Die Warte des Tempels

Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 168/4 - April 2012

 

 

Jesus der Befreier

und was aus seiner Vision des Reiches Gottes wurde

»Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube« (Goethe, Faust). Ist es denn ein purer Zufall, dass die Botschaft Jesu vom gegenwärtigen Anbruch des Gottesreiches im Glaubensbekenntnis nicht vorkommt? Meine Antwort lautet: Es ist kein Zufall. Der historische Jesus, der Mensch aus Fleisch und Blut, verschwand schon bei den Hellenisten und Paulus aus dem Blickfeld zugunsten des dogmatischen Christus. Paulus interessierte der Jesus dem »Fleische nach« nicht, er störte nur das Bild des Jesus dem »Geiste nach«. Bereits bei den Hellenisten und ihrem Vordenker Paulus mutierte der Befreier Jesus von Nazareth zum Heiland und Erlöser Jesus Christus.

Mit dem Wort »Befreier« meine ich: Jesus ging es darum, in dieser Welt das Reich Gottes zu schaffen, ein Reich der Wahrheit und der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens, der Freiheit und der Schöpfungsbewahrung. Er sah dieses Reich keimhaft verwirklicht in der kleinen Gemeinde, die mit ihm durch Galiläa wanderte und schließlich nach Jerusalem hinaufzog. Diese Vision des Gottesreiches blieb auch in der Urgemeinde und den frühen christlichen Gemeinden im Römischen Reich lebendig. Sie wurde im Laufe der ersten drei Jahrhunderte jedoch mehr und mehr von einer hellenistischen Strömung überlagert, die Jesus als Erlöser, als Gottessohn und Heiland betrachtete. Göttersöhne gab es in der antiken Mythologie mehrere, doch unterschied sich das Christentum von den antiken Religionen darin, dass es den Anspruch erhob, Jesus sei der einzige und eingeborene Sohn Gottes. Er allein sei Gott in Menschengestalt.

Was ist aus dem von Jesus erstrebten und ersehnten Reich Gottes, in dem er als Gleicher unter Gleichen leben wollte, geworden? Die Kirche, die Jesus als den Christus, den Gesalbten Gottes, als Herrn und Heiland, das heißt als Erlöser, verkündigte! Die Christen glaubten fortan nicht mehr mit ihm an Gott, sondern an ihn als Gott, wie der jüdische Philosoph Martin Buber treffend bemerkte.

»Sündenregister« von Kirche und Religionen

Noch einmal: Was ist aus Jesu Botschaft vom gegenwärtigen Anbruch des Gottesreiches geworden? Die Antwort kann nur lauten: Ein religiöses Imperium mit einem absoluten Wahrheits- und Herrschaftsanspruch. Wie bei jedem Imperium ist die Geschichte des christlichen Imperiums eine Geschichte von Blut, Schweiß und Tränen. Die Religion der Wahrheit und der Liebe, als die sie sich selbst sieht, stellt sich dem Auge des Historikers ganz anders dar, nämlich als eine Kirche, die einen absoluten Wahrheits- und Herrschaftsanspruch erhob und bis zum heutigen Tag erhebt. Die Zahl ihrer Opfer - Häretiker, Ketzer, Ungläubige oder Andersgläubige - ging im Laufe der Jahrhunderte in die Millionen. Hier seien sie nur stichwortartig genannt: Verfolgung der Häretiker in der Antike und der Ketzer in Mittelalter und Neuzeit, die Zwangsbekehrung der Sachsen durch Karl den Großen oder der Juden in Andalusien und anderswo, die Opfer der Kreuzzüge und der Religionskriege, die Opfer einer Mission, die auf Ausdehnung des Imperiums hinauslief.

Doch damit nicht genug. Der absolute Wahrheits- und Herrschaftsanspruch des Christentums lieferte in säkularisierter Gestalt das Paradigma für den absoluten Herrschaftsanspruch der weißen gegenüber den farbigen Rassen sowie der Europäer gegenüber den Nicht-Europäern. Die Vernichtung der indigenen Völker Amerikas, die Negersklaverei, der Kolonialismus und Imperialismus bis zum Globalismus unserer Tage waren und sind die Folge.

Den Einwand, die Täter seien in ihrer großen Mehrheit keine Christen gewesen, lasse ich nicht gelten, denn wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir zulassen, und wir Christen haben all das zugelassen, sofern wir nicht sogar aktiv daran beteiligt waren und sind. Um das Maß vollzumachen, sei hinzugefügt, dass es der christliche Kulturkreis ist, der die Schöpfung heute mit Vernichtung bedroht, sei es in Gestalt des nuklearen Holocaust, der Umweltzerstörung oder der geistig-moralischen Zerstörung durch den Industrialismus.

Gewiss, auch andere Religionen haben ihr Sündenregister. Doch das Chris- tentum übertrifft sie alle bei weitem. Selbstverständlich ist die Geschichte des Christentums nicht nur eine Geschichte von Zwang und Gewalt. Doch werden die positiven Leistungen des Christentums von den Kirchen und Theologen so eifrig in das Blickfeld gerückt, dass es sich als notwendig erweist, auch einmal die Schattenseiten zu beleuchten.

Verschiedene Inkarnationen Gottes

Meines Erachtens ist es kein Zufall, dass Wolfram Zoller seinen Artikel mit der imperialen Vision eines Gottesreiches beschließt, in dem »sich alle Knie beugen und alle Zungen bekennen, dass Jesus Christus [eben als Verkörperung dieser Liebe] der Herr sei, zur Ehre Gottes des Vaters« (Philipper 2,10 f.). Diese Vision kann angesichts der Geschichte des Christentums von den Angehörigen anderer Religionen nur als Kriegserklärung verstanden werden.

Über dem Trennenden sollte das Gemeinsame nicht vergessen werden. Auch für mich war Gott in Jesus gegenwärtig. Auch für mich ist Jesus eine Inkarnation Gottes, aber nicht die einzige. Auch war er nicht mit Gott identisch, »eines Wesens«, wie das Dogma es behauptet, denn ein Mensch kann niemals ganz Gott werden und Gott kann und will niemals ganz Mensch werden. Das ist schlicht unmöglich, denn wir Menschen sind, solange wir leben, sterblich, schwach, unwissend und den Naturkräften ausgeliefert, Gott aber ist unsterblich, allmächtig, allgegenwärtig und allwissend. Die Einheit beider zu behaupten, erfordert das sacrificium intellectus (das Opfer des Verstandes) auf dem Altar des Wunderglaubens. Da halte ich es lieber mit Albert Schweitzer, der meinte, alle wahre Religion ist vernünftig und alle wahre Vernunft ist religiös.

»Wahrheit« ist eine philosophische und eine religiöse Kategorie

Der erbitterte Kampf zwischen Glauben und Vernunft, der die Theologiegeschichte, nein, die ganze christliche Geschichte durchzieht, ist ein Scheingefecht. Bei Gandhi findet man den Satz: Gott ist die Wahrheit und die Wahrheit ist Gott. Die Wahrheit ist eine philosophische und zugleich eine religiöse Kategorie. Gott ist eine religiöse und zugleich eine philosophische »Kategorie«. Ich habe daher keine Hemmungen, »Atheisten« wie Gautama Buddha oder Sokrates als Wahrheitssucher und daher als Inkarnationen Gottes zu betrachten, nicht mehr und nicht weniger als Jesus von Nazareth.

Grundsätzlich gilt, dass jeder Mensch, der den Weg der Wahrheit und der Liebe, d.h. der Gewaltfreiheit, beschreitet, in dem Maße, wie er auf diesem Weg voranschreitet, Gott ähnlich wird. Doch werden wir, solange wir leben, niemals Gott gleich.

Eine Rückkehr zu Jesus ist überfällig

Fazit: Ich halte eine zweite Reformation in Gestalt der Rückkehr zu Jesus, dem Befreier, dem Verkünder des gegenwärtigen Anbruchs der Gottesherrschaft, für überfällig, Martin Luthers große Tat war das »sola scriptura«, die Rückkehr zur Heiligen Schrift. Er wollte den Ballast der katholischen Tradition, der die christliche Lehre und das christliche Leben im Laufe der Jahrhunderte verschmutzt und vergiftet hatte, beiseite schaffen und zur Bibel als der reinen Quelle zurückkehren. Wir müssen heute den Schlachtruf der Reformatoren: »Ad fontes!« (zurück zu den Quellen!«) wieder aufnehmen. Er kann nach allem, was die Leben-Jesu-Forschung und die historisch-kritische Bibelwissenschaft in den vergangenen Jahrhunderten erarbeitet haben, nur lauten: Zurück zum historischen Jesus, dem Jesus der Bergpredigt und der Gleichnisse, dem Verkündiger der Gottesherrschaft in dieser Welt! Er fordert uns auf, mit ihm an Gott, statt an ihn als Gott in Menschengestalt zu glauben.

Wolfgang Sternstein

In einer Stellungnahme zu W. Zollers Artikel »Dreifache Gotteserfahrung«, Freies Christentum 2/2012, S. 41-44. Der Friedensforscher Dr. Wolfgang Sternstein hat seine theologische Auffassung in seinem Buch »Gandhi und Jesus. Das Ende des Fundamentalismus« ausgeführt.

Das Brot der Befreiung

Pessach und Ostern - Bedeutung und Deutung von Ritualen

»Das Brot der Befreiung« - das ist eine jüdische Bezeichnung für das ungesäuerte Matzen-Brot, das beim Seder-Mahl zu Beginn des Pessachfests gegessen wird - eine andere ist bezeichnenderweise »Das Brot des Elends«: das gleiche Objekt steht für zwei gegensätzliche Erfahrungen.

Zugleich ist »Das Brot der Befreiung« der Titel eines Artikels von Christian Feldmann in der Zeitschrift Publik-Forum (Ausgabe 6/2010, Seite 56), der die Entstehung dieses Rituals beschreibt und zugleich an diesem Beispiel die Bedeutung von Ritualen anschaulich macht. Er kommt zu dem Schluss, dass ohne das jüdische Pessachfest das christliche Osterfest nicht denkbar wäre. Ich möchte im Folgenden gekürzt aus dem Artikel referieren und einige eigene Überlegungen zum Thema Rituale einschließen.

Am Anfang - in archaischer Zeit, aus der es keine schriftlichen Quellen gibt - stehen zwei heidnische Frühjahrsfeiern. Die eine stammt von den Kleinviehnomaden, die im Frühjahr ein religiöses Fest begingen, ehe sie mit ihren Schafen und Ziegen zu den Sommerweiden aufbrachen. Sie brachten wohl den Göttern ein Opfer - das erstgeborene Lamm - und baten um ihren Schutz für die gefahrvolle Wanderung. Als die Stämme allmählich sesshaft wurden, blieb das ältere nomadische Frühlingsfest erhalten, aber es kamen Opfergaben - Brot (Weizen), Kräuter, Gemüse - und sicher auch Dankgebete und Segensbitten aus dem Bereich des Ackerbaus hinzu.

Mit dem Erlebnis des Auszugs aus Ägypten verändert sich die Glaubensgrundlage. Was damals genau geschehen ist und wann genau, wissen wir nicht. Der Bericht, den wir aus dem Alten Testament kennen, ist erst im Laufe der Jahrhunderte entstanden durch die Zusammenfügung sehr vieler ganz verschiedener Sagen einschließlich frommer Übertreibungen. Trotzdem muss am Beginn etwas Entscheidendes geschehen sein: eine ganz und gar unwahrscheinliche Errettung aus existentieller Not, die sich nur durch ein Eingreifen Gottes erklären ließ. So entstand der Glaube an einen Gott, der sich Israel als sein Volk auserwählt hatte, der Gehorsam forderte, vor allem die Abkehr von allen anderen Göttern, der aber dafür versprach, das Volk durch alle Gefahren hindurch zu bewahren, und ihm eine Verheißung und ein Ziel gab; und der zugleich den Beweis erbracht hatte, dass er das konnte, dass er stärker war als alle anderen Götter. Auch dieses Gottesbild hat sich mit den Jahrhunderten gewandelt, aber die Ur-Erfahrung, aus der es entstanden war, war so wichtig, dass sie bewahrt und weitergegeben werden musste.

Dem diente nun das Frühlingsfest. Das alte Ritual blieb: das gemeinsame Mahl in der Familie am ersten Abend des Passah-Festes mit all den von der Tradition vorgegebenen Zutaten. Aber es ist nun kein Opfermahl mehr - geopfert wurde später nur noch im Tempel -, sondern es dient der Vergegenwärtigung der Geschichte des Exodus: der Unterdrückung in Ägypten, der sieben Plagen, die den Pharao schließlich zwingen, das Volk gehen zu lassen, der Errettung beim Durchgang durch das Meer, der Not auf der Wüstenwanderung. Und es folgt einem festen Ritual, das Christian Feldmann anschaulich beschreibt: Der älteste Sohn fragt: »Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?« Und der Vater antwortet, indem er anhand der Speisen auf dem Tisch und anderer Symbole die Exodus-Geschichte erzählt: die »ungesäuerten« Fladenbrote, die Matzen, erinnern daran, dass einst, in der Eile des Aufbruchs, keine Zeit war, den Teig gehen, aufgehen zu lassen; das Salzwasser, in das das Gemüse getaucht wird, an die Tränen in der Zeit der Unterdrückung, ebenso das Bitterkraut und die Schärfe des Meerrettichs usw.; das Blut vom Schlachten des Lammes an die letzten der sieben Plagen, als die Israeliten dieses Blut an die Türpfosten ihrer Häuser streichen sollten, damit Gott, wenn er in der Nacht über das Land ging, um alle Erstgeborenen der Ägypter zu töten, an ihren Häusern vorübergehen sollte. Daher der Name Pessach (Passah): das Vorübergehen - auch: das Verschonen. Und alles zusammen ist ein Symbol für den großen Aufbruch, der beides bedeutet: das Leid des Zurücklassens, vor allem aber die Freude der neuen Freiheit.

Für mich ist das ein sehr eindrucksvolles Beispiel dafür, wie durch ein Ritual eine Tradition weitergegeben werden kann. Aber auch noch für etwas anderes: Rituale können ungeheuer beständig sein. Sie können sich erhalten, selbst wenn die Glaubensgrundlage, aus der sie hervorgegangen sind, sich ändert. Aber sie bleiben lebendig nur, wenn sie dann neu gedeutet werden, wenn spürbar bleibt oder wieder wird, dass das, was erinnert wird, uns heute noch angeht. Das geschah noch einmal bei der Entstehung des Christentums. Die Jerusalemer Urgemeinde hat sicher auch nach Jesu Tod weiter das Passah-Mahl gefeiert. Sie verstanden sich ja weiterhin als Juden. Aber ihre Glaubensgrundlage hatte sich geändert. Ihr prägendes Heilserlebnis war nicht mehr - oder nicht primär - der Exodus, es waren Tod und Auferstehung Jesu. Das war ihre neue Deutung des Rituals. Und meiner Ansicht nach - ich habe das noch nirgends bestätigt gefunden - hat dabei wohl ein Element des alten Rituals eine wesentliche Rolle gespielt: das Lamm. In einem anderen traditionsgeheiligten Text, dem Gottesknechtslied bei Trito-Jesaia (Jes. 53, 4-7, 11, ich zitiere nur die wichtigsten Stellen) heißt es: »Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt ... Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf ... Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte, den Vielen Gerechtigkeit schaffen; denn er trägt ihre Sünden.«

Bis heute ist nicht klar, wen der Prophet gemeint hat: einen anderen Propheten der damaligen Zeit (6. Jahrhundert v.Chr.), das Volk Israel? Für die ersten Anhänger Jesu war es sonnenklar: das galt Jesus. Sie hatten seinen Tod - einen Tod der Schande - empfunden als ein Scheitern seines und ihres Glaubens, das sie in abgrundtiefe Verzweiflung stürzte. Ihre Visionen - und vielleicht auch die Erklärung durch dieses Prophetenwort - gaben ihnen die Gewissheit, dass dieses Scheitern gottgewollt war, dass es in Wahrheit ein Sieg war, ein Sieg seines und ihres Glaubens. So wurde aus Jesus »das Lamm Gottes, das unsere Sünde trägt« und uns erlöst. Und damit änderte sich mit der Zeit auch das Ritual. Aus dem jüdischen Passah-Mahl wurde das christliche Abendmahl.

Für viele Christen und für uns Templer sowieso ist das nicht mehr unsere Glaubensgrundlage. Vielleicht wäre es gut, dann auch das Ritual zu ändern. Denn Religion braucht (meist) Rituale, die das Gefühl aussprechen und die zugleich für etwas stehen, was auch unserer Überzeugung entspricht. Ich habe ursprünglich geglaubt, Rituale könnten nur aus einer langen Tradition entstehen. Trotzdem haben wir vor etwa 10 Jahren, zunächst unsicher, versucht, ein neues zu schaffen: ein einfaches Mahl mit Brot und Wein, in der Gemeinde, am Gründonnerstag, im Gedenken an Jesus, zur Stärkung der Gemeinschaft und der Liebe auch über die Gemeinde hinaus, mit einigen gleichbleibenden Gebeten und Liedern. Das wurde von unserer Gemeinde mit Freude aufgenommen - die Agapefeier ist im Begriff, ein neues Ritual zu werden.

Brigitte Hoffmann

Zurück zum Kern

Katholische Reformgruppen und Theologen propagieren Eucharistiefeiern ohne Priester. Sie verweisen auf das Beispiel der ersten Christen.

Eskaliert die innerkatholische Auseinandersetzung? Reformgruppen in Österreich jedenfalls haben die Geduld mit ihren Bischöfen und dem Papst verloren. Sie wollen nicht mehr hinnehmen, dass die katholischen Hierarchen weiterhin am Bild des ehelosen Priesters festhalten und so den Priestermangel forcieren. Sie finden es grotesk, dass die Gemeinden in der Folge zu großen pastoralen Räumen oder Gemeindeverbünden zusammengeschlossen werden, sodass die Eucharistiefeier nicht mehr überall und nicht mehr an jedem Wochenende gefeiert werden kann. Das grundlegende Recht der Gemeinden auf die Eucharistie, die Feier der Danksagung, werde ihnen von den Oberhirten verweigert, so der Vorwurf.

Deshalb fordern die Reforminitiativen - unterstützt von deutschen Gruppen - alle Katholikinnen und Katholiken auf, nun auch ohne priesterliche Leitung die Eucharistie zu feiern ... Für die österreichischen Bischöfe stellt dieser Aufruf einen »offenen Bruch mit einer zentralen Wahrheit unseres katholischen Glaubens dar«. Es gehe hier um »fundamentale Fragen der katholischen Identität«.

Die Situation ist teilweise skurril: Die Eucharistie ist - laut katholischer Lehre - »Höhepunkt und Quell« kirchlichen Lebens. Offiziell ist sie nur unter Leitung eines geweihten Priesters möglich. Weil die Bischöfe aber an einem geschichtlich gewordenen, heute kaum mehr vermittelbaren Priesterbild festhalten, müssen sie das Angebot an Eucharistiefeiern wegen des Priestermangels notgedrungen verknappen. Das löst einen Aufschrei der Empörung bei denen aus, die in der Eucharistiefeier tatsächlich einen zentralen Kristallisationspunkt ihres christlichen Lebens sehen. Für die große Mehrheit der Katholiken hat der eucharistische Gottesdienst diese Bedeutung nicht: Sie gehen überhaupt nicht zum Gottesdienst, höchstens mal an Weihnachten oder bei der Erstkommunion ihrer Kinder. Theologie und Wirklichkeit klaffen weit auseinander...

Hartmut Meesmann

 

Dieser Artikel ist für die Internetausgabe der »Warte« leider nicht freigegeben. Lesen Sie den vollständigen Artikel in der gedruckten Ausgabe der »Warte« oder in »Publik-Forum«, kri­tisch - christlich - unabhängig, Oberursel, Ausgabe 23/2011, Seite 38.

 

Eucharistie - Worterklärung

Mit diesem Wort wird vor allem in der orthodoxen, der katholischen und der anglikanischen Kirche das Sakrament der Kommunion bezeichnet. Sie gilt hier laut Katechismus als Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens und hat mehrere Aspekte, die in den verschiedenen Bezeichnungen angesprochen sind: "Eucharistie" stellt vor allem die Verbindung zur Danksagung an Gott her; das "Mahl des Herrn" erinnert an das letzte abendliche Mahl Jesu mit seinen Jüngern; "Brechen des Brotes" nimmt Bezug auf die ersten christlichen Versammlungen und die Gemeinschaft mit Christus; "Heiliges Opfer" u.ä. soll das einzigartige Opfer Christi, das alle Opfer des Alten Bundes übertrifft, vergegenwärtigen; "Heilige und göttliche Liturgie" besagt, dass die ganze kirchliche Liturgie in diesem Sakrament ihren Mittelpunkt hat; "Kommunion" weist auf die Vereinigung mit Christus in der Teilhabe an seinem Leib und Blut hin.

In den evangelischen Kirchen wird dieses Sakrament "Abendmahl" genannt.

Mit "Agape" wird ein sogenanntes Liebesmahl bezeichnet, das keinen sakramentalen Charakter hat. Wir Templer begehen es im Gedenken an Jesu Passion, sein letztes Mahl mit seinen Jüngern und die Gemeinschaft, für die ein gemeinsames Mahl Symbol ist.

Innerhalb der einzelnen Konfessionen haben sich im Laufe der Zeit unterschiedliche Lehren mit diesem Mahl verbunden, die das gemeinsame Feiern dieses Sakraments äußerst schwierig macht; selbst innerhalb der evangelischen Konfessionen waren die unterschiedlichen Auffassungen bis 1973 kirchentrennend. Die Auffassung der römisch-katholischen Kirche von der leiblichen Realpräsenz Christi in Hostie und Wein durch die Wandlung macht es den heutigen Kirchenvertretern schwer, zusammen mit Anders­konfessionellen zu feiern, die "nur" die geistliche Realpräsenz Christi in Brot/Hostie und Wein sehen.

Die gemeinsame Erklärung zwischen Lutheranern und Reformierten 1973 (Leuenberger Konkordie) machte die Abendmahlsgemeinschaft möglich; ihr haben sich seither 105 verschiedene Kirchen aus allen Ländern Europas angeschlossen.

Karin Klingbeil

Georg David Hardegg (1812 - 1879)

Aus Anlass des 200. Geburtstags von Georg David Hardegg am 2. April verfasste Dr. Jakob Eisler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Landeskirchlichen Archiv, eine kurze Würdigung des Mitbegründers der Tempelgesellschaft.

Georg David Hardegg wurde am 2. April 1812 als Sohn eines Gastwirts in Eglosheim bei Ludwigsburg geboren. Er absolvierte eine Kaufmannslehre und ging 1830 nach Belgien, wo er von den Ideen der dortigen Revolution ergriffen wurde. Als er 1832 nach Ludwigsburg zurückkehrte und die Ideen einer »Deutschen Republik« verbreitete, wurde er als »Revolutionär« zu 14 Jahren Haft verurteilt, die er später z.T. in Verbannung in der Schweiz verbrachte. Georg David Hardegg 1844 wurde Hardegg begnadigt und kehrte nach Ludwigsburg zurück. Während seiner Inhaftierung auf dem Hohen Asperg (1832–1840) hatte Hardegg lediglich Zugang zu Schriften von Bengel und zur Bibel. Daher rührte seine Beziehung zur Religion und zur Mystik.

Über das Buch Christoph Hoffmanns »Stimmen der Weissagung über Babel und das Volk Gottes« lernten sich Hoffmann und Hardegg kennen. Gemeinsam entwickelten sie den Gedanken, ein »Volk Gottes« zu gründen, das sie in das Heilige Land führen wollten. Hardegg ergänzte Hoffmann optimal, indem er Hoffmanns eher weltfremden Plan, nach Jerusalem zu ziehen, energisch in die Praxis umsetzen wollte. Bald formierte sich um Hoffmann und Hardegg eine Gruppe namens »Jerusalemsfreunde«, später Tempelgesellschaft oder Templer genannt.

Im Jahre 1857 beschlossen die Templer eine Erkundungsgruppe ins Heilige Land zu senden. Im Januar 1858 reisten Hoffmann und Hardegg als Vorsteher der Gemeinde mit Joseph Bubeck, einem diplomierten Winzer, nach Palästina. Hoffmann interessierte sich - seinem idealistischen Naturell nach - eher für die heiligen Stätten, während der realistische Hardegg alle praktischen Details gründlich erforschte. Die unfreundliche Haltung der Bevölkerung und der türkischen Regierung bewog sie allerdings, ihren Anhängern einen vorläufigen Aufschub der Siedlungspläne zu empfehlen. 1861 erfolgte aufgrund der religiösen Aktivitäten der Tempelgesellschaft der Bruch mit der evangelischen Landeskirche von Württemberg.

1868 entschlossen sich die Vorsteher, die Auswanderung endgültig in Angriff zu nehmen. Die Tempelgesellschaft legte eine Missions- und Ansiedlungskasse an. Eine Kommission hatte zu entscheiden, wer wann auswandern durfte. Hoffmann und Hardegg, die als erste nach Palästina auswanderten, reisten zunächst nach Konstantinopel und versuchten dort, einen Ferman (Erlaubnis) zu erhalten. Obwohl dies misslang, setzten sie ihre Reise nach Palästina fort. Am 30. Oktober 1868 erreichte Hardegg Haifa, wo er den »Vorposten und Empfangsstation« für künftige Einwanderer errichtete.

1869 wurde die Kolonie Haifa gegründet und Hardegg wurde ihr Vorsteher. Zur selben Zeit knüpfte Hardegg auch Kontakte mit dem Gründer der Religion der Bahai. Bereits seit Beginn der Kolonisierung herrschten zwischen den beiden Vorstehern der Templer­gemeinde, Hoffmann und Hardegg, Spannungen. Der Konflikt verschärfte sich, als sich Hardegg eigenmächtig für die Finanzierung eines Projektes für eine Landwirtschaftsschule aus der Templerkasse entschied.

Im Jahre 1874 trat Hardegg aus der Gesellschaft aus, gleichzeitig mit ihm ein Drittel der Kolonisten aus Haifa sowie einige aus Jaffa/Sarona. Zwölf Jahre blieb die Splittergruppe um Hardegg ohne Status und finanzielle Unterstützung. Sämtliche andere protestantische Gemeinden und Missionsgesellschaften in Europa, darunter auch die englische »Church Missionary Society«, verweigerten Hardeggs Bitten um Hilfe. Im Jahre 1878 gründete Hardegg mit den anderen ausgetretenen Templern den Tempelverein, später der »Reichsbrüderbund«. Nach Hardeggs Tod im folgenden Jahr schwand der Zusammenhalt seiner Anhänger. Über das letzte Jahr Hardeggs in Haifa wird Folgendes berichtet: »Von der Bogenhalle seines Hauses in Haifa aus schaute er lang und gerne über die Meeresweite. Suchte er wohl in überirdischer Ferne, was ihm im Leben nicht gewährt worden – die Menge des Volkes, das seinem Ruf hätte folgen sollen…?«

Georg David Hardegg starb am 10. Juli 1879 in Haifa und wurde auf dem Templerfriedhof begraben. Sein Grab kann bis heute in Israel besucht werden.

Jakob Eisler

NEUE BÜCHER

Für ein undogmatisches Christentum

Helmut Fischer: Christlicher Glaube - was ist das? Klärendes, Kritisches, Anstöße - Theologischer Verlag Zürich 2011 (ISBN 978-3-290-17614-3)

Der evangelische Theologe Professor Helmut Fischer (früher Direktor am Theologischen Seminar in Friedberg/Hessen) gibt in einem handlichen Taschenbuch eine gut zu lesende Einführung in Hauptthemen des christlichen Glaubens. Auf Grundfragen der Fundamentaltheologie (Religion - Basis und Bedingungen unseres Redens von Gott und Glauben - Bibel) folgen Fundamentalartikel des Glaubens (Gott - Jesus - Glaube - Schöpfung -Mensch - Kirche). Die fast durchweg kurzen Zwischenabschnitte enthalten materialreiche Basisinformation zu Religionsgeschichte, Bibel, Christentumsgeschichte und Konfessionskunde. Erkenntnistheoretische Fragen (S. 45-49) kommen ebenso zur Geltung wie Informationen zur Evolution des Menschen, zur Anthropologie und zur Geschichte des menschlichen Denkens. Die besonderen Untersuchungen des Verfassers zu Fragen der Sprachphilosophie werden fruchtbar (S. 42-49, 56-58, 104f.).

Fischer will »nicht-theistisch« von Gott bzw. vom »Kern des christlichen Glaubens« reden (S. 15): das heißt im Rahmen heutiger plausibler Denkmöglichkeiten und ohne die »nicht mehr selbstverständlich vorgegebene personale Gottesvorstellung« (S. 122). Fischer zählt die Hauptelemente des seiner Meinung nach überholten »Theismus« auf: »dass ein Gott jenseits unserer irdischen Welt existiert; dass Gott eine allmächtige Person ist; dass der jenseitige Gott in unsere diesseitige Welt handelnd eingreift« (S. 156). Damit sind »das Weltmodell der Drei-Stockwerke« sowie der »Diesseits-Jenseits-Dualismus« überholt (S. 153). Die Ablehnung dieses althergebrachten Theismus müsse keineswegs ein Abgleiten in den »Atheismus« bedeuten (S. 71f., 164).

»Nicht-theistisch« redet Fischer von Gott, indem er nicht über Gott spekuliert, sondern auf Jesus verweist, und zwar auf dessen Lebenspraxis der Liebe: »Jesu Worte, Verhaltensweisen und Handlungen vergegenwärtigen eine Liebe, die keine Bedingungen stellt und die alle religiösen, ethnischen und politischen Grenzen sprengt. […] Die Erfahrung des Gottes, den Jesus offenbar macht, ereignet sich dort, wo wir diese Liebe wahrnehmen, uns von ihr erfüllen lassen und daraus die Kraft gewinnen, sie weiterzugeben« (S. 74f.). Gemäß dem biblischen Grundsatz »Gott ist die Liebe« (1. Johannes 4,16) kommt die »Gotteswirklichkeit« als eine uns widerfahrende Liebe zur Geltung, in der wir uns als angenommen erfahren, und als dadurch gewonnene Kraft, anderen liebevoll zu begegnen. »Christen glauben nicht an eine Lehre über Gott, sie vertrauen sich jener Liebe an, in der und durch die Gott gegenwärtig ist« (S. 77). »Was wir von Gotteswirklichkeit wissen können, das ist in persönlichen Erfahrungen nur dort zu gewinnen, wo wir Liebe selbst erfahren und anderen Liebe schenken können« (S. 102).

Fischer vertritt ein »undogmatisches Christentum«. Seine existenziale Interpretation konzentriert die »Gotteswirklichkeit« auf das menschliche Selbstverständnis als geschöpflich, beschenkt und geliebt. So wird etwa Ostern gedeutet: »Ostern lässt sich eher als der Prozess beschreiben, in dem sich Menschen bewusst wurden, dass die Kraft der Liebe, die ihnen in Jesus begegnet war, auch die trägt, die sie selber wagen, d.h., die aus Jesu Geist leben. Dieser Impuls der bedingungslosen Liebe, der auch nach Jesu Tod gegenwärtig blieb, konnte später in der Metapher von der Auferstehung Jesu ausgedrückt werden« (S. 138).

»Im christlichen Glauben geht es im Kern […] um jene Gotteswirklichkeit, die menschliches Verhalten auslöst und prägt« (S. 120). Aber wieso ist das Geschehen der Liebe überhaupt mit Gott bzw. »Gotteswirklichkeit« zu verknüpfen? Was meinen wir grundsätzlich, wenn wir »Gott« sagen? Auf welche »Wirklichkeit« wird da verwiesen? Was ist der eine Bezugspunkt aller Religionen? Sicher hat es Religion »bleibend mit jenen Urfragen zu tun, vor die sich ein Mensch, der sich seiner selbst und seiner Endlichkeit bewusst ist, jederzeit gestellt sieht« (S. 19). Sie sucht die Antwort auf jene Urfragen nach dem Sinn und nach dem Ganzen, ob theistisch oder nicht-theistisch, in dem »Übermächtigen« (S. 61). Wieso muss aber das Nachdenken über die »von keiner anderen Wirklichkeit abhängigen Urwirklichkeit« eine »an philosophische Vorgaben gebundene kognitivistische Verkürzung des Glaubens auf Glaubenswissen« sein? (so S. 67.) Das Nachdenken über die Urwirklichkeit verbindet doch Menschen jeglichen Glaubens miteinander und ist inhaltlich zunächst noch völlig offen. Die von Jesus bezeugte und praktizierte »Gotteswirklichkeit als Liebe« ist die spezifisch christliche Antwort auf die Frage nach dem wahren Wesen der »Urwirklichkeit«. Bedarf nicht der christliche Glaube einer freien, selbstständigen Vernunft, die in elementarem Denken nach dem fragt, »was uns unbedingt angeht«, nach dem »Sein selbst«?

Wer für ein »nicht-theistisches« Gottesverständnis plädiert, sollte auch weiter klären, wie dann das Verhältnis Gottes zur Welt zu denken ist, wenn nicht »theistisch«. Etwa »pantheistisch«? Oder »panentheistisch«? Letzteres könnte auf der Linie Fischers liegen, sofern mit Panentheismus gemeint ist, dass alles von Gott begründet, getragen und umgriffen ist.

Alles in allem: Fischers Einführung in den christlichen Glauben ist ein höchst anregender Beitrag zur Beschäftigung mit einem »nicht-theistischen« Denken und Reden von Gott.

Dr. Andreas Rössler

In »Freies Christentum« Nr. 1/2012 (siehe auch eine ähnliche Themenbehandlung von John Shelby Spong in der März-»Warte« S. 44)

Ostern

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche

durch des Frühlings holden, belebenden Blick;

im Tale grünet Hoffnungsglück;

der alte Winter in seiner Schwäche

zog sich in raue Berge zurück.

Von dorther sendet er, fliehend, nur

ohnmächtige Schauer körnigen Eises

in Streifen über die grünende Flur;

aber die Sonne duldet kein Weißes;

überall regt sich Bildung und Streben,

alles will sie mit Farben beleben;

doch an Blumen fehlt’s im Revier,

sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen

nach der Stadt zurückzusehen.

Aus dem hohlen, finsteren Tor

dringt ein buntes Gewimmel hervor.

Jeder sonnt sich heute so gern;

sie feiern die Auferstehung des Herrn.

Denn sie sind selber auferstanden

aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

aus Handwerks- und Gewerbesbanden,

aus dem Druck von Giebeln und Dächern,

aus der Straßen quetschender Enge,

aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht

sind sie alle ans Licht gebracht.

Johann Wolfgang von Goethe

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