Predigten und Ansprachen
Jesu offene Tischgemeinschaft

Eine Agapefeier der Tempelgemeinde Stuttgart am Gründonnerstag, 5. April 2012, mit Wortbegleitung von Peter Lange

 

Eingangsmusik (Klavier)

 

Die gedeckten Tische im Gemeindesaal sind im Viereck aufgestellt, so dass jeder jeden sehen kann. Eine höher aufragende Pflanze steht in der Mitte dieses Vierecks. Überall sind kleine Blumendekorationen verteilt. Auf den Tischen stehen kleine Teller mit Tomaten, Gurken und Käsestückchen. Zum gemeinsamen Mahl wird ein Korb mit Brot herumgereicht, von dem sich jeder etwas abbricht, Wein oder Saft wird in die bereit gestellten Gläser gegossen. Kerzenlicht erhellt die abendliche Tischgemeinschaft.

TEIL 1

Ich beginne unsere diesjährige Agapefeier mit einem Text aus dem Markusevangelium, dem wahrscheinlich ältesten der vier Evangelien. Dort heißt es im 2. Kapitel in der Übersetzung der "Guten Nachricht":

 

Jesus ging wieder hinaus an den See. Alle kamen zu ihm, und er sprach zu ihnen. Als er weiterging, sah er einen Zolleinnehmer an der Zollstelle sitzen: Levi, den Sohn des Alphäus. Jesus sagte zu ihm: "Komm, folge mir!" Und Levi stand auf und folgte ihm. Als Jesus dann in seinem Haus zu Tisch saß, waren auch viele Zolleinnehmer dabei und andere, die einen ebenso schlechten Ruf hatten. Sie alle aßen zusammen mit Jesus und seinen Jüngern.

Die Gesetzeslehrer von der Partei der Pharisäer sahen, wie Jesus mit solchen Leuten zusammen aß. Sie fragten seine Jünger: "Wie kann er sich mit Zolleinnehmern und ähnlichem Volk an einen Tisch setzen?"

Jesus hörte es, und er antwortete ihnen: "Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, solche Menschen in Gottes neue Welt einzuladen, bei denen alles in Ordnung ist, sondern solche, die Gott den Rücken gekehrt haben."

 

Auch aus anderen Evangelientexten geht hervor, dass Jesus die kultischen Reinheits­vorschriften der Juden übertreten hatte, wenn er mit Menschen anderer sozialer Schicht zusammensaß und mit ihnen aß. Es heißt dann meistens "er aß mit Zöllnern und Sündern", und wir haben nicht den Eindruck, dass er sich mit ihnen an den Tisch setzte, weil sie krank waren, wie es in unserem Text heißt, sondern weil sie außerhalb der Volksgemeinschaft standen. Es waren Asoziale, die den strengen Gesetzesvorschriften nicht entsprachen und deshalb mit Verachtung angesehen und behandelt wurden. Mit solchen Leuten verkehrte ein frommer Jude nicht.

Jesus zeigte sich in dieser Hinsicht nicht als frommer Jude. Es ist ein charakteristischer Zug an ihm, dass er darauf bedacht war, die ins soziale Abseits geschobenen Menschen in die Volksgemeinschaft zurückzuholen. Sie waren in seinen Augen genauso Kinder Gottes wie die Schriftgelehrten und Pharisäer. Auch sie sind mit einer Menschenwürde versehen.

"Sein Thema war nicht die jenseitige Welt", sagt Hubertus Halbfas in seinem neuen Büchlein "Glaubensverlust", "sondern eine Lebensweise in dieser Welt. Er schrieb in den Alltag dessen göttliche Bestimmung hinein und machte es konkret durch die provokante offene Tischgemeinschaft, die zugleich Symbol und Verwirklichung seiner Lehre war."

Die offene Tischgemeinschaft war damals - und ist auch heute noch häufig - ein Stein des Anstoßes. Aber für Jesus gehörte diese Tischgemeinschaft unabdingbar zum Reich Gottes, zu dessen Verkündigung er sich berufen fühlte. Der bekannte Jesus-Forscher John Dominic Crossan beschrieb sie mit folgenden Worten: "Diese radikale Gleichwertigkeit im Gottesreich, von dem Jesus sprach, ist erschreckender als alles, was wir uns vorgestellt haben, und selbst, wenn wir es nie annehmen können, sollten wir doch nie versuchen, es wegzuerklären und als etwas anderes, als es ist, auszugeben."

Die offene Tischgemeinschaft hat Jesus mit seinen Jüngern gepflegt und sie dazu ange­halten, auch ihrerseits Tischgemeinschaft mit anderen im Volk zu suchen. In seiner Aussendungsrede heißt es: "Wenn ihr in ein Haus kommt, sagt zuerst: Frieden sei mit diesem Haus! Bleibt in diesem Haus und esst und trinkt, was euch angeboten wird! Und sagt den Leuten: Gott richtet jetzt seine Herrschaft bei euch auf!"

 

Ich mache hier einen Einschnitt und lade dazu ein, dass wir miteinander das Lied Nr. 181 anstimmen: "Christus, Licht von Gott, erhelle".

TEIL 2

Die Jünger und Anhänger von Jesus hatten nach dem Tod ihres Lehrers und Meisters seine Anweisungen in die Tat umgesetzt und in den jeweiligen Gemeinden die offene Tisch­gemeinschaft gepflegt. Auch die aus diesen Gemeinden hervorgegangene christliche Kirche hat diese Tradition fortgeführt. Doch mit der fortschreitenden Entwicklung hat das Abendmahl mehr und mehr die Färbung eines sakramentalen letzten Mahls Jesu mit seinen Jüngern erhalten und eine Deutung seines Todes als "Sühnopfer für unsere Sünden".

Und die Tischgemeinschaft wurde entgegen ihres ursprünglichen Sinns zunehmend exklusiv. Ich brauche wohl nicht zu betonen, wie widersprüchlich das heutige kirchliche Abendmahl zu der in den Evangelien geschilderten offenen Tischgemeinschaft geworden ist. Nicht einmal die vom selben Geist inspirierten Katholiken und Protestanten können sich zum gemeinsamen Mahl an demselben Tisch versammeln. Letztenendes deswegen nicht, weil die Mahlgemeinschaft immer mehr verkirchlicht wurde und sich von dem regulären Lebens­vorgang eines gemeinsamen Essens entfernt hat.

Um die Exklusivität und sakramentale Bedeutung des Abendmahls auszuschließen, treffen wir uns an Gründonnerstag zu einer normalen Abendmahlzeit und nennen sie "Agapefeier". Einer aus der Gemeinde spricht Worte, die von Jesu Gottesreich-Predigt angestoßen und von seiner Bergpredigt-Ethik inspiriert sind. Jedermann ist dazu eingeladen. Keine lehrhaften Worte sind mit ihr verbunden, kein Bekenntnis vorausgesetzt.

In diesem Sinn haben Templer schon früher "Versöhnungsfeste" gefeiert. Ich denke, es waren Tischgemeinschaften, die dazu dienen sollten, vorhandene Zwistigkeiten, Feind­schaften und Ressentiments zwischen Gemeindeangehörigen zu beseitigen - in Erinnerung an die Liebesbotschaft Jesu.

Und auch von anderen Kreisen und Gemeinschaften hört man hin und wieder über Versuche, der Verkirchlichung von Jesu offener Tischgemeinschaft entgegenzuwirken. So beschreibt der Freichristliche Bund in der Schweiz seine Abendmahlspraxis folgendermaßen: Bei uns ist Brot Brot und bleibt Brot, und Wein ist Wein und bleibt Wein. Die Elemente werden nicht geweiht und die Mahlzeit gilt nicht als "heilige Handlung". Unsere Abendmahlspraxis ist weit entfernt von einer Opferhandlung. Deshalb kennen wir keinen Altar und feiern das Mahl an einem gewöhnlichen Tisch. Eine Segnung von Brot und Wein findet nicht statt. Wir glauben, dass Jesus im Geist anwesend ist und nicht in den Elementen. So beten wir um seine Gegenwart im Geist. Drei Sinnbilder sind für uns wichtig: Gleichnis, Gedächtnis, Gemeinschaft.

 

Unter diesen drei Aspekten wollen auch wir heute wieder Agape feiern.

 

Wir wollen wieder ein Lied dazwischen schieben, das unsere Gedanken fokussieren kann: Nr. 150 "Brüder hört das Wort" mit einem Text von Christian Morgenstern.

TEIL 3

Das Miteinander-Essen hat eine ungeheuer wichtige soziale Funktion. Diejenigen unter uns, die selbst oder deren Eltern im Orient aufgewachsen sind und die Sitten und Gebräuche der Einheimischen dort kennen lernen konnten, werden es wissen, dass die enge Verbindung von Menschen untereinander durch eine gemeinsame Mahlzeit ausgedrückt wird. Mein Großvater, der im Orient oft geschäftliche Angelegenheiten mit Arabern zu verhandeln hatte, schreibt in seinen Erinnerungen, dass er sein geschäftliches Anliegen erst dann zur Sprache bringen konnte, wenn ein gemeinsames Essen, zu dem er eingeladen wurde, beendet worden war.

Und auch in unserer abendländischen Kultur, in der manche Bräuche verloren zu gehen drohen, sind große Feste, sei es in der Familie oder der Gemeinde oder im Verein, gewöhnlich mit einer gemeinsamen Tafel verbunden. Wer schon einmal bei einem Stadtteilfest, einer "Hocketse", dabei war, weiß, dass das Dicht-an-dicht-mit-anderen-Sitzen eine unwahrscheinlich verbindende Wirkung hat. Wer neben einem sitzt, der ist einem nicht egal, mit dem will man ins Gespräch kommen, an seinem Leben teilhaben, über die Themen der Zeit mit ihm diskutieren.

Das war auch in der Wirkenszeit von Jesus so. Er hat sicher nicht nur 12 Schüler um sich gehabt, denke ich, aber die zwölf, von denen in den Evangelien die Rede ist, stehen sinnbildlich für alle diejenigen, die sich in ihrer Nachfolge und ihrer inneren Verbundenheit miteinander bewusst geworden waren und die den Blick auf das Gottesreich gerichtet hatten.

Das Lied, das wir vorhin angestimmt haben, hat uns die Bedeutung der menschlichen Nähe klar gemacht. Dazu gibt es in unserem Liederbuch einen dazu passenden Text aus dem Judentum:

Ein Rabbi fragte seine Schüler, wann denn die Nacht enden und der Tag beginnen würde. Nach kurzem Überlegen antwortet einer der Befragten: "Nun, vielleicht dann, wenn ich einen Hund von einem Schaf unterscheiden kann." Der Rabbi schüttelt verneinend den Kopf. Darauf meldet sich ein anderer zu Wort: "Könnte es sein, dass es schon so hell sein muss, dass ich einen Feigen- von einem Dattelbaum unterscheiden kann?" Der Rabbi ist auch mit dieser Antwort nicht einverstanden und erwidert: "Nein, erst dann endet die Nacht und beginnt der Tag, wenn ich im Gesicht meines Nächsten den Bruder oder die Schwester erkenne."

Wenn wir die zahlreichen gemeinsamen Mahlzeiten an uns vorüberziehen lassen, die in den Evangelien von Jesus berichtet werden, fällt mir immer das gleichbleibende Zeremoniell auf. Meistens heißt es: "Er nahm das Brot, sprach das Dankgebet, brach‘s und gab‘s ihnen." In der Emmausgeschichte heißt es dann: "Da erkannten sie ihn". Es gibt keine dieser Szenen, in denen Jesus nicht als Erstes den Blick gen Himmel gerichtet und den Dank an Gott ausgesprochen hat, ehe dann im gemeinsamen Essen der Hunger gestillt wurde.

Wenn wir als Templer uns auf Jesus berufen und uns eher als "Jesuaner" denn als "Christen" bezeichnen wollen, soll vor unserem gemeinsamen Mahl miteinander auch der Dank an den "Geber aller Gaben" stehen. Als äußeres Zeichen des Bandes, das uns umschließt, wollen wir uns bei der Hand fassen, während ich Worte des Dankes spreche:

 

Ewiger Gott, du bist die Kraft, die uns erschaffen und uns das Leben geschenkt hat. Gib uns die Einsicht, dass alle Menschen gleichermaßen deinem Schöpferwillen entstammen. Lass in unseren Beziehungen mit anderen die Liebe walten, die du uns gibst und die allen gelten soll. Wir danken dir für deine Gaben des Lebens, und lass uns nicht vergessen, die, die wir erhalten haben, auch an andere weiterzugeben. Amen.

 

Wir nehmen noch einmal unser Liederbuch zur Hand und singen auf Seite 101: "Auf deine Stimme möchte ich hören".

GEMEINSAMES MAHL

Wir beginnen jetzt mit dem Austeilen von Brot und Wein. Jeder wird bemüht sein, seinem Nachbar die Speisen weiterzureichen, die nicht direkt vor ihm auf dem Tisch stehen.

 

Gesegnete Mahlzeit!

 

Wir beenden unsere Agapefeier mit den bekannten Worten aus Haubers Gebetbuch:

 

Gib uns zur Arbeit Segen,
zum Segen Dankbarkeit,
und dass auf unsern Wegen
uns nicht ein Schritt erfreut,
als der durch dich gelingt.
Das größte Werk des Lebens
ist unnütz und vergebens,
das dir nicht Ehre bringt.

 

Ehe wir mit einem letzten gemeinsamen Lied schließen, möchte ich allen für ihre Teilnahme an diesem Abendessen der Gemeinde danken. Besonderen Dank verdienen unsere bewährten Helfer, die den äußeren Rahmen für diese Veranstaltung geschaffen haben. Und nicht weniger herzlich gilt der Pianistin unser Dank für die eindrucksvolle und passende musikalische Umrahmung dieser Agapefeier.

 

Gemeinsames Lied: Nr. 102 "Bewahre uns, Gott, behüte uns, Gott".

 

Schlussmusik (Klavier)

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