staates, Rechtfertigungsgründe für Gewalt (z.B. Notwehr)

Welche Erscheinungsformen halten wir für vertretbar, welche für absolut verwerflich, welche für ambivalent?

Was führt zu Gewalt - Aggression, individuelle Prägung und gesellschaftliche Orientierung?

Welchen Einfluss hat Religion auf die Ausübung von Gewalt?

Begriffliche Abgrenzung: was ist Reli­gion - primär Ethik, Gefühl oder Tradition?

Die Sonderstellung der abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) - Bibel und Koran, Lehre und Praxis

Andere Religionen, Kirche und Staat

Unser Umgang mit Gewalt und Aggressivität

Führt Religion zu mehr Gewalt?

Wie wollen wir, dass mit Tätern umgegangen wird?

Gegenpol zur Gewalt: absolute Gewaltlosigkeit?

Wie viel hat das mit unserer Religion zu tun (Bibel, Leitlinien Jesu)?

Ein umfangreiches Programm, wie man sehen kann.

Trotz einer beträchtlich größeren Mitgliederzahl hätte ein TSA-Seminar nicht so viele eifrige Zuhörer angezogen wie hier (22 an der Zahl). Die Vorträge waren interessant und gereichten den Ältesten zu allen Ehren, doch ließen sie leider zu wenig Zeit für Diskussion und Zuhörer-Beteiligung.  Zum Wochenendseminar auf dem SchönblickIn der TSA haben wir oft kleinere Grup­pen gebildet, die jedem Teilnehmer Gelegenheit boten mitzumachen. Es ist natürlich nicht leicht ab­zuwägen: je mehr man Zeit einräumt für Diskussio­nen, desto schwerer wird es, die Programmstruktur auf­recht zu erhalten und die Zeit mit Rücksicht auf den "Mahlzeitenfahrplan" richtig einzuteilen.

Am Sonntagmorgen hielt Peter Lange eine be­sinnliche Andacht, begleitet vom Klavierspiel von Rumi Hornung und dem gemeinsamen Singen - ei­ne ideale Art den Tag zu beginnen.

Gegen Ende wurde mir ermöglicht, ein paar Wor­te zu sagen in meiner relativ neuen Rolle als Tem­pelvorsteher. Ich entschied mich, dies auf Englisch zu tun, was, wie gesagt, mir die Möglichkeit gab, mich deutlicher auszudrücken:

»Willkür und Gewalt sind in der heutigen Gesellschaft weitverbreitet, ob örtlich oder global. Konflikte sind mir unangenehm und ich vermeide sie bei jeder Gelegenheit. Körperlicher Gewalt gehe ich aus dem Weg und bei verbalem Streit (selbst bei Meinungsverschieden­heiten) halte ich mich oft zurück um des Friedens willen. Das Problem damit ist, dass dies oft für Zustimmung gehalten wird.

Ich habe schon immer Dieter Ruff bewundert, wenn er eine gegenteilige Ansicht in einer Situation ruhig, aber fest und klar zur Sprache brachte, ohne ein Zeichen von Frust, Ärger oder Zorn. Ein Mann, der seiner Gefühle mächtig war, zumindest nach außen.

Gewalttätigkeit in Australien ist stark beeinflusst von den Trends, die in den USA gang und gäbe sind. Doch im Gegensatz zu Amerika hat sich Australien vom Schusswaffenbesitz abgewandt, worüber ich außerordentlich froh bin. Während in Amerika jeder einen Revolver tragen kann (manche haben mehrere) - und allzu viele werden wahllos gebraucht -, ist in Australien nach dem Massaker von Port Arthur vor zwanzig Jahren das Waffenrecht sehr verschärft worden.

In meinem Bestreben nach friedlicher Existenz bin ich daher auch (meistens) stolz auf mein Geburtsland, aber wie würde ich reagieren, wenn ich zu seiner Verteidigung zu den Waffen gerufen würde? Darüber habe ich oft nachgedacht und würde im Ernstfall einen schweren innerlichen Kampf auszustehen haben. Ich bin froh, dass ich diese Entscheidung noch nie zu treffen hatte, und hoffe, es auch nie tun zu müssen.

Gestern, am 21. Mai, war der Tag der Vereinten Nationen für kulturelle Vielfalt, Dialog und Entwicklung. Ich dachte lange darüber nach, dass die TSA als eine multikulturelle Gemein­schaft wahrgenommen wird, wir uns aber in erster Linie für eine christliche Glaubensgemein­schaft halten, die stolz auf ihren deutschen Hintergrund und ihre deutsche Tradition ist. Da war ich froh, als ein langjähriger Vertreter im Knox Inter-Faith Network (wo ich die TSA vertrete und seit neuestem der Vorsitzende bin) wiederholt erklärte, dass Religion und Kultur nicht voneinander getrennt werden können. Das hat nun auch den Vorteil, dass die TSA bei der Victorian Multicultural Commission Unterstützung beantragen kann, ohne sich dabei zu kompromittieren.

In Melbourne bietet die JCMA (Jewish Christian Muslim Association of Australia) regelmä­ßige Zusammenkünfte und andere Initiativen. Angesichts der Beziehung der Templer zu dem Heiligen Land gefällt mir besonders, dass in diesen Initialen die Christen (C) von den Juden (J) und Muslimen (M) eingerahmt sind. Wenn jemand im Zweifel ist über Ähnlichkeiten in den Glaubensrichtungen, sollte er nur die  Goldene Regel studieren.

In Melbourne und Victoria leben wir in multikulturellen Zeiten. Das bringt nicht nur viel Positives mit sich, wie z.B. eine reiche Auswahl verschiedener Speisen, sondern leider auch Rassismus und Gewalt. In Bendigo, einer Provinzstadt 150 km nordwestlich von Melbourne, ist der Stadtrat geteilter Meinung über die Genehmigung eines Antrags der Islamischen Gemein­de, eine Moschee zu bauen. Es gab gewalttätige Proteste, ironischerweise nicht nur durch Ortsansässige, sondern in der Mehrzahl von Zugereisten aus Melbourne, die ihrem Missmut Ausdruck geben wollten.

Ich sehe nicht ein, wie ein Gebäude, in dem ein anderer Glaube mit seinen Traditionen ausgeübt werden soll, negativ auf eine örtliche Nachbarschaft einwirken könnte. Es ist Furcht, Furcht vor dem Unbekannten, und, schlimmer noch, Furcht, die in einem chronischen Mangel an Verständnis wurzelt. Menschen anderen Glaubens leben bei uns in der gleichen Straße und begegnen uns täglich - sie sind unsere Nachbarn!

Das Knox Inter-Faith Network zielt auf Zusammenarbeit mit Respekt, Verständnis, Nachbar­schaft, Gemeinschaft und Dialog. Dies passt ideal zu den Werten der TSA: Vertrauen, Akzep­tanz und Respekt in der Gemeinschaft.

Häusliche Gewalt ist auch ein Thema, bei dem die Regierung und die Medien mit Gemein­degruppen zusammenarbeiten, um die Sache zu untersuchen und passende Lösungen zu finden. Soziale Angelegenheiten sind ein Problem, das uns alle angeht.

Ich danke der TGD und ihren Ältesten für Organisation und Durchführung des Semi­nars. Unsere Zeit auf dem Schönblick endete mit dem gemeinsam gesungenen Ein guter Tag zu Ende geht, bei dem sich alle im Kreis an den Händen hielten. In Australien war es Abend, und selbst die Melodie von Auld Lang Syne klang vertraut und, ja, Wir wollen Freunde sein!

Mark Herrmann, Übersetzung Peter Hornung

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