Bei der diesjährigen Gruppenreise stand auch der Besuch von Bethlehem auf unserem Programm. Dabei konnte jeder sehr deutlich empfinden, wie die Grenze zwischen Israel und Palästina aussieht - auch, wenn wir bislang nie echte Schwierigkeiten beim Passieren hatten. Der Besuch der Geburtskirche als einer der wenigen erhaltenen Bauten aus frühchristlicher Zeit gehört meist ebenfalls zum Besuchspensum - auch, wenn der touristische Rummel eher abschreckend wirkt.
Doch dieses Mal hatten wir durch die Vermittlung von Christoph Knoch noch ein anderes Ziel: das beeindruckende Hilfswerk Lifegate Rehabilitation e.V., das im an Betlehem angrenzenden Beit Jala sein Zentrum hat. Das Lifegate-Haus ist das Herzstück eines weit verzweigten Rehabilitationsnetzes, das sich von Ramallah im Norden bis Hebron im Süden des Westjordanlandes erstreckt. Behinderte Kinder und Jugendliche fristen im Westjordanland meist ein trauriges Leben am Rande der Gesellschaft. Nicht nur ein soziales Versicherungssystem fehlt völlig, genauso wenig gibt es Fördermaßnahmen, Bildungsprogramme oder gar spezielle finanzielle Unterstützung für Behinderte - es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass daher behinderte Kinder und Jugendliche auch von ihren Familien als immense Belastung angesehen werden und keinerlei Chancen haben. Für sie möchte Lifegate ein "Tor zum Leben" öffnen, indem ihnen ein umfangreiches Hilfsprogramm angeboten wird, das schließlich Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet. Je früher Kinder in die Einrichtung kommen, umso besser kann ihnen geholfen werden - daher hat Lifegate ein Frühförderer-Konzept mit Beratung und Diagnostik, medizinischer Versorgung, Physio-, Beschäftigungs- und Sprachtherapie und Heilpädagogik. Es gibt drei Kindergarten-Fördergruppen und einen regelmäßigen Treff von Müttern behinderter Kinder zur Weiterbildung und zum Austausch. Das Wichtigste ist wohl, dass die ausgebildeten Mitarbeiter (Pädagogen, Sozialarbeiter und Physiotherapeuten) auch in die Familien in den Dörfern gehen und diese mit einbeziehen, indem sie sie bei Pflege, Physiotherapie und Arztbesuchen beraten und unterstützen.
Lifegate hilft Familien mit Behinderten auch beispielsweise mit gebrauchten Nähmaschinen oder ganz mittellosen Familien z.B. mit einer Schafzucht, dem Grundstock eines kleinen Geschäfts u.a.m., um diesen Familien ein Auskommen zu ermöglichen. Auch Hilfsmittel wie Rollstuhlrampen, Haltegriffe etc. finanziert Lifegate, um den Behinderten so das Leben zu erleichtern. Außerdem lernen behinderte Kinder, denen meist der Zugang zu den Schulen verwehrt ist, Lesen, Rechnen, den Umgang mit Geld und andere grundlegende Dinge. Gehörlose erhalten Sprachtraining und lernen Lippenlesen, Gebärdensprache, Blinde erlernen die Braille-Schrift.
Lifegate bildet auch in der eigenen Ausbildungswerkstatt aus, derzeit in Schneiderei, manueller Strickerei, Schreinerei, Lederverarbeitung und Schuhreparatur und Schlosserei. In einer Töpferei wird eigene Keramik hergestellt und bemalt, außerdem wird nach alten beduinischen Mustern gestickt - weitere Ausbildungszweige sind geplant. Nach der gezielten Ausbildung (je nach der Arbeitsmarktlage am Heimatort) hilft die Einrichtung den Behinderten, dort einen der raren Arbeitsplätze zu finden, und bietet ihnen auch noch weiterführende Betreuung in Form von Beratung und Problemlösung an. Ziel ist, dass die Behinderten dann in ihre Familien zurückkehren und durch ihre Arbeit den eigenen Lebensunterhalt verdienen - und vielleicht sogar ihre Familien unterstützen können. Dass sie dadurch ein ganz anderes Selbstbewusstsein erhalten und auch von der Familie und der Gesellschaft ganz anders wahrgenommen und respektiert werden, liegt auf der Hand.
Einige Behinderungen sind so schwerwiegend, dass die Jugendlichen nicht in das reguläre Arbeitsleben eingegliedert werden können. Für solche stehen in der "Beschützenden Werkstatt" zehn Arbeitsplätze in verschiedenen Bereichen zur Verfügung. Auch eine Service-Werkstatt wird betrieben, in der den Jugendlichen ebenfalls feste Arbeitsplätze angeboten werden. Unter dem eigenen Werkstattleiter ist ein inzwischen weit bekannter Service- und Produktionsbereich entstanden, in dem z.B. Rollstühle repariert und orthopädische Hilfsmittel hergestellt werden - stark nachgefragt von anderen Hilfsorganisationen im Westjordanland. So arbeiten die Werkstätten einerseits für den eigenen Bedarf - z.B. wurden alle Türen im Haus in der eigenen Schreinerei hergestellt -, tragen aber auch zur Produktion von Geschenkartikeln bei: geschnitztes Olivenholz, traditionelle Stickereien, nach selbst erstellten Vorlagen bemalte Keramik und selbst hergestelltes Olivenöl. Damit erwirtschaften sie einen Teil für die Deckung der Kosten des Hauses. Dennoch, so erzählte uns der Leiter des Hauses, Burghard Schunkert, der Lifegate Rehabilitation im Westjordanland mit aufgebaut hat, sind manchmal nicht einmal die Gehaltszahlungen der fest angestellten Kräfte gesichert und ist die Einrichtung auf Spenden angewiesen.
Mich hat diese Führung durch das Lifegate-Haus tief berührt - und als christliche Initiative mit ihrer Zuwendung zu Menschen am Rand der Gesellschaft einen Gegensatz zum Besuch der christlichen Geburtskirche dargestellt, wie er krasser nicht hätte sein können.