Die Warte des Tempels
Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 181/6 - Juni 2025

 

 

Unser Gewissen - Hermann Uhlherr

»Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, ...« - Jörg Klingbeil

Die Wiederherstellung des Keller-Hauses - Yossi Ben Artzi

Reisebeschreibungen aus Palästina - Birgit Arnold

Buchvorstellung - »Die längste Nacht« - Hannelore Oetinger

 

Mark Herrmann würdigte das große Engagement von Hermann Ralph Uhlherr für die Temple Society Australia bei seiner Trauerfeier für den am 4. Mai Verstorbenen mit folgenden Worten: „Ich beschrieb Hermann als jemanden, der sein ganzes Leben lang ein engagierter Templer war und viele Dinge sammelte, darunter Information, Wissen, Verständnis , Einsichten, aber auch geologische Funde. Er diente der TSA von 1967 bis etwa 2016 (das ist ein halbes Jahr­hundert!) als Ältester und leitete regelmäßig Sonntagsgottesdienste für die Gemeinde. Außer­dem war er zweimal sechs Jahre lang (1978-1984 und erneut 1998-2004) Mitglied unseres Leitungsgremiums, der Gebietsleitung, und engagierte sich in unzähligen Diskussionsgruppen, Ausschüssen, Arbeitsgruppen und dergleichen. ... Es überrascht nicht, dass Hermann sich im­mer gründlich vorbereitete und sich viele Gedanken über das anstehende Thema machte. Tat­sächlich dachte er intensiv über alles nach, was er sagte und tat. ...

Am Tag nach Hermanns Tod fand eine Sitzung der Gebietsleitung statt, bei der viele loben­de Worte über seine Verdienste, sein Ansehen und seinen nachhaltigen Einfluss ausgetauscht wurden.

Unsere Gespräche mögen vorbei sein, aber die Gedanken, die Weisheit und die Meinun­gen, die wir zum Ausdruck brachten und großzügig teilten, bleiben uns in geschätzter Erinne­rung. Danke, Hermann.“

Wir drucken im Folgenden einen seiner Beiträge ab:

Unser Gewissen

Beim Gewissen handelt es sich um ein so umfangreiches und wenig verstandenes The­men­feld, dass es unmöglich ist, einen umfassenden Überblick zu geben, geschweige denn eine detaillierte und vollständige Darstellung. Hier versuche ich, eine Sammlung von Gedanken aus verschiedenen Quellen als Einstieg zu präsentieren.

Hermann Uhlherr (Foto: privat)
Foto: privat

Im Englischen impliziert das Wort die innere Erkenntnis ei­nes moralischen Standards im Geist, der die Qualität der ei­genen Motive betrifft, sowie das Bewusstsein des eigenen Handelns. Philosophisch betrachtet, kann ‚Gewissen‘ daher zunächst und vielleicht meistens ein weitgehend nicht hinter­fragtes „Bauchgefühl“ oder „vages Schuldgefühl“ darüber sein, was getan werden sollte oder hätte getan werden sol­len.

Macquarie Dictionary: „Die innere Erkenntnis von richtig und falsch in Bezug auf die eigenen Handlungen und Motive, die Fähigkeit, die über die moralische Qualität der eigenen Handlungen und Motive entscheidet und einen zur Einhaltung des moralischen Gesetzes verpflichtet.“

Wikipedia (die ich generell nicht bevorzuge, in diesem Fall aber dennoch hinzuziehe): „Das Gewissen ist eine Fähigkeit, Intuition oder Urteilskraft, die dabei hilft, richtig von falsch zu unterscheiden.“

Bisher wurde der Begriff Gewissen definiert, aber in keiner Weise erklärt. Wir sehen, dass es nicht nur eine Definition gibt, und es liegt der Verdacht nahe, dass unsere individuelle Wahr­nehmung des Gewissens von unseren Überzeugungen und Praktiken abhängt. Obwohl es keine allgemein akzeptierte Definition des Gewissens und keine universelle Übereinstimmung über seine Rolle bei ethischen Entscheidungen gibt, können wir das Gewissen aus drei Haupt­bereichen heraus betrachten:

religiöse Ansichten,

philosophische Ansichten,

säkulare Ansichten.

Es scheint weiterhin Uneinigkeit darüber zu herrschen, wo unser Gewissen verortet ist; manche unterscheiden nicht zwischen Gehirn und Verstand, was eine Einigung noch unwahr­scheinlicher macht. Persönlich sehe ich unseren Verstand als etwas, das unterschieden ist von unserem Gehirn, aber dennoch als ein Teil davon, ähnlich wie Software und Hardware in ei­nem Computer; und unser Gewissen verstehe ich als in unserem Verstand eingebettet, zu­sammen mit dem Bewusstsein, den Sinnen, Vorstellungskraft, abstraktem Denken und Den­ken im Allgemeinen, Sprache und Sprechen. Betrachten wir nun den ersten Bereich.

1. Religiöse Ansichten

(Wikipedia) verknüpfen das Gewissen üblicherweise mit der Moral, die allen Menschen inne­wohnt, aber auch mit der Göttlichkeit und betrachten es als inneres Licht oder die innere Stimme des Menschen (Quäker). Viele Christen halten es für wichtiger, dem eigenen Gewis­sen zu folgen, als menschlicher Autorität zu gehorchen. In der katholischen Theologie ist das Gewissen weder wie der Wille, noch eine Beschaffenheit wie die Klugheit, sondern der innere Raum, in dem wir der Wahrheit, dem Guten und der Stimme Gottes zuhören und sie hören können. Dies hilft uns zu diskutieren, den richtigen Weg, den wir einschlagen sollten, zu ver­stehen und dann voranzuschreiten, auch gegen Widerstand.

Der russische Autor Leo Tolstoi (1828-1910) vertrat nach einem Jahrzehnt der Beschäfti­gung mit diesem Thema (1877-1887) die Ansicht, dass die einzige Kraft, die dem mit dem Materialismus verbundenen Bösen und dem Streben religiöser Institutionen nach sozialer Macht widerstehen könne, die Fähigkeit des Menschen sei, durch Vernunft und Gewissen zu einer individuellen spirituellen Wahrheit zu gelangen.

Der lutherische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) erklärte, das Gewissen sei für ihn „mehr als praktische Vernunft“, es entspringe einer „Tiefe, die jenseits des eigenen Willens und der eigenen Vernunft liegt, und äußert sich als Ruf des menschlichen Daseins zur Einheit mit sich selbst“. Es protestiert gegen ein Handeln, das die Einheit des Seins mit sich selbst gefähr­det. Für Bonhoeffer reagiert das Gewissen nur auf bestimmte Handlungen: „Es erinnert an das Vergangene und stellt diesen Zwiespalt als etwas bereits Vollzogenes und Unwiederbringli­ches dar.“

Alle großen Religionen haben ihre eigene Auffassung vom Gewissen. Im Buddhismus bei­spielsweise verbindet Buddha den positiven Aspekt des Gewissens mit einem reinen Herzen, mit einem ruhigen, zielstrebigen Geist und mit Mitgefühl. Es manifestiert sich als selbstlose Liebe zu allen Lebewesen, die sich allmählich intensiviert und zu einer reineren Erkenntnis führt.

2. Philosophische Ansichten

(Wikipedia): Die westliche Philosophie des Mittelalters war eng mit der Religion verbunden. Die griechischen Philosophen vertraten noch immer die einzig „reine“ Philosophie. Dies änderte sich nach der Renaissance. Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804), eine zentrale Figur der Aufklärung, drückte seine Bewunderung und Ehrfurcht insbesondere für zwei Dinge aus: „den bestirnten Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir ... Letzteres geht von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit, aus und stellt mich in einer Welt dar, in der es wahre Grenzenlosigkeit gibt, die ich aber selbst als in einem allgemeinen und notwendi­gen Zusammenhang existierend erkenne“ (sein kategorischer Imperativ). Kant betrachtete das kritische Gewissen als ein inneres Gericht, in dem sich Gedanken gegenseitig anklagen oder rechtfertigen. Er erkannte an, dass moralisch reife Menschen oft Zufriedenheit oder Seelen­frieden erfahren, nachdem sie ihrem Gewissen bei der Erfüllung einer Pflicht gefolgt sind. Er argumentierte jedoch, dass für solche Handlungen, die Tugend hervorbringen, die primäre Mo­tivation schlicht die Pflicht sein sollte, nicht die Erwartung eines solchen Friedens.

Der Philosoph Arthur Schopenhauer (1788-1860) behauptete, dass in einem gesunden Geist nur Taten unser Gewissen bedrücken, nicht Wünsche und Gedanken, „denn nur unsere Taten halten uns den Spiegel unseres Willens hin“. Das gute Gewissen, das wir nach jeder uneigennützigen Tat empfinden, entspringt der unmittelbaren Erkenntnis unseres eigenen In­neren in der Erscheinung eines anderen und gibt uns die Bestätigung, „dass unser wahres Selbst nicht nur in uns selbst, in dieser besonderen Erscheinungsform, sondern in allem Le­bendigen existiert. Dadurch fühlt sich das Herz erweitert, während es durch Egoismus verengt wird.“

Der theoretische Physiker Albert Einstein (1879-1955), ein bekennender Anhänger des Hu­manismus und Rationalismus, betrachtete einen aufgeklärten religiösen Menschen als jeman­den, dessen Gewissen widerspiegelt, dass er sich „nach besten Kräften von den Fesseln sei­ner selbstsüchtigen Wünsche befreit hat und sich mit Gedanken, Gefühlen und Bestrebungen beschäftigt, an denen er wegen ihres überpersönlichen Wertes festhält“. Einstein bezeichnete die „innere Stimme“ oft als Quelle sowohl moralischer als auch physikalischer Erkenntnisse.

3. Säkulare Ansichten

(Wikipedia): Die säkulare Annäherung an das Gewissen schließt psychologische, physiologi­sche, soziologische, humanitäre und autoritäre Ansichten mit ein.

Der amerikanische Psychologe Lawrence Kohlberg (1927-1987) betrachtete das kritische Gewissen als eine wichtige psychologische Phase in der moralischen Entwicklung des Menschen, verbunden mit der Fähigkeit, die Richtlinien der Verantwortung rational abwägen zu können. Am besten wird es bereits in jungen Jahren durch die Verbindung mit humorvollen Personifizierungen (z. B. Jiminy Cricket - das ist die Grille, die mit Pinocchio spricht und sein Gewissen darstellt, Anm. KK) und später bei Jugendlichen durch Debatten über individuell relevante moralische Dilemmata gefördert.

Der Naturforscher Charles Darwin (1809-1882) war der Ansicht, dass sich das Gewissen im Menschen entwickelt hat, um Konflikte zwischen konkurrierenden natürlichen Impulsen zu lösen - einige dienen der Selbsterhaltung, andere der Sicherheit der Familie oder Gemein­schaft. Der Anspruch des Gewissens, eine moralische Autorität zu sein, entstand aus der „län­geren Dauer der Einwirkung sozialer Instinkte“ im Überlebenskampf. Aus dieser Sicht ist destruktives Verhalten der Gesellschaft eines Menschen gegenüber schlecht. Somit kann das Gewissen als ein Ergebnis der biologischen Triebe betrachtet werden, die den Menschen dazu veranlassen, bei anderen keine Angst oder Verachtung hervorzurufen, da dies sowohl in der Gesellschaft als auch von Mensch zu Mensch als Schuld und Scham empfunden wird.

Meine eigenen Ansichten

- erweitert aus Notizen, die ich beim TSA-Seminar 2014 „Unser Gewissen - die Stimme Gottes in uns?“ vorgetragen habe.

Unter Berücksichtigung des oben Gesagten ist mir zunehmend klar geworden, dass Gewis­sen ein abstrakter Begriff ist und es keine kategorische Bezeichnung dafür gibt; es ist weder rein religiös noch rein säkular, sondern vielmehr eine Kombination, die alle Bereiche umfasst. Lasst mich das erklären:

Ich glaube, dass Menschen mit einem Gewissen geboren werden, das jedem von uns inne­wohnt; es wird bei der Geburt aktiviert, kann aber im Laufe unseres Lebens wie eine leere Leinwand durch verschiedene Quellen oder Ereignisse entwickelt, strukturiert oder beeinflusst werden. Das Gewissen ist in unserem Geist verankert, der zwar von unserem Gehirn getrennt, aber dennoch ein Teil davon ist. Das ist die erste Schwierigkeit bei der Beschreibung des Ge­wissens: unsere Sichtweise wird davon beeinflusst, ob wir in einem religiösen, philosophischen oder säkularen Umfeld aufgewachsen sind, es bleibt aber dennoch ein persönlicher Bereich.

Mein Leben wurde maßgeblich durch meine Mitgliedschaft in der Tempelgesellschaft ge­prägt, und ich wurde unbelastet ermutigt, meinen eigenen Glauben zu entwickeln, der ganz selbstverständlich auf dem Ziel und Motto der Temple Society basiert. Im Laufe der Jahre, mit den schier unglaublichen Entdeckungen und Fortschritten in allen Wissenschaften, sind auch meine Überzeugungen gereift und haben sich verändert, was ich für ganz natürlich und wün­schenswert halte. Ein Problem ist, dass die Sprache, die Worte, die ich verwende, mir unzu­länglich erscheinen; während sie mir bei der Beschreibung meiner Gedanken Sinn ergeben, finden sie bei anderen möglicherweise keinen Anklang. Das ist in Ordnung, denn niemand kann behaupten, nur er habe die richtige Antwort - es gibt keine richtige Antwort, an die alle glauben können.

Hier angelangt denke ich, dass unser Gewissen aus mehreren Komponenten besteht. Da ist der Teil, den uns unsere Eltern, insbesondere unsere Mutter, von Geburt an anerzogen haben. Wir lernen, was richtig und was falsch ist, wenn wir sprechen lernen und unser Handeln bedarf der Korrektur. Etwas später beeinflussen uns Märchen und Kindheitsgeschichten mit ihren mo­ralischen Botschaften, und wenn wir Glück haben, bleibt uns dies als feste Grundlage erhalten. Unsere Erfahrungen als Erwachsene jedoch können für uns eine Herausforderung bedeuten, den richtigen Weg zu finden, insbesondere wenn wir niemanden haben, der uns liebevoll dabei anleitet, Recht von Unrecht zu unterscheiden. Hier können wir in einer Glaubensgemeinschaft, bei philosophisch veranlagten Menschen oder bei einer säkularen Gruppe nach Antworten suchen. Deshalb bin ich überzeugt, dass das Gewissen nur eine persönliche Sache sein kann und zumindest teilweise davon abhängt, welcher Gruppe wir in unseren prägenden Jahren verbunden waren.

In der Tempelgesellschaft haben wir die Freiheit, eine persönliche Vorstellung von Gott zu haben. Ich sehe „Gott“ als eine universell eingebettete Quelle göttlicher Energie im Kosmos, in der Natur, in allem, in allem Leben, auch im Menschen. Gott, oder die göttliche Energie, ist in jedem Menschen - in dir und mir. Wenn wir das akzeptieren, dann, denke ich, können wir mit vielen unserer Zweifel im Leben leichter umgehen. Jesus verkündete, dass jeder die Fähigkeit hat, aus dieser göttlichen Energie in uns zu schöpfen und daraus Führung für die Gestaltung und das Führen unseres Lebens zu gewinnen, aber es liegt an jedem Einzelnen, sich auf diese Kraft einzustellen.

Wenn wir die „Gesetze“ der Natur - die die Menschheit seit jeher erfolglos und oft gegen unser besseres Wissen, d. h. unser Gewissen, zu zähmen und zu kontrollieren versucht - nicht anerkennen und akzeptieren, zeigt mir das, dass unser Gewissen mehr ist als nur die Prägung durch Eltern oder Gleichaltrige. Moral oder Ethik durch Gewissen oder eine göttliche Macht zu ersetzen, um das menschliche moralische Element anzusprechen, geht meiner Ansicht nach am Kern der Sache vorbei; es beantwortet nicht die Frage: Woher kommen die Moral oder die ethischen Gesetze der Menschheit? Die vielen psychologischen, physiologischen oder evolu­tionären Antworten können unser Gewissen nicht erklären, geschweige denn beweisen. Das Gewissen kann jedoch missbraucht werden, vor allem von säkularen Gruppen, um extreme Handlungen (ohne Schuldgefühle) unter dem Vorwand der Selbsterhaltung oder als Reaktion auf vermeintlich ungerechtfertigte persönliche Angriffe zu rechtfertigen. (Das alte Stammes-Rachemodell „Auge um Auge“.)

Auch religiöse Gruppen können die Existenz des Gewissens nicht vollständig erklären. In Bezug auf so viele Aspekte des Kosmos, der Natur, des Lebens und unserer Existenz sind die Überzeugungen jeder Gruppe, ob säkular, philosophisch oder religiös, nur Hypothesen mit den Antworten, die sie liefern. Wenn wir wieder auf Jesu Aufforderung, „auf Harmonie unter der gesamten Menschheit hinzuwirken”, zurückkommen, erinnert uns das daran, dass uns ein Gewissen gegeben ist, eine Verbindung zwischen unserem Denken und unserem Handeln, und dass uns Fähigkeiten wie Vorstellungskraft und Intelligenz, zusammen mit abstraktem Denken und einer spirituellen Komponente, gegeben sind, um unser menschliches, materialis­tisches und egozentrisches Ego auszugleichen oder abzurunden.

Wir können frei über die Richtung unseres Lebensweges entscheiden: irdische Schätze oder spirituelles Wachstum zu suchen oder den Mittelweg zu finden - das beste Gleichgewicht, alles ohne direkte göttliche Beteiligung, aber mit Bezug auf die uns innewohnende „göttliche Stimme“ („Gottes Stimme in uns“).

Ich denke, unser Gewissen ist die innere Stimme, die uns leitet und uns vielleicht sogar deutlich sagt, wenn wir etwas getan haben, von dem wir wissen, dass es falsch war - nicht nur moralisch oder ethisch -, sondern etwas, das unserem tiefen Sinn für Menschlichkeit wider­spricht. Dieser Teil unseres Gewissens ist auch mit dem Mitgefühl verbunden, das wir empfin­den, wenn unschuldige Menschen fernab in uns unbekannten Gegenden durch Naturkatastro­phen schwer geprüft werden und darunter leiden. Ich glaube nicht, dass dieses Mitgefühl eine erworbene Funktion unseres Geistes durch frühes Lernen oder spätere Erfahrung ist; es scheint den meisten Menschen angeboren zu sein. Hier können uns die Worte Jesu über das menschliche Potenzial leiten - durch das uns innewohnende Gewissen - und der Menschheit helfen, den für alle förderlichsten Weg einzuschlagen.

Hermann Uhlherr, Übersetzung Karin Klingbeil

BIBELWORTE - KURZ BETRACHTET

»Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist...

(Markus 12,17)

... und Gott, was Gottes ist.« So beendet Jesus einen Disput, nachdem ihn seine Gegner (Pha­risäer und Anhänger des Herodes) scheinheilig gefragt hatten, ob es „nach dem Gesetz Gottes erlaubt“ sei, dem römischen (=heidnischen) Kaiser Steuern zu zahlen. Würde er die Frage be­jahen, würde er sich auf die Seite der römischen Besatzungsmacht stellen und für gläubige Juden zum Verräter. Würde er die Frage dagegen verneinen, so wäre er für die Römer als poli­tischer Gegner entlarvt. Bereits am Vortag hatte sich Jesus das jüdische Establishment zum erbitterten Feind gemacht, als er die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel vertrieben hatte. Nun sinnt es auf Rache und will ihn loswerden.

Jesus erkennt die Falle und antwortet mit einer Gegenfrage: Er lässt sich eine römische Sil­bermünze zeigen und fragt - ebenso scheinheilig -, wer darauf abgebildet sei. Damit bringt er seine Feinde in Verlegenheit, denn für gläubige Juden war es eigentlich ein Sakrileg, Münzen mit dem Abbild des verhassten römischen Kaisers mit sich zu führen. Der Umgang mit der römischen Besatzungsmacht trieb das jüdische Volk damals um, wegen der Ausbeutung, aber auch wegen der Erniedrigung als auserwähltes Gottesvolk. Der Silberdinar war nicht nur Machtsymbol des römischen Kaisers, sondern auch Kultsymbol für dessen Rolle als Ober­priester des römischen Kultes. Die Verehrung eines weltlichen Herrschers war für Juden schon aufgrund des ersten Gebots („Du sollst keine fremden Götter neben mir haben!“) ein großes Problem. Die Gegner Jesu wissen nun nicht, was sie von der souveränen Reaktion Jesu hal­ten sollen.

Heute stehen wir ebenso ratlos vor seiner Aufforderung. Was ist für uns des Staates - und was ist Gottes? Müssen wir Gott nicht mehr gehorchen als dem Staat? Aber woher wissen wir, was Gott will? Schließlich sind selbst religiöse Schriften wie die Bibel von Menschen gemacht worden. Und Menschen haben immer wieder behauptet zu wissen, was Gott will. Im Namen Gottes ist es zu den Kreuzzügen und Judenprogromen des Mittelalters und zum Dreißig­jährigen Krieg gekommen. Im Namen Gottes haben die Kirchen die Waffen von Soldaten ge­segnet. Auch Christen sind immer wieder verführbar gewesen für die Macht - bis heute.

Dagegen wirkt Jesu Aufforderung geradezu modern. Er billigt - anders als seine Glaubens­genossen - dem Kaiser zwar eine eigene Einflusssphäre zu. Zugleich macht er aber deutlich, dass für Gott andere Kategorien als Geld und Steuern gelten. Weltliche und religiöse Vorstel­lungen auszugleichen, überlässt er unserer Verantwortung als Gesellschaft und unserem Ge­wissen als Individuum.

Jörg Klingbeil

Die Wiederherstellung des Keller-Hauses

Prof. Dr. Yossi Ben Artzi berichtet den Lesern der WARTE über die Restaurierung des Keller-Hauses (Karmelheim), nachdem wir in der Nr. 12/2024 über die Schäden an dem Haus durch eine Rakete informiert hatten:

Keller-Haus (Quelle: Yossi Ben Artzi)
Quelle: Yossi Ben Artzi

Wie Sie sich vielleicht erinnern, wurde das Gebäude am 16. November 2024 durch eine von der Hisbol­lah abgefeuerten Rakete beschädigt. Das Dach wurde zerstört, Fenster und Türen wurden durch die Explosion beschädigt, Innendecken stürzten ein und das Haus war dem Winterregen ausgesetzt. Dr. Li­lach Barak, Direktorin für die akademische Entwick­lung am Keller-Haus, rief auf Facebook Freiwillige auf, und Hunderte von Einwohnern Haifas trafen am nächsten Morgen ein, um die großen Schätze ein­zupacken, die Professor Alex Carmel und seine Stu­denten hinterlassen hatten. Darunter waren Hunder­te von Büchern, Hunderte von Archivdateien mit sel­tenen Dokumenten, Schubladen voller Karten und die gesamte Karl-Ruff-Sammlung mit Plänen und Bauplänen von Häusern in Haifa.

Nach enormen Anstrengungen gelang es der Universität unter der Leitung von Dr. Barak, das Gebäude zu restaurieren. Dabei wurden sämtliche Dachziegel und Möbel ersetzt, das Archiv zurückverlegt und die Bibliothek neu or­ganisiert, Decken und Beleuchtungskörper, Klimaanlagen und Sitzbereiche ausgetauscht.

Am 19. Mai nahm das Keller-Haus seinen Betrieb mit noch größerer Intensität wieder auf. Es beher­bergt nun das Schumacher-Institut sowie den Harry-Sessler-Lehrstuhl für Zionismus und wird von zahl­reichen Forschern besucht. Führungen und Vorträ­ge finden dort statt, und es entwickelt sich allmäh­lich zu einem Zentrum gesellschaftlicher Aktivitäten und zu einem Außenposten der Universität Haifa in der Stadt. Ziel ist es, das Haus gemäß der Vision seiner Gründer zu einem Zentrum für Forschung, Lehre, gesellschaftliches Engagement und Führun­gen zu machen. Ich bin mir sicher: Wenn Fritz Keller im Himmel seine Augen öffnen würde, wäre er stolz auf das, was heute in diesem Haus, dessen Exis­tenz ganz Haifa kennt, geleistet wird.

All dies erforderte erhebliche Mittel - die Universi­tät hat eigene Mittel mobilisiert, aber wir benötigen zusätzliche Spenden, um das Gebäude fertigzustellen, z. B. für den Austausch aller Außenja­lousien, das Verputzen und Kalken, die Umweltentwicklung und andere Maßnahmen. Vielleicht finden es einige Leser der WARTE angebracht, uns irgendwie zu unterstützen...

Dazu übersende ich einige Fotos und hoffe, dass diese Informationen veröffentlicht werden, damit die gesamte Gemeinde davon Kenntnis hat.

Ihr Yossi - Leiter des Schumacher-Instituts und Vorsitzender

 

Spenden für die noch notwendigen Arbeiten am Keller-Haus nehmen wir gern unter dem Ver­merk „Keller-Haus” entgegen und leiten sie an Yossi weiter.

Reisebeschreibungen aus Palästina

C. v. Orelli, Durchs Heilige Land. Tagebuchblätter, Basel 1878

1876 unternahm der Basler Theologieprofessor Hans Conrad von Orelli (1846 Zürich - 1912 Basel) zusammen mit einigen Schweizer Landsleuten eine mehrmonatige Reise durchs Heili­ge Land. Darüber berichtete er in einem 1878 in erster Auflage erschienenen umfangreichen Reisebericht, ausgestattet mit einer farbigen Karte, auf der die genaue Reiseroute verfolgt werden kann, sowie sieben Radierungen. Quellen dafür sind leider nicht genannt. Das Buch erschien im Verlag von C.F. Spittler und wurde in der Pilgermissionsdruckerei auf St. Chrischo­na gedruckt.

Conrad von Orelli (Quelle: Wikimedia Commons)
Quelle: Wikimedia Commons

Conrad von Orelli reiste von Süden her an: nach einer Schiffsreise durchs Mittelmeer von Ägypten her nach Jaffa, von dort über Ramleh nach Jerusalem, weiter zum See Gene­zareth mit einem Abstecher nach Haifa, schließlich über Da­maskus und Baalbek nach Beirut, von wo aus es mit dem Schiff nach Konstantinopel und Athen ging. Er beschreibt Land und Leute zwar mit europäisch-kritischem Blick - vor allem die Verkehrswege! - hat jedoch auch Freude an „morgenländi­scher Poesie“ auf dem Basar: Wie kläglich nehmen sich alle abendländischen Reklamen aus neben den sinnigen Anprei­sungen, welche man hier hören kann: Liebliche Trauben, lieb­liche Trauben! O wie oft haben die Tauben ihre Nester darin gebaut! (S.95).

Anekdoten aller Art runden seine Beschreibungen ab, etwa über das Kloster Mar Saba: Im Hofe steht eine steinalte Pal­me, mit Ketten an die Mauer festgebunden. An diesem Baum, den der hl. Saba selbst soll gepflanzt haben, heben die Mön­che als bedeutsam hervor, daß seine Datteln keine Kerne hätten, und sie haben ein Recht, das zu sagen, denn seit Jahrhunderten wohl hat diese Palme überhaupt keine Datteln mehr getragen.

Auf seiner Reise trifft er viele wichtige Persönlichkeiten des Landes, die damals in Palästina wirkten: Baurat Schick, Dr. Sandreczky, Bischof Gobat und seine Frau, Schwester Charlotte Pilz, Konsul von Münchhausen, Pastor Weser. In Jaffa übernachtet die Gruppe bei Hardegg im Jerusalem-Hotel, in Ramleh im Gasthaus Bohnenberger, in Jerusalem im Hospiz der Johanni­ter, in Haifa im deutschen Gasthaus Kraft.

Gleich nach der Ankunft in Jaffa ist das Augenmerk der Reisenden natürlich auf die bibli­schen Stätten gerichtet, aber die noch spärlichen Bequemlichkeiten auf der Reise waren schon 1876 in hohem Maße den Templern zu verdanken, die zu diesem Zeitpunkt seit nicht einmal 8 Jahren im Land waren. Die Reinlichkeit und Gemütlichkeit im Jerusalem-Hotel wer­den gepriesen, die von den Templern in Palästina eingeführten zweispännigen Wagen gerne genutzt. Das Essen wird gerühmt: Der Mittagstisch versetzte uns recht in die Heimat unserer schwäbischen Landsleute, und der Gesang der Schulkinder erfreut das Gemüt der frommen Reisenden: Jesus Christus herrscht als König... In Ramleh (...) fanden wir ein gutes Quartier in der deutschen Herberge bei Bohnenberger. Nur seine Witwe freilich empfing uns, da er vor zwei Monaten gestorben war. Auch diese treffliche Familie gehört zu den Templern.

Erst 1878 wurde die Leitung der Tempelgesellschaft von Jaffa nach Jerusalem verlegt, aber schon seit 1870 lebten einige wenige Templer dort. Als C. v. Orelli im März 1876 Jerusalem bereiste, hatte sich ihre Zahl deutlich erhöht. Offenbar hatte er sich gut vorbereitet, bevor er die Einladung zu einem Besuch dort annahm: Nachmittags besuchten wir die Tempelkolonie vor dem Jaffathor, die uns freundlich hat einladen lassen. Der Weg führt von diesem Thor an dem langgestreckten, mit Aufwand gebauten Hospital des Sir Mose Montefiori vorüber, das zur Beherbergung unbemittelter Israeliten bestimmt ist. Weiter südlich im Grunde Rephaim, wo die Philister zu Davids Zeit mehrmals sich lagerten, haben sich die Templer niedergelassen. Ihre Ansiedlung besteht aus 150 Seelen. Es sind meist Handwerkerfamilien. Man sollte denken, im Handwerk könnten diese arbeitsamen Deutschen weit glücklicher mit den Landesbewohnern konkurrieren als im Landbau, dem sich europäische Naturen hier nun einmal nicht ohne Schaden unterziehen können. Müller F[rank] empfing uns in seiner stattlichen Mühle und be­wirtete uns mit vorzüglichem Weine, den sie hier ziehen, und feinem Weißbrod, wie wir’s lange nicht genossen haben. Die Müller vermitteln hier zugleich den Getreidehandel. Sie kaufen das Korn den Beduinen ab und verkaufen es, nachdem sie gemahlen haben. Die Kultur des von den Deutschen erworbenen Bodens, welche durch Eingeborene besorgt wird, schreitet sehr langsam vorwärts... Jeder Regenguß lässt neue Steinmassen zum Vorschein kommen, die abgelesen werden müssen. Doch ist ein wirklicher Fortschritt im Lauf der Jahre bemerklich. Im Jünglingsverein, der, aus 22 Handwerksburschen bestehend, im Betsaal sich versammelt hatte, wurde gesungen und ungezwungene Unterhaltung gepflogen. Als Kopfhänger darf man sich diese Leute nicht vorstellen. Es ist eher schwer, mit ihnen auf religiöse Gegenstände zu reden zu kommen.

Als Anmerkung fügt Orelli hinzu: Daß diese Templer neuerdings ihre Schulen ...von Jaffa nach Jerusalem verpflanzen, deutet darauf, daß sie in der That ihren Schwerpunkt vom Acker­bau treibenden Sarona hierher verlegen wollen. Und so kam es denn ja auch.

In Jerusalem nahm die Gruppe am 22. März an den Festlichkeiten zu Kaisers Geburtstag teil. In der überfüllten Kapelle auf dem Muristan fand ein Festgottesdienst statt. Nach dem Got­tesdienst nahm der Konsul in Galauniform die Glückwünsche entgegen. Der Bischof und seine Gemahlin und Schwester Charlotte waren auch da. Nachmittags war Festleben auf dem Sonntags von uns besuchten Lande der Templer, wo die arabische Jugend aller deutschen Schulen von Jerusalem und Bethlehem sich vereinigte. Im Versammlungslokal der Templer wurden Erfrischungen gereicht. Der Konsul spendete an diesem Tage treffliches deutsches Bier, das auch von den Arabern nicht verschmäht wurde. Kam doch selbst der Pascha von Jerusalem in voller Uniform herangesprengt und blieb den ganzen Nachmittag im Betsaal beharrlich vor seinem Glase sitzen, während die übrige Menge sich auf dem bescheiden geschmückten Festplatze herumtummelte. Der Kanzler des Konsuls sollte ihm die Reden dolmetschen, welche von den Häuptern der Kolonie draußen gehalten, die Hoch, die gebracht wurden, konnte aber dieselben nur vermutungsweise deuten, da die Entfernung zu groß war.

Am nächsten Tag besuchen die Reisenden noch das Schnellersche Waisenhaus, dessen Arbeit durchaus beeindruckt. Nach einer anschließenden Audienz beim griechischen Patri­archen werden sie von Baurat Schick durch die Grabeskirche geführt. Ein volles Programm!

Ein längerer Abschnitt ist den Territorial- und anderen Streitigkeiten um die Grabeskirche gewidmet: Die hohen römischen, griechischen, russischen, armenischen Würdenträger haben keinen Verkehr außer dem offiziellen, der sehr steif und nicht selten darauf berechnet ist, die gegenseitige Unzufriedenheit einander fühlbar zu machen. Fast mehr Zutrauen haben sie zu solchen Protestanten, welche sie einmal als gewissenhaft kennengelernt haben, sind übrigens erstaunt, auch bei diesen (die ja nicht einmal zu fasten pflegen!) Gottesfurcht zu finden. Die protestantische (meist deutsche und schweizerische) Kolonie Jerusalems hat in der Beziehung keine geringe Mission, obwohl sie an der Grabeskirche keinen offiziellen Anteil beanspruchen kann. Sie kann viel für die Ehre der evangelischen Kirche tun, indem sie, die allseitigen Vorurteile durch Treue überwindend, die Achtung von Katholiken, Juden und Heiden erwirbt und zugleich durch einfachen würdigen Gottesdienst gegen die Verirrungen anderer Kirchen protestiert. Ein atemberaubender Anspruch, vor allem, wenn man die damals aktuellen Ausei­nandersetzungen zwischen Christoph Hoffmann und Georg David Hardegg bedenkt, die ihm be­kannt waren.

Auch die deutsche Schule wird noch besucht, dann geht es zu Pferde weiter gen Norden. Sie besuchen die Niederlassung der Samaritaner und gelangen schließlich nach Nazareth. Von dort aus machen sie einen Abstecher nach Haifa, das dem Schreiber aber nur eine kurze Erwähnung wert ist: Im Laufe des Nachmittags langten wir in Haifa an, wo uns die deutsche Kolonie wieder recht erquicklich anmutete. Es ist bis jetzt die stattlichste der Templer. Die Kö­nigsstraße, an welcher ihre schmucken Häuser liegen, ist ein Unikum in diesem Lande; auch die Felder sind in trefflichem Stand. Leider entspricht diesem blühenden Aussehen der innere Stand des Unternehmens nicht ganz. Nicht nur ist dieser Besitz materiell keineswegs gesi­chert, sondern es sind auch gewisse Zwistigkeiten unter den Templern noch nicht ausgegli­chen... Der deutsche Gasthof (Kraft) erquickte uns mit deutschem Bier und verhieß ein treffli­ches Nachtlager.

Bevor sie das Heilige Land verlassen, rasten sie noch im lateinischen Kloster in Tiberias und lassen sich ein Bad im See Genezareth nicht nehmen. Weiter geht es über Damaskus und Baalbek nach Beirut, mit Besuchen in kleinen deutschen Missionsstationen. Das Osterfest am 16. April verbringen sie in Beirut bei der dortigen evangelischen Gemeinde. Weitere vier Wo­chen sind sie in der Türkei, in Griechenland und in Italien unterwegs, bis sie am 23. Mai 1876 nach gut drei Monaten Reise wieder in Basel ankommen.

Orellis Aufzeichnungen bleiben beschreibend, persönlich und tagebuchartig, kenntnisreich, aber wenig politisch; sie vermitteln hauptsächlich Eindrücke. Kaum einmal gibt er eine Wer­tung ab, weder über Araber noch über Juden. Frauen kommen übrigens kaum vor; das sollte aber kein Hinderungsgrund sein, dieses kurzweilige Buch, das antiquarisch erhältlich oder in wissenschaftlichen Bibliotheken auszuleihen ist, einmal zu lesen. Es vermittelt einen schönen Eindruck von Land und Leuten zwischen Hebron und Beirut vor 150 Jahren.

Birgit Arnold

Buchvorstellung

Die längste Nacht

Ein Buch, in dem sich Politik und Familiengeschichte verbinden.

Nach einem Sturz ist die 96-jährige Emma Verweij auf Pflege und Hilfe angewiesen. Sie be­schließt darum, ihrem Leben ein Ende zu setzen und isst seit Tagen nichts mehr. In der Nacht, bevor ihr jüngerer Sohn Thomas mit ihrer Ärztin und dem Palliativ-Team, das ihr bei dem letz­ten Schritt helfen soll, kommen, ziehen die Erinnerungen an ihr vorbei.

Die längste Nacht...

Erinnerungen an die Zeit mit ihrem ersten Mann Carl Bielenberg, ihre übergroße Liebe, ihre Tage in Berlin und die Angst, die sie lähmte, nachdem das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 misslungen war. Als Mitarbeiter und Freund von Adam von Trott im Auswärtigen Amt, war Carl daran beteiligt gewesen. Am 25. Juli wurden er und Adam verhaftet. Carl wurde auf grausame Art hingerichtet. Zuvor hatten die beiden in neutralen Ländern, wie z.B. der Schweiz, versucht Kontakt mit den Alliierten aufzunehmen und deren Hilfe erbeten. Erfolglos.

Die längste Nacht (Quelle: btb-Verlag)
Quelle: btb-Verlag

Ein Freund ihres Vaters, Adrian Wapenaar, brachte Emma bei Verwandten in einem kleinen Schwarzwalddorf unter und so in Si­cherheit. Nach dem Sieg der alliierten Mächte kehrte Emma, ver­kleidet als Mann, in die Niederlande zurück. In Gouda wird sie von ihrem Cousin mütterlicherseits, Chris Dudok, aufgenommen. Durch ihn lernt sie Bruno Verweij kennen.

Die beiden heiraten, erleben glückliche Jahre, bekommen zwei Söhne, Michael und Thomas, Bruno macht Karriere bei der Indu­strie- und Handelskammer und ist viel, vor allem in Deutschland, unterwegs.

Erinnerungen an ihre ersten Lebensjahre. Als Diplomatentochter war sie in mehreren Ländern unterwegs, bis sie zu ihrer Großmut­ter kam. Zuerst unglücklich, liebte sie diese bald mehr als ihre Mut­ter. Der Tod ihres Vaters, mit dem sie eng verbunden war, Gespräche mit ihrer Mutter, die sich in Afrika engagierte, der Tod der Schwiegermutter und die Erinnerungen an die beiden Brüder von Bruno, Ron und Hendrik, Geschichten über deren Vater, der Bürgermeister in Gouda war - all das erlebt sie in dieser letzten Nacht noch einmal.

Nach Brunos Tod, der mehr als 30 Jahre zurück lag, erfuhr sie von ihrer besten Freundin Maria, dass sie mit Bruno, vor ihrer Zeit, eine unglückliche Liebe verband, die er so wenig vergessen konnte wie sie selbst Carl. Ein Geständnis, das die beiden Frauen eher noch mehr verband. Da war die schwierige Beziehung zu ihrem älteren Sohn Michael, die Reise mit Thomas nach Jerusalem und der Urlaub, in dem sie die Geliebte ihres Vaters kennen lernte.

In die Erinnerung mischen sich Gedichte und Lieder ihrer Kindheit.

Wieder Bruno, mit seiner Sehnsucht nach alten Zeiten. Ihre Fahrt an der Waal, Schloß Loevestein, ihr kleines Haus dort, zusammen mit Marteen und Maria.

Der Freitod ihres Cousins Chris, der sie schwer traf ... Alles, alles, ein ganzes Leben in einer Nacht.

Morgen: Michael, der an Parkison erkrankt ist, kommt um sich zu verabschieden. Die Ärztin, dann Thomas, der noch Anweisungen erhält, dann das Palliativ-Team. Emma schaut ihnen zu, als ginge es sie nichts an. Entkommen ...

Sie ist wach, endlich wach.

Autor: Otto de Kat, btb - Verlag, ISBN 978-3-442-71663-0 - nur noch antiquarisch erhältlich.

Hannelore Oetinger

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Spieletreff mit anschließendem Grillabend
Jahrestagung des Bundes für Freies Christentum
Rückblick auf den Tempelgründungstag am 22. Juni