Predigten und Ansprachen
Der Schatz im Acker

Bildbetrachtung und Predigt von Wolfgang Blaich zu Mt 13, 44 - 46 am 6. Mai 2012 in der Tempelgemeinde Stuttgart

 

Gemeinsames Lied "Suchet zuerst Gottes Reich in dieser Welt" (Tempel-Gesangbuch Nr. 183)

 

Zu Beginn meiner Ausführungen zum heutigen Thema möchte ich dazu einladen, ein Bild zu betrachten. Was zeigt es, was stellt es dar, hat es einen Bezug zu einem biblischen Text?

 

Es wird an die Anwesenden eine Darstellung von Rembrandts Gemälde „Der Schatz im Acker“ ausgeteilt

 

Da kauert ein Mann - offensichtlich ein Landarbeiter - in einer weiten Landschaft. Die Landschaft ist wenig ausgestaltet, sie ist für den Maler hier wohl unbedeutend. Im Mittelpunkt - unsere Augen gehen zuerst dorthin - ist ein Mann; erst der zweite Blick gilt den Gegenständen neben ihm: silberne Gefäße, vielleicht auch goldene, jedenfalls kunstvoll gestaltete Gegenstände liegen dort halb verborgen. Das Arbeitsgerät des Mannes macht deutlich, dass er bei der Arbeit auf einen Fund gestoßen ist, welcher jetzt ungeachtet seines Wertes wie durchgewühlt erscheint. Kein Teil des Fundes scheint bis jetzt wirklich genau betrachtet worden zu sein, keiner wurde sorgfältig und behutsam hingestellt.

Was unseren Blick aber viel mehr anzieht, uns rätseln lässt, ist die Kopfhaltung des Mannes, der Gesichtsausdruck. Nicht das Erstaunen, die Freude über eine große Entdeckung gestaltet der Künstler Rembrandt hier. Es ist ein argwöhnischer Blick nach hinten, ein angespanntes Gesicht, ein prüfender Blick - werde ich beobachtet, wie schütze ich diesen Fund?

Was wir vor uns haben ist Rembrandts künstlerische Gestaltung des Gleichnisses vom verborgenen Schatz im Acker. In seinem Bild wird der Schwerpunkt seiner Deutung des Gleichnisses klar: im Mittelpunkt steht dieser Mensch und sein Verhalten.

 

Hören wir den dazugehörigen Text bei Mt 13, 44 - 46:

 

"Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn, grub ihn aber wieder ein. Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker. Auch ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte. Als er eine besonders wertvolle Perle fand, verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte sie."

 

Dieses Doppelgleichnis findet sich nur im Matthäus-Evangelium, in der Reihe der Gleichnis-Reden, welche Jesus am See Genezareth vom Boot aus an eine große Menschenmenge richtet, welche ihm ans Ufer gefolgt war. In dieser Rede über das Himmelreich fasst Matthäus sieben Gleichnisse zusammen, die vom Reich Gottes handeln. Drei dieser Gleichnisse (vom Sämann, Senfkorn und Sauerteig) finden sich auch bei Lukas, davon zwei auch bei Markus (Sämann, Senfkorn), vier gehören zum Sondergut des Evangelisten: Unkraut unter dem Weizen, Schatz im Acker und Perle, Fischnetz. Alle Himmelsreich-Gleichnisse setzen voraus, dass das Reich Gottes bereits mit dem Wirken Jesu anbricht. Zwischen den Gleichnissen hat der Evangelist Erläuterungen eingefügt, in welchen über den Zweck der Gleichnisse und deren Deutungen gesprochen wird. Der Abschluss der Gleichnisrede ist die Frage Jesu an seine Schüler: "Habt ihr das alles verstanden?"

Wenn im Zentrum dieser Rede das rechte Verstehen des Himmelreiches steht, geht es jetzt in den Versen 44 bis 46 um das Verhalten, das allein dem Verstehen des Himmelreiches angemessen ist. Aus dem Verständnis des Evangelisten von der Lehre Jesu wird deutlich, dass Verstehen vom Tun nicht zu trennen ist. Wer das Wort vom Reich verstanden hat, muss und wird so motiviert sein und so handeln, wie die Gleichnisse vom Schatz und von der Perle es zeigen. Wie wir wissen, kleidete Jesus seine Verkündigung oft in Gleichnisse, um das Gottesreich für die Zuhörer greifbarer, verständlicher zu machen. Er kannte seine Mitmenschen und machte deswegen alltägliche Dinge wie Saat und Ernte, das Backen von Brot oder das Suchen eines verlorenen Geldstückes zum Bild für die eigentlich unvergleichliche Wirklichkeit des Reiches Gottes. So weist z.B. das Gleichnis vom Senfkorn auf den Kontrast zwischen dem winzigen Samenkorn und der großen Senfpflanze hin. Damit ermutigt es, darauf zu vertrauen, dass aus den unscheinbaren Anfängen, die in der Gegenwart schon sichtbar sind, tatsächlich das Reich Gottes erwächst.

Es drängt sich vielleicht beim ersten Lesen dem einen oder anderen die Frage auf, ob man das Reich Gottes denn käuflich erwerben kann, so wie im ersten Gleichnis der Landarbeiter den Acker und damit den Schatz kauft. Damit hätte man aber dieses Gleichnis falsch verstanden.

Was genau passiert denn in dieser kurzen Geschichte? Jesus erzählt von einem Mann, der auf einem Acker arbeitet, der einem anderen gehört. Was der Arbeiter tut, sagt die Erzählung nicht. Vielleicht pflügt er. Dabei stößt er auf etwas Hartes. Einen Krug oder eine Kiste mit einem Schatz darin. Vom Landarbeiter aus zufällig. Damit hatte er absolut nicht gerechnet. Möglicherweise waren schon viele Menschen auf diesem Acker gewesen, hatten ihn bearbeitet und doch nichts Besonderes entdeckt. Der Schatz ist für den Mann ein ganz und gar unverhoffter Fund. Da war sozusagen nicht der Mann zum Schatz, sondern der Schatz zum Mann gekommen. Da war plötzlich etwas in sein Leben getreten, was alles Vorherige bedeutungslos erscheinen lässt. Da war ihm etwas gegeben worden, für das er alles andere wegzugeben bereit war.

Was wir als Wesentliches herauslesen können ist: Das Himmelreich ist etwas völlig Unerwartetes, Unverdientes und zugleich so tief Beeindruckendes, dass alles andere dagegen seinen Wert verliert. Zugleich begegnet uns Gottes Reich als etwas Verborgenes. Wie ein Schatz im Acker, über den schon unzählige Menschen achtlos gegangen sind. Wie eine Perle, die schon durch viele Hände ging. Den wirklichen Wert dieses Verborgenen erkennt längst nicht jeder. So viel der Landarbeiter dann für den Acker bezahlt hat - den wirklichen Wert hatte nur er erkannt: "Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker."

Ein Außenstehender muss völlig unsinnig finden, was er jetzt tut, und doch ist es konsequent und zielgerichtet. Denn erst jetzt hat er den Schatz sicher. Erinnern wir uns an das Bild - den prüfenden Blick des Mannes. Der Künstler Rembrandt hebt hervor, dass der Mann erkannt hat, was er gefunden hat, und nun bestrebt ist, diesen Fund zu schützen, um ihn voll annehmen zu können. Er grub ihn ja wieder ein, bedeckte ihn. Er verstand, dass dieser Schatz ihm galt.

Ihm wird auch klar - so die Botschaft Jesu -, dass einen Schatz zu finden und ihn zu bergen zwei Dinge sind. Zu wissen, wo ein Schatz liegt, bedeutet ja noch nicht, ihn zu haben und darüber zu verfügen. Denn es folgt ein nächster, wesentlicher Schritt - dieser Landarbeiter hat den Mut, alles andere loszulassen, er gibt alles her, um diesen Acker mit dem Schatz zu erwerben. Er riskiert, dass andere den Kopf über sein Tun schütteln, aber er ist sich seines Weges, seines Handelns durch den Fund sicher und geht ihn bedingungslos.

Bezeichnenderweise geht es im Text um einen Schatz; da ist nicht die Rede von Gold oder Silber oder Edelsteine. Was ist aber ein Schatz? Etwas was ich schätze, ehre, lieb habe, etwas das ich behüten und bewahren möchte, weil es mir real oder ideell sehr kostbar ist - ein wertvoller Gegenstand, ein Kulturgut, ein geliebter Mensch. Unser Schatzfinder in der Erzählung gibt sich auch nicht mit der Aussicht auf einen Finderlohn zufrieden. Er weiß: nur wenn ich sofort handle, kann ich alles gewinnen. Also handelt er entschlossen und mutig. Dem zufälligen, unverhofften, jedenfalls auch überwältigenden Fund folgt die volle Hingabe um des einen großen Schatzes willen. Wie schon vorher angedeutet wurde, geschieht das Wesentliche nicht im Finden, sondern in der Veränderung des Betroffenen; und es liegt ebenfalls in der veränderten Motivation seines Handelns - der Landarbeiter ist ein anderer geworden, seit er den Schatz gefunden hat. Dasselbe gilt für den Kaufmann. In dem Moment, wo er den wahren Wert seines Fundes erkannte, war alles verändert. Was vorher wertvoll gewesen war, gab er nun bereitwillig, ja freudig weg. Wofür er vorher voller Energie gearbeitet hatte, war zweitrangig geworden. Alle Werte haben sich umgekehrt.

So gibt uns Jesus im Gleichnis zu verstehen, wie Gottes Reich auf uns wirkt, wenn wir es erleben. Unser Leben verändert sich, weil wir plötzlich andere Prioritäten erfahren und für uns setzen. So entsteht Platz für das Wesentliche, kann es uns ausfüllen. Ulrich von Hasselbach formuliert das einmal in Bezug auf das Gleichnis so: "Mit dem Gottesreich ist hier der innere Heilszustand gemeint. Dieser innere Heilszustand - das heißt Einklang mit Gott in Vertrauen, Leben aus seiner Kraft und seinem Segen, Frieden und Geborgenheit - ist wichtiger als alles andere."

Allerdings darf nicht übersehen werden, dass der Landarbeiter bereit und offen gewesen sein muss, etwas Neues zu erfahren. Nur mit offenen Sinnen und einem offenen Herzen war er in der Lage, Gottes Geschenk zu erkennen, das Besondere der Situation wahrzunehmen. Er hätte ja auch anders reagieren können, sich z.B. ärgern über den harten Gegenstand, der ihn in seiner Arbeit störte. Er hätte in der Emotion dann nicht erkannt, was für ihn da lag, bereit lag, um es anzunehmen. Er aber lässt sich ein auf die Sache, die in sein Leben einbricht, auf die Kraft, die alles verändert.

Und so lässt er sich - und das ist für mich die zentrale Botschaft Jesu in diesem Gleichnis - er lässt sich ein, er gibt sich der Sache ganz hin, widmet seine ganze Kraft und Aufmerksamkeit dieser Sache. Er folgt seiner gefundenen Aufgabe mit allem Einsatz, mit Freude und Begeisterung, weil es für ihn so wichtig geworden ist. Hingabe erfüllt ihn - er erfüllt seine neu gewonnene Aufgabe mit positiver Leidenschaft, wie z.B. ein begnadeter Musiker sich der Musik hingibt. Und das Bemerkenswerte daran ist, dass es nicht nur diesen Menschen selbst erfasst, sondern sich auf andere um ihn herum überträgt. Hingabe scheint oft irrational - alles verkaufen um den Acker zu erwerben, wovon soll er dann leben? -, aber es ist die Hingabe eines Menschen an seine gefundene und erkannte Lebensaufgabe, die unglaublich vieles bewirkt - Gandhi, Martin Luther King, Albert Schweitzer, um nur ein paar herausragende Lebensbilder aufzuzeigen, und die unzählig vielen Menschen um uns, vielleicht noch unerkannt oder unbekannt, verfolgen mit Hingabe, mit ganzer Kraft und Wesen eine Lebensaufgabe. Sie haben erkannt, was es ist, das ihrem Leben Sinn und Ziel gibt.

Haben wir nicht ein ganz nahe liegendes und deutlich erkennbares Beispiel in unserer eigenen Geschichte? Was war es anders, als dass unsere Vorfahren ihren "Schatz im Acker" fanden, ihren Weg zum "Himmelreich" - nach Hasselbach einen inneren Heilszustand - erkannten und wider jede Vernunft ihr Hab und Gut verkauften, die Heimat und ihre Verwandten verließen, um mit ihrer ganzen Kraft dem vorgegebenen Ziel, zuerst nach dem Reiche Gottes zu trachten, zu folgen.

Was, welcher Schatz liegt für mich bereit? Welchen Acker bearbeite ich? Was bedeutet dieser Acker? Der Acker, in welchem der Schatz liegt, ist nichts anderes als das Territorium, auf welchem sich mein Leben abspielt. Der Acker ist nichts anderes als mein Leben, in dem ich wirke und werke. Und in diesem Leben ist es mit der Verborgenheit Gottes wie mit jenem Schatz im Acker, wie mit der Perle. Wie der Landarbeiter stoße ich auch auf einen Widerstand, und möglicherweise rege ich mich auf über die harten Schicksalsbrocken, auf die der Pflug meines Lebens stößt. In Wirklichkeit aber ist es die Perle, ist es der Schatz, der auf mich wartet.

Wenn ich mich entscheide, dem Beispiel des Landarbeiters im Gleichnis zu folgen, wird sich alles verwandeln. Ich schaue mit ganz neuen und anderen Augen in die Welt. Wie anders hat der Mann jetzt über den Acker geschaut - in sein Leben. Er hat den Acker nicht mehr an seinem eigenen Wert, an seiner Fruchtbarkeit gemessen, sondern daran, dass der Schatz in ihm liegt. Durch die Lehren Jesu - wenn wir bereit sind, ihnen zu folgen - bekommen wir ein anderes Herz und andere Augen. Wir sehen die Perle in den Dingen. Wie anders erscheint uns dann die Natur - das ist nicht nur ein bloßes Stück Erdenschönheit, sondern wir sehen darin ein Lobpreis des Schöpfers, ein Lobpreis seines Schöpferwillens. Und wie anders erlebe ich dann meinen Nächsten. Es ist nicht einfach jemand, der sympathisch oder unsympathisch ist, sondern er wird in meinen Augen zum Träger einer kostbaren Perle. Ich erkenne in ihm, gleich wie nahe ich ihm stehe, ein Mitgeschöpf, welches Gott mit einem göttlichen Teil, mit einer Seele ausgestattet hat, mit eben jener Perle, die gefunden und zum Leuchten gebracht werden kann.

Damit ändert sich meine Wahrnehmung und mein Bewusstsein. Ich sehe das gemeinsame Eingebundensein in die Weltschöpfung. Ich sehe das gemeinsame Ziel zum Erhalt und zur Bewahrung der Schöpfung, das so Raum gewinnen kann. Ich sehe, dass Grenzen fallen können. An Stelle von Abgrenzung kann Verbundenheit treten, Achtung und Toleranz. Ich sehe darin die Basis für ein gemeinsames Ringen um Frieden, um ein Friedensreich auf dem Grund von Nächstenliebe. Je mehr Menschen um den inneren Heilszustand ringen und ihn finden, desto mehr kann dann Wirklichkeit werden, was ich in den folgenden Gedanken in einem Kalenderblatt gefunden habe:

 

"Der Himmel beginnt direkt über der Erdoberfläche - wir befinden uns somit mitten in ihm. Es liegt an uns, den Himmel zu dem zu machen, was er für uns sein soll."

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