Die Warte des Tempels
Monatsschrift für offenes Christentum

Ausgabe 177/11 - November 2021

 

 

Woher kommt mir Hilfe? - Wolfgang Blaich

Ahr-Psalm - Stephan Wahl

Neu geboren werden? - Karin Klingbeil

Eine eindrucksvolle Persönlichkeit - Peter Lange

Der Tod und das Leben - Hans Pribnow

Ein paar Promille Jesus im Blut - Joachim Negel

Ho’oponopono - das hawaiianische Vergebungsritual - Hannelore Oetinger

Woher kommt mir Hilfe?

Der 121. Psalm, dessen erste acht Verse heute unser Thema sind, ist einer der 150 Psalmen im Alten Testament - und ohne sie wäre das Alte Testament ärmer. Der Psalter als Lebens­buch, als Glaubensbuch, als Liederbuch entstand im Volk Israel über einen langen Zeitraum. Er spiegelt die Gedanken, Ängste und Hoffnungen, den Glauben und die Zuversicht der Menschen der damaligen Zeit. Er spricht deutlich die Beziehung der Menschen zu ihrem Gott aus. Nicht nur die hellen Seiten des Lebens mit Lob, Dank und Vertrauen sind darin geäußert, sondern auch Verzweiflung und Klage. Und nicht nur Freunde begegnen uns in den Psalm­versen, sondern auch Feinde. Es gibt schlichtweg keine Lebensrealität, vor der die Psalmen die Augen verschließen.

Mit einem Bekenntnis aus dem Jahre 1915 (mitten im Ersten Weltkrieg) zu den Psalmen spricht der Dichter Rainer Maria Rilke vielen Menschen aus dem Herzen: »Ich habe die Nacht einsam hingebracht und habe schließlich die Psalmen gelesen, eines der wenigen Bücher, in dem man sich restlos unterbringt, mag man noch so zerstreut und ungeordnet und ange­fochten sein.« Auch die ganze Literatur, die Lyrik wäre viel kürzer ohne die Motive und Zitate aus Psalmen.

Und dennoch bleibt zunächst die Frage offen, inwieweit wir heute uns diesen uralten Texten öffnen können, wie weit wir sie annehmen können, um Antworten zu Fragen des Lebens und des Glaubens persönlich und allgemein zu gewinnen, gerade jetzt in der heutigen schwierigen und unruhigen Zeit. Finden wir Hilfe und Trost - oder bleibt es auch für mich, für uns bei der Frage des Psalmisten aus dem ersten Vers: »Woher kommt mir Hilfe?«

Es scheint, als habe diese Frage alle Generationen, alle Menschen zu allen Zeiten beschäf­tigt. Sie ist der Ausdruck innerer Not, seelischer Suche nach Hilfe und Führung. In diesem Sinne wird der genannte Psalm zum Zeichen innerer Verwandtschaft über die Generationen hinweg, gleich ob bei festlichen oder traurigen Anlässen. Es wird Trost und Heil und Glaubens­hoffnung gesucht.

Die vielfachen Vertonungen über die letzten Jahrhunderte drücken diesen Wunsch nach Hil­fe und Erlösung aus. So zeigt ja bereits der Begriff »Psalm«, dass es sich um poetische Gebete handelt, die an sich schon grundsätzlich musikalisch gedacht sind. Und so kommen Gebet und Musik zusammen und vertiefen auf ergreifende Weise das Anliegen menschlicher Sehnsucht nach Geborgenheit und Getragen-Sein, nach Hilfe in physischer und psychischer Not.

Der große Musiker und Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy greift diese menschliche Problematik am Bild des Propheten Elias auf. Für ihn steht dessen Erscheinung und Lebenssi­tuation als übertragbares Beispiel für menschliches Fragen in Verzweiflung und Not nach gött­licher Hilfe und Führung.

Folgt man den Texten im 1. Buch der Könige im Alten Testament, kommt der Prophet Elias immer wieder durch seinen Auftrag, welchen er von Gott übertragen bekommen hat, in Not und Bedrängnis. Die jahrelange Dürre des Landes wird ihm angelastet, der Kampf und die Verteidigung des Gottes der Israeliten gegen die heidnischen Baalspriester bringen ihn wiederholt in Lebensgefahr. Er muss sich immer wieder in Sicherheit bringen, sich in einer Höhle verstecken, in die Wüste fliehen. Der Kampf und das ständige Ringen um Wahrheit entkräftet ihn, macht ihn mutlos und lebensmüde. Er wünscht sich den Tod. So spricht er zu seinem Gott: »Es ist genug / So nimm nun, Herr, meine Seele / Ich bin nicht besser denn meine Väter. Ich begehre nicht mehr zu leben, denn meine Tage sind vergeblich gewesen. Ich habe geeifert um den Herrn, um den Gott Zebaoth, denn die Kinder Israels haben deinen Bund verlassen, und deine Altäre haben sie zerbrochen, und deine Propheten mit dem Schwert erwürgt. Und ich bin allein übrig geblieben; und sie stehn danach, dass sie mir mein Leben nehmen. Es ist genug. So nimm nun, Herr, meine Seele. Ich bin nicht besser denn meine Väter. Nimm nun, o Herr, meine Seele.« (Zweiter Teil/Nr.6).

Der Text im Oratorium entspricht hier im Wesentlichen den Bibeltexten, und greift in den folgenden Teilen des Oratoriums den genauen Wortlaut des 121. Psalms auf - »Woher kommt mir Hilfe?« Gott lässt Elias in dieser schwierigen Situation drei Himmelsboten, drei Engel erscheinen, die Elias aus dem physischen und psychischen Tief helfen sollen. Sie erinnern ihn daran, auf seinen Gott zu vertrauen, an seinem Glauben festzuhalten, »Seine Augen auf zu heben ... dorthin woher Hilfe kommt«.

Mendelssohn gestaltet diese Szene sehr eindringlich und verstärkt die Glaubenszusage noch durch den nachfolgenden Chorsatz mit dem Wortlaut aus dem 121. Psalm: »Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. Wenn du mitten in Angst wandelst, so erquickt er dich.«

»Woher kommt mir Hilfe?« Diesen Aufschrei kennen wir, erleben wir häufig und im Moment hautnah. Die Überschwemmungskatastrophe im Ahrtal hat tausende Menschen zu dieser Frage gebracht: Woher kommt mir Hilfe? Das Leid an Leib und Leben, der Verlust von Haus und Hof, von geliebten Menschen, bringt diese Frage auf tausendfache Lippen, in verängstigte und verzweifelte Herzen. »Woher kommt mir Hilfe? Mein Gott, hast du uns verlassen?«

So wie der Verfasser des 121. Psalms vor Tausenden von Jahren seinem Inneren, seinen Gedanken und Gefühlen, seiner Not und Hoffnung Ausdruck gibt, so auch der moderne Ver­fasser des Ahr-Psalms, welchen Stefan Wahl - ein katholischer Theologe - im Angesicht der verheerenden Vernichtung aller Lebensgrundlagen im Gebiet des Ahrtals im Juli 2021 verfasst hat.

Hier spricht einer wie Hiob, Elias und Jesus. Und er erkennt das Wirken Gottes in den vielen helfenden Herzen, jetzt im Ahrtal und in der Pandemie.

Der 121. Psalm trägt in der Bibel den Untertitel »Ein Wallfahrtslied« - man kann ihn auf die eigene Lebensreise übertragen. Denn wir leben ein Leben voller Unsicherheiten: Was kommt auf mich zu? Was blüht mir da? Was erwartet mich? Was werde ich erleben, vielleicht durch­machen müssen?

Es gibt vieles, was wir nicht unter Kontrolle haben, was uns verunsichert und ängstlich macht: Die Veränderungen im Klima, die daraus folgenden Katastrophen, die Pandemie, die Risse in der Gesellschaft, die politische Lage der Welt und die daraus folgenden Aggressio­nen, Kriege und Vertreibung. Woher kommt mir Hilfe?

Es gibt viele Unfall-Gefahren für uns. Zuhause. Auf der Straße. Am Arbeitsplatz. Woher kommt mir Hilfe?

Es gibt unsere Problem-Berge, die wir vor uns herschieben. Es gibt Schicksalsschläge ... Woher kommt mir Hilfe?

Es gibt Schlangen auf zwei Beinen, deren Worte Gift für meine Seele sind. Es gibt Wölfe auf zwei Beinen, die ihr Anliegen durchdrücken und andere zu ihren Opfern machen, die andere schwer missbrauchen und verletzen. Woher kommt mir Hilfe?

Dann höre ich aber die Zusage und Zusicherung aus dem Psalm: Meine Hilfe kommt vom Herrn. »Er lässt deinen Fuß nicht wanken, er, der dich behütet, schläft nicht ... Der Herr ist dein Hüter, der Herr gibt dir Schatten, er steht dir zur Seite.« Welche Beziehung wird hier zu­gesagt! Was ist mir näher als mein Schatten, untrennbar, auf allen meinen Seiten, je nachdem, wo die brennenden Sonnenstrahlen herkommen?

Was will dieser Psalm? Wozu ermutigt er uns? Wozu will er uns motivieren?

Zunächst ist mir eine große Hilfe zum Verständnis, ein neuer Zugang zur Bedeutung der Aussage im Psalm, wenn ich die Perspektive verändere:

Ich drehe die Worte der Frage »Woher kommt mir Hilfe?« um in die Aussage »Woher mir Hilfe kommt!« Und zum anderen stelle ich fest, wie oft das Wort hüten, behüten, der Hüter im Text des Psalms vorkommt.

Der verspricht uns: Gott begleitet, behütet und hilft uns. Er ist sozusagen unser Reisebe­gleiter auf unserer Lebensreise. Und diese Zusage bekommt ihr Fundament in der Aussage im Psalm, wenn es heißt: »Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.« Gott ist der Schöpfer. Wer Himmel und Erde geschaffen hat, der hat auch alle Kraft und jede Möglichkeit, mir, einem seiner Geschöpfe, zu helfen.

Aber einen Gedanken zum bisher Gesagten möchte ich doch noch anfügen. Es dürfte auf­gefallen sein, dass der Psalm eine Grundvoraussetzung zur erfolgreichen Wirkung der Zusage betont: Es geht um das selbstverantwortliche Aktivsein, welches sich in dem Verb, dem Tätig­keitswort heben ausdrückt - ich hebe auf, hebe deine Augen auf, das heißt für mein Verständ­nis, dass ich nicht einfach sitze und auf das Wohlwollen und die Barmherzigkeit Gottes warte, sondern dass ich selbst aktiv werde. Wie heißt es im Ahr-Psalm, und dieser Haltung will ich mich anschließen: »Doch lass mich nicht versinken in meinen dunklen Gedanken, ich will dankbar sein für die Hilfe, die mir zuteilwird, ich schaue auf und sehe helfende Hände, die jetzt da sind.«

»Der Herr ist dein Hüter ...« - er steht mir und dir zur Seite, Tag und Nacht. Er behütet und beschützt mich - so vernehme ich die Worte im Psalm. Diese Worte, diese Zusage erzeugt eine tiefe Dankbarkeit in mir, Dankbarkeit für jede Sekunde und Minute, für jeden Tag und jedes Jahr, welches ich durch seine Güte und Barmherzigkeit erleben darf. Und so erinnere ich mich und werde mir bewusst all der Situationen, wo ich seine »Hut« erfahren habe:

Ich danke: dafür, bisher ohne Schaden durch die Pandemie zu kommen. Für die Möglich­keiten der Vorsorge durch Tests und die Impfung. Ich danke für jede Sekunde meines Lebens, die ich leben darf. Dafür, dass ich satt werde, frisches Wasser habe, mit Strom und Heizung versorgt werde. Ein Auskommen habe, welches mich sorgenfrei in den Tag gehen lässt. Ich danke für die Bereicherung meines Lebens und Alters durch die Kinder und Enkel. Ich danke für die Möglichkeit der Teilhabe an Kunst und Musik. Und ich danke für alle Möglichkeiten, die zur Stärkung meines seelischen Lebens dienen - und so kann jeder seine Liste der Dank­barkeit fortsetzen.

So stimme ich in die Worte des bekannten Kanons ein: »Danket dem Herrn, denn er ist so freundlich, seine Güt’ und Wahrheit währet ewiglich.«

Wolfgang Blaich aus der Saalansprache vom 19. September 2021

 

Ahr-Psalm

Schreien will ich zu dir, Gott, mit verwundeter Seele,

doch meine Worte gefrieren mir auf der Zunge.

Es ist kalt in mir, wie gestorben sind alle Gefühle,

starr blicken meine Augen auf meine zerbrochene Welt.

Der Bach, den ich von Kind an liebte,

sein plätscherndes Rauschen war wie Musik,

zum todbringenden Ungeheuer wurde er,

seine gefräßigen Fluten verschlangen ohne Erbarmen.

Alles wurde mir genommen. Alles!

Weggespült das, was ich mein Leben nannte.

Mir blieb nur das Hemd nasskalt am Körper,

ohne Schuhe kauerte ich auf dem Dach.

Stundenlang schrie ich um Hilfe,

um mich herum die reißenden Wasser.

Wo warst du Gott, Ewiger,

hast du uns endgültig verlassen?

Baust du längst an einer neuen Erde,

irgendwo fern in deinen unendlichen Weiten?

Mit tödlichem Tempo füllten schlammige Wasser die Häuser,

grausig ertranken Menschen in ihren eigenen Zimmern.

Ist dir das alles völlig egal, Unbegreiflicher?

Du bist doch allmächtig, dein Fingerschnippen hätte genügt.

Die Eifernden, die dich zu kennen glauben, sagen,

eine Lektion hättest du uns erteilen wollen, eine deutliche,

eine Portion Sintflut als Strafe für unsere Vergehen,

für unsere Verbrechen an der Natur, an deiner Schöpfung.

Ihre geschwätzigen Mäuler mögen für immer verschlossen sein,

nie wieder sollen sie deinen Namen missbrauchen,

für ihre törichten Besserwissereien, ihr bissiges Urteil

mit erhobenem Zeigefinger, bigott kaschiert.

Niemals will ich das glauben, niemals,

du bist kein grausamer Götze des Elends,

du sendest kein Leid, kein gnadenloses Unheil

und hast kein Gefallen an unseren Schmerzen.

Doch du machst es mir schwer,

das wirklich zu glauben.

Ich weiß, wir sind nicht schuldlos an manchem Elend,

zu leichtfertig missbrauchen wir oft unsere Freiheit.

Doch warum siehst du dann zu, fährst nicht dazwischen,

bewahrst uns nicht vor uns selbst?

Dein Schweigen quält meine Seele,

ich halte es fast nicht mehr aus.

Wie sich Schlamm und Schutt meterhoch türmen,

in den zerstörten Straßen und Gassen

und deren Schönheit sich nicht mehr erkennen lässt,

so sehr vermisst meine Seele dein Licht.

Meine gewohnten Gebete verstummen,

meine Hände zu falten gelingt mir nicht.

So werfe ich meine Tränen in den Himmel,

meine Wut schleudere ich dir vor die Füße.

Hörst du mein Klagen, mein verzweifeltes Stammeln,

ist das auch ein Beten in deinen Augen?

Dann bin ich so fromm wie nie,

mein Herz quillt über von solchen Gebeten.

Doch lass mich nicht versinken in meinen dunklen Gedanken,

erinnere mich an deine Nähe in früheren Zeiten.

Ich will dankbar sein für die Hilfe, die mir zuteilwird,

für die tröstende Schulter, an die ich mich anlehne.

Ich schaue auf und sehe helfende Hände,

die jetzt da sind, ohne Applaus, einfach so.

Die vielen, die jetzt kommen und bleiben,

die Schmerzen lindern, Wunden heilen,

die des Leibes, wie die der Seele,

mit langem Atem und sehr viel Geduld.

Auch wenn du mir rätselhaft bist, Gott,

noch unbegreiflicher jetzt, unendlich fern,

so will ich dennoch glauben an dich,

widerständig, trotzig, egal, was dagegen spricht.

Sollen die Spötter mich zynisch belächeln,

ich will hoffen auf deine Nähe an meiner Seite.

Würdest du doch nur endlich dein Schweigen beenden,

doch ich halte es aus und halte dich aus, oh Gott.

Halte du mich aus!

Und halte mich, Ewiger! Halte mich!

Stephan Wahl, 19. Juli 2021

 

Der Verfasser lebt in Jerusalem, ist Priester des Bistums Trier und stammt aus dem von der Katastrophe schwer betroffenen Landkreis Bad Neuenahr-Ahrweiler.

BIBELWORTE - KURZ BETRACHTET

Neu geboren werden?

Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. (Jo­hannes 3,3)

Dieser geheimnisvolle Satz fällt in dem Gespräch zwischen Nikodemus und Jesus, zu dem der Angehörige des Sanhedrin Jesus aufgesucht hat. Ob er nachts zu Jesus ging, weil er nicht von anderen rechtgläubigen Juden gesehen werden wollte, oder auch einfach, weil man nachts ungestörter miteinander reden kann, ist nicht klar. Nikodemus beschäftigt die Frage nach dem Reich Gottes. Er zeigt Jesus seine Achtung vor ihm und äußert die Meinung, dass niemand die Zeichen tun könne, die Jesus tut, ohne dass Gott mit ihm sei. Darauf antwortet Jesus mit obigem Satz und irritiert Nikodemus damit völlig. Dass man Jesu Verhalten in diesem Ge­spräch als harsch und überheblich empfindet, während Nikodemus als recht unverständig dargestellt wird, mag daran liegen, dass Johannes um das Ende des 1. Jahrhunderts zu einer Zeit schrieb, als die junge Christengemeinde sich zunehmend von den Juden abzusetzen begann. Man merkt, dass beide aneinander vorbeireden, weil Nikodemus ganz dem Irdischen verhaftet scheint, während Jesus auf das Geistige hinweist.

Eine Schlüsselstelle liegt in den Versen 11-12, wo Jesus sagt: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben, und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an. Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage? Für Jesus hat das Reich Gottes mit seinem Auftreten und seiner Verkündigung begonnen und Nikodemus merkt nicht, wer da vor ihm steht. Allerdings ist das Reich Gottes wie auch sein Geist unverfügbar (der Wind bläst, wo er will) - aber sein Wirken können wir spüren und erkennen.

Wie können wir heute, die wir meist im Christentum sozialisiert worden sind, diese Notwen­digkeit der Wiedergeburt in Bezug auf das Reich Gottes verstehen? Wir alle unterliegen gene­tischen Festlegungen, sind durch unsere Lebensumstände und Erfahrungen geprägt und können uns nur zu einem geringen Teil ‚ändern‘. Aber wir können uns öffnen und in der einen oder anderen Hinsicht neu beginnen: wir können unsere eingefahrene Denkweise überprüfen und im Hinblick auf eine neue Zukunft, die eine andere Einstellung und Lebensweise fordert, umdenken und etwas in Angriff nehmen, das uns und unserer Gesellschaft dient. Das ist gerade im Moment eine besonders dringende Anforderung, und das Umdenken müssen wir leisten. Die innere Kraft, diese Überzeugung dann in die Tat umzusetzen, wird uns zukommen - darauf dürfen wir vertrauen.

Karin Klingbeil

Zum Tod von Otto Hammer

Eine eindrucksvolle Persönlichkeit

Im Oktober-Heft unserer Zeitschrift mussten wir schweren Herzens den Tod von Otto Hammer bekanntgeben. Heute möchte ich unserem langjährigen Freund und Gemeinde-Mitglied noch Worte des Dankes nachrufen. Er hat unserer Gemeinschaft in der Zeit seines Wirkens wert­volle Impulse gegeben. Jede Begegnung mit ihm war anregend und erfüllt von einem Geist ge­genseitiger Wertschätzung.

Wenn wir jetzt zurückschauen auf die mit Otto erlebte Zeit, so war diese erst ab 1988 so reich an Erlebnissen geworden. Unsere Verbindung zu seiner Familie erfolgte davor über sei­ne Ehefrau Ursula geb. Wagner, die uns über Jahre hinweg als wertvolle Gemeinde-Älteste gedient hatte. Die Kinder der Hammers nahmen in dieser Zeit oft an den verschiedenen Ju­gendaktivitäten unserer Gemeinde teil.

Die Erkrankung, das Leiden und der viel zu frühe Tod von Ursula im Oktober 1987 waren für Otto ein großer Einschnitt in seinem Leben. Die vielen gemeinsamen Ehejahre in ihrer Bezie­hung und gegenseitigen Wertschätzung hinterließen ihre Spuren auch im Verhältnis zu unse­rer Gemeinde. So beantragte Otto im März 1988, als Mitglied in die Tempelgesellschaft aufge­nommen zu werden. Auch begann er in dieser Zeit, sich mit unserer Glaubensauffassung aus­einanderzusetzen und im Ältestenkreis mitzuwirken; zudem gehörte er 1990-1996 der Gebiets­leitung an.

Ich hatte den Eindruck, dass Otto in tiefer Überzeugung das geistig-religiöse Vermächtnis seiner verstorbenen Lebensgefährtin übernehmen und weiterführen wollte. Ich erinnere mich noch gut an ein Treffen mit ihm in dieser Zeit, bei dem er mir Fragen zu meiner Einstellung in religiöser Hinsicht stellte. Es war dies die Zeit, in der er, zuvor Betriebswirt bei Daimler, in den Ruhestand trat und sich dann als Hörer theologischer Kurse an der Universität in Tübingen einschrieb. Ich bewunderte, wie er sich in dieser Lebensphase geistig-religiösen Fragestellun­gen zuwandte.

Wir Gemeinde-Älteste wurden von ihm theologisch bereichert; neben eigenen Saalan­spra­chen übernahm er auch Seminarveranstaltungen. So ist vielen Älteren sicher noch seine enga­gierte Teilnahme an unseren Wochenend-Seminaren in guter Erinnerung. Die Begegnungen mit ihm waren stets erfüllt von gegenseitiger Achtung und guter Freundschaft. In den Seminar­pausen sammelte sich immer schnell ein aufmerksamer Gesprächskreis um ihn. Wir profitier­ten viel von seinem profunden Wissen.

Otto Hammer führte auch die Familienforschung seiner verstorbenen Ehepartnerin weiter. Ich erinnere mich noch gut an eine von unserer Gemeinde organisierte Gruppenreise zu den Siedlungsorten der Templer im früheren Palästina, die wir im Hinblick auf die Templergeschich­te gemeinsam begleitet haben. Ich war beeindruckt von seinem Wissen über die Familienge­schichte der Wagners. Er führte mich im galiläischen Nazareth zum ehemaligen Mühlenbetrieb des Melchior Wagner, dem Großvater seiner Ursula, und erzählte mir viel vom Leben der damaligen Pioniere im Heiligen Land. Es war mir so, als ob beim Erzählen seine Ursula noch auf der Straße mit uns ging.

Als Otto, schon im vorgerückten Alter, sich einer Operation unterziehen musste, sorgte Gisela Hahn dafür, dass er in der Uniklinik in Ulm behandelt werden konnte, wo sie in der Gefäßchirurgie arbeitete. Mit Gisela begründete sich für ihn eine neue Lebenspartnerschaft. Die Beiden unternahmen zusammen viele Reisen und wohnten in den letzten Jahren gemeinsam in Aichtal. So konnte Otto bis zum Schluss gut betreut im eigenen Haus und Garten wohnen bleiben. Am 20. Oktober ist er in der Filderklinik in Filderstadt nach einem stillen Herzinfarkt im Alter von 92 Jahren gestorben, nachdem er sich ganz bewusst und ruhig von allen Familienmitgliedern verabschiedet hatte.

Peter Lange

NOVEMBERGEDANKEN

Der Tod und das Leben

In einem pommerschen Dorf beschafften die Bewohner mit vereinten Kräften ein neues Ge­läut. Sie bestimmten, es solle einen solchen Rhythmus haben, dass man sich dabei hersagen könne: »Der Junge kann, der Alte muss«. Nicht nur am Totensonntag weiß man, was »der Junge kann« und »der Alte muss«, nämlich: sterben. Die Dorfbewohner wollten dies täglich in ihr Dorf, in ihr Leben hinein geläutet haben. Sie machten Ernst mit dem alten Bibelwort: »Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.«

Sie wollten an das Sterben erinnert sein, nicht bloß um des Sterbens willen, sondern um des Lebens willen. Sie zählten das Leben zu den zahlreichen Größen (man denke etwa an die Erziehung, aber auch an den Krieg), die von ihrem Ende her begreiflich werden. Der Tod steht nicht hinter dem Leben, sondern über ihm und in ihm. Der Mensch (darin wohl gewiss anders als das Tier) lebt sein Leben angesichts des Todes. Was bedeutet das?

Angenommen, wir hätten unser Leben als etwas Unverlierbares und Immerwährendes - würden wir es dann noch zu schätzen wissen? Wie »selbstverständlich« würde es uns sein! Nun aber ist es etwas Gefährdetes und Bedrohtes und Begrenztes - und als solches uns kost­bar: »Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag!« Wie merkwürdig, wie wunderbar ist das: Der Tod macht das Leben kostbar.

Das angesichts des Todes gelebte Leben wird zu einem Schatz, zu einem Kleinod, zu einer täglich neuen Gottesgabe. In Dankbarkeit wird es gelebt, und Dankbarkeit ist das Gegenteil von Selbstverständlichkeit.

Es muss ja nicht sein, dass ich da bin und dabei bin. Aber nun bin ich da und kann dabei sein. Eine Zeitlang! Das angesichts des Todes gelebte Leben nimmt alle Freuden wahr. Auch sie sind bedroht, auch sie sind begrenzt. »Trinkt, o Augen, was die Wimper hält, von dem gold­nen Überfluss der Welt!« (Gottfried Keller). Die Augen können nicht immer trinken.

In einem anderen pommerschen Dorf hatten die Bewohner einen Tunichtgut und Tagedieb (das Wort will bedacht sein!) durchzuhalten, auch mit vereinten Kräften. Sogar Sarg und Grab­stein mussten sie für ihn bezahlen. Auf dem Stein setzten sie dem Namen und den Daten noch ein Wort hinzu: »Umsonst«. »Den Kindern zur Lehre«, sagten sie. Ihnen sagten sie, dass da einer »für nichts und wieder nichts« gelebt habe und dass der Mensch so nicht leben dürfe.

Wer möchte wohl verdienen, dieses »Umsonst« auf seinen Grabstein gesetzt zu bekom­men? Die Zeit, die hingehende, hineilende Zeit, unsere, meine Zeit will genutzt sein. Wer an­gesichts des Todes lebt, will ein Lebenswerk schaffen. Beizeiten. Solange es noch Tag ist (»Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann!«). Seine Lebensarbeit zu tun, an seinem Lebens­werk zu »bauen«, das gibt dem Leben Inhalt, Wert, Freude und Frieden.

Der mittelalterliche Mensch hat mehr als ein an der Welt Leidender gelebt; der neuzeitliche Mensch versteht sich mehr als einer, der die Welt gestalten und zum Besseren »verändern« soll. Der religiöse Mensch von heute fühlt sich als »Gottes Mitarbeiter«. Das gibt seinem Leben wie seinem Lebenswerk großen Wert und hohe Würde.

Gerade nach der christlichen Religion, die ja unsere abendländische Lebensansicht be­stimmt, weiß sich der Mensch zur Liebe gerufen. Wer an den Gott der Liebe glaubt, wem die Gottesliebe Grund und Ziel seines Lebens ist, weiß sich in der Pflicht stehend, empfangene Liebe an andere und in die Welt hinein (auch an Pflanzen und Tiere) weiterzugeben. Auch dafür haben wir nicht immer Zeit, keine unbegrenzte Zeit, das können wir nicht »immer noch« tun.

Eben weil wir angesichts des Todes leben und ebenso die, denen unsere Liebe gilt oder gel­ten soll. »0 lieb, solang du lieben kannst; o lieb, solang du lieben magst - die Stunde kommt, die Stunde kommt, da du an Gräbern stehst und klagst.« Jener schlimme (wahre?) Ausspruch braucht doch nicht immer wahr zu werden: Dass den meisten Frauen mehr Blumen nach ihrem Tod auf das Grab gelegt als bei ihren Lebzeiten auf den Tisch gestellt werden. (Dabei können die Blumen Gleichnis auch für anderes sein.)

Die großen Religionen der Menschheit wissen übereinstimmend davon zu sagen, dass der Mensch vom Weltenrichter danach beurteilt werden wird, ob durch ihn etwas mehr Liebe in die Welt gekommen ist.

Durch ein Leben angesichts des Todes kommt ein großes Ernstnehmen in Denken und Ge­wissen hinein. Eine große, tiefe Bewusstheit: Wir haben ja alles nur auf Zeit. Alles und alle. Unsere Zeit geht hin, die Zeit der andern, die Zeit aller Dinge. Lassen wir uns darum alles mit Bewusstsein gegeben sein, was wir haben und solange wir es haben! So gilt es, mit Bewusst­sein die Stufen zu erleben und zu durchleben, die unser Leben durchläuft, wenn ihm Jahr­zehnte gegeben werden.

Es ist ein anderes Leben in der Kindheit, in der Jugend, in »des Lebens schöner Mitte«, im Alter, im hohen Alter; ein anderes - und doch ein Leben, mein Leben. Davon sagt Hermann Hesse: »Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen. Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf’ um Stufe heben, wei­ten.«

Ebenso gilt es, sich bewusst zu machen, wie wir im »Verbund« unserer Sippe, unserer Fa­milie leben. Wir stehen auf den Schultern unserer Vorfahren; unsere Kinder und Kindeskinder werden und sollen auf unseren Schultern stehen. In der Generationenfolge leben wir im Wech­sel von Füreinander und Miteinander. Das sollten wir uns gesund erhalten; es sollte nicht zum Gegeneinander werden.

Es ist eine unbestreitbare, wenn auch geheimnisvolle Tatsache, dass viele Lebende im Um­gang mit Toten leben. Wohl nicht immer in einem bewussten Umgang, aber auch in einem solchen. Ein Freund der Musik kann »in Bach«, ein Freund der Dichtung »in Goethe« leben. Die Wissenschaftler leben weithin in ständiger Zwiesprache mit ihren großen Lehrern, Meis­tern, Bahnbrechern.

Manchem schlichten Menschen bleibt mancher schlichte Lehrer unvergessen. Längst erwachsene Menschen halten immer wieder »Rücksprache« mit der Mutter, mit dem Vater, die schon lange »tot« sind. Ein Volk soll und darf das »Gespräch« nicht abreißen lassen mit de­nen, die für Wahrheit und Freiheit und andere hohe Lebensgüter sterben mussten. Geschichts­loses Leben ist kein menschliches Leben, so gewiss wir nicht die ersten sind, die da leben. Und nicht die letzten sein werden.

Börries von Münchhausen sagt in seinem Gedicht »Über ein Grab hin« zu seinem toten Freund: »Je länger du dort bist, umso mehr bist du hier; je weiter du fort bist, umso näher bei mir.« In dem allen kann ein Hinweis enthalten sein auf das, was Jesus meint mit seinem Wort: »Gott ist nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebendigen, denn ihm leben sie alle.«

Das führt zu einem andern, das noch zu einem Leben angesichts des Todes zu sagen ist. Wiederum angenommen, wir würden unsterblich sein und ewig auf dieser Erde bleiben - würden wir dann noch die Gottesfrage stellen? Würden wir dann nicht in eine letzte und tiefste Gleichgültigkeit hineingeraten? Es könnte uns dann ja letztlich »alles gleich« sein! Wir könnten dann ja wirklich - um bildhaft zu sprechen - »den Himmel den Spatzen überlassen«.

Nun aber suchen wir in unserer Vergänglichkeit die Ewigkeit, suchen sie »von ganzem Her­zen« und auch »mit allen Kräften« des Geistes und der Seele. Nun aber suchen wir den Herrn des Lebens und des Todes, der mehr ist als unser Leben und unsere Welt, der über allem Werden und Wandel und Vergehen und Neuwerden steht; suchen ihn wieder »von ganzem Herzen« und »mit allen Kräften«. Und es kann geschehen, dass der Ewige sich in solchem Suchen finden lässt, der Schöpfer, der auch Erlöser und Vollender sein will.

Schon viele waren gewiss, ihn gefunden zu haben. So der Große von Weimar, groß im Den­ken und Schauen und Sagen: »Unser Geist ist der Sonne ähnlich, die bloß unseren irdischen Augen unterzugehen scheint, aber unaufhörlich fortleuchtet. Ich möchte sagen, dass diejenigen auch für dieses Leben tot sind, die auf kein anderes hoffen.«

Dr. Hans Pribnow (1908-1990), Pfarrer in Pommern und nach dem Krieg in Hanau, Mitbe­gründer des Bundes für Freies Christentum, 1951-1969 Schriftleiter der Zeitschrift »Freies Christentum«

Ein paar Promille Jesus im Blut

In der Rubrik 'Gottesfragen' der Zeitschrift Publik-Forum beantwortet der Theologe Joachim Negel Fragen der Leserinnen und Leser. Diesmal geht es um die Gottesliebe: »Kann man Gott lieben? Und wenn ja: Wie soll das gehen?«

»Höre, Israel! Der Herr, unser Gott, der Herr ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft …« (Deuteronomium 6,4f.; vergleiche Markusevangelium 12,30; Lukasevangelium 10,27). Mit diesen Worten hebt das jüdische Gottesbekenntnis an. Sich zur Einzigkeit Jahwes zu bekennen verpflichtet den frommen Juden zu etwas Ungeheurem: alle leiblichen, seelischen, geistigen Kräfte auf »Ihn, den Heiligen, gelobt sei sein Name!« hinzuwenden. Die erstmals in der alttestamentlichen Prophetie verwendete Liebes-, Braut- und Ehemetaphorik verleiht dem Bundesverhältnis zwischen Gott und Israel eine affektive Tönung: Seitdem heißt Gott lieben...

Joachim Negel

 

Dieser Artikel ist für die Internetausgabe der »Warte« leider nicht freigegeben. Lesen Sie den vollständigen Artikel in der gedruckten Ausgabe der »Warte« oder in »Publik-Forum«, kri­tisch - christlich - unabhängig, Oberursel, Ausgabe 18/2021, Seite 35.

BUCHVORSTELLUNG

Ho’oponopono - das hawaiianische Vergebungsritual

Autor: Ulrich Emil Duprée

Vor einiger Zeit hab’ ich von einer Bekannten ein Büchlein mit obigem Titel geschenkt bekom­men. Von Ho’oponopono hatte ich schon gehört, mich aber nicht weiter damit befasst.

Zur Einleitung schreibt der Autor, »Verzeihen, Vergeben und Versöhnen kann man lernen und üben - und jeden erwartet eine große Belohnung, die ich die Heilung des Herzens nenne.«

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Denn die größte Kraft im Universum ist die Liebe und mit dieser Kraft lässt sich alles heilen. Unserem christlichen Glauben ist diese Aussage nicht fremd und Jesus hat es genauso vorgelebt.

Im Ho’oponopono finden wir die ganze Kraft der Liebe (Aloha) wieder. Aloha sieht das Ge­meinsame und nicht das Trennende. Nie verletzen, immer helfen. Ho’o steht für machen, stel­len, einrichten (für gute Beziehungen muss man etwas tun); pono bedeutet richtig, flexibel, barmherzig (weil man für alles im Leben Flexibilität und Anpassungsfähigkeit braucht). Ho’o­ponopono wird allgemein übersetzt als: die Dinge wieder richtig stellen.

Das Ziel ist kein Kompromiss, sondern eine Richtigstellung der Beziehung auf allen Ebenen und für alle Beteiligten. Zu uns selbst, zu anderen Menschen, zur Umwelt und der Natur und unserer Beziehung zu unserem spirituellen Ursprung. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, jedes Problem (mit Liebe) zu lösen.

Nach einer alten Geschichte entstanden die Probleme der Welt dadurch, dass die Mensch­heit dem Irrtum verfiel, es gäbe statt der einen Kraft der Liebe nun zwei Kräfte: Gut und Böse. An Stelle von Mitgefühl und Wohlwollen trat das Urteil. Statt Einheit entstand Trennung. Eine einfache Übung (es gibt noch viele andere) des Ho’oponopono: Wir denken an ein uns beschäftigendes Problem und setzen es uns gedanklich auf einen Stuhl gegenüber. Tief durchatmen und das eigene Gefühl beobachten (eventuell notieren). Dann diese vier Sätze sprechen: »Es tut mir leid. Bitte verzeih mir. Ich liebe dich. Danke.« Diese Sätze wiederholen, bis ein Gefühl des Verständnisses entsteht. Im Wesentlichen geht es darum zu sehen, dass für jedes Problem der Ursprung in uns selber liegt. In der Vergebung uns selbst und anderen gegenüber liegt ein Schlüssel, der uns hilft, mit der Vergangenheit abzuschließen und in eine glückliche Zukunft aufzubrechen.

Die Anfänge des Ho’oponopono liegen weit zurück in der Vergangenheit, nämlich ca. 5700 Jahre. Zu einer Zeit, die in alten Sanskrit-Texten wie dem Ayurveda als Beginn der Epoche des Streits bezeichnet wird, und so ist es sicher auch kein Zufall, dass die biblische Zeitrechnung da beginnt. In hawaiianischen Familien wurden am Abend alle Ereignisse des Tages bespro­chen in demütigem Respekt vor der Natur und allem Sein. Um den Frieden zu bewahren wur­den alle Streitigkeiten, negativen Gefühle und Fehlverhalten gegenüber Mensch, Tier und Na­tur am selben Abend in Liebe und Verzeihung, in Versöhnung und Vergebung aufgelöst. (Da fällt mir im Übrigen mein Opa und dessen Lebensphilosophie ein: Lasset die Sonne nie über einem Streit untergehen.)

Ganz besonders beeindruckt hat mich die Geschichte des Dr. Ihaleakala Hew Len, der ab 1983 durch Ho’oponopono die Heilung von mehreren (ca. 30) psychisch kranken Gefangenen zustande brachte. Die Arbeit in dieser Anstalt wurde davor als Hölle bezeichnet. Dr. Len führte keine Gespräche mit den Gefangenen, sondern versetzte sich über die Krankenreporte in deren Lage. Er fragte sich selbst: »Was ist Dunkles, Negatives und an Gewalt in mir, dass es so etwas in meiner Welt gibt? Was ist mein Anteil daran, dass mein Bruder im Geiste so etwas getan hat?« Immer wenn er etwas davon in seinem Herzen fand, machte er ein Ho’oponopono nach hawaiianischer Tradition und sprach die schon bekannten vier Sätze: »Es tut mir leid. Bitte verzeih mir. Ich liebe dich. Danke.« Mit der Reinigung seines Herzens veränderte er auch die Atmosphäre im Gefängniskrankenhaus. Schließlich kamen die Wärter und die Therapeuten gerne zum Dienst. Therapeutische Gespräche waren möglich und nach vier Jahren waren bis auf zwei alle Gefangenen geheilt.

Schon Jahre davor (in den 1950ern) hatte die amerikanische Ärztin Dr. Erika Haertig Ho’o­ponopono als die effektivste Problem- und Konfliktlösung bezeichnet, die je in einer Kultur ersonnen wurde.

Hannelore Oetinger

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