»Wir leben alle von dem, was uns Menschen in bedeutungsvollen Stunden gegeben haben« (Novalis)
In diesem Sinne möchte ich unseren Reiseleitern Karin Klingbeil und Dr. Jakob Eisler ganz herzlich danken. An diese erste und ganz sicher nicht letzte Reise auf den Spuren unseres Vaters und seiner Vorfahren werde ich noch lange denken. Die Eindrücke sind so vielfältig, dass ich gar nicht weiß, wo ich am besten anfangen soll.
Ein chronologisches Auflisten aller besuchten Orte mit geschichtlichem Hintergrund erscheint mir nicht sinnvoll und außerdem gäbe es eine halbe Doktorarbeit.... Also beschränke ich mich mit großem Mut zur Lücke auf einige wenige Highlights, Stimmungen und Impressionen.
Mein Vater, Reiner Beck, hat uns bereits früher, als wir noch Kinder waren, viel aus seiner Kindheit und Jugend erzählt. Auch meine Großmutter, Luise Beck, hat immer wieder von Haifa, der anschließenden Internierung im Lager Bethlehem und Waldheim berichtet und in ihren »Lebenserinnerungen« darüber geschrieben. Mich hat es schon immer interessiert, mehr Hintergrund über die Templer und die Spuren meines Vaters zu erfahren. Insofern habe ich mich - genauso wie mein Bruder Tilman - SEHR gefreut, als unsere Eltern uns anlässlich des 80. Geburtstages meines Vaters auf die Templerrundreise einluden. Ein paar Gedanken darüber, ob nicht ein anderer Zeitpunkt günstiger wäre usw., aber dann sagten wir ganz spontan zu, weil sich so eine Gelegenheit, die Reise mit Vater und Mutter und Bruder zu viert in der Gruppe zu unternehmen, sicher nicht so bald wieder gibt. Besonders, weil unser Vater ja bereits 80 Jahre alt wird.
Unsere Reisegruppe war ganz bunt gemischt. Eine große Altersbandbreite von 50 bis 80 Jahren, verschiedene Herkunftsländer, berufliche Hintergründe und persönliche Interessen. Und fast alle sind wir gemeinsam auf den Spuren der Templer! Die Vorstellungsrunde am ersten Abend war ein sehr guter Einstieg, so dass jeder von jedem erfuhr, welche Vorstellungen und Wünsche er/sie mit der Reise verband. Neben den vielen guten persönlichen Gesprächen über die unterschiedlichsten Themen hat mich sehr berührt, wie alle sich mitgefreut und Anteil genommen haben, wenn einer der Reiseteilnehmer auf der Reise das Haus seiner Vorfahren wiederentdeckt hat.
Unsere beiden Reiseleiter waren absolute Spitze. Karin ist ein wahres Organisationsgenie und sie kann anpacken! Sie hat Herz und Hand: auf ganz natürliche Weise hat sie immer wieder gemeinsames Gedenken, Innehalten und Singen angeregt und so die Reise spirituell bereichert. Jakob weiß unglaublich viel und kann es vor allem so gut vermitteln, dass mir viele Zusammenhänge klar wurden und bei mir in zwei Wochen mehr geschichtliches Interesse geweckt wurde als in vielen Jahren Schulzeit. Beide haben sich von morgens bis abends sehr persönlich und voller Herzblut für uns eingesetzt. Es war ihnen wirklich nichts zu viel! Karin und Jakob organisierten mit Hilfe von Jörg Struve köstliche Picknicks meist direkt im Umfeld einer Ausgrabungsstätte oder eines Naturparks. Es gab Oliven, Pita, Humus, Auberginenmus, Gurken, Tomaten und hinterher immer eine kleine süße Überraschung. Einmal ließ es sich sogar Jakobs Mutter nicht nehmen, uns ein selbstgemachtes Picknick (immerhin für 30 Leute!!) mitzugeben. Und Jakob fand selbst in den engen Gassen von Akko den Hintereingang einer Bäckerei wieder, wo er eben schnell mal Pita mit verschiedenen Füllungen in Auftrag gab. Und wenn einmal ein Plan unserer Reiseleiter fehlschlug, bewiesen sie extreme Flexibilität und disponierten schnell um, meist ohne dass wir es bemerkten. So standen einmal, als uns um 14.00 Uhr schon der Magen in der Kniekehle hing, schon 4 Reisebusse vor Jakob's Pita-Geheimtipp-Lokal.... also fuhren wir weiter, bis Jakob und Karin kurz drauf von einem Obsthändler an der Straße Labaneh-Kugeln in Pita-Broten erbaten... das war kurz, nachdem wir die Brotvermehrungskirche besichtigt hatten. Wir teilten uns ein Glas Labaneh-Kugeln in Öl und wenige Pita-Fladen und wurden alle satt.
Unser Reiseprogramm war sehr vielfältig zusammengesetzt. Grob waren es verschiedene Templerkolonien und Einrichtungen, die von Templer-Architekten erbaut worden waren, jüdische Kultstätten und Synagogen, römische Ausgrabungen, verschiedene Kirchen aus den unterschiedlichsten Epochen, Stadtbesichtigungen, Naturparks.
Die Besichtigung der Templerkolonien und Begehung einzelner Häuser hat mir die Bedeutung der Templer für die Entwicklung von Palästina bzw. Israel verdeutlicht. Wenn man zum Beispiel die »Colony Street« in Haifa, heute wie damals die Prachtstraße, anschaut, wird einem bewusst, dass die Templer vieles geschaffen haben, was ihre eigene Anwesenheit überdauert hat und noch heute von Bedeutung für Israel ist. Auch das Areal »Ha-Tachana« (ehem. Areal der Zementfabrik Wieland, d.h. Vorfahren unserer Reiseleiterin Karin) ist ein Beispiel für die »Umnutzung« ehemaliger Templer-Einrichtungen zu einem Freizeit- und Erholungskomplex. Auch in der ehemaligen Kolonie Sarona (Tel Aviv) ist es gelungen, viele ehemalige Templerhäuser vor dem Zugriff der Bagger und hungrigen Bodenspekulanten zu retten. Das ist ein Zeichen dafür, dass jetzt auch von den Stadtregierungen der Wert dieser Bauten erkannt wird. Dazu haben sicher Jakob Eisler und sein Doktorvater Alex Carmel entscheidend beigetragen, indem sie sich in jahrelanger Sisyphosarbeit mit den Denkmalschutzbehörden herumschlugen. In Sarona wurden sogar fünf Häuser mit enormem finanziellen Aufwand auf Schienen um ein paar Meter versetzt, damit eine Straße verbreitert werden konnte. Jetzt ist ein Riesenprojekt Sarona im Gange, das die ehemalige Templerkolonie inmitten von riesigen Hochhäusern als Freizeitoase und quasi lebendiges Freilichtmuseum bewahren und nutzbar machen soll. Sozusagen als grüne Lunge inmitten der vielen Hochhäuser.
Die Kolonien, die wir aus den Erzählungen unseres Vaters kannten, bildeten für mich den Höhepunkt der Reise. Er ist in 1932 in Haifa geboren. Die beiden Häuser seiner Großeltern stehen noch und auch sein Elternhaus. Dank der guten Vorarbeit von Jakob konnten wir sogar hinein. Heute befindet sich eine Schifffahrtsgewerkschaft im Haus. Ein überwältigendes Gefühl, durchs Haus zu gehen und dazu die Kommentare meines Vaters zu hören. Leider sind nicht alle ehemaligen Häuser mehr vorhanden. Manchmal befindet sich heute z.B. ein Parkplatz anstelle des Hauses der Vorfahren oder ein Neubau. Umso schöner fand ich es, dass sich wirklich alle mit denjenigen freuen konnten, die noch existierende Häuser fanden oder sogar begehen konnten. Mein Vater ließ auch in der Kolonie Bethlehem Erinnerungen aufleben, die Jörg Struve besonders interessierten, weil die Familien Struve und Beck gemeinsam während der Internierungszeit untergebracht waren. Es wurden viele Erinnerungen aufgefrischt und Geschichten von »damals« erzählt. Dabei waren die Erzählungen derjenigen, die selbst noch in den Kolonien gelebt hatten, sicher für alle besonders wertvoll. Jakob sammelt seit Jahren diese vielen Zeitzeugenberichte und persönlichen Erzählungen mit großem Interesse und fügt sie in seinem Kopf zu einem wahren Schatz zusammen, aus dem er dann erzählt und erzählt.
Die Besichtigung der Templer-Friedhöfe war auch ein sehr berührender Moment. Die Restaurierung derselben ist eine großartige Leistung, die die Teilnehmer der vielen Friedhofsreisen seit Jahren vollbringen. Karin hielt eine sehr schöne Andacht, wir sangen gemeinsam etwas und suchten dann mit unermüdlicher Hilfe von Jörg Struve und seinem mitgebrachten iPad nach den Gräbern unserer Vorfahren. Nach der Andacht auf dem Friedhof wurden wir noch von »unserem« Friedhofsgärtner und seiner Familie mit einer Erfrischung bewirtet. Er hat die Pflege des Templerfriedhofs Haifa von seinem Vater übernommen und führt sie nun mit großer Hingabe aus.
Ich weiß nicht mehr, wo es begann, ob es vielleicht auf einem der Friedhöfe war. Mein Vater begann zusammen mit Linda Roberts (Australien) gemeinsame Wurzeln zu entdecken. Nach vielen Gesprächen und mit Hilfe von Jörg fanden die beiden heraus, dass ihre Großväter Issak und Wilhelm Beck Brüder gewesen waren. Mich hat das so fasziniert, zuerst konnte ich es mir kaum vorstellen, dass ich Linda schließlich zuletzt bat, mir eine Skizze des gemeinsamen Stammbaumes in mein persönliches Tagebuch zu malen. Jetzt habe ich also eine Cousine dritten Grades in Australien und fühle mich reich beschenkt.
Neben der Besichtigung der Templerkolonien Jaffa, Sarona, Waldheim, Bethlehem, Wilhelma, Walhalla und Jerusalem möchte ich nur einige wenige Beispiele aus den Kategorien »andere Sehenswürdigkeiten« erwähnen.
Naturreservat Tel Dan (Jordanquellen): Grün und wild sprudelndes Wasser inmitten sonst kargster Landschaft. Ebenso En Gedi (ebenfalls eine Art Oase mit Wasserfällen) in der Nähe vom Toten Meer. Baden im Toten Meer. Fahrt über die Golan-Höhen, Besichtigung der Grenze zum Libanon. Fahrt entlang der syrischen Grenze.
Auf den Spuren von König Herodes besichtigten wir u.a. Masada, eine enorme Festungsanlage und das Herodion, eine Festung mit Palast in einem kegelförmigen Berg. Es standen auch viele jüdische Kultstätten wie Bet Alpha, Bet Shearim, En Gedi Antiquities mit Synagogen, Begräbnisstätten und wundervollen Mosaiken auf dem Programm. Ebenso Besichtigungen verschiedener Altstädte wie z.B. Akko, Jaffa und natürlich Jerusalem. Jede Menge Kirchen. Auch den Römern waren wir auf der Spur, z.B. in Caesarea. Typische jüdische Kolonien wie z.B. Zichron Yakov, die mit großer finanzieller Unterstützung von Baron Rothschild aufgebaut wurden. Und überall konnte Jakob etwas erklären! Er hatte fast dauernd sein Mikrofon am Kopf und den Verstärker um den Bauch geschnallt, so dass er uns auch an den Tagen, als er heiser war, ausreichend und unermüdlich informieren konnte. Neben dem geplanten Programm hatte Jakob immer noch zusätzliche »Überraschungen« parat, wie z.B. Nebi Musa, früher eine der Hauptpilgerstätten des Islam, mit Moses-Grab. Was wir alles besichtigt haben, geht auf keine Kuhhaut!
Schön und wertvoll waren auch die vielen persönlichen Kontakte und Beziehungen von Jakob und Karin unterwegs. So wurden wir z.B. von Ruth und ihrem Mann in der Kolonie Wilhelma in ihrem Privathaus empfangen. Oder in einem Kleinod von Museum in Ramleh. In der Universität Haifa war ein Empfang mit Jakobs ehem. Lehrer geplant, der aufgrund von Terminschwierigkeiten leider ausfiel. Wir genossen wenigstens die vorbereiteten Erfrischungen, besichtigten das Hecht-Museum (großartige archäologische Sammlung u. Impressionisten) und aßen in der Mensa zu Mittag.
Das Teilhaben-Dürfen an Jakob's persönlicher Familiengeschichte war auch sehr bewegend und hat tiefen Eindruck hinterlassen. Zweimal ging er abends mit einer kleinen Gruppe von Interessierten noch etwas trinken. Jakob ist selbst Israeli und Jude. Dass sich jemand, dessen Familie soviel Leid durch die Nazis erfahren musste, so unermüdlich für unsere Vorfahren einsetzt, berührt mich. Obwohl ich weiß, dass ich »nichts dafür kann«, schäme ich mich fast für die Gräueltaten während des Holocaust. Die gemeinsame Besichtigung der Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem mit Jakob hat wohl die tiefsten Spuren der ganzen Reise bei mir hinterlassen. Durch unseren Umgang mit dem Thema, durch die Diskussion in den Familien, können wir heute unseren Beitrag dazu leisten, dass antisemitische Tendenzen keine Chance haben.
Die Unterbringung während der ganzen Reise war prima. Die Pilgerherberge Tabgha am See Genezareth war fast schon luxuriös und vor allem die Lage direkt am Wasser war malerisch. Die Borromäer-Schwestern im St. Charles Hospiz in Jerusalem bewirteten uns mit soviel Herz, wie man es in keinem Hotel der Welt finden würde. Bei der Abfahrt stellten sie sich sogar alle gemeinsam vor die Torausfahrt, so dass der Bus nicht wegfahren konnte. Wir durften erst fahren, als Karin und Jakob versprochen hatten, dass wir wiederkommen!!
Es war eine wunderschöne Reise mit Euch allen. Vielen Dank!