Predigten und Ansprachen
Die Auferstehung der Jünger

Aus einer Ostermontagsandacht von Dr. Brigitte Hoffmann vom 9. April 2012 in der Tempelgemeinde Stuttgart

 

Eingangslied: "Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, zu deiner Urständ fröhlich ist" (Gesangbuch der Tempelgesellschaft, Nr. 266).

 

"Urständ" bedeutet Auferstehung. Früher, als der Tod noch selbstverständlich zum Leben gehör­te, wünschte man sich bei manchen Gelegenheiten “Fröhliche Urständ!“

Das Lied ist Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden; man glaubte mehr oder weniger selbstverständlich, Gott habe es so eingerichtet, dass die Auferstehung Jesu und diejenige der Natur zusammenfielen. Wir sind eher geneigt, das für Zufall zu halten. Aber so ganz zufällig ist das gar nicht. Im April-Heft unserer Zeitschrift "Warte des Tempels" habe ich zu zeigen versucht, wie aus dem viel älteren Frühlingsfest Pessach entstand, das Fest der Erinnerung an den Exodus. Ob der im Frühjahr stattfand, können wir nicht wissen. Aber es ist einleuchtend, dass das Fest des großen Aufbruchs sich verband mit dem Frühlingsfest der Nomaden, das ja auch ein Fest des Aufbruchs war, des Aufbruchs zu den Sommerweiden.

Das Datum der Kreuzigung Jesu hat nichts mehr mit der Natur zu tun, wohl aber mit Pessach. Jesus war zum großen Pilgerfest nach Jerusalem gekommen, weil er wohl hoffte, dort viele Menschen ansprechen und gewinnen zu können, und noch mehr wohl, weil er die Auseinandersetzung mit den Vertretern der der Gesetzesreligion suchte. Nur dort würde er sie vielleicht überwinden können.

Wir wissen, dass er damit äußerlich gescheitert ist. Dass er aber, nach den Berichten seiner Anhänger, am dritten Tag auferstand, war ein so überwältigendes Ereignis, dass später, in Europa, wo der Frühling schon immer ein ganz intensives Erlebnis war, die Verbindung mit dem Auferstehen der Natur sich fast von selbst ergab.

"Die ganze Welt, Herr Jesu Christ, zu deiner Urständ fröhlich ist." Auch wenn das nur für uns Nördländer gilt - es gibt unserer Osterfeier Glanz, dass wir in der Auferstehung der Natur ein Symbol sehen können für die Auferstehung Jesu. Was aber heißt Auferstehung Jesu? Was ist tatsächlich geschehen an diesem dritten Tag und danach?

Am einfachsten lässt sich sagen, was nicht geschehen ist: eine leibliche Auferstehung. Paulus, der früheste Zeuge, berichtet etwa 20 Jahre nach Jesu Tod, in seinem 1. Brief an die Korinther (Kap. 15), von Erscheinungen des Auferstandenen vor Petrus, vor Jakobus, vor allen Aposteln, vor 500 Brüdern (Zitat: „von denen viele noch leben“ - d.h. sie können befragt werden). Und dann stellt er in diese Reihe umstandslos und ohne Unterscheidung sein eigenes Erlebnis vor Damaskus, das eindeutig eine Vision war. Und einige Abschnitte weiter sagt er auf die Frage, mit was für einem Leib die Toten wiederkämen: "Du Narr! Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt." Von einem leeren Grab weiß er nichts.

Ich denke, damit ist klar, dass es sich auch bei den Erlebnissen der Jünger um Visionen handelte. Dass die Evangelienberichte in zahlreichen Episoden das Gegenteil zu beweisen suchen, aus den Visionen ein reales Geschehen machen, hat daneben kein Gewicht, Sie sind ein halbes Jahrhundert nach Jesu Tod geschrieben worden. Dass sich nach einem halben Jahrhundert mündlicher Überlieferung von etwas, das von Anfang an als ein göttliches Wunder gesehen wurde, jede Menge Ausschmückung, Übertreibung, richtiger und falscher Ausdeutung um das reale Geschehen rankt, ist fast selbstverständlich.

Trotzdem muss etwas ganz Außerordentliches geschehen sein, etwas, was das Leben der Jünger von Grund auf verwandelte. Um das zu verstehen, muss man sich etwas klar machen, was in den Evangelienberichten nur indirekt deutlich wird. Nach Jesu Verhaftung, und erst recht nach seinem Tod, waren die Jünger nicht nur tieftraurig, sondern existentiell verzweifelt, am Boden zerstört. Sie benahmen sich erbärmlich: sie ließen ihren geliebten Meister einfach im Stich, keiner von ihnen war dabei auf seinem Weg nach Golgatha, ein Fremder half Jesus, das schwere Kreuz zu tragen, und bei der Kreuzigung sahen nur einige der Frauen von ferne zu. Für die Jünger was alles zerbrochen, woran sie geglaubt und wofür sie gelebt hatten. Sie hatten alles aufgegeben und waren Jesus gefolgt, hatten zwei oder drei Jahre nicht nur intensiv mit ihm gelebt, sondern auch durch ihn. Sie hatten an ihn geglaubt: an einen großen Propheten, den Messias, einen Gesandten Gottes, an den, der das Gottesreich, das er verkündigte, selbst heraufführen werde. Seine Gegenwart und seine charismatische Kraft genügte ihnen. Und nun war das alles zunichte geworden. Sie fühlten sich wohl von Jesus und Gott verraten.

In einer solchen Situation kann es vorkommen, dass sich unsere Wahrnehmung für Spirituelles schärft, dass wir etwas von der geistigen Welt sehen, hören, spüren können, die uns normalerweise verschlossen ist. Das gibt es auch heute noch, z.B. in Momenten der mystischen Versenkung, in Nahtod-Erfahrungen; am häufigsten vielleicht in der Beziehung zu geliebten Toten. Ich kenne eine Frau, die nach dem Tod ihres sehr geliebten Mannes noch zwei Jahre lang mit ihm umging wie mit einem Lebenden: ihn sah, mit ihm sprach; bis er ihr sagte: "Nun musst du loslassen, ich muss meinen Weg gehen und du deinen." Ein Beweis für Jenseitiges ist auch das nicht. Man kann es erklären als unbewusste Selbstsuggestion oder automatische Reaktionen des Gehirns, Erklärungen, die meist nicht aufgehen. Ein Beweis sind solche Erfahrungen nicht, aber ein Hinweis auf ein geistiges Sein jenseits unseres Begreifens.

Ich denke, dass eine solche Erfahrung die Jünger damals gemacht haben müssen. Sie haben, in kurzen Momenten, Jesus als lebendig erlebt. Und das hat sie verwandelt. Die gleichen Männer, die sich bis dahin angstvoll versteckt hielten, gingen von nun an, trotz aller Gefahr, furchtlos durch die Straßen Jerusalems und verkündeten: Jesus lebt!

Was damals geschah, ist Auferstehung, aber nicht diejenige Jesu als ein einmaliges übernatürliches Wunder. Wenn es ein geistiges Sein jenseits des Todes gibt, dann gab es das auch schon vor Jesu Tod. Und die meisten damaligen Juden, außer den Sadduzäern, auch Jesus selbst, glaubten daran. Neu war die Auferstehung der Jünger, ihre Erfahrung und ihre Verwandlung. Und sie geht uns noch näher an. Sie ist ein Zeichen, dass auch in unserem irdischen Leben Auferstehung, ein WiederAufstehen möglich ist.

Ich möchte etwas näher auf die Geschichte vom Gang nach Emmaus eingehen, für mich die schönste der Auferstehungslegenden. Sie steht nur bei Lukas, und sie enthält, wie alle anderen, Elemente der übernatürlichen Überhöhung, aber sie macht zumindest in Teilen die Verwandlung der Jünger anschaulich.

Zwei Anhänger Jesu sind auf dem Weg nach Emmaus, wo sie offenbar ein Quartier kennen; vielleicht, nach dem Scheitern all ihrer Hoffnung, auf dem Weg zurück in ihr altes Leben. Jesus gesellt sich zu ihnen, aber sie erkennen ihn nicht. Sie erzählen ihm von dem Geschehen in Jerusalem und von ihrer Verzweiflung: "Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde."

Darauf sagt der Fremde: "O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht Christus dies erleiden und zu seiner Herrlichkeit eingehen?" Und er legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war. „Was in der Schrift gesagt war“ - das war im damaligen Judentum der letztgültige unumstößliche Beweis für die Wahrheit einer Aussage. Nicht umsonst wimmelt es in den Evangelien von Hinweisen auf Thora, Psalmen und Propheten. Wenn man die betreffenden Stellen nachschlägt, erscheint uns die Ausdeutung manchmal sehr weit hergeholt. In diesem Fall nicht.

Die beiden Jünger sprachen später untereinander: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er uns die Schrift auslegte?“ Sie waren zutiefst aufgewühlt, vielleicht so sehr, dass sie gar nicht gleich erkannten, dass die Antwort auf ihre Fragen die Erlösung von ihrer Verzweiflung war. Noch immer erkannten sie damals Jesus nicht. Sie sagten zu dem Fremden: "Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt." Der Spruch ist bekannt, früher haben wir ihn als Kanon gesungen, als eine Art Abendgebet: Gott, beschütze uns diese Nacht. In unserem Zusammenhang bedeutet er das Gegenteil: die beiden laden den Fremden ein in ihr Haus, an ihren Tisch, um ihn zu beschützen vor den Gefahren der Nacht - auf den Straßen Palästinas waren Raubüberfälle an der Tages- bzw. Nachtordnung. Vielleicht spürten sie ein Bedürfnis, diesen seltsamen Fremden noch länger bei sich zu haben. Real sagten und taten sie das, was Jesus sie gelehrt hatte: sie nahmen den Obdachlosen auf, in ihr Haus, in ihre Tischgemeinschaft. Und dann beim Brotbrechen, der Geste, die sie tausendmal mit Jesus erlebt hatten, erkannten sie ihn. Sie waren aufgewühlt gewesen, aber hatten doch noch nicht voll verstanden. Das Verstehen kam von selbst, als sie die einfache Weisung Jesu in ihren Lebensvollzug hineinnahmen.

Und dann - "zu derselben Stunde" - standen sie auf und gingen nach Jerusalem, mitten durch die Gefahren der Nacht, um den anderen Jüngern die Frohbotschaft zu verkünden: Jesus lebt!

Für mich ist das eine wunderschöne Symbolgeschichte. Natürlich ist sie in Teilen unlogisch: Jesus ist zuerst eine reale Gestalt, dann ein Geistwesen, das sich vor den Augen der Jünger auflöst. Aber sie macht in ganz einfachen Bildern den Kern des Ostergeschehens anschaulich: die Verwandlung, die Auferstehung.

 

Gemeinsames Lied: "Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt" (Nr. 268).

 

Auch dieses Lied arbeitet mit suggestiven Bildern. In der ersten Strophe mit dem vom Samenkorn, das schon für Paulus ein Bild für die Auferstehung war. In der zweiten mit dem Bild der Finsternis: Jesus, dessen Botschaft die Liebe war, wurde begraben und ein Felsstein vor sein Grab gewälzt. Die Welt wollte von dieser Botschaft nichts wissen. Das überzeugt auf den ersten Blick schon deshalb, weil es das uns bekannte Bild aus den Evangelienberichten ist. Und natürlich schwingt mit, dass wir aus den gleichen Berichten ja wissen, dass der Stein wieder weggewälzt wurde.

Trotzdem empfinde ich das Bild der dritten Strophen als schöner, vielschichtiger, treffender: "unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn". Das gilt für jeden Einzelnen, für den einen mehr, den anderen weniger. Wir sind gefangen im Gestrüpp unserer Ängste, unserer echten oder eingebildeten Verpflichtungen, unserer Bequemlichkeiten und vielleicht unseres Ehrgeizes - das vielfältige Gestrüpp kann bei jedem ein anderes sein.

Es gilt aber auch für die Christenheit als ganzes. Viel zu oft und viel zu lange wurde und wird bis heute die Liebesbotschaft Jesu überwuchert von Glaubensgesetzen und Glaubensspekulationen, von Erwählungshochmut und Herrschaftsanspruch - nur ein paar Stichworte: Ketzerverbrennung und Kreuzzüge, Glaubens-Eroberungen, Zwangstaufen, Vertreibung und Diskriminierung Andersgläubiger. Manchmal scheint mir, das Christentum habe mehr Hass in die Welt gebracht als Liebe.

Das Tröstliche dabei ist, dass auch in den schlimmsten Zeiten die Liebesbotschaft nicht unterging. Immer gab es Einzelne und größere oder kleinere Gruppen, die sich einsetzten für Unterdrückte und Bedürftige, manchmal auch für Ungläubige. Es sind - zum Glück - so viele, dass ich sie nicht aufzählen kann. Ich nenne nur ein wohl kaum bekanntes Beispiel: In Venedig, einer Stadt, die sich im Allgemeinen mehr um ihre Handelsinteressen als um den Glauben kümmerte, gab es im Spätmittelalter Bruderschaften ganz normaler Bürger, die das taten, was in unserer Zeit Mutter Teresa getan hat: Sterbende von der Straße auflesen, sie waschen und pflegen, ihnen ein würdiges Sterben ermöglichen.

Und wenn ich an die wirklich unzähligen Gruppen von heute denke, deren Mitglieder freiwillig viel Zeit und Geld und Arbeit aufwenden, um anderen zu helfen, von afrikanischen Bürgerkriegsopfern über Asylsuchende bis zu deutschen Obdachlosen, dann denke ich, dass Liebe wirklich wächst wie Weizen: nicht überall, er braucht ein bisschen Pflege, manchmal muss man Unkraut ausreißen, damit er wachsen kann. Aber er wächst immer wieder neu.

Noch einmal zurück zu den Anfängen, zu Paulus. Wir betrachten ihn oft mit einer gewissen Skepsis, weil er durchaus einige Wurzeln für späteres Gestrüpp gelegt hat. Für den historischen Jesus hat er sich nicht interessiert. Nie bezieht er sich auf ein Wort oder ein Handeln von ihm. Das Erstaunliche aber ist: trotzdem hat er den Kern von Jesu Botschaft, die Liebe, wunderbar verstanden und wunderbar weitergegeben, nicht nur im "Hohenlied der Liebe" - etwas vom schönsten, was man von Liebe sagen kann -, sondern auch in seinen ganz konkreten Weisungen an die Gemeinden: vom Umgang untereinander und mit anderen, von der Rücksicht auf die Schwachen im Glauben und der Fürsorge für die Bedürftigen und vom Umgang mit Streit. Wer hatte ihn das gelehrt? Hananias, sein "Religionslehrer" in Damaskus? Intuition, seine eigene Nähe zu Gott?

Am Ende des Hohenlieds der Liebe kommt Paulus auf einen Aspekt des Glaubens zu sprechen, der sicher für viele der Jesus-Anhänger der wichtigste war: der Glaube an ein ewiges Leben. Paulus sagt: „Wenn kommen wird das Vollkommene“. Das kann aber auch heißen: wenn das Reich Gottes kommt. Damals war die Naherwartung ja durchaus noch lebendig. Das macht keinen großen Unterschied. Denn ein plötzlich, nach Gottes Willen kommendes Reich bedeutete ja ein neues, anderes, vollkommenes Sein. Auch Jesus sagte einmal, dass diejenigen, die das Reich Gottes sähen, den Tod nicht schmecken würden.

Über dieses neue Sein sagt Paulus etwas sehr Schönes: "Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin." Erkennen kann in der Bibel viel mehr bedeuten als in unserer Umgangssprache: eine intensive Nähe. Dann ist erkennen und lieben fast dasselbe.

Für mich ist das eine wunderbare Jenseitshoffnung: erkannt zu werden, wie kein anderer mich erkennen kann, von Gott, und selbst erkennen, nicht wie Gott, aber besser, klarer, mit größerem Verstehen als heute. Wissen können wir das nicht. Aber wir dürfen darauf hoffen.

 

Schlusslied: "Ostern verkündet die Hoffnung auf ewiges Leben" (Nr. 269)

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